Vor 75 Jahren kam der amerikanische Ingenieur Percy Spencer auf die Idee, Nahrung durch Mikrowellen zu erhitzen. Anlass zu Fragen, die nicht nur küchenfremde Tiere betreffen.
Zu Beginn der 1980er Jahre verfügte nur jeder hundertste Haushalt in Westdeutschland über ein Mikrowellengerät zur Zubereitung von Speisen. Seit dem Jahr 2005 liegt der Anteil relativ konstant bei rund 70 Prozent aller deutschen Haushalte – eine Detail-Analyse sollte Demokratie- und Staatstheoretiker interessieren, denn die konstante Abneigung gegen Apparate dieses Typs könnte mit bemerkenswerten Auffassungen zu Staat und Rechtsordnung korrelieren.
Für Juristinnen und Juristen ist die Mikrowelle seit ihrer Verbreitung in der Fläche bekanntlich eine stetige Begleiterin. In einem stark beachteten Aufsatz "Revisiting The United States Application Of Punitive Damages: Separating Myth From Reality" machte der amerikanische Rechtsgelehrte Patrick S. Ryan bereits im Jahr 2003 darauf aufmerksam, dass der Mikrowellen-Ofen zum Gegenstand einer weit verbreiteten Lüge über das US-Schadensersatzrecht geworden war (ILSA Journal of International & Comparative Law 10, S. 70–103).
Angelehnt an ältere Märchen über die entweder nur dumme oder zugleich auch brutale Verwendung von klassischen Öfen hatte die "urbane Legende" viele Nacherzähler gefunden, in den USA sei es einer Hausfrau gelungen, "punitive damages" zu erstreiten, weil die Bedienungsanleitung des Geräts sie nicht davor gewarnt habe, ihrer Katze mittels Mikrowelle das Fell zu trocknen.
Ryan konnte – wie spätere Beobachter – keinen Hinweis darauf entdecken, dass tatsächlich jemals ein solcher Strafschadensersatz erstritten worden war.
Smalltalk-Stoff für ethnologisch und kriminologisch aufgeklärte Juristinnen
Weil Berufsträger bei geselligen Anlässen, die es ab dem Jahr 2021 wieder geben soll, bekanntlich ungern kostenlose sachdienliche Auskünfte in fachlichen Anliegen geben, könnten Juristen auf eine kulturwissenschaftlich und kriminologisch informierte Auskunft ausweichen, sollten sie mit der Smalltalk-Frage konfrontiert werden, was es mit dem Schadensersatz für die Katze in der Mikrowelle auf sich hat.
Patrick S. Ryan ordnete die Geschichte zur Katze in der Mikrowelle in seinem klassischen Aufsatz noch dem Erzählformat der "urbanen Legende" zu und verwies trotz seines US-amerikanischen Bildungshintergrunds sogar auf die Studien des deutschen Volkskundlers Rolf Wilhelm Bredenich (1935–, bei Ryan als "Bredenick" referenziert).
Mit Sammlungen moderner Legenden ließ sich Anfang der 1990er Jahre nicht nur das deutsche Publikum von Vertretern der Volkskunde – heute auch europäische Ethnologie genannt – über den eigenen Irrglauben aufklären. Die Gesamtauflage von Bredenichs "Die Spinne in der Yucca-Palme" wird mit knapp 700.000 beziffert. Zur Abwehr von nicht abrechnungsfähigem Schadensersatz-Smalltalk lässt sich in der ersten Eskalationsstufe daher die moralische Klage über den Rückschritt der vergangenen 30 Jahre führen – statt Legenden liebevoll-distanziert in ethnologischen Arbeiten unterzubringen, wirken urbane Märchen- und Nachrichtenerzähler heute bedenklich teamfähig.
Sollte damit noch kein eleganter Ausstieg gelingen, bietet es sich an, auf juristische Geschmacklosigkeiten zurückzugreifen – hier hilft zwar nicht das inländische, wohl aber das Strafrecht befreundeter Nationen aus. Denn das Töten von Tieren in der Mikrowelle ist, soweit bekannt, zwar kein Tatbestand zivil-, wohl aber ein Sachverhalt strafrechtlicher Verfahren geworden.
Weil vier 13- bis 15-jährige Jugendliche über die Weihnachtsfeiertage des Jahres 2007 in ein fremdes Haus eingestiegen waren, es verwüstet und die Katze in der Mikrowelle zu Tode gebracht hatten, verurteilte im nachfolgenden Sommer ein Gericht im kanadischen Edmonton zwei der Tatbeteiligten zu einem Jahr Haftstrafe auf Bewährung und 100 Stunden Sozialdienst. Der Besitz gewalttätiger Videospiele wurde ihnen untersagt, der Familienhund musste abgegeben werden.
Die BBC berichtete im Jahr 2009 davon, dass ein 18-jähriger Schotte, der nach dem Verzehr einer halben Flasche Whisky ein Kätzchen in der Mikrowelle gefoltert hatte, zu 120 Stunden Sozialarbeit und einem mehrjährigen Verbot verurteilt wurde, Haustiere zu halten. Eine Meldung des Senders aus dem Folgejahr betraf ein englisches Strafverfahren nach der Tötung eines Goldhamsters mittels Mikrowelle.
Aus fachlicher Perspektive sind solche Taten einerseits für Rechtspolitiker bemerkenswert, wenn sie nach weiteren Sachverhalten suchen, für die sie zur Steigerung ihres Ansehens den Strafrahmen ausweiten möchten.
Andererseits werden an psychiatrischer Aufklärung interessierte Juristen beachten, dass sich Tierquälerei im Zusammenhang mit mehreren psychiatrischen Störungsbildern verhaltensauffälliger Jugendlicher finden lässt – so ein Ergebnis einer Studie der Medizinerin Gabriele Stache aus dem Jahr 2013 ("Häufigkeit von Tierquälerei und Komorbidität mit Verhaltensauffälligkeiten bei Heranwachsenden").
Mikrowellen-Furcht und Versammlungsfreiheit
Die Tötung von Tieren mittels Mikrowellen-Öfen mag immerhin ein Gutes bewirkt haben: Als im Jahr 2012 dem Unterhaus des britischen Parlaments eine Petition vorgelegt wurde, der Polizei eine auf Mikrowellen beruhende Waffe zur Verfügung zu stellen, um öffentlichen Aufruhr unterdrücken und terroristische Angriffe abwehren zu können, fand sie binnen sechs Monaten nur drei von 10.000 notwendigen Unterschriften.
Angepriesen wurde den Abgeordneten die Waffe, das sogenannte "Active Denial System", mit dem Argument, der Einsatz von Mikrowellen gegen Menschengruppen sei weniger gefährlich als jener von Tränengas oder Gummigeschossen, zugleich aber effektiver.
Während die Öfen im Haushalt eine Frequenz von 2,45 Gigahertz erzeugen, arbeitet diese Waffe mit 95 Gigahertz. Wer von einem "Active Denial System" getroffen wird, erlebt eine kurze Erhitzung der Hautoberfläche auf rund 50 °C, was panische Fluchtangst auslöst – ein Grund mehr, mit Katze und Hamster mitzufühlen.
Die Petition ans House of Commons verdient es nicht, als Fußnote zu den oft eigenartigen britischen Kontroversen um erlaubte oder gebotene Grausamkeiten abgetan zu werden – ähnlich der dort schier endlosen Auseinandersetzung um ein schulisches Züchtigungsrecht (vgl. House of Lords, Urteil, "Regina v. Secretary of State for Education and Employment and others", 2005). Denn sie macht auf eine Regelungslücke aufmerksam, die das deutsche mit dem britischen Recht teilt: Das humanitäre Völkerrecht geht vom Leitbild aus, dass Soldaten im Kampf nur verletzt oder getötet werden dürfen, was die Schwelle zum Waffengebrauch insgesamt hoch ansetzt. Allein auf Schmerz abzielende Waffen sind hier regelmäßig unzulässig. Die Bundeswehr ließ sich trotzdem den Gebrauch von Tränengas gegen Zivilisten im Jahr 2004 vom Bundestag ausdrücklich genehmigen.
Das Verbot, bestimmte Waffen gegen Soldaten fremder Länder zu gebrauchen, schützt jedoch nicht die eigenen Bürger, wie das Bundesverwaltungsgericht zum polizeilichen Gebrauch von Tränengas festgestellt hat (u.a. Beschl. v. 22.09.1988, Az. 1 B 109.88) – eine Regelungslücke, die bisher vielleicht auch deshalb für Mikrowellen-Waffen ohne Belang blieb, weil gemarterte Katzen und Hamster die Versammlungsfreiheit vor den Aufrüstungswünschen notorischer Polizeigewerkschaftler schützen.
Strahlenschäden – (k)ein rechtspolitischer Dauerbrenner
Die Erfindung des Mikrowellen-Ofens soll darauf zurückzuführen sein, dass im Jahr 1945 dem US-Ingenieur Percy Spencer (1894–1970) durch die Strahlung eines militärischen Radargeräts ein Schokoriegel geschmolzen sei.
Während Spencer das zwar nicht biblische, für seine Generation aber solide Alter von 76 Jahren erreichte, sind das Leben verkürzende Strahlenschäden durch militärische Radargeräte ein weites juristisches Feld. Beispielsweise musste sich ein ehemaliger Radaroffizier der früheren Nationalen Volksarmee mit BGH-Urteil vom 7. Februar 2008 attestieren lassen, dass er einen Schadensersatzanspruch wegen Strahlenschäden, soweit überhaupt kausal belegt, dank Untergang der DDR nicht gegen die Bundesrepublik geltend machen könne (Az. III ZR 90/07).
Seitdem die sogenannte Radarkommission zu den Strahlungsgefahren beim deutschen Militär im Jahr 2003 Schwierigkeiten in der Feststellung von Kausalbeziehungen dokumentiert hatte, werden Geschädigte vergleichsweise diskret durch eine Härtefall-Stiftung betreut.
Von der öffentlichen Gewalt oder prominenten Unternehmen potenziell Geschädigte mit gerade so viel Geld auszustatten, dass sie in der öffentlichen Diskussion nicht lautstark auffallen, ist für die politische Kultur der Bundesrepublik nicht untypisch – die Lernkurve beginnt hier im Jahr 1958 mit dem Contergan-Skandal.
Diese Praxis mag zur politischen Erstarrung beitragen.
Jüngst hat sich Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (1942–) die Idee zu eigen gemacht, den Parlamentarismus durch Bürgerräte zu stärken. Der Gedanke, dass politisch-demoskopisch und bürokratisch eng geführte Kontroversen diesen Bypass benötigen, ist nicht neu – fraglich bleibt, womit er auf die Probe gestellt werden sollte.
Warum nicht "strahlend" beginnen?
Einerseits ist die Furcht vor Strahlung epidemisch. Sie reicht von den halbwegs sinnvoll kuratierten militärischen Radarschäden über AKW- und Elektrosmog-Ängste bis hin zu einer fragwürdigen Dauer-Dämonisierung der häuslichen Mikrowelle.
Andererseits lässt sich das deutsche Vorgehen in der COVID-19-Krise – im Vergleich etwa zu Taiwan – kaum anders denn als offenkundiges Staatsversagen beschreiben. Der aktuelle und damit unzeitige Streit um seuchenpolizeiliche Eingriffe erfreut noch nicht einmal diejenigen, die als Anwälte mit ihm abrechnungsfähige Stunden verbringen. Zu COVID-19 wird produktiver Meinungskampf absehbar schwerfallen.
Die Sorge um Strahlenschäden wäre daher kein schlechter Gegenstand, um den Demokratie-Bypass mit ausgelosten Volksvertretern auszuprobieren.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor in Ohligs.
Rechtsfragen rund um die Mikrowelle: . In: Legal Tribune Online, 06.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43646 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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