Er wird selten vor Gericht behandelt, obwohl er gut geeignet ist, andere Menschen zur Weißglut zu reizen: der Körpergeruch. Wird er aber doch einmal durch juristische Nüstern geatmet, bekommt der menschliche Duft ein ganz eigenes Gewicht.
In der Rechtswissenschaft der deutschsprachigen Länder hat das Anliegen, den menschlichen Körpergeruch juristisch zu würdigen, zwar eine lange Geschichte – meist blieb es aber bei flüchtigen Versuchen, in diesem Rahmen nachzuvollziehen, was im Alltag die Nasenflügel erbeben lässt.
So wies der österreichische Staatsanwalt und Richter Hans Gross (1847–1915) bereits seit den 1890er Jahren in seinem "Handbuch für den Untersuchungsrichter" – dem ersten modernen kriminalistischen Standardwerk deutscher Sprache – auf den vermeintlichen Spürsinn von Polizisten hin.
Das war nicht metaphorisch gedacht. Denn Ermittlungsbeamte waren nach Ansicht von Gross beispielsweise fähig, am Tatort eines Diebstahls den spezifischen Körpergeruch von Verdächtigen zu wittern. Einen solchen schrieb der seinerzeit berühmte Rechtsgelehrte im antiziganistischen Vorurteil der Epoche u. a. den Angehörigen dieser ethnischen Gruppe zu – und das war nur eines von vielen Beispielen aus der kruden Vorstellungswelt der frühen Kriminalistik.
Erstens kommt es anders, zweitens als man riecht
Von einem – freilich nur vage überlieferten – Ermittlungserfolg auf Basis menschlichen Spürsinns wusste immerhin der Historiker Rudolf Schenda (1930–2000) zu berichten. In seinem Werk "Gut bei Leibe" (C.H. Beck, 1998) kolportiert er einen Fall aus dem Elsass. Dort habe sich im Jahr 1994 eine Einbrecherin, die sich vor den allzu früh zurückgekehrten Inhabern hinter einem Vorhang im Schlafzimmer versteckt hatte, dadurch verraten, dass der Eigentümerin ein "unbekannter Wohlgeruch" im Haus auffiel und sie ihrer Nase durchs Gebäude folgte, bis sie die 24-jährige Einbrecherin im Schlafzimmer entdeckte.
Nicht der strenge Geruch des Vorurteils, sondern ein vermutlich handelsübliches Parfümerie-Produkt lieferte hier eine Tatverdächtige der Strafverfolgung aus. Zudem blieb der Wert des menschlichen Geruchssinns für die Strafrechtspflege damit unbewiesen. Die Verdächtige war ja in Person, nicht erst später durch ihr Geruchsbild identifiziert worden.
Hinreichend gerichtsfest ist der menschliche Körpergeruch also augenscheinlich – nasenscheinlich – nicht.
Im Fall einer versuchten Vergewaltigung – das Landgericht (LG) Kassel hatte auf zwei Jahre Freiheitsstrafe erkannt – zeigte sich etwa der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil vom 18. Juli 1990 (Az. 2 StR 258/90) nicht vom geruchlichen Indiz überzeugt: Die Geschädigte hatte angegeben, dass der Täter einen "nahezu penetranten unangenehmen Körpergeruch gehabt" habe, woraufhin sich die Ermittlungen auf den späteren Angeklagten fokussierten, an dessen strengen Duft sich einer der Polizisten aus einem früheren Verfahren erinnert hatte. In der Summe war der BGH von der Würdigung solcher Indizien durch das LG Kassel nicht überzeugt.
Wird die Würdigung von Geruchseindrücken generell gemieden?
Dass der menschliche Geruchssinn – anders als Hans Gross, der Gründervater der deutschsprachigen Kriminalistik, glaubte – wenig dazu leisten kann, ein Zeugnis über die Identität von anderen Menschen zu begründen, lässt sich leicht nachvollziehen.
Zwar kann ein Körpergeruch in der aufgedrängten Nähe penetrant wirken, hinreichend analytisch beschreiben lässt er sich später kaum.
Doch scheint es auch eine moralische Komponente zu geben, die Richter hierzulande davon abhält, sich überhaupt mit olfaktorischen Reizen auseinanderzusetzen. Es schwingt in der Beobachtung, dass jemand übel rieche, ein zu meidendes soziales Unwerturteil mit – mag aber auch sein, dass bei Gericht die Lüftung gut oder die räumliche Distanz von Parteien und Justizpersonal groß genug ist.
Ein Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 10. August 2006 (Az. 1 BvR 2529/05) mag hier ein Beispiel dafür geben, wie schlechter Duft peu à peu aus dem Feld des erst kognitiven, dann normativen Urteils schwindet.
Das Land Berlin versuchte ein Kind der Obhut seiner psychiatrisch auffälligen Mutter zu entziehen, weil es nicht jene Fürsorge erhielt, die ihm zukam – sinnlich stark vermittelt dadurch, dass der aus vernachlässigter Hygiene des elfjährigen Sohnes herrührende Körpergeruch den Lehrern und Ärzten aufgefallen, das Kind in der Schule stigmatisiert worden sei.
Karlsruhe fand hier zwar ein starkes Wort dazu, dass Amts- und Kammergericht unverhältnismäßig ins Elternrecht eingegriffen hätten. Vom mitleiderregenden Bild eines Kindes, das seiner unmittelbaren Umwelt in die Nase stach, blieb im Beschluss der Verfassungsrichter aber nichts mehr übrig, u.a. weil sich die Mutter um wesentliche kinderärztliche Leistungen bemüht hatte.
Anders als das BVerfG war der frühere Bundesdisziplinarhof um teils harsche moralisierende Wertungen nicht verlegen – doch auch dort und damals mochte man Körpergeruch ungern würdigen: In einem Disziplinarverfahren gegen einen Postbeamten, der sehr ungehobelt mit Vorgesetzen und Bürgern umgegangen war, stand auch der Vorwurf im Raum, der Beschuldigte habe öfter einen unangenehmen Leibesduft verbreitet.
Um die rechtliche Würdigung dieses olfaktorischen Eindrucks war durchaus zu streiten. Fraglich war, ob es sich beim Körpergeruch um irgendeine nicht zu vertretende physische Qualität handelte oder ob dem Beamten der Vorwurf zu machen war, es mit der Hygiene nicht genau zu nehmen.
Am Ende scheint das Gericht fast dankbar gewesen zu sein, dass der Vorwurf strengen Geruchs im Prozessverlauf fallen gelassen wurde (Beschl. v. 26.03.1965, Az. III DV 5/64).
Wie unangenehm die richterliche Würdigung von Körpergeruch ist, zeigte auch ein relativ neuer Fall. Jedenfalls sprach die Vehemenz, mit der ein Angestellter der Stadt Köln sich dagegen wehrte, während der Probezeit entlassen zu werden, für diesen Zusammenhang von Moral- und Dufturteil: Obwohl schon prinzipiell auf eher verlorenem Posten kämpfend, erklärte er im Verfahren vor dem Arbeitsgericht Köln, dass der Hinweis auf seinen "starken Schweißgeruch" die Kündigung ins Sittenwidrige rücke. Er scheiterte mit der Kündigungsschutzklage – und natürlich nahm das Gericht die Sache gar nicht in näheren Nasenschein (Urt. v.25.03.2010, Az. 4 Ca 10458/09).
Amerika, du duftest besser?
Die gar nicht oft genug zu wiederholende Klage, das gemeine Volk beschäftige sich hierzulande allzu sehr mit amerikanischen Justizangelegenheiten und stecke viel zu selten ihre Nase in die eigenen, stößt beim Recht des menschlichen Dufts an ihre Grenzen – denn in der gesetzlichen Befassung mit dem Körpergeruch haben die USA der Welt offenbar wirklich etwas voraus.
So findet sich eine bemerkenswerte Zahl amerikanischer Gemeinden, die für ihre Bibliotheken nicht nur materiell-gesetzliche Regelungen erlassen haben, die von den Besuchern verlangen, die Räume hinreichend bekleidet zu betreten – auch das Verbot, dabei schlechte Körpergerüche zu verbreiten, findet sich wiederholt.
Die kalifornische Großstadt Santa Maria gibt dazu ein – auch anderenorts anzutreffendes – Beispiel. Wer hier von der historisch genialen Erfindung der öffentlichen Bibliothek profitieren will – über Generationen ein Ort, um die Bildung in die eigene Hand zu nehmen –, ist gehalten, dabei "andere nicht durch unangemessenen Geruch zu belästigen".
Körperduft und Erotik? – Juristisch trostlos
Wenig Trost bietet leider auch der denkbare Zusammenhang von Geruch und sexueller Anziehungskraft, jedenfalls sobald sich normalsterbliche oder juristisch gebildete Menschen genötigt sehen, diese Frage einem Gericht unter die Nase zu reiben.
Mit Urteil vom 7. September 1960 hob etwa der BGH eine Entscheidung des LG Frankfurt am Main, auf, das u. a. merkwürdige Erwägungen zum Körpergeruch in einer sich anbahnenden homosexuellen Beziehung getroffen hatte.
Der Angeklagte hatte angegeben, dass es zu der damals nach §§ 175, 175a Strafgesetzbuch (StGB) strafbaren Intimität wegen des "Schweißgeruchs" des anderen Mannes nicht gekommen sei. Die Frankfurter Richter glaubten, dies "widerspreche jeder Lebenserfahrung" – und in Karlsruhe verrenkte man sich ein wenig, um diese Beweiswürdigung noch als "denkgesetzlich" erlaubt zu deklarieren (BGH, Urt. 07.09.1960, Az. 2 StR 354/60).
Nicht minder trostlos ein BGH-Urteil vom 7. Juni 1968 (Az. IV ZR 592/68): Ein scheidungswilliger Ingenieur (!) – der seinerzeit natürlich noch nicht in der "Emma" lesen konnte, dass Frauen nicht über Geld verfügen durften – warf im Scheidungsverfahren nach dem damaligen Verschuldensprinzip seiner Frau nicht nur vor, dass sie ihm, dem Alleinverdiener, "ein unzureichendes Taschengeld" zugeteilt hatte, sie habe auch "nichts unternommen, um einen ihr anhaftenden üblen Körpergeruch zu vermeiden".
Leider lässt sich so viel Lieblosigkeit auch nicht mit einem berühmten Wort kontrastieren, das Napoleon Bonaparte (1769–1821) zugeschrieben wird. Der kommende Führer einer Nation, die vom Käse bis zum Parfum als äußerst duftsinnlich gilt, habe einst seiner Gattin mit der Feldpost mitgeteilt, er mache bald Pause vom Kriegsgeschäft, sie möge schon einmal aufhören sich zu waschen – allein, es fehlt für die erotisch motivierte Bitte der historische Wahrheitsbeweis.
Wenn in diesen Tagen empfohlen wird, sich schneller zu waschen, um den russischen Gas-Verkäufern ihren Ukraine-Feldzug madig zu machen, ist das "denkgesetzlich" nur schwer zu verstehen – immerhin verbraucht die deutsche Industrie mit 37 Prozent den ökonomisch wirklich kritischen Anteil vom Erdgas.
Vielleicht muss der Gesetzgeber hier aber einfach nur die lebensbejahende Seite des Körpergeruchs propagieren, um die Lust am Gas-Sparen zu fördern. Das wäre kein Grund zum Naserümpfen: Vom juristischen Indiz oder vom historischen Beweis lässt er sich ja auch sonst oft nicht stören.
Körpergeruch und Recht: . In: Legal Tribune Online, 10.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48989 (abgerufen am: 11.11.2024 )
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