Seit 2013 beschäftigt sich die US-Justiz wieder mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Affe. Bisher blieb der Versuch erfolglos, unsere stark behaarten Verwandten vor Gericht zu bringen. Dabei steckt mehr als Prozesshanselei dahinter.
Wenn sich US-Amerikaner vor Gericht darüber streiten, wie es um die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Mensch und Affe bestellt ist, bietet dies der Weltöffentlichkeit gern Anlass für biedere Schmunzeleien. Zum Gegenstand nicht nur der amerikanischen Populärkultur ist vor allem der sogenannte Affenprozess von 1925 geworden.
Der Biologielehrer John T. Scopes (1900–1970) hatte gegen den Butler-Act verstoßen, ein christlich inspiriertes Gesetz des Staates Tennessee, das verbot, die Darwin'sche Evolutionstheorie zum Gegenstand des Unterrichts an staatlichen Schulen zu machen. Der Prozess um die Geldstrafe von 100 Dollar geriet zum Medien-Rummel.
Auf den Affen kam die öffentliche Auseinandersetzung, weil er einerseits den Darwin-Anhängern als augenfälligster Beleg für die tierische Natur des Menschen diente. Andererseits gehörte der Gedanke, dass einige Menschen dem Affen näher seien als andere, zum festen Bestandteil der rassistischen Alltagskultur. Dem Rassisten galt die Behauptung universeller Verwandtschaft aller Menschen mit dem Tier daher als besonders skandalös.
Neue Affenprozesse in New York
Seit über 90 Jahren ist der Scopes-Prozess Teil einer auch internationalen Popkultur, wahrscheinlich, weil viele Menschen glauben, sie könnten ihre intellektuelle Überlegenheit belegen, indem sie sich über US-amerikanische Bibelgläubige erheben.
Gemessen an diesem historischen Vorgang ist es bemerkenswert still um jene Affenprozesse geblieben, die seit 2013 im US-Bundesstaat New York anhängig gemacht werden könnten – vielleicht, weil dieses Mal die liberale Öffentlichkeit keine unbedingt gute Figur macht und einige Argumente treuherziger Christenmenschen verfangen könnten.
Konkret geht es um eine Serie gescheiterter Prozess-Auftakte. Die gemeinnützige Organisation "Nonhuman Rights Project" müht sich seit einigen Jahren darum, öffentliche Einrichtungen wegen der Haltung von Menschenaffen vor Gericht zu bringen, beispielsweise die staatliche Universität von New York Stony Brook mit Sitz auf Long Island in den Angelegenheiten eines Schimpansen namens Tommy.
Wunsch der Haftprüfung für Schimpansen
Als juristisches Angriffsmittel verwenden die Anwälte des Nonhuman Rights Project das wohl ehrwürdigste Institut der westlichen Rechtsgeschichte, den als "habeas corpus" bezeichneten Anspruch, einen Richter um Prüfung einer Inhaftierung zu ersuchen.
Ehrwürdig ist das Institut weniger, weil es sich englische Barone im Jahr 1215 in der Magna Charta gegen ihren König ausbedungen hatten. Bei Licht besehen war dies zunächst nicht mehr als der Versuch, das gegenseitige Schutzgelderpressen im sogenannten Hochadel ein wenig zu zivilisieren.
Zum wichtigen Grundsatz im juristischen Tagesgeschäft wurde der Anspruch auf richterliche Überprüfung von Inhaftierungen in Zeiten der konfessionellen Auseinandersetzungen nach der englischen Reformation: Zwar gewährte die Krone keine Bekenntnisfreiheit, doch wegen der Inhaftierung infolge mutmaßlicher katholischer oder dissident-protestantischer Ketzereien war immerhin ein Richter zu hören.
Höhere rhetorische Würde als irgendein einfachgesetzlicher Haftprüfungsanspruch eines technisch-trockenen Landespolizeigesetzes hat der Habeas-Corpus-Grundsatz, weil er in der angelsächsischen Rechtsgeschichte immer wieder als Mittel diente, überhaupt rechtliches Gehör zu organisieren. Ein Umstand, der auch in den New Yorker Affenprozessen vorgebracht wurde.
Ist der Affe eine Person im Sinne des Gesetzes?
Unter anderem gegen die staatliche Universität Stony Brook reichten die Anwälte des Nonhuman Rights Project eine Habeas-Corpus-Klage nach den Vorschriften der Zivilprozess-Verfahrensregeln des Staates New York wegen unrechtmäßiger Inhaftierung des Schimpansen Tommy ein.
"Eine Person, die innerhalb des Staates unrechtmäßig inhaftiert oder in anderer Weise in ihrer Freiheit beschränkt wird", kann nach § 7002 lit. a) Satz 2 der New York Civil Practice Law and Rules an das Gericht ein Gesuch um ein "writ of habeas corpus" auf Untersuchung des Haftgrundes und um Befreiung stellen.
Ließe sich ein Gericht darauf ein, auch nur das Verfahren um die Prüfung des Haftgrundes zu eröffnen, so die Überlegung des Nonhuman Rights Project, liege darin die Anerkennung von Tieren als Person im rechtlichen Sinn.
Im US-Bundesstaat Oregon hatte zwar ein Gericht bereits 2014 Einsehen zugunsten eines Polizisten gehabt, der um eines offenkundig geschundenen Pferdes ein Privatgrundstück betreten hatte. Dazu subsumierte das Gericht das Pferd unter den Begriff einer "Person", von der unmittelbare Gefahr abzuwenden war.
Den Schimpansen im Staate New York blieb diese Anerkennung als Person im Rechtssinn verwehrt, die auch in Oregon wohl mehr aus der Not geborene Analogie gewesen war. Als zentrales Argument diente den New Yorker Gerichten der Gedanke, dass zur Anerkennung als "Person" die Fähigkeit gehöre, Träger nicht nur von Rechten, sondern auch von Pflichten zu sein.
Trotz zahlreicher eidesstattlicher Aussagen von Primatologen, die zu den intellektuellen und sozialen Eigenschaften der Menschenaffen, sogar zu ihrer Humorbegabung Auskunft gaben, sollte es an der Fähigkeit zur rechtlichen Übernahme von Pflichten scheitern.
2/2: Bemerkenswerter Nebenkriegsschauplatz
Die philosophische Diskussion darüber, ob Tiere als Person gelten können oder sollten, kann an dieser Stelle nicht aufbereitet werden.
In Deutschland wird sie gern erbittert, aber wenig offen geführt. Dem australischen Ethiker Peter Singer beispielsweise, der die Schranke zwischen Tier und Mensch als "Speziesismus" – eine Art Gattungsrassismus des Menschen – sieht, wird im Muff der deutschen Universitäten gleich ganz der Mund verboten.
Aller Hirngespinste um political correctness zum Trotz läuft die Diskussion in den USA augenscheinlich offener. Richard L. Cupp, Juraprofessor an einer kleinen kalifornischen Universität, die ausgerechnet in der Trägerschaft einer sehr bibeltreuen christlichen Strömung steht, argumentiert beispielsweise sehr sachte, dass eine Anerkennung von Tieren als Person – jedenfalls auf längere Sicht – zulasten von Menschen gehen könnte, die ebenfalls keine Pflichten tragen könnten, namentlich von Kindern und geistig Behinderten.
Cupp verdankt sich der Hinweis auf einen Amicus-curiae-Brief, den sein – nach US-Begriffen – liberaler Kollege Laurence H. Tribe, Professor an der um Längen renommierteren Harvard Law School und akademischer Lehrer zahlreicher US-Spitzenpolitiker und -juristen, in der Sache der New Yorker Affenprozesse verfasst hatte. In den USA sind Christenmenschen und "Linke" im Gespräch, wo hierzulande schweigende Ödnis herrscht.
Tribe empört sich darüber, dass sich die New Yorker Gerichte geweigert hatten, eine Untersuchung über die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung der Schimpansen einzutreten, mit dem Argument, diese seien keine Person. Der liberale Harvard-Professor weist darauf hin, dass selbst zu Zeiten, als in New York die Sklaverei noch geltendes Recht war, Sklaven vor Gericht die Rechtmäßigkeit ihrer Unfreiheit hätten prüfen lassen können.
Die Frage nach dem Status des Schimpansen als Person hätte demnach in der Habeas-Corpus-Anhörung geprüft, nicht von vornherein verneint werden dürfen.
"Da Könnte ja jeder kommen!" – die Dammbruchargumentation
Martin Wolff (1872–1953), einem der bedeutendsten Zivilrechtslehrer seiner Zeit, wird die Bemerkung zugeschrieben, dass es eigentlich nur zwei juristische Argumente gebe: "Das wäre ja noch schöner!" und "Da könnte ja jeder kommen!"
In den New Yorker Affenprozessen geht es nicht, wie man meinen könnte, allein darum, dass herzensgute Menschen Bruder Bonobo und Schwester Gorilla zu Rechtsgenossen erheben möchten. Im Fall von Professor Tribe keimt insbesondere der Verdacht, dass er dem Wolff’schen "Da könnte ja jeder kommen!" das empörte Ausrufungszeichen nehmen möchte.
Denn der liberale Harvardprofessor vertritt anderweitig milliardenschwere Unternehmen, die nach Kräften in den Grundrechtsschutz der US-Verfassung kommen möchten, auch von Rechten, die man traditionell eher beim biologisch definierten Menschen sieht – ähnlich der Erstreckung von Grundrechten auf inländische juristische Personen nach Artikel 19 Absatz 3 Grundgesetz, mit der sich ja viel Schindluder treiben lässt.
Flussgötter könnten Grundrechtsschutz genießen
In den USA ist derlei sonst eher Sache der politischen Rechten, und war zuletzt ein Skandal, als dort gesetzliche Beschränkungen der Wahlkampfeingriffe seitens juristischer Personen für verfassungswidrig erklärt wurden. Mit Affen macht man dagegen die Erweiterung potenzieller Rechtsgenossenschaften heute auch politisch eher linksorientierten Menschen schmackhaft. Wer nicht jeden und alles vor Gericht sehen möchte, gilt da schnell als borniert.
Heute mag das Folgende als schwacher Kalauer durchgehen. Kommt ein Anwalt zum Gericht und sagt: "Ich vertrete im Namen neuheidnischer Engländer die Flussgötter Londons, die sich durch die Kanalisation in ihren Rechten verletzt sehen. Ich ersuche um eine Anhörung nach Habeas-Corpus-Grundsätzen."
Aber ist das wirklich ein schwacher Kalauer? Im Jahr 2012 wurde ein Fluss namens Whananui durch Vereinbarung zwischen Vertretern der Maori und der neuseeländischen Krone als eigene juristische Entität anerkannt. Ein Minister wird mit den Worten zitiert, der Fluss werde damit zu einer Person und zwar in der gleichen Art, wie es bei einem Unternehmen der Fall ist, dem Rechte und Interessen gegeben sind."
Wie kann also einem Schimpansen verweigert werden, was einer heidnischen Maori-Flussgottheit oder einer US-Firma zugebilligt wird?
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Martin Rath, Amerika: Anerkennung von Affen als "Person": Trickserei um die Evolutionstheorie . In: Legal Tribune Online, 05.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19551/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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