2/2: OLG Hamm verbietet sich jede boshafte Bemerkung
Nicht generell. Hinweise darauf, welche Formen von Zynismus oder Sarkasmus auch gegen Prüflinge unzulässig sind, gibt ein Beschluss des BVerwG vom 22. Februar 1980 (Az. 2 B 25.79). Ein angehender Mediziner musste es sich demnach im Prüfungsgespräch nicht gefallen lassen, mit Zwischenbemerkungen wie "Blödsinn!" oder "Sie können nicht einmal das Einmaleins, wie wollen Sie dann Physiologie verstehen!" konfrontiert zu werden.
Verlässt man die Jagdstrecken des Prüfungsrechts, steigt die Erwartung an Sachlichkeit. Ein Sarkast und Spötter wie Scalia könnte wohl nicht einmal auf den billigen Rängen der deutschen Justiz Platz nehmen, sollte stets jenes Sachlichkeitspostulat durchgreifen, auf das sich zum Beispiel der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 12. Januar 2006 (Az. 2 Ws 9/06) stützt. Hier ging es um den Schutz der Justiz vor einem Nichtjuristen, der die Zulassung als Verteidiger nach § 138 Absatz 2 Strafprozessordnung begehrte.
Der Herr, der die Zulassung wünschte, war in der Vergangenheit mit zahllosen Äußerungen über das stolze Bundesland Nordrhein-Westfalen und seine Behörden aufgefallen, wie man sie in Tendenz und Geschmacklosigkeit heute aus der Ecke der Reichsbürger- oder Pegdidadaistenbewegung hört. Ein Beispiel: "Wenn ich die blauen Kittel der simplen Verwaltungsrichter sehe, könnte ich kotzen, aber wenn ich die pavianarschroten Uniformen der Richter am Oberverwaltungsgericht in Münster sehe, erheitert mich das mehr als der Kölner Karneval."
Sarkastisch kann diese unmögliche Einlassung allenfalls mit Blick auf den Kölner Karneval sein, der bekanntlich keinerlei erheiternde Elemente enthält, sondern eine Veranstaltung von hohem Ernst und trister Würde ist. Im Übrigen ist sie zweifellos nur bösartig und grobianisch. Allerdings ist der OLG-Beschluss insofern ein starkes Beispiel für die Sarkasmussensibilität deutscher Richter, als er nicht die Spur einer eigenen sarkastischen Spitze enthält: Der verhinderte Wahlverteidiger war nach Feststellung des Gerichts "geschäftsführender Gesellschafter und 'leitender Seminardirektor' einer Institution, die nach § 15 Fachanwaltsordnung Fortbildungsveranstaltungen für Fachanwälte für Steuerrecht" anbot. Welch' verschenkte Einladung zum Spott!
Sarkasmusabstinenz oder öffentliches Jammern?
Ein unklares Verhältnis zur Zulässigkeit von Sarkasmus gegenüber Prüflingen, strikte Sachlichkeit gegenüber Rechtssuchenden, die – wie im Fall des NRW-feindlichen Fachanwaltsfortbilders – zu eigenem Sarkasmus regelrecht auffordern: Es hat den Anschein, dass das deutsche Rechtswesen keine allzu freundliche Haltung zu Ironie, Sarkasmus oder Sardonismus hat.
Auch wenn natürlich das Bild des Prüflings, der im Staatsexamen vom überlegenen Prüfer geschunden wird, eher zu Mitleid anregt und Abscheu vor Sarkasmus weckt, könnte ein unzureichender Gebrauch der scharfen Redeformen auch auf ein Defizit hinweisen.
Menschen, bei denen das für das emotionale und soziale Verständnis von Situationen zuständige Gehirnareal geschädigt ist, fehlt es etwa regelmäßig am Sprachverständnis und am sozialen Einfühlungsvermögen für eigentliche und uneigentliche Bedeutungen, kurz: am Sinn dafür, Witz oder Sarkasmus zu verstehen. Dies zeigte eine Studie israelischer Neurowissenschaftler.
Natürlich lässt sich ein neurologisches nicht unbesehen in ein soziales Defizit ummünzen, daher nur vorwitzig gefragt: Könnte es vielleicht sein, dass das weitgehende Fehlen von Sarkasmus, Witz und Ironie in der öffentlichen Rede Deutschlands, im Parlament oder bei Gericht, den Konjunkturen des allgemeinen Herumjammerns, den Verschwörungstheorien und den hysterischen Problemwahrnehmungen hierzulande erst den nötigen Freiraum gibt?
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs bei Solingen.
Martin Rath, Ungeliebte Kommunikationsform: . In: Legal Tribune Online, 28.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18616 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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