Rechtsgeschichten: Ehren­mord, Kinds­mord, Kor­rup­tion – unsere auf­ge­klärte Ver­gan­gen­heit

von Martin Rath

18.09.2016

2/2: Fall Königsmarck: Eine Leiche in Hannover

Bei Bauarbeiten am Landtag zu Hannover wurden in diesem Sommer einige Menschenknochen entdeckt. Der Fund regte zu eifrigen Spekulationen an, es könnte sich um die Überreste des seit dem 11. Juli 1694 verschwundenen Philipp Christoph Graf von Königsmarck handeln, geboren 1665, ermordet höchstwahrscheinlich 1694 – vielleicht auf dem Grundstück jenes Feudalgebäudes, das heute dem Landtag der weisen Führung der Niedersächsinnen und -sachsen dient.

Wenn Sie möchten, können Sie sich nun den Text, vorgetragen im unnachahmlichen Seelmann-Eggebert-Schmelz vorstellen.

Celle, 18. November 1682: In der Kapelle des Schlosses nimmt Georg Ludwig, Sohn des Herzogs zu Braunschweig und Lüneburg seine 16-jährige Cousine Sophie Dorothea zur Frau. Bereits 1683 kommt mit Georg August das erste Kind, vier Jahre später mit der gleichnamigen Tochter Sophie Dorothea das zweite Kind zur Welt. Der Gatte widmet sich nun mehr der Beziehung zu seiner Mätresse. Seine inzwischen 22-jährige Frau Sophie Dorothea verliebt sich bald in den gleichaltrigen Philipp Christoph Graf von Königsmarck.

Fatal für die Fürstin: Sex außerhalb der Ehe

Georg Ludwig hat Aussicht auf den britischen Thron und wird 1714 tatsächlich zum ersten der berühmten deutschen Georges mit englischer Krone. Und auch ohne diese prestigeträchtige Chance gilt: Pater semper incertus est. Was dem Fürsten erlaubt, ist der Fürstin verboten – sexuelle Kontakte außerhalb der Ehe. Ein Kuckuckskind in edler Familie, das mindert die Chancen auf dem europäischen Heiratsmarkt für Fürstenkinder.

Am 11. Juli 1694 verschwindet Königsmarck spurlos. Die Ehe zwischen Georg Ludwig und Sophie Dorothea wird im Dezember 1694 wegen "böswilligen Verlassens" geschieden. Sie gilt als die Schuldige. Sophie Dorothea verbringt die verbleibenden 32 Jahre ihres Lebens unter strengem Hausarrest auf Schloss Ahlden in der niedersächsischen Provinz – sie ist sozial isoliert und sieht ihre Kinder nie wieder.

Verschwinden des Geliebten bis heute ungeklärt

Die höchstwahrscheinliche Tötung Königsmarcks durch Spießgesellen des hannoverschen Fürstenhauses wird zum Skandal. August II., Herzog von Sachsen und König von Polen-Litauen, lässt Nachforschungen über den Verbleib seines Offiziers anstellen. Wie die Aufregung um den Skelettfund vom 10. August 2016 zeigt: Der sächsische Gesandte bleibt in Hannover erfolglos.

Über eine hinreichend schamlose juristische Vertretung ihrer Sache haben die Herzöge von Hannover damals nicht verfügt. Einen feigen Mord als einen "jeder gerichtlichen Nachprüfung entzogenen Regierungsakt" mit dem Ziel der "Verteidigung der Gesellschaft … gegen innere und äußere, offene oder versteckte, gegenwärtige oder künftige Feinde" zu rühmen, wurde erst im 20. Jahrhundert zur akademischen Übung – das Zitat stammt aus Carl Schmitts bekanntem Text "Der Führer schützt das Recht".

Das Haus Hannover verlegte sich lieber auf das Vertuschen, bis heute erfolgreich.

Wünschen wir den Landtagsabgeordneten, dass sich die Knochen mittels DNA-Test als jene des jungen Herrn von Königsmarck erweisen. Die Politik sollte nicht zu viele Leichen im Keller haben.

Kindstötung, Korruption, Ehrenmord – und die Moral?

Man kann heute, jedenfalls online, kaum mehr einen Artikel zu den Problemen unserer parlamentarischen Parteiendemokratie lesen, ohne – spätestens im Kommentarteil – auf eine penetrante Verachtung gegenüber den "Lobbyisten" oder dem "Lobbyismus" zu stoßen. Oft wird eine neutrale Instanz imaginiert, die überall für "Objektivität" oder "Fairness" sorgen soll. Nicht, dass die historische Erfahrung gute Beispiele dafür gäbe, aber gewünscht wird derlei ständig.

Von den frommen Menschen, die allerlei fremden orientalischen Kulten folgen, wird heute oft verlangt, sie sollten ihre Religion einer "Aufklärung" unterziehen. Von den irrwitzigen Mischungen aus religiösen Vorstellungen und psychiatrischer Störung – Fall Anton Lorenz Ammon – in unserer eigenen Geschichte wissen wir nichts, und wenn wir von Ehrenmorden – Fall Königsmarck – wissen, überlassen wir ihr kriminelles Umfeld dem Boulevardjournalismus silberzüngiger NDR-Hofjournalisten. 

Natürlich, die historischen Fälle laden nicht dazu ein, Gegenwartsprobleme unvermittelt zu relativieren. Von ihnen zu wissen, hilft aber ein wenig gegen die Hysterie unserer Tage.

Autor: Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Rechtsgeschichten: . In: Legal Tribune Online, 18.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20608 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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