Ostersonntagsrecht: Eier, Kerzen und Lämmer vor Gericht

von Martin Rath

12.04.2020

Im Vergleich zum Weihnachtsfest, das Anlass zu Amnestien, Bonuszahlungen oder familiärer Gewalt bietet, bleiben die Ostertage mit Blick aufs Recht ziemlich harmlos. Zeit also, sich einmal einiger österlicher Nebensächlichkeiten anzunehmen.

Die heute drängende Frage, ob das Ei am spitzen oder am stumpfen Ende aufgeschlagen werden sollte, hat einst die Aufmerksamkeit der Staatsrechtslehre gefunden – freilich sehr indirekt durch das Werk des irischen Geistlichen und Journalisten Jonathan Swift (1667–1745).

Laut Swifts berühmten Bericht "Gullivers Reisen" wird von den Einwohnern der Insel Liliput – früher Liliputaner – mit religiöser Inbrunst die Lehre vom spitzen Ende verteidigt, während auf der Nachbarinsel Blefuscu mit ebensolchem Glaubenseifer das dicke Ende präferiert wird.

Der irische Gelehrte machte sich damit bekanntlich über den englischen "Act for preventing dangers which may happen from popish recusants" ("Gesetz zur Verhütung von Gefahren, die von papistischen Widersachern ausgehen können") lustig, die sogenannte Testakte, nach der zwischen 1673 und 1828 die Anwärter für öffentliche Ämter im Ergebnis von der "papistischen" Lehre abschwören mussten, dass sich Brot und Wein auf katholische Art in Leib und Blut Christi verwandelten, während die anglikanische Staatskirche hierzu die sehr viel objektivere Lehre vertrat, dass Christi Leib und Blut nicht als solche, sondern spirituell verzehrt würden.

Es handelte sich bei dieser von Swift mit der Eier-Frage karikierten Regelung für anderthalb Jahrhunderte um ein fundamentales britisches Gesetz. Denn Katholiken und andere Abweichler von der wahren anglikanischen Lehre mussten aus Gewissensgründen den Schwur verweigern und damit vom Staatsdienst fernbleiben, schieden sogar aus dem Parlament aus.

Wertschätzung von Eiern im deutschen Recht

Im Vergleich zu der Wertschätzung, die Swift der zwar scherzhaften, staatsrechtlich aber zentralen Unterscheidung zwischen dickem und spitzem Ende zukommen ließ, bietet die deutsche Rechtsprechung nur deutlich profanere Zugänge zum Wert des Eis.

Beispielsweise hatte der Bundesgerichtshof (BGH) im Urteil vom 20. März 1951 (Az. 1 StR 41/51) u.a. zu entscheiden, wie ein "mit Süßigkeiten gefülltes Osterei von beträchtlicher Größe", das die Ehegattin eines bayerischen Fürsorgebeamten von einem Geschäftspartner ihres Mannes erhalten hatte, mit Blick auf seine Bestechlichkeit zu würdigen sei – insgesamt eine scheußliche Geschichte, waren dem Beamten doch staatliche Mittel anvertraut, die jüdischen Holocaust-Überlebenden zukommen sollten.

Doch nicht nur unter den Bedingungen allgemein drückender Armut können deutsche Gerichte auf den Wert des Ostereis schauen. In einer Auseinandersetzung um den Pflichtteilergänzungsanspruch nach § 2325 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) begehrte erst jüngst in einem Fall des Amtsgerichts Bielefeld die vom erblassenden Vater ausgeschlossene Tochter von ihrem Neffen, Auskunft über die Geschenke zu erteilen, die er vom Großvater im Lauf der vergangenen Jahre erhalten hatte. Offenbar mit einem gewissen Trotz hatte der junge Mann angegeben, über Zuwendungen wie Bücher oder Ostereier nicht Buch geführt zu haben. Im Ergebnis hielt ihn das Gericht zu höherer Detailtreue auch hierin an, um der aufs Pflichtteil beschränkten Tante Gelegenheit zur Prüfung ihres Pflichtteilergänzungsanspruchs zu geben (AG Bielefeld, Urt. 17.05.2019, Az. 409 C 30/18).

Ob wohl die Fortschritte des elektronischen Zahlungsverkehrs, der digitalen (Familien-)Fotografie und der Künstlichen Intelligenz in der Auswertung solcher Daten dazu führen werden, dass künftig noch jedes Osterei beispielsweise in Erbstreitigkeiten gewürdigt werden kann? Es wird sich fragen, was zuerst da sein wird: Die Technik oder das Recht, dies zu verhindern.

Osterfeuer und –kerzen vor Gericht

Zu weit hergeholt, zu wenig Bezug zum Osterfest? Gemessen daran, dass Ostern für die 47 Millionen deutschen Christen wegen des theologischen Versprechens, die Macht des Todes über sie sei gebrochen worden, das wichtigste Fest des Jahres sein sollte, findet sich eine erstaunliche Nachlässigkeit noch in Angelegenheiten, die das Ansehen der Ostertage deutlich konkreter berühren.

Besonders traurig ist das Beispiel eines Bauern aus Westfalen – einst als Landstrich bekannt, dessen glaubensfeste Einwohner nach einem ungeschriebenen Satz der Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen (NRW) dazu da sind, die Sünden der stets leichtsinnigeren Rheinländer auszugleichen –, der wiederholt die Verwaltung um die Genehmigung anging, den reichen Herbst- und Frühjahrsschnitt seines Gehöfts – u.a. einer 300 Meter langen Hecke – im Rahmen eines Osterfeuers abbrennen zu dürfen.

Dies wurde ihm – schließlich auch vom Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW – mit dem Argument verweigert, dass sich mit Blick auf die Feinstaubbelastung und die Bedürfnisse von im Grünschnitt tummelnden Kleintieren das Abbrennen auf solche Osterfeuer beschränken müsse, die mit Zugang für die Öffentlichkeit von "größeren Organisationen" zum Zweck der "Brauchtumspflege" durchgeführt werden. Erleichtert wurde den Richtern die Entscheidung zudem durch die Gradlinigkeit des westfälischen Bauern, der offen eingeräumt hatte, es komme ihm auch darauf an, den Grünschnitt durch Feuer kostengünstig entsorgen zu können (OVG NRW, Beschl. v. 07.04.2004, Az. 21 B 727/04).

Ein ähnlich dekadentes Verständnis des österlichen Symbolschatzes findet sich leider auch im Kernbereich des zu seiner Pflege berufenen Personals, wie sich am Beispiel der Osterkerze zeigen lässt. Zur Beschaffenheit dieser großen Kerze, die in der katholischen Liturgie eine besonders feierliche Rolle einnimmt – sie wird regelmäßig in der Osternacht das erste Mal entzündet, um dann im weiteren Jahr z.B. bei Taufen zu brennen –, finden sich in der Tradition detaillierte Vorschriften, die im Lauf der Jahrhunderte kirchenrechtlich abgesichert wurden.

In einem lauterbarkeitsrechtlichen Urteil vom 21. Oktober 1966 (Az. Ib ZR 138/64) befasste sich der BGH mit der Frage, ob ein Kerzenhersteller damit werben durfte, dass seine Produkte der Qualität entsprechen, die von den liturgischen Vorschriften des kanonischen Rechts verlangt wurde.

Ebenso wie für die Leuchtmittel des "Ewigen Lichts", das hier im Streit stand, hatte die Ritenkongregation ehrgeizige Vorstellungen von der Qualität auch der Osterkerze, die "wenigstens zum größten Teil aus Bienenwachs bestehen" müsse. Überhaupt seien Bienenwachs, Oliven- oder andere pflanzliche Öle die bevorzugten Leuchtmittel im Kirchenraum.

Doch dokumentiert bereits das BGH-Urteil aus den glaubensstarken 1960er Jahren, dass selbst die sonst so gern normenstrikte römisch-katholische Kirche aus ökonomischen Gründen kaum noch auf einer klaren Bienenwachsquote in Oster- und anderen liturgischen Kerzen beharren mochte – über einen mehr oder weniger hohen Paraffinanteil wurde hinweggesehen. Und das, obwohl der Lobgesang auf den Fleiß der Bienen, nicht der Erdöl verarbeitenden Industrie, zum österlichen Ritual gehört.

Kein Wunder, dass das Kammergericht in einem Beschluss vom 20. Januar 2005 zum religiösen Sinn von Mini-Weihnachtsbäumen in der JVA Tegel den Vergleich zog, dass "weiteste Bevölkerungskreise keinerlei religiöse Gedanken" mit einer brennenden Kerze verbänden, während der Osterkerze eine im Gottesdienst "wichtige Bedeutung zukommt" (Az. 5 Ws 654/04 Vollz).

Der Symbolgehalt selbst einfacher Kerzen würde aber gewiss größer sein, wenn die Biene wegen ihres wertvollen Produkts im konfessionellen Kontext Deutschlands mit ähnlicher Inbrunst verteidigt worden wäre wie die berüchtigten Rindviecher des indischen Subkontinents. Wird nicht mehr um sakral kostbarste Kerzen gewetteifert, zahlt eben auch niemand anderenorts auf ihren symbolischen Wert ein – in Berlin mit der Folge, dass einem Häftling nicht geglaubt wird, wenn er behauptet, ein Weihnachtsbaum sei für ihn Glaubenssache.

Lamm Gottes heiratet, statt sich kreuzigen zu lassen

Einen tiefen Blick in theologische Zusammenhänge, die in Beziehung zum Osterfest stehen, gibt schließlich ein Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 19. April 2007 (Az. 7 A 11437/06), mit dem die Einreiseverweigerung gegen die Eheleute Sun Myung Mun (1920–2012) und Hak Ja Han Mun (1943–), ein selbst ernanntes Erlöserpärchen, kassiert wurde.

Die Bedeutung der beiden für ihre sogenannte Vereinigungskirche fasst das Gericht wie folgt zusammen:

Herr und Frau Mun "sollen als neuer vollkommener Adam und neue vollkommene Eva den Sündenfall aufheben – der durch die Verführung Evas durch Satan entstand – und damit das Werk von Jesus vollenden, eine neue sündlose, vollkommene Familie zu erzeugen. Die Hochzeit Muns mit Hak Ja Han 1960 wird als 'Hochzeit des Lammes' und als Wiedergutmachung der Kreuzigung begriffen, womit die Voraussetzung geschaffen ist, 'sündlose Kinder' zu zeugen und damit eine reale Blutslinie zu gründen, die nicht der 'Eva-satanischen Linie' angehört […]."

Das klingt absurd? Nun, die Theologen des in Deutschland eingerichteten und ausgeübten Kirchenbetriebs vertreten regulär, dass die Kreuzigung des Jesus von Nazareth und seine Wiederauferstehung als Vorgang eines Sühneopfers zu verstehen sei –  grob gesagt: Gottes Sohn wird geopfert, um die Erbsünde zu vergelten. Daher rührt die Trope vom "Lamm Gottes" für den von den Römern standrechtlich gekreuzigten Zimmermann.

Die von Mun gegründete Vereinigungskirche musste wiederholt vor Gericht ziehen, um eine "Pastoralvisite" ihres Anführers durchzusetzen, die ihr von staatlicher Seite lange verweigert wurde, weil sie ein anderes Swift’sches Ei legt als die anerkannten christlichen Kirchen: statt eines geschlachteten ein heiratendes "Lamm".

Es zeigt sich darin wieder die tiefe Weisheit, dass der freiheitliche, säkularisierte Staat über Fragen brütet, die er sich selbst gar nicht ins Nest legen kann.

Zitiervorschlag

Ostersonntagsrecht: . In: Legal Tribune Online, 12.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41271 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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