2/2: Zweifel schwächt den Geist der Repression
In einem Punkt sprach Eggenschwyler aber ein Verhältnis zwischen Kriminalitätsentwicklung und "Intellektualismus" an, mit dem noch heute jedes juristische Erstsemester in Berührung kommt. Es ist die Frage nach dem Zweck des sogenannten staatlichen Strafanspruchs: "Alle möglichen psychischen, physischen und sozialen Ursachen werden zur Erklärung der Schwankungen in der Kriminalität angerufen, nur nicht diejenige, derentwegen die Kriminalisten eigentlich da sind: die staatliche Repression!"
In der Ausübung seines repressiven Berufszwecks würden Richter und Staatsanwälte durch intellektuelle Gedankenspiele gestört: "Fast scheint es, als ob der moderne Strafrichter ein ganz anderer werde, sobald er sich mit kriminologischen Studien befaßt: Als Richter und Staatsanwalt handelt er, als ob die verbrechenshindernde Wirkung seiner Tätigkeit über jeden Zweifel erhaben sei, als ob die Strafe das einzig wirksame Mittel zur Verhinderung der Missetaten sei; als Kriminalist sucht er alle möglichen Erklärungen für ihre Vermehrung herbei, nur nicht diejenige, die ihm eigentlich am nächsten liegen sollte: das Versagen seiner eigenen Berufstätigkeit; seine eigene sentimentale Verbrecherfreundlichkeit und seine täglich wachsende Angst vor Verantwortung!"
Welches Magengrimmen bleibt?
Kurz gesagt: Wer sich zu viele Gedanken über die Voraussetzungen, die Kausalverhältnisse kriminellen Verhaltens außerhalb des schlichten Subsumtionsakts mache, in dem nage der Zweifel, die Skepsis. Strafrichter und Staatsanwälte, die sich diesen intellektuellen Infekt eingefangen haben, entwickelten nur noch unzureichende Repressionsgelüste und wirkten damit kriminalitätsförderlich.
Eggenschwylers Fazit lautet daher auch: "Ein mächtiger Bundesgenosse entsteht dem Verbrechertum in der durch die intellektuelle Aufklärung verursachten Erschwerung der Repression."
Als sich die "Suhrkamp-Intellektuellen" in nachgerade vollständiger Unkenntnis über die Voraussetzungen und Inhalte des Zivilprozesses um ihren Hausverlag ihrem hysterischen Magengrimmen öffentlich freien Lauf ließen, war das sicher eine komische Übung. Jedenfalls für Beobachter vom juristischen Erstsemester an aufwärts. Hier war schlicht sehr viel blankes Unwissen unter den prominentesten Köpfen des deutschen Feuilletons zu verfolgen.
Mehr ins Gewicht fallen dürfte ein anderes Magengrimmen: Die gelegentliche Unlust darüber, dass das im repressiv tätigen Teil der Staatsgewalt beschäftigte Personal, durch intellektuelle Skepsis angekränkelt, seinen Dienst nicht mit jener Schneidigkeit verrichten könnte, die von außenstehenden Beobachtern erwartet wird. Leute, die draußen herumstehen und von keinem Zweifel an ihrem eigenen Urteilsvermögen infiziert sind, finden sich hierzulande ja von Zeit zu Zeit schon einmal in größerer Zahl.
Texte: Walter Eggenschwyler: "Intellektualismus und Verbrechen", Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Band 36 (1915), S. 301-331. Rupprecht Podszun: "Die Schriftsteller und die Justiz", Neue Juristische Wochenschrift, 2013, S. 761-762. Als Beispiel für die Tagespresse zum "Suhrkampf": "Süddeutsche Zeitung" .
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Zweifeln gefährdet Staatsgewalt: . In: Legal Tribune Online, 18.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14405 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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