Netflix-Serie "Stalk": Schützt das Straf­recht vor digi­taler "Total­über­wa­chung"?

Gastbeitrag von Katharina Reisch

27.08.2023

In der Netflix-Serie "Stalk" hackt sich ein Informatikstudent in die Handys und Laptops seiner Mitstudierenden. Er spioniert sie über Webcams und Mikrofone heimlich aus. Das Strafrecht allein kann davor kaum schützen, meint Katharina Reisch.

Eigentlich sind wir unzertrennlich und ich teile mein ganzes Leben mit ihm. Schon seit vielen Jahren beginnen, erleben und beenden wir jeden Tag gemeinsam. Überall gehen wir zusammen hin – ins Büro, zum Arzt und zur Toilette. Doch seit letzter Woche ist etwas anders. Wie ein großes Fragezeichen steht das Misstrauen zwischen mir und meinem iPhone.

Denn ich habe die aktuell bei Netflix beliebte französische Serie "Stalk" gesehen.

"Ich weiß alles über euch"

Darin geht es um den Studenten Lux, der gerade sein Informatikstudium an einer renommierten französischen Hochschule begonnen hat. Natürlich durchläuft auch er das alljährliche Aufnahmeritual für Erstsemester. Ein paar Stunden und einen Filmriss später kursiert in den sozialen Medien ein kompromittierendes Video von ihm. Lux will es aus dem Internet entfernen und hackt sich dafür in den Computer von Alex, der den Clip verbreitet hat.

Dabei bemerkt er, wie leicht er Alex über dessen Webcam und Mikrofon ausspionieren kann. Lux geht weiter und hackt sich in immer mehr Laptops und Handys. Irgendwann hat jeder und jede auf dem Campus 24/7 einen Spion im Nacken, oder in Lux‘ Worten: "Ich bin in eurem Zimmer, in eurem Rucksack, in eurer Tasche. Ich weiß, wovon ihr träumt, was ihr liebt, wovor ihr Angst habt. Ich weiß alles über euch."

Am intensivsten späht er die Studentin Alma aus, in die er verliebt ist. Als Lux und Alma sich irgendwann näherkommen, weiß er schon längst alles über sie: "Du heißt Alma Hadid, geboren am 29. Juli 1998. Dein Vater ist abgehauen als du zehn warst. Du stehst auf David Bowie, Horrorfilme und guckst heimlich Katzenvideos. Vor dem Spiegel machst du Beyoncé nach und du sprichst im Schlaf. Wenn ich dich nicht gestalkt hätte, hättest du mich nie angesehen".

Cyberstalking ist strafbar

Die Serie zeigt eine digitale "Totalüberwachung" (Folge 9), wie sie wohl kaum tiefer in die Privats- und Intimsphäre von Menschen eindringen kann. Lux setzt die digitale Spionage gezielt ein, um Alma zu verfolgen. Wo sie ist, da taucht auch er auf. Sie kann ihm nicht entkommen, denn Lux weiß immer, wo sie ist und was sie tut. Es geht um massives "Cyberstalking" einer jungen Frau. Damit gemeint ist die Nachstellung mit digitalen Mitteln. Die Täter:innen suchen dabei nicht (nur) analog, sondern auch virtuell obsessiv die Nähe zum Opfer.

Seit 2021 ist Cyberstalking explizit in § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB als Straftat erfasst. § 238 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 StGB sieht einen besonders schweren Fall vor, wenn hierzu ein Computerprogramm eingesetzt wird. Konkret geht es um Überwachungssoftware, auch "Stalkingware" oder "Spyware" genannt. Serienprotagonist Lux hat eine solche Anwendung selbst programmiert. Man muss aber kein Computergenie sein, um Überwachungssoftware einzusetzen. Man kann sie ebenso einfach wie legal im Internet kaufen und ohne besondere IT-Kenntnisse installieren.

Überwachungssoftware bemerkt man oft nicht

Wer Überwachungssoftware auf seinem Gerät hat, bekommt davon oft nichts mit. Anbieter werben damit, dass die Programme heimlich im Hintergrund arbeiten. Es können sogar Smartphones mit bereits vorinstallierter Spy-App gekauft und verschenkt werden.

Genau diese Heimlichkeit macht es so schwer, Cyberstalking mittels Überwachungssoftware strafrechtlich zu erfassen. Denn damit der Tatbestand des Stalkings erfüllt ist, braucht es wiederholte Nachstellungshandlungen, die geeignet sind, die Lebensgestaltung der Betroffenen nicht unerheblich zu beeinträchtigen.

Es ergeben sich gleich zwei Probleme: Zum einen ist die Einrichtung des Gerätezugriffs meist nur eine einmalige Aktion. Von einem wiederholten Nachstellen wäre nur dann auszugehen, wenn man jede Aktualisierung der Daten als eigene Tathandlung ansehen würde. Zum anderen wird die Überwachung oft unbemerkt bleiben. Wie schon im Fall des von Lena Leffer und Michelle Weber bei LTO untersuchten Missbrauchs von AirTags, ist bei heimlicher Überwachung durch Stalkingware dann kaum anzunehmen, dass sie die Lebensgestaltung überhaupt tangiert.

"Lux" macht sich nach deutschem Recht strafbar

Straflos ist das Verhalten aber auch dann nicht. Der Einsatz von Überwachungssoftware ohne Einwilligung der überwachten Person ist in Deutschland stets strafbar. Wie Laura Lanwert und Nico Kuhlmann schon 2020 bei LTO zeigten, kommen Tatbestände wie die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes nach § 201 StGB, die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen nach § 201a StGB sowie das Ausspähen und Abfangen von Daten nach § 202a bzw. § 202b StGB in Betracht. Ob dazu noch eine Strafbarkeit wegen "digitalen Hausfriedensbruchs" kommen soll, wird schon seit Jahren diskutiert. Zuletzt hat der Bundesrat 2022 einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht.

Der "Serientäter" Lux macht sich somit nach deutschem Recht in jedem Fall strafbar.

Strafrecht allein schützt kaum vor digitaler "Totalüberwachung"

Und doch vermag das Strafrecht allein kaum vor "Totalüberwachung" durch Software zu schützen. Denn es ist praktisch sehr schwer zu ermitteln, wer hinter dem Einsatz von Überwachungssoftware steckt. Denn selbst wenn die Überwachung bemerkt wird und es der Polizei gelingt, Stalkingware auf einem Gerät nachzuweisen, dann stellt sich immer noch die Frage nach der Verbindung zum Täter. Wer die Daten abfängt, ist damit nicht geklärt und oft auch keiner Klärung zugänglich, da die Hintergründe der Taten gezielt verschleiert werden. Strafrechtliche Verurteilungen sind daher eine Rarität (obgleich sie aber vereinzelt vorkommen, s. AG Heilbronn Urt. v. 09.12.2015, Az. 52 Ds 30 Js 21146/15 jug).

Im digitalen Zeitalter ist es daher bedeutsamer denn je, strafrechtliche Vorschriften mit wirkungsvollen Präventionsmaßnahmen zu flankieren. Auch für den Umgang mit Cyberstalking gilt das, was Lena Leffer und Stefan Hessel bereits anlässlich des Cybermobbing-Falles "Drachenlord" einforderten: "Der Staat sollte es nicht so weit kommen lassen". Wenn er nämlich alles tut, um Cyberstalking zu verhindern, entfällt auch die ohnehin beschwerliche Strafverfolgung. Bei virtuellen Straftaten ist es deshalb besonders wichtig, mit Prävention vor die Lage zu kommen.

Präventionsansätze zielen aktuell vor allem auf potenzielle Opfer und fordern sie zu Sicherheitsmaßnahmen wie der Sicherung von Geräten und der Geheimhaltung von Passwörtern auf. Ein zentraler Aspekt bleibt derzeit aber vollkommen außer Acht: Das Wirken der Bundesnetzagentur. Sie ist die zuständige Aufsichtsbehörde für die Einhaltung der Vorschriften im Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz (TTDSG).

Spionagetaugliche Geräte sind verboten

Nach § 8 Abs. 1 TTDSG ist es nämlich unter anderem verboten, Telekommunikationsanlagen zu besitzen, herzustellen oder auf dem Markt bereitzustellen, die ihrer Form nach einen anderen Gegenstand vortäuschen oder die mit Gegenständen des täglichen Gebrauchs verkleidet sind. Hinzukommen muss, dass die Telekommunikationsanlagen aufgrund dieser Umstände oder ihrer Funktionsweise in besonderer Weise geeignet und bestimmt sind, das nicht öffentlich gesprochene Wort eines anderen unbemerkt abzuhören oder das Bild eines anderen unbemerkt aufzunehmen. Das gilt nach § 8 Abs. 2 TTDSG vor allem, wenn die Abhör- oder Aufnahmefunktion beim bestimmungsgemäßen Gebrauch des Gegenstandes nicht eindeutig erkennbar ist.

Kurzum: Verboten sind Alltagsgegenstände, die sich zum Spionieren eignen und die Privatsphäre gefährden. Dazu gehören etwa Blumentöpfe, Kugelschreiber oder Trinkflaschen, die gezielt präpariert wurden, um heimlich Videos aufzunehmen. 2017 sorgte die Bundesnetzagentur für Schlagzeilen, als sie auch die digital vernetzte Spielzeugpuppe "Cayla" wegen Spionagegefahr aus dem Verkehr zog. "Cayla" verfügte über ein Mikrofon und eine Funkverbindung, womit sie als getarnte Abhöranlage im Sinne des § 8 TTDSG galt. Denn dass sie Gespräche abhören und Daten weiterleiten konnte, war auf den ersten Blick nicht sichtbar.

Bundesnetzagentur kann nicht gegen Software vorgehen

Gegen Überwachungssoftware ist die Bundesnetzagentur hingegen völlig machtlos. Die Journalistin Chris Köver mahnte bereits 2019 auf netzpolitik.org an, dass die Bundesnetzagentur nur Spionagegeräte, nicht aber Spionagesoftware aus dem Verkehr ziehen kann. Das Verbot in § 8 TTDSG bezieht sich nämlich ausschließlich auf "Telekommunikationsanlagen" und damit auf Hardware. Die Bundesnetzagentur kann nicht gegen Software vorgehen. Dafür fehlt ihr derzeit schlicht die Rechtsgrundlage.

Der Gesetzgeber sollte diese Lücke dringend schließen und § 8 TTDSG ein Update verpassen. Das TTDGS sollte Regelungen zu illegaler Software treffen. Die Bundesnetzagentur könnte auf ihrer Grundlage etwa anordnen, dass Überwachungssoftware stets erkennbar sein muss oder dass regelmäßig mit einer Push-Nachricht die Einwilligung in die Überwachung abgefragt werden muss. Wer die Software in ihrem einzig denkbaren legalen Anwendungsbereich mit erklärtem Einverständnis der überwachten Person nutzen möchte, kann dies weiterhin tun. Cyberstalking hingegen würde massiv erschwert. Die Überwachungssoftware würde sofort bemerkt und könnte entfernt werden. Fähige Hacker wie der Serienprotagonist Lux werden natürlich trotzdem immer Wege finden. Sich vor ihnen zu schützen, ist und bleibt eine der größten Herausforderungen unserer Zeit.

Dipl. Jur. Katharina Reisch promoviert am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Rechtssoziologie an der Universität Leipzig bei Prof. Dr. Katrin Höffler und ist wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Kriminalwissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen.

Zitiervorschlag

Netflix-Serie "Stalk": . In: Legal Tribune Online, 27.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52570 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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