Juristische Lebensmittelmetaphysik: Gurken vor Gericht

von Martin Rath

07.08.2016

Zu lange galt die Aufmerksamkeit jener Krümmung der Gurke, die juristisch und ökonomisch unbedarften Menschen dazu diente, die europäischen Institutionen zu schmähen. Eine Erinnerung an echte deutsche Gurkenrechtsfragen von Martin Rath.

Auf den ersten Blick scheint es fernliegend, in der Gurke einen juristisch interessanten Gegenstand zu entdecken. Dass die Gurke, fachsprachlich Cucumis sativus, in ihrer eingelegten und uneingelegten Form, gekrümmt wie ungekrümmt, der Aufmerksamkeit der Juristen nicht verborgen bleibt, entspricht zwar der natürlichen Ordnung des deutschen Rechts und seines Staats. Beidem entgeht ja kein Ding dieser Welt.

Doch nicht jedes Ding in dieser Welt reizt die Sinne so sehr wie die grüne Frucht: Bei näherer Betrachtung entdecken wir eine besondere Fixierung auf die Gurke im Bereich des Soldatenrechts sowie Abgründe in der beamten- und strafrechtlichen Auseinandersetzung mit Gurkenfällen. Dass die Gurke schließlich verdient, als "Pursuit of Happiness" für die dem Medienrecht unterworfenen Personen wiederentdeckt zu werden, dazu wird am Schluss plädiert.

Weil mit Feldsalat kein Krieg zu gewinnen ist

Ihrer festen Haut wegen wird die Frucht der Gurke fachsprachlich auch als Panzerbeere bezeichnet. Dass sie in Fragen des Wehrdisziplinarrechts unverhofft oft eine Rolle spielt, hängt freilich weniger mit dieser botanischen Kategorie zusammen – und zwar genau so wenig, wie die notorisch absurden Missstände im waffentechnischen Beschaffungswesen der Bundeswehr zum bösen Wort von der "Gurkentruppe" geführt haben dürften.

Vielmehr wird die Möglichkeit, Gurken zu konservieren und damit frontnah zur Speisung der Soldaten eingesetzt zu werden, ihre wehrwirtschaftliche und damit -juristische Bedeutung ausmachen. Mit Feldsalat ist im Ernstfall, trotz seines Namens, naturgemäß nicht gedient.

Noch in den 1980er Jahren, gastronomisch war in Deutschland – sieht man von den Brüdern und Schwestern jenseits von Mauer und Stacheldraht ab – längst das Zeitalter der Tiefkühlkost und Convenience angebrochen, gab der versuchte Diebstahl unter anderem eines 10-Liter-Eimers Gurken, verübt durch einen "Feldkochunteroffizier zur 1. Panzeraufklärungsbataillon", der Truppendienstgerichtsbarkeit Gelegenheit, darüber zu befinden, wie weit ein Offizier zu degradieren sei, der sich an Wirtschaftsgütern der Bundeswehr vergriffen hat.

Schlimme Erschleichung eines soldatischen Gurkenkredits

Kurz gesagt: Herabgestuft auf einen Mannschaftsdienstgrad gab es für ihn nichts mehr zu befehlen, nachdem der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts darüber geurteilt hatte, dass der Diebstahl von Eiern, Butter und eben Gurken gegen die soldatischen Pflichten zum "treuen Dienen" und zum "achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten im dienstlichen Bereich" nach §§ 7, 17 Abs. 2 Satz 1 Soldatengesetz verstoßen habe (Urt. v. 16.10.1986, Az. 2 WD 14/86).

Um hier nicht missverstanden zu werden: Dass staatliche Sanktionen gegen Gurkendiebe sein müssen, soll im Ergebnis nicht bestritten werden. Wie viel sprachliches Lametta das Soldatenrecht für eine Degradierung benötigt, ist aber doch ein bisschen amüsant.

Ungeahnte Verbindungen zwischen Truppe und Gurke tun sich bereits in Entscheidungen der 1960er Jahre auf. Die bemerkenswerte Verteidigung eines heutzutage eher virtuell gewordenen Rechtsguts zeigte sich etwa in einem Fall, über den der Wehrdienstsenat des damaligen Bundesdisziplinarhofs entschied:

Ein Stabsoffizier hatte einerseits bei der Abrechnung für außerkasernale Übernachtungen geschummelt, andererseits seinen Dienstausweis dazu genutzt, bei einem Lebensmittelhändler unter anderem Gurken auf Kredit zu kaufen, die statt der Truppe der Konfirmationsfeier einer befreundeten Familie zugeführt wurden.

Die Gurke als Sexspielzeug

Bemerkenswert ist, dass allein in der Verführung des Kaufmanns, dem Unbekannten aufgrund des Dienstausweises Kredit zu gewähren, jene betrügerische Tat entdeckt wurde, die dem Disziplinarherren des Gurken erschleichenden Soldaten besonders verwerflich erschien (Urt. v. 11.11.1963, Az. WD 99/63). Fehlende Zahlungsabsicht wurde ihm dabei gar nicht einmal vorgeworfen. Man sieht, wie weit die Konsumgesellschaft seither die Sittenstrenge bei der Kreditgewährung gelockert hat.

Einen letzten soldatenrechtlichen Gurkenfall müssen wir noch erwähnen, bevor wir die Truppe verlassen: Zwischen 1982 und 1985 stahl ein Soldat – ein langjährig dienstverpflichteter "Panzerinstandsetzungsfeldwebel" – im nordhessischen Raum serienmäßig Büstenhalter verschiedener Eigentümerinnen, die er jeweils von der Wäscheleine entwendete.

Einigen der Bestohlenen schrieb er einen Brief, in dem er sich über die sexuelle Verwendungsmöglichkeit von Gurken ebenso ausließ wie über seine monströsen Vorstellungen von der weiblichen Brust. Im Urteil des 2. Wehrdienstsenats vom 6. Dezember 1988 (Az. 2 WD 11/88) sind diese schamlosen Ungeheuerlichkeiten ausführlich dokumentiert – man kann das aus Anstandsgründen hier gar nicht wiederholen.

Dass es in jüngster Zeit aber zwischen Richtern am Bundesgerichtshof zum Dissens darüber kommen konnte, wie weit ein BGH-Richter außerdienstlich über Brüste schreiben sollte , lässt sich mit Blick auf diese Sache nachvollziehen – schon die dienstliche Befassung kann sehr bestürzend sein. Eine Fischer-Kontroverse über Gurken-Missbräuche wollen wir uns daher gar nicht erst ausmalen.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Juristische Lebensmittelmetaphysik: . In: Legal Tribune Online, 07.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20221 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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