Hindert der Zweifel im Kopf des Strafjuristen ihn bei seiner Arbeit? Bedrohen verbrecherische Intellektuelle nicht überhaupt Staat und Gesellschaft in ihren Wurzeln? Ein Kriminalökonom vertrat diese bizarre These vor 100 Jahren - Gebildete wüssten ja, wie sie Gesetze umgehen. Am Ende fragt sich Martin Rath aber doch, wie sich "die Justiz" und "die Intellektuellen" tatsächlich zueinander verhalten.
Das Spannungsverhältnis zwischen jenen, die man mehr ins Lager "der Justiz" schlägt, und jenen, die als "die Intellektuellen" firmieren, lässt sich an tagesaktuellen Aufgeregtheiten illustrieren. Deutschlands Intellektuelle hegten ein "erschütterndes Misstrauen gegenüber der Justiz", hielt beispielsweise der heute als Professor in Bayreuth dienende Zivilrechtsgelehrte Rupprecht Podszun über die Streitigkeiten rund um die Eigentumsverhältnisse im Suhrkamp-Verlag vor knapp zwei Jahren fest. Der Verlag galt und gilt manchen bis heute als Herzstück des Geisteslebens in Deutschland, die Hochkaräter des Feuilletons publizierten hier, Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas, der seriöse Professor Böckenförde und der etwas windige französische professeur Michel Foucault.
Podszun spottete ein wenig über die etwas unbeholfenen Reaktionen der deutschen Sprach- und Geistesgrößen, die der Leistungsfähigkeit des deutschen Zivilprozessrechts mit Misstrauen begegneten: Wortreich ausgedrücktes Magengrimmen finde sich bei diesen Intellektuellen, heißt es beim Bayreuther Juraprofessor, und selbst wenn man eine aus "persönlicher Betroffenheit und juristischer Unerfahrenheit gespeiste Hysterie" der feuilletonistischen Flattergeister abziehe, verbliebe in ihren Statements zum Zivilrecht "ein irritierender Zug. Die Suhrkämpfer offenbaren ein - vornehm ausgedrückt - äußerst distanziertes Verhältnis zur Justiz" (Neue Juristische Wochenschrift 2013, S. 761-762).
"Zahlreiche Halbverbrecher unter den Intellektuellen"
Nun würde es nachgerade übermenschlicher Anstrengung erfordern, nicht zu spotten, wenn der als feiner Ästhet gehandelte Peter Handke verfahrensbeteiligte Rechtsanwälte als "Horde der schwerbezahlten Mini-Unholde" bezeichnete. Doch zeigt ein Blick in die ältere juristische Literatur, dass es gar nicht erforderlich ist, sich als rechtswissenschaftlich Gelehrter mit den drolligen Details intellektueller Hysterien zu beschäftigen. In der strafrechtswissenschaftlichen Literatur finden wir sachdienliche Hinweise darauf, dass Juristen in den Intellektuellen eine Gefahr für die Gesellschaft sehen dürfen – eine Gefahr schlechthin, nicht erst dann, wenn sich Schriftsteller Albernheiten über die Justiz äußern.
Es ist das Verdienst der renommierten "Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft", dem damals in Turin lehrenden Schweizer Ökonomen Walter Eggenschwyler (1864-1918) das Wort über "Intellektualismus und Verbrechen" erteilt zu haben. Denn solche Texte, die vom Komischen ins Ernsthafte changieren, entdeckt man heute selten.
Ob es nun der intellektuell geprägte Werbefachmann ist, der ein "Produkt in apodiktischer Weise als 'das Beste'" bezeichnet, ein Arzt, der ein Placebo verschreibt oder die bürgerlichen Eheleute, die einander in Sexualfragen betrügen – sie alle fallen für Eggenschwyler unter Vorstufen des Verbrechertums, für die gilt: "Naturgemäß sind alle diese Halbverbrecher unter den Intellektuellen viel zahlreicher als unter dem unwissenden und ungebildeten Publikum. Nichts fällt einem intelligenten und mit der Praxis der Gerichte vertrauten Betrüger leichter, als seine Tätigkeit mit einem Anschein von Solidität und Gesetzlichkeit zu umgeben und damit straflos zu machen."
Analphabeten weniger kriminell?
"In Spanien, wo die Analphabeten zwei Drittel der ganzen Bevölkerung ausmachten", referiert Eggenschwyler weiter, "nahmen sie nur etwa zur Hälfte an der Kriminalität teil. Der Satz, daß man für jede geöffnete Schule ein Gefängnis schließen werde, ist also eine Absurdität."
Den Beifall des Kriminalökonomen finden auch Auskünfte zur Verbrechensentwicklung in Frankreich, wo zwischen 1826 und 1880 die Fälle zum Beispiel von Beamtenbeleidigung um das Fünffache, die Sittlichkeitsverbrechen um das Siebenfache und der strafbare Ehebruch um das Neunfache zugenommen haben sollen – zurückzuführen sei dies, wenn auch nicht ausschließlich, auf einen "großen intellektuellen Aufschwung starker Vulgarisation".
Nun könnte man diese statistisch durchaus nicht koscheren Bemühungen, die verbrechensförderlichen Eigenschaften des Intellektuellentums zu belegen, als Auswüchse eines drolligen Ökonomen aus einer Zeit verbuchen, in der man auch glaubte, die Verbrechensgeneigtheit durch Schädelvermessung prognostizieren zu können. Auch die Frage, ob sich in die Hornhaut eines Mordopfers eine Art Fotografie des Täters einpräge, war seinerzeit noch nicht ganz geklärt.
Zweifeln gefährdet Staatsgewalt: . In: Legal Tribune Online, 18.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14405 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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