2/2 Mit den Fouchet-Plänen gegen die beginnende supranationale Ordnung
Unter anderem aus Unbehagen gegen die beginnende supranationale Ordnung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) – gegen jene Institutionen, die heute seitens aller, die nicht von der Störchin gebissen wurden, in Form von Kommission, Parlament und Gericht der Europäischen Union Wertschätzung in aufsteigender Reihenfolge genießen – ließ de Gaulle die sogenannten Fouchet-Pläne ausarbeiten.
Der zweite Fouchet-Plan aus dem Januar 1962 darf als Vorläufer des Élysée-Vertrags gelten, der nun wieder mit einigem Pomp gefeiert wird: De Gaulle wünschte, dass Frankreich, Deutschland, Italien sowie die Benelux-Staaten eine Europäische Politische Gemeinschaft (EPU) mit Aufgaben auf dem Gebiet u. a. der Kultur- und der Verteidigungspolitik gründen sollten. Den aufkeimenden supranationalen Eigensinn von "Brüssel" mochte der EPU-Ministerrat beenden: Diesem Konsultationsgremium sollten die EWG-Behörden unterstellt werden.
Die Gründung einer EPU scheiterte allerdings u.a. daran, dass die Benelux-Staaten einer Aufnahme Großbritanniens freundlich gegenüberstanden. Die Verhandlungen mit den Briten wurden nicht zufällig in der Woche vor Unterzeichnung des Élysée-Vertrags von Frankreich abgebrochen. Und wohl auch in Deutschland gab es Vorbehalte gegen eine Politik, die als Ausdruck französischer Hegemonialgedanken verstanden werden konnte.
Denn die SPD war inzwischen tendenziell amerikafreundlich, die CDU in Atlantiker und Europäer gespalten. Und als wäre alles noch nicht kompliziert genug: 1957 umkreiste der sowjetische "Sputnik" die Erde. Spätestens jetzt war klar, dass die atomaren Schlachtfelder neu organisiert werden konnten – das amerikanische Interesse, Westdeutschland zu schützen, würde durch eine zu exklusive deutsch-französische Beziehung unterlaufen werden.
Élysée-Vertrag, eine schmale Sonderbeziehung
Im Élysée-Vertrag vereinbarten die deutsche und französische Regierung einen festen Konsultationsmechanismus, der den Präsidenten und den Bundeskanzler zu mindestens zwei Treffen jährlich anhielt, die Außenminister sollten sich alle drei, Vertreter weitere Ministerien monatlich treffen.
Ziel der Konsultationen ist es, in allen wichtigen Anliegen der Außen-, Europa- und Verteidigungspolitik zu einer gemeinsamen Haltung zu kommen.
Die größte Aufmerksamkeit genoss in den folgenden drei Jahrzehnten der dritte Komplex des Freundschaftsvertrags, der Jugendaustausch im Rahmen des 1963 gegründeten Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW).
Erst 1988 wurde die Gründung eines Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates beschlossen, der – wie manch anderes deutsch-französisches Amt – ein wenig wie eine Häuptlingsbehörde ohne Indianer wirkt.
Wie kleinteilig auch im 56. Jahr an der deutsch-französischen Beziehung gearbeitet wird, verrät der Blick in die Resolution zur Erneuerung des Élysée-Vertrags: Was hier als Gegenstand gemeinsamer Politik neu festgelegt wird, sollte bereits zu guten Teilen erledigt oder Gegenstand europaweiter Regelungen sein. Wozu beispielsweise bedarf es eines gesonderten "deutsch-französischen Wirtschaftsraums"?
54 Millionen Austauschschüler in Zeltlagern?
Auf die engen Konsultationen hatten sich Konrad Adenauer und Charles de Gaulle bereits bei ihren gegenseitigen Staatsbesuchen im Juli und September 1962 verständigt. Zunächst waren sich beide noch einig gewesen, so Adenauer in seinen Memoiren, "daß es nicht notwendig sei, einen feierlichen Vertrag zu schließen und den Abschluß unter Glockengeläute und mit Feuerwerk zu feiern".
Während die Regierungszusammenarbeit inzwischen mit gelegentlichem Staatstheaterdonner über die Bühne geht, also in größerem Format als von den beiden Alten zunächst geplant, fallen die praktischen Ergebnisse hinter den Gedankenspielen Adenauers und de Gaulles zurück.
Beispielsweise führt das Deutsch-Französische Jugendwerk stolz auf, dass es 8,4 Millionen jungen Menschen seit 1963 einen Aufenthalt im Nachbarland ermöglicht habe. Adenauer und de Gaulle schwebte 1962 noch Größeres vor: eine Million Jugendlicher könnten doch, im jährlichen Wechsel, aufbrechen. Schulen sollten als Unterkunft dienen, Not-Zeltlager aufgeschlagen werden. Gemessen an diesem Pfadfinder/Weltjugendtags-Enthusiasmus der beiden greisen Staatsmänner – der überschlägig auf 54 statt 8,4 Millionen Austauschschüler hinausgelaufen wäre – liest sich die steife deutsch-französische Resolution von 2018 nur unter Schmerzen.
Man möchte den Abgeordneten des Deutschen Bundestags und der Assemblée nationale das neuerliche Glockengeläut und Feuerwerk von Herzen gönnen, aber am Ende wird jener ungekannte indische oder amerikanische Programmierer, der die nächste Smartphone-Generation mit einem leistungsfähigen Simultanübersetzer ausstattet, in der Fläche womöglich mehr zur deutsch-französischen Freundschaft beitragen als drei Politikergenerationen seit 1963 zusammen.
Literatur (Auswahl): Konrad Adenauer, Erinnerungen. Fragmente 1959–1963, Frankfurt am Main 1970. Paul Frank: Entschlüsselte Botschaft. Ein Diplomat macht Inventur, München 1985 (zuerst 1981). Alfred Grosser: Geschichte Deutschlands seit 1945. Eine Bilanz. München 1987 (zuerst 1974).
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Martin Rath, 55 Jahre Élysée-Vertrag: . In: Legal Tribune Online, 21.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26581 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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