In Deutschlands Büros und Kanzleien zeichnet sich ein bescheiden wirkender, aber eigentlich urleckerer Lunch-Trend ab: Pausenbrote sind wieder in. Der fantasielose Sattmacher von früher hat sich dank bester Zutaten zum Edel-Imbiss gemausert.
Mittagszeit, Mittagsleid: In der Kantine gibt wieder mal gar nichts, das schmeckt. Beim Inder haben wir erst gestern bestellt, Sushi ist immer gleich so teuer, Döner und Currywurst scheiden aus, weil zu ungesund. Pasta macht müde und für den Thailänder an der Ecke ist nicht genug Zeit. Toll wäre jetzt ein Pausenbrot. Eine Stulle, wie Mama sie uns früher geschmiert hat. Frisches Bauernbrot mit Käse. Oder ein knackiges Vollkornbrötchen mit Aufschnitt vielleicht.
In Berlin Mitte kann man sich Muttis Stullen seit einigen Wochen direkt an den Schreibtisch liefern lassen. The Barn bietet Sauerteigbrotscheiben mit diversen Käsesorten belegt und Körnerschrippen mit Rosmarin und Schwarzwälderschinken darauf. Dazu ein bisschen Salat, frische Kräuter, essbare Blüten zur Dekoration. Die meisten Zutaten stammen aus der Region Berlin/Brandenburg, das Brot wird von einem Bio-Bäcker in der Nähe gebacken und ausgefahren werden die Hausmannsstullen ganz umweltfreundlich per Fahrrad.
Die bei der typischen, hippen Mitte-Klientel (Galeristen, Kreative, Agenturleute) beliebten Pausenbrote erinnern an früher: Damals auf dem Schulhof gab es doch den einen, der Tag für Tag die tollsten Stullen dabei hatte. Immer sah das, was er aß, leckerer aus, als das, was unsere Mütter uns gemacht hatten. Seine Brote waren mit extradick Leberwurst und manchmal sogar mit Nutella bestrichen! Jetzt endlich können wir selbst der mit dem besten Brot sein. "Unsere Nutella-Stullen sind sehr beliebt, besonders bei der männlichen Kundschaft", erzählt Ralf Rüller, Gründer und Inhaber von "The Barn", der jeden Mittag selbst in einem 500-Meter-Umkreis um seinen Laden Pausenbrote ausliefert. Manche Kunden haben ein tägliches Jausenbrot abonniert, andere bestellen online oder per Telefon, wenn ihnen danach ist.
Es muss nicht immer Nigiri sein
Auch in anderen deutschen Städten werden mehr und mehr Stullen zu Mittag gemampft. Und zwar mit Stil und auf hohem Niveau: In München zum Beispiel setzen sich um die Mittagszeit Business-People gern im Aran in der noblen Theatinerstraße auf ein klassisches, belegtes und zusammengeklapptes Pausenbrot zusammen. Ursprünglichkeit und Einfachheit eines hausgemachten Brotes mit Aufstrich werden hier deluxe zelebriert.
Ja, doch, man könnte fast von einem Revival der Stulle, dem Comeback des Graubrots sprechen. Professor Peter Wippermann, Leiter des Hamburger "Trendbüros" stellte bei einer Untersuchung des deutschen Mittagessensverhaltens Anfang des Jahres fest, dass das Image des belegten Brotes sich enorm verbessert hat. "Es ist kein Ausdruck von sozialer Schwäche mehr wie noch vor einigen Jahren, sondern vielmehr von kultureller Stärke", so der Trendforscher.
Grund Nummer Eins für den Sinneswandel dem Pausenbrot gegenüber ist natürlich unser allgemein gesteigertes Gesundheitsbewusstsein. Uns allen ist klar, dass Kantinen-Buletten mit Fritten kein ausgewogenes Mittagsmahl sind. Und dass das Arbeiten nach einem Schnitzel-Lunch im wahrsten Sinne des Wortes ‚schwer’ fällt, wissen wir auch – aus Erfahrung.
Darüber hinaus belastet ein simples, aber lecker belegtes Brötchen auch den Geldbeutel weniger als das Mittagsmenü beim Italiener. Besonders berufstätige Frauen, so beobachtete zumindest Professor Wippermann, sparen das Mittagspausen-Geld lieber für etwas richtig schönes: ein Abendessen mit Mann oder Freund, das Wochenende oder neue Schuhe. Deshalb schmieren sich viele ihr Pausenbrot sogar selbst. Das ist jetzt cool. Wirklich!
"Wer sein Jausenbrot selbst macht, zeigt, dass er sich die Zeit nimmt, sich auch mal etwas Gutes zu tun", so Professor Wippermann. SelbstversorgerInnen achten in der Regel alle sehr auf die Qualität der Zutaten. Vollkornbrot, Bio-Aufschnitt, Obst vom Markt. Welche Kantine kann das schon leisten?
Es heißt PAUSENbrot
Einen Nachteil hat der Bürobrötchen-Trend allerdings: Egal wie gesund unser Schnittchen auch sein mag, so genanntes "Deskfood", also am Schreibtisch irgendwie so nebenbei verzehrtes Essen, ist es nicht.
Ernährungswissenschaftler weisen immer wieder darauf hin, dass es wichtig ist, sich auf das Essen zu konzentrieren, und nicht währenddessen E-Mails zu schreiben, Verträge zu lesen oder gar heimlich mampfend Telefonmeetings beizuwohnen. Wer das tut, kaut schlechter und isst oft mehr als nötig. Mit dem Pausenbrot, egal ob geliefert, abgeholt oder selbst geschmiert, ein wenig an die frische Luft zu gehen und es dort in Ruhe zu essen, täte schon gut. Auch wenn Michael Douglas alias Gordon Gecko in "Wallstreet" einst meint: "Lunch is for wimps." Das stimmt nicht. Good lunch is for winners!
Nina Anika Klotz, Mittagspausen-Trend: . In: Legal Tribune Online, 04.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1630 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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