2/2: Der Staat strafte Bigamie weit härter als die Kirchen
Über diese eher anekdotischen Vorgänge auf dem Gebiet des Ehestrafrechts hinaus – John Witte schildert sogar einen aktenmäßig dokumentierten kitschromantischen Fall, in dem ein kostümiertes Dienstmädchen seine Herrin vor den Avancen eines mutmaßlichen Schwindlers schützt, indem es ihn selbst heiratet – geben die Ausführungen des Juraprofessors aus Atlanta noch einen ganz ernsthaften Zweifel von allgemeinerem Interesse auf, der sich in aktuellen rechtspolitischen Diskussionen gebrauchen lässt.
Wir sehen das Recht der Gegenwart oft und gern als Frucht säkularer, moderner Staatlichkeit, als einen Zustand, den es gegen die Zumutungen zu schützen gilt, die in den stets archaischen und brutalen Normvorstellungen religiös hergeleiteten Rechtsdenkens zu erkennen sein sollen.
Im Fall des alten englischen Bigamie-Verbots war es nun freilich gerade umgekehrt: Bis Heinrich VIII. (1491–1547), den man gerne im Interview mit Rolf Seelmann-Eggebert erlebt hätte, seiner Herrschaft das Familienrecht unterzuordnen begann und das Londoner Parlament an jene Stelle setzte, die bis dahin der Papst innehatte, wurden Fälle von Bi- bzw. Polygamie vergleichsweise milde, fast ausschließlich kirchenrechtlich sanktioniert, beispielsweise mit dem Ausschluss des Bigamisten von den Sakramenten, etwa dem Abendmahl, sowie mit Beicht- und Bußpflichten.
Drakonische Anfänge der Säkularisierung
Nicht irgendein orientalischer Kult, sondern jenes Parlament, das als "Wiege der Demokratie" gehandelt wird, griff seit 1603/04 mit den hier skizzierten drakonischen Strafen in die persönlichen Verhältnisse von Männern und Frauen ein – weit über die Verteidigung jener nachvollziehbaren Ordnungsvorteile hinaus, die in der Monogamie mit Blick auf gemeinsame Kinder oder Vermögensinteressen liegen. Die Ausgeburten des frühen Parlamentarismus: es sind der Galgen, das Brandzeichen, die lebensbedrohende Verschleppung in überseeische Knechtschaft.
Dass der säkulare Staat seinen rechtsunterworfenen Subjekten die Moral nachhaltig einimpfte, war – wie erwähnt – noch darin zu bemerken, wie verschnupft die britische Öffentlichkeit auf die Legalisierung des – einst bigamistischen – Charles & Camilla-Konkubinats reagierte.
Vielleicht lädt dies dazu ein, in der Gegenwart den Heldengesang auf den säkularen Staat gelegentlich etwas weniger forsch anzustimmen und die Nase über alternative Herleitungen von Recht, z.B. aus religiösen Zusammenhängen, nicht allzu unbedacht zu rümpfen.
Hinweis: John Witte Jr.: "Prosecuting Polygamy in Early Modern England", in: ders., Sara McDougall und Anna di Robilant (Hg.): Texts and Contexts in Legal History: Essays in Honor of Charles Donahue, 2016, S. 429–448.
Autor: Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Martin Rath, Strafbarkeit von Bigamie: . In: Legal Tribune Online, 17.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22665 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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