Karnevalistischer Aufschrei: Liebe statt Sex

Alle, mit Ausnahme des FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüderle, reden dieser Tage von Sexismus. Der Stern sowieso, aber auch Günther Jauch und die FAZ. Einen deutlichen Kontrapunkt setzt nun Herbert Grziwotz, nicht zuletzt mit Blick auf das nahende Ende des Karnevals: um die Liebe in unseren Gesetzen und vor Gericht soll es gehen.

Sexismus findet, so die neuesten Erkenntnisse der Presse, vor allem des Nachts an der Hotelbar statt. Nicht oder jedenfalls selten vermutet man das Phänomen dagegen in Gerichtssälen und auch unsere Gesetze sind, sieht man von der männlichen Diktion älterer Vorschriften ab, zwischenzeitlich gegenüber jedem Sexismus-Vorwurf erhaben.

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) war bereits fortschrittlich als es beide Elternteile in das Familienrecht aufnahm und es enthält tatsächlich keinen Hinweis darauf, dass eine Ehe nur zwischen Mann und Frau geschlossen werden kann. Dagegen geht das Prostitutionsgesetz von 2001 (§ 2 S. 2) trotz seiner geschlechtsneutralen Diktion davon aus, dass im Rahmen von Beschäftigungsverhältnissen die Erbringung sexueller Handlungen gegen ein vorher vereinbartes Entgelt für eine bestimmte Zeitdauer zulässig ist. Dies bedürfte dringend einer umgehenden Reform. Sexismus hat im Rahmen von Beschäftigungsverhältnissen keinen Platz; hiervon kann auch bei der Prostitution keine Ausnahme gemacht werden!

Die idealistische Liebe

Bei alledem redet kaum jemand von der Liebe. Deutsche Gesetze meiden den Begriff. Eltern müssen ihre Kinder nicht lieben; sie dürfen sie nur nicht verprügeln (§ 1631 Abs. 2 BGB). Auch Kinder müssen ihre Eltern nicht lieben und – anders als dies das vierte Gebot der Bibel vorsieht – noch nicht einmal ehren. Die kindgerechte Äußerung gegenüber dem Vater, er sei ein alter Sack, ist somit ohrfeigenfrei gestattet.

Dass auch die Ehe keine Liebe voraussetzt, wissen nicht nur Juristen. Lediglich nach § 5 Abs. 1 des Familiengesetzbuches der ehemaligen DDR begründeten Mann und Frau mit der Eheschließung eine für das Leben geschlossene Gemeinschaft, die auf gegenseitiger Liebe, Achtung und Treue, auf Verständnis und Vertrauen und uneigennütziger Hilfe füreinander beruhen sollte. Dass diese idealistische Vorstellung nur schiefgehen konnte, liegt auf der Hand. Bekanntlich ist das sozialistische Modell – vielleicht auch deshalb – gescheitert.

Die große Liebe vor Gericht

Die große Liebe ist häufiger Thema von Gerichtsverfahren, als man zunächst vermuten mag. Das Bundesverfassungsgericht hat sie in einer älteren Entscheidung als "das Spannungsverhältnis zwischen den Geschlechtern" definiert (Urt. v. 10.05.1957, Az. 1 BvR 550/52). Diese Spannung beruht leider mitunter nicht auf Gegenseitigkeit. Die Aussage "Ich liebe …" beinhaltet zunächst nur einen "unerfüllt einseitigen Wunsch" (so LG Berlin, Urt. v. 27.06.2006, Az. 27 O 250/06).

Aus Liebeskummer wird – jedenfalls bei Männern – mitunter krankhafter Liebeswahn. Freilich bleibt dieser nicht immer rein idealistisch. Da wird der Angebeteten mitunter nicht nur ein Altar aus Blumen, Süßigkeiten und Stofftieren bereitet, dessen Zwecktauglichkeit an dieser Stelle nicht vertieft werden soll. Nein, Verehrer denken überwiegend auch praktisch. Neben die Blumen werden auf den Altar der Liebe auch Kondome gelegt (LG Ravensburg, Beschl. v. 31.05.2011, Az. 4 T 31/11).

Wird trotz dieser Offerten die Liebe – überraschenderweise – nicht umgehend erwidert, fällt der Einfallsreichtum der Liebeskranken auf, der sogar die Listen des Odysseus als billige Bauerntricks erscheinen lässt. So erklärte ein Mann seiner Arbeitskollegin, dass er sie liebe, immer geliebt habe, aber nun bald sterben müsse. Als sie auch daraufhin noch ablehnend reagierte, erwürgte der Täter die Angebetete, wohl wegen ihrer Gefühlsarmut (Bundesgerichtshof, Urt. v. 08.05.1990, Az. 5 StR 102/90). Die große Liebe ist, so das Fazit aus den Gerichtsentscheidungen, überwiegend eine gefahrengeneigte Tätigkeit, jedenfalls für das Objekt der Anbetung.

Die wahre Liebe

Aber vielleicht machen die geschilderten Kommunikationsprobleme zwischen Männern und Frauen zumindest Arbeitgebern verständlich, wieso das Arbeitsgericht Marburg einem Mitarbeiter für ein Seminar mit dem Titel "Die Liebe, die Liebe eine Himmelsmacht? – Sexualität und Beziehung im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlicher Veränderungen und individuellem Glücksversprechen" Bildungsurlaub bewilligte (Urt. v. 03.11.1995, Az. 2 Ca 4137/95). Dass der Weg zur wahren Liebe manchmal Umwege nimmt, zeigt eine Entscheidung des Berliner Kammergerichts, das den Vereinszweck "Praktizierung der partnerschaftlichen Liebe zum Tier" für gesetzwidrig erklärte (Beschl. v. 19.10.2011, Az. 25 W 73/11).

Was Liebe wirklich bedeutet, wird besonders in Strafverfahren deutlich. Grundlegend ist eine Entscheidung des VG Göttingen, in der es um den Widerruf einer Fahrschulerlaubnis ging. Die Inhaber der Fahrschule hatten dem Regionalleiter des TÜV Geld dafür gezahlt, damit dieser seinen Fahrschülern, unter ihnen ein brasilianischer Fußballspieler, den Führerschein erteilte. Als Motiv gab er seine Liebe zum Fußball an (Beschl. v. 05.06.2009, Az. 1 B 88/09). Für jeden echten Fußballfan verständlich.

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg musste sich mit der Berichterstattung über die ersten Liebesbeziehungen eines Prominentenkindes sowie über dessen Liebe zum Fußball befassen. Es geht davon aus, dass die Liebe zum Fußball ebenfalls die Gefühlswelt betrifft, "wenngleich mit deutlich geringerer Intensität" (Urt. v. 22.06.1999, Az. 7 U 19/99). Die Urteilsgründe sind insoweit allerdings nur im Zusammenhang mit dem Tabellenplatz des HSV verständlich.

Die wirkliche Liebe

"Liebe ist nicht justiziabel", urteilte das erzbischöfliche Offizialat Freiburg apodiktisch (Beschl. v. 02.12.1993, Az. 3497). Gleichwohl: Die weltlichen Gerichte belegen das Gegenteil! Zwar ging es bei dem Streit um die Aussagen "Mit Liebe gemacht" und "Vorsprung durch Technik" nicht um den abstammungsrechtlichen Gegensatz zwischen der natürlichen Zeugung und der ärztlich assistierten Reproduktionsmedizin, sondern um ein Markenrechtsproblem (BPatG, Beschl. v. 09.12.2010, Az. 25 W 537/10). Spätestens bei der Scheidung werden sich sowohl die Beteiligten als auch die Familienrichter jedoch daran erinnern, dass die Ehe – nicht nur in der ehemaligen DDR – auf gegenseitiger Liebe aufgebaut sein könnte oder zumindest sollte (OLG Hamm, Beschl. v. 24.11.1977, Az. 2 WF 363/77).

Leider spielt dabei das Thema Sex wieder eine Rolle. Meist geht es um "zu viel Sex", nämlich mit anderen Personen als dem Partner. Allerdings kann auch zu wenig Sex, also die beharrliche Verweigerung des Geschlechtsverkehrs wegen Nichterfüllung einer der Hauptpflichten der Lebensgemeinschaft, wie es in der Diktion des Leistungsstörungsrechts wohl heißen würde, für das Scheidungsrecht Bedeutung haben (AG Brühl, Urt. v. 24.03.1999, Az. 32 F 65/98). Wer dagegen in puncto platonischer Liebe zu viel von seinem Partner erwartet und enttäuscht ist, wenn er erfährt, dass dieser ihn nicht aus Liebe geheiratet hat, hat schlichtweg Pech gehabt (OLG Hamm, Beschl. v. 18.07.2003, Az. 10 WF 141/03).

Also vielleicht doch mehr Realismus, gerade im Karneval? Die Liebesschwüre nichts weiter als Scherzerklärungen und am Aschermittwoch schon längst wieder vergessen? Dann doch lieber beim ehrlichen, wenngleich lästigen Sexismus bleiben? Nein, ausreichend dürfte eine realistischere, nämlich juristische Sichtweise der Liebe sein. Und wer könnte besser dazu berufen sein, uns diese zu erklären, als die höchsten deutschen Zivilrichter: "Dass der Angeklagte die Zeugin als 'Hure' beschimpft und angeschrien hat, spricht nicht zwingend gegen eine Liebesbeziehung, sondern gerade für ein […] Liebesverhältnis" (Beschl. v. 20.10.1981, Az. 5 StR 572/81). Wegen der Offenkundigkeit der Feststellung sah der BGH von einer Beweiserhebung ab.

Der Autor Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz lebt als Familienrechtler in Regen und Zwiesel.

Zitiervorschlag

Herbert Grziwotz, Karnevalistischer Aufschrei: . In: Legal Tribune Online, 09.02.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8126 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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