Wohnungsgesellschaft vor dem BVerfG: Der Unter­gang der Neuen Heimat

von Martin Rath

01.10.2017

2/2: Welche Zwangsmittel hat der Untersuchungsausschuss?

An der Untersuchung der Missstände bei der Neuen Heimat hatten vor allem CDU/CSU und FDP lebhaftes Interesse, standen diese Parteien Anfang der 1980er Jahre doch selbst im Brennpunkt der Flick-Parteispendenaffäre. Zum Untersuchungsausschuss orchestrierte man daher auch nach Kräften mediale Begleitmusik – angesichts der teils stark heruntergewirtschafteten Wohnungsbestände keine schwere Übung.

Die beiden Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Oktober 1987 betrafen freilich nicht die Begleitmusik, sondern die Partitur des Untersuchungsausschusses:

Der erste Beschluss (Az. 2 BvR 1178/86 u.a.) betraf die Frage, wie weit der Untersuchungsausschuss die Geschäftsunterlagen bei den Unternehmen der Neuen Heimat hatte beschlagnahmen lassen dürfen. Das Bundesverfassungsgericht gab hierzu vor, dass vom jeweils eingeschalteten Gericht die Herausgabe von beschlagnahmten Unterlagen mit grundrechtsrelevanten Inhalten unmittelbar an den Ausschuss nur dann angeordnet werden dürfe, wenn sichergestellt sei, dass diese dem Untersuchungszweck dienten und adäquate Geheimschutzmaßnahmen getroffen seien.

Mit grundsätzlicheren Zweifeln an der Befugnis des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, sich mit ihren "privaten" Geschäftsvorgängen zu befassen, drangen die Beschwerdeführer hier aber nicht durch.

Der zweite Beschluss (Az. 2 BvR 1165/86) betraf die Anordnung von Ordnungsgeld und Beugehaft gegen den Leiter der Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaften, Alfons Lappas (1929–), der sich als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss weigerte, mehr als Angaben zur Person zu machen. Der Ausschuss setzte daraufhin nach § 70 Abs. 1 StPO ein Ordnungsgeld fest und beantragte beim Amtsgericht Bonn, zur Erzwingung der Zeugenaussage die Haft anzuordnen.

Diesem Antrag entsprach das Amtsgericht, wobei Lappas bereits die Anhörung hierzu durch Verweis auf seine Managerpflichten – eine USA-Reise – zu vermeiden suchte. Er kam daraufhin kurzzeitig in Haft.

Der Beschwerde Lappas' folgte das Bundesverfassungsgericht nicht. Ihm habe wohl weder ein Zeugnisverweigerungsrecht zugestanden noch hatten sich Ausschuss und Gerichte hinsichtlich der Zwangsmittel in ihren Kompetenzen vergriffen.

Alfons Lappas, ein "Held" der Arbeiterbewegung?

Für die Gegenwart lässt sich aus den beiden Beschlüssen vom 1. Oktober 1987 vielleicht zunächst einmal festhalten: Kinder, schaut nicht zu viel US-Fernsehen! Mit den Beweiserhebungen, bei feierlichem Schwur vor laufender Kamera, die vor dem US-Kongress dramatisch inszeniert werden, hat die doch recht kommode, grundrechtswahrende Inquisition vor einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss weniger zu tun als – sagen wir – mit einer Verhandlung vor einem beliebigen Jugendschöffengericht: Es sollte für einen Zeugen nicht allzu heikel ausgehen.

Dass ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss, seinerzeit in Bonn, heute in Berlin nicht das Weltgericht ist, müssen Abgeordnete mit überschießendem politischen Interesse daher meist noch lernen. Im öffentlichen Umgang mit dem Haftbeschluss spiegelte sich aber auch ein tiefgreifender Wandel in der bundesdeutschen Gesellschaft wider, der heute gar nicht mehr recht wahrgenommen wird.

Alfons Lappas trat etwa im Herbst 1986, so der Politikwissenschaftler Herfried Münkler (1951–), kurz bevor er entsprechend dem Beschluss des Amtsgerichts Bonn von zwei Kriminalbeamten verhaftet wurde, vor einem Kongress der Industriegewerkschaft Metall in Hamburg auf. Dort erklärte er unter dem Beifall der Delegierten zu seiner Zeugnisverweigerung vor dem Untersuchungsausschuss: "Was ich getan habe, das habe ich getan zur Sicherung der Kampfkraft der Gewerkschaften!"

Niemand lässt sich gern in die Streikkassen blicken

Herfried Münkler hält gegen dieses schmalzige Pathos in seiner Analyse des Neue-Heimat-Skandals fest: Die eigentlich politische Dimension des Skandals sei es gewesen, dass hier Gewerkschaftsführer, "die gegenüber ihrer Gefolgschaft immer wieder Solidarität, Verzicht und Opferbereitschaft einforderten, sich selbst als Manager innerhalb des kapitalistischen Systems verhielten und dabei zu einem nicht unbeträchtlichen Teil mit der Verwaltung und Vermehrung ihres eigenen Vermögens beschäftigt waren."

Die beiden Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Oktober 1987 dokumentierten damit längst nicht mehr die nachvollziehbare und traditionelle Abneigung der Gewerkschaften davor, sich in ihre Streikkassen blicken zu lassen, als vielmehr den Wunsch von Managern, sich bei der Selbstbereicherung und der Pflege politischer Freundeskreise nicht beobachtet zu finden.

Die britischen Gewerkschaften fanden ihre Nemesis in Margaret Thatcher, die deutschen die ihre in der Neuen Heimat.

Hinweise: Der umfang- und lehrreiche Bericht des Untersuchungsausschusses – mit staunenswerten Sondervoten – ist als BT-Drucksache 10/6779 online greifbar. Eine Sozial- und Architekturgeschichte der "Neuen Heimat" bietet das Architekturarchiv. Der erwähnte Beitrag von Herfried Münkler ist abgedruckt in: Georg M. Hafner & Edmund Jacoby (Hg.): "Die Skandale der Republik", Reinbek bei Hamburg (Rowohlt) 1994, S. 180–188.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Wohnungsgesellschaft vor dem BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 01.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24789 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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