Feiertagsrecht: Weiß jemand, warum Berlin den Frau­entag feiert?

von Martin Rath

08.03.2020

Heute ist in Berlin der 8. März als "Frauentag" gesetzlicher Feiertag. Nicht zuletzt rechtshistorisch ist der Vorgang etwas eigenartig. Ernst genommen hat den Tag vielleicht nur der BGH – und zwar vor 56 Jahren.

Durch Gesetz vom 30. Januar 2019 entschied das Berliner Abgeordnetenhaus, dass die Berlinerinnen und Berliner den 8. März als "Frauentag" in Gestalt eines gesetzlichen Feiertags zu begehen haben.

Der Blick in Gesetz und Plenarprotokolle weckt Staunen. Zugleich mit dem "Frauentag" wurde etwa geregelt, dass in Berlin dem 8. Mai 2020, dem 75. Jahrestag des Kriegsendes in Europa, als gesetzlicher Feiertag gedacht wird – der 76. Jahrestag indes ist den Berliner Parlamentariern nur noch einen sogenannten Gedenktag wert.

Die erste Lesung des Gesetzes am 13. Dezember 2018 bot ein schmerzhaft schönes Bild vom intellektuellen Niveau, das Kommunalpolitiker zeigen, deren Gemeinde – Groß-Berlin – nur durch eine Verkettung historischer und juristischer Zufälle in den Status eines Landes der Bundesrepublik gelangen konnte.

Regelrecht klassenkämpferische Töne schlug die Vertreterin der Linken, Katina Schubert (1961–) an. Sie begründete das Bedürfnis nach einem arbeitsfreien "Frauentag" damit, dass die Berliner im Vergleich zu den mit religiösen Feiertagen gesegneten Westdeutschen vier Tage mehr arbeiten müssten, "um auf einen Jahresverdienst zu kommen, als die Menschen in Bayern, und das auch noch bei einem niedrigeren Jahresverdienst. Höchste Zeit also, dass wir als [Rot-Rot-Grün] dieser Form von Lohndrückerei auf den Pelz rücken".

An die unter anderem rechtshistorische Dimension des "Internationalen Frauentags" knüpfte Schubert mit dem irrlichternen Hinweis an, dass mit dem heutigen, eher harmlosen Verbot, für Schwangerschaftsabbrüche zu werben (§ 219a Strafgesetzbuch, StGB), ein hergebrachter Anlass für den seit 1911 propagierten "Kampftag" weiter bestehe – hierzu zählte damals das in § 218 StGB geregelte grausame Abtreibungsverbot, das auch die schwangere Frau mit Zuchthausstrafe bis zu fünf Jahren bedrohte. Ihre Vorstellung davon, wie die Berliner sich des "Frauentags" anzunehmen hätten, formulierte Schubert wie folgt:

"Die Männer sollen sich nicht einbilden, es sei damit getan, Blümchen zu verschenken und zu beteuern, dass sie auch mal das Frühstück machen. Nein! Dieser Tag gehört den Frauen. Männer, nutzt den Tag, um ihnen den Rücken freizuhalten!"

In der Gegenrede zu diesen Ideen erklärte der CDU-Abgeordnete Stefan Evers (1979–) zutreffend, aber doch auch etwas frontstadtberlinerisch: "Sie folgen Vorbildern: Nordkorea, Kuba, Weißrussland, Vietnam, China sind als gute Vorbilder schon lange vorangegangen, denn der 8. März als gesetzlicher Feiertag, als gesetzlicher arbeitsfreier Tag hat eine rein sozialistische Tradition" (Plenarprotokoll 18/35, S. 4095 ff.).

Klassenkampf oder Koitus? – Rechtssoziologe Renner entscheidet sich für ersteres

Der surreale Zug dieser Kontroverse unter den Berliner Kommunalpolitikern – in jedem Rathaus einer rheinländischen oder süddeutschen Kleinstadt würden sie ausgelacht – beruht nicht zuletzt auf einer unzureichend berücksichtigten historischen Perspektive.

Als bekannt darf unterstellt werden, dass die damals noch sozialdemokratische, später dann kommunistische Politikerin Clara Zetkin (1857–1933) vor 110 Jahren vorschlug, einen internationalen "Kampftag" für Frauenrechte zu etablieren, der namentlich dem Kampf um gleichen Lohn für gleiche Arbeit gelten sollte, dem Wahlrecht und der Verbesserung der Rechte von Frauen auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts, das vielerorts eine mehr oder minder vollständige Verfügungsgewalt von Vätern oder Gatten über Vermögen und Einkünfte von Töchtern bzw. Gattinnen vorsah – selbst wenn es vor allem in Arbeiterhaushalten oft faktisch die Frau war, die über die kargen Gesamteinkünfte verfügte.

Übernommen hatte Zetkin die Idee von der US-Aktivistin May Wood Simons (1876–1948), die damit wohl auf das Bedürfnis nach Geschlechtertrennung reagiert hatte – Frauen, die in einem Raum mit Männern über Dinge wie Lohngleichheit sprachen, liefen damals Gefahr, als Prostituierte zu gelten.

Ein Blick in historische rechtssoziologische Literatur fördert – neben der Frage, ob Frauenwahlrecht und Entgeltgleichheit bei gleicher Leistung für einen "Kampftag" nicht schon zu lange geltendes Recht sind – einen weiteren surrealen Aspekt ans Licht.

Der österreichische Jurist Karl Renner (1870–1950), der als sozialdemokratischer Politiker insbesondere bei der Annexion seines Heimatlandes 1938 und auch nach der Befreiung 1945 eine ziemlich schäbige Rolle spielte, als einer der Gründungsväter der modernen Rechtssoziologie jedoch zu Recht einige Anerkennung genießt, äußerte sich in seinem 1929 publizierten Werk "Die Rechtsinstitute des Privatrechts und ihre soziale Funktion" ernüchternd dazu, was seine Genossinnen und Genossen auf juristischem Gebiet überhaupt von ihrer Eigenschaft als Mann und als Frau zu erwarten hätten.

Der Wunsch nach individueller Bedürfnisbefriedigung sei nur "subjektiver Widerschein der Dinge, die Welt in der Froschperspektive der Individualpsyche". Sexualität betrachtete Renner als einen zwar physiologisch interessanten, jedoch durch den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit völlig nachrangig gewordenen Vorgang:

"Die Familie ist meist bloße Ehe; Geschlechtsgemeinschaft, und bloßer Haushalt, Konsumgemeinschaft, oft nicht einmal Vereinigung zur Zeugung: wieviel Kinder, wie und wovon sie leben, wo sie leben und sterben, das bestimmt nicht das Heim, sondern – die wirtschaftliche Konjunktur des Arbeitsmarktes."

Während dies für Arbeiterinnen und Arbeiter der Fall sei, gelte höheren Ortes: "Die Ehe ist für die Besitzenden in erster Linie nicht Kopulation zweier Leiber und Seelen, sondern Addition zweier Vermögen, Attraktion der Kapitale […]."

Entsprechend wollten die historischen Erfinderinnen und Erfinder des "Weltfrauentags" – Renner spricht hier wohl auch für Zetkin – "das Institut der Ehe verlassen und zurückkehren zum Eigentum in seiner nunmehr differenzierten Gestalt samt seinen Konnexinstituten". Nicht um die Eigenschaft "Mann" und die Eigenschaft "Frau" drehe sich also der gesellschaftliche Hauptkonflikt, weder in einem Ende des brutalen Abtreibungsverbots noch nicht einmal im Frauenstimmrecht sahen diese Menschen den Weg zu dann auch gleichberechtigten Geschlechterverhältnissen, sondern in der Vergesellschaftung der Produktionsmittel.

Nur der westdeutsche Staatsschutz sah "Weltfrauentag" als halbwegs seriös an

Dieser Einsicht folgend, dass sich die Welt nicht um den Unterschied zwischen Penis und Vagina, sondern um jenen zwischen Arbeit und Kapital drehe – die ältere Generation kennt letzteres als sogenannten "Grundwiderspruch" der Gesellschaft – wurde der "Internationale Frauentag" in der 1990 beseitigten SED-Diktatur mit jenem Höchstmaß an Spießigkeit begangen, wie sie sich der prophetische DDR-Kritiker Eugen Richter (1838–1906) in seinen "Zukunftsbildern" nicht schöner hätte ausmalen können. Da wurden die Frauen eines Betriebs genötigt, sich die Dankesreden von Funktionären zu ihrer Arbeitsleistung anzuhören oder durften zur Feier des Tages entscheiden, ob sie zehn DDR-Mark für Kaffee und Kuchen oder zum Erwerb eines halben Hähnchens verwenden wollten.

Ein lesenswertes Panorama dazu, wie unbefriedigend sich trotz verstaatlichter Produktionsmittel in der DDR – aus deren Produktivitätsmängeln hilft heute bekanntlich das Renten- und Sozialhilferecht westdeutscher Provenienz hinweg – die durch ihr Geschlecht definierte Lebenssituation von Frauen wie Männern darstellte, veröffentlichte die Boulevard-Zeitschrift Emma im Jahr 1977 – mit Blick auch auf die desolate Tristesse des "Internationalen Frauentags".

Ein rarer Beleg dafür, dass der "Weltfrauentag" im freieren Teil Deutschlands einmal ernstgenommen wurde, findet sich allein in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). Einem Bergmann der Ruhrgebietszeche Heinrich-Robert in Hamm waren Kontakte vorgeworfen worden, die er zu Kollegen in einem "Volkseigenen Betrieb" des DDR-Steinkohlenbergbaus unterhalten hatte.

In der Ungeziefer-Metaphorik, derer sich auch die westdeutsche Justiz damals für mutmaßliche Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bediente, erkannten das Landgericht Dortmund und der BGH, der Bergmann habe sich 1958 der "Wühlarbeit" der ostzonalen SED-Gewerkschaften ausgesetzt, indem er unter anderem in Leipzig an Veranstaltungen des "Internationalen Frauentags" teilgenommen hatte (BGH, Urt. 14.01.1964, Az. 3 StR 62/63), als Verstoß  gegen das KPD-Verbotsurteil und Geheimbündelei strafbar nach §§ 42, 47 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (a.F.), § 128 StGB (a.F.).

Kurz gesagt: Der Berliner Gesetzgeber hat den "Frauentag" in der Tradition einer sozialistischen Bewegung eingeführt, deren nicht zuletzt rechtstheoretisch klügere Köpfe wenig davon hielten, die Konflikte zwischen Mann und Frau ins Zentrum des politischen Interesses zu stellen, und der dann zwischen 1946 und 1990 als derart trister – noch nicht einmal arbeitsfreier – "Kampftag" inszeniert wurde, dass es schon der bewährten Paranoia der westdeutschen Staatsschutzjustiz bedurfte, in ihm ein relevantes Ereignis zu sehen.

Trotzdem mag der Frauen- als Feiertag irgendwann im Bewusstsein der Berlinerinnen und Berliner an weltanschaulichem Gewicht gewinnen. Auf die Popularität des von der internationalen Gewerkschaftsbewegung gefeierten, in Deutschland 1933 von den Nationalsozialisten zum gesetzlichen Feiertag erklärten 1. Mai reagierte Papst Pius XII. (1876–1958), indem er 1955 verfügte, an diesem Tag Jesu Ziehvater "Josef, den Arbeiter" zu feiern.

Sollte ein künftiger Bischof von Rom irgendwann diesen Don-Camillo-und-Peppone-Schachzug kopieren, indem er für den 8. März etwa die Verehrung genderspezifischer, für Berlin angemessen seriöser Reliquien anordnet, werden die Rathauspolitiker der Bundeshauptstadt wissen, dass sie symbolpolitisch etwas bewirkt haben.

Zitiervorschlag

Feiertagsrecht: . In: Legal Tribune Online, 08.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40691 (abgerufen am: 25.11.2024 )

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