Angstgeschichten statt Juristen-Aerobic
Mit allzu viel Aerobic scheint seit 1986 derweil auch in den USA nicht gegen diesen Befund angeturnt worden zu sein. Im Vergleich zu anderen Studenten seien angehende Juristen überdurchschnittlich unzufrieden, demoralisiert und deprimiert, behauptet Abigail A. Patthoff, Professorin für "Legal Writing" an einer konfessionellen kalifornischen Universität. Sie will eine Ursache in der juristischen Didaktik und Kommunikation entdeckt haben.
Pathoff berichtet, wie juristische Fakultäten die Studenten und Gerichte "ihre" Rechtsanwälte dazu erziehen, sich professionell zu verhalten: durch mahnende Beispiele und Fallgeschichten, die vom peinlichen Scheitern juristischer Akteure handeln. Die Erziehungsziele sind ebenso schlicht wie ehrenwert: Es geht darum, Schriftsätze gegenzulesen, mit Richtern aufrichtig umzugehen, Zitierregeln einzuhalten und Argumente sorgfältig zu prüfen.
Den Studenten zu erzählen, wie kleinste Form- oder Fristversäumnisse zu dramatischen, ja existenzvernichtenden Konsequenzen führen können, ist nach Patthoff durchaus legitim und erfüllt bis zu einem gewissen Grad den Zweck, ins Studentenhirn vorzudringen. Auch sie leitet diese Zweckmäßigkeit neurobiologisch her – jene Nervenzellen, die Furcht erzeugen, sind leichter anzusprechen als jene, die für den nüchternen Verstand zu gebrauchen sind.
Allerdings seien diese Angstbotschaften im Übermaß kontraproduktiv. Die an sich sinnvolle Botschaft – z.B. eine Frist einzuhalten – könne sich in einer allgemeinen Tendenz, Risiken herunterzuspielen, auflösen. Daher sei insgesamt sogar das Gegenteil des professionell erwünschten Verhaltens zu beobachten.
Unvernarbtes Studium? Zukunftsmusik
Von der studentischen Klage, dass alles irgendwie zu viel sei, heben sich diese Ansätze, Stress und Angst unter Juristen in den Blick zu nehmen, angenehm ab. Sie lassen die hierzulande immer noch gern gehörte, dabei aber etwas herrische Ansicht, solche Härten müssten zur professionellen Abhärtung einfach sein, in einem anderen Licht erscheinen. Einerseits wird das von Patthoff geforderte Ideal einer wohldosierten Verwendung starker Angstbotschaften Deutschland kaum realisiert werden, weil im Vorlesungsbetrieb ein Professor kaum weiß, was der andere tut. Andererseits möchte man gern all jenen, die eine (seelische) Vernarbung als Beleg für akademische Professionalität ansehen, doch gerne die Mitgliedschaft in einer schlagenden Verbindung empfehlen.
Die US-amerikanische Forschung zur Angst unter Anwälten und Jurastudenten hält den Blick nicht zuletzt dafür offen, dass Menschen unter didaktisch und/oder professionell fragwürdigen Bedingungen auf der Strecke bleiben – nicht allein "fachlich" oder "professionell", sondern auch in der denkbar schlimmsten Form.
Darauf mag man dann keinesfalls das Lied von der unsinnigen Wissenschaft singen, die am Ende feststellt, dass "Marmelade Fett enthält".
Literaturhinweise:
Debra S. Austin in Loyola Law Review (Band 59, 2013, S. 791-851)
Benjamin, Koszinak, Sales, Shanfield: "The Role of Legal Education in Producing Psychological Distress among Law Students and Lawyers" in American Bar Foundation Research Journal (Band 11, 1986, S. 225-252)
Abigail A. Patthoff: "This is Your Brain on Law School: The Impact of Fear-Based Narratives on Law Students", demnächst in der Utah Law Review, 2015
Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Juristenpsychologie: . In: Legal Tribune Online, 05.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13391 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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