Das BVerfG klärte mit zwei Beschlüssen vom 1. Oktober 1987 die Befugnisse Parlamentarischer Untersuchungsausschüsse. Anlass gab die Affäre um das Wohnungsunternehmen "Neue Heimat" – ein prägendes Ereignis in der alten Bundesrepublik.
Im Detail war lange nicht ganz klar, wie weit ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss in die Rechte von Bürgern eingreifen darf. Am 1. Oktober 1987 trug das Bundesverfassungsgericht ein Stück zur Klärung bei.
Die rechtliche Konstruktion dieses parlamentarischen Gremiums, das nach der Inquisitionsmaxime zu allerlei Tatbeständen ermitteln darf, ist ein wenig eigenartig. In Artikel 44 Grundgesetz ist bekanntlich das Recht des Bundestages geregelt, solche Ausschüsse einzusetzen, und die Pflicht, dies auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder zu tun.
Wie schon Artikel 34 der Reichsverfassung von 1919 verweist das Grundgesetz (GG) für die Beweiserhebung auf die Strafprozessordnung. Auch das im Jahr 2001 in Kraft getretene Untersuchungsausschussgesetz (PUAG) hat daran nichts Wesentliches geändert.
Mit dem Verweis auf die Strafprozessordnung (StPO) sorgten die Verfassungsgeber von 1919 und 1949 sowohl für die Akzeptanz des parlamentarischen Instruments als auch für einen gewissen Grundbestand an Spielregeln, wie es in die Rechte der Bürger eingreifen darf, die seiner inquisitorischen Neugier unterworfen sind.
Die Reichweite dieser Untersuchungsrechte war immer wieder Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung, fehlen der eigenwilligen Konstruktion auf den ersten Blick doch viele verfahrensinhärenten Kontrollmechanismen des normalen Strafprozesses. Überschießende politische Machtinteressen am zu untersuchenden Gegenstand kommen mitunter noch erschwerend hinzu – selbst wenn der Parlamentarische Untersuchungsausschuss selten derart grobschlächtig und in Unkenntnis der verfassungsmäßigen Antragsvoraussetzungen in die Nähe eines "tribunal révolutionnaire" gerückt wird wie dieser Tage.
Untersuchungsgegenstand: "Neue Heimat"
Ein überschießendes inquisitorisches Interesse aus parteipolitischen Motiven wurde auch dem 3. Untersuchungsausschuss des 10. Deutschen Bundestages vorgeworfen, dessen Beweisbeschlüssen und Zwangsmitteln sich das Bundesverfassungsgericht mit zwei Entscheidungen vom 1. Oktober 1987 annahm.
Anlass dieses Untersuchungsausschusses gaben Unregelmäßigkeiten, schließlich die Insolvenz des gewerkschaftseigenen Immobilienkonzerns "Neue Heimat". Ausgelöst wurde der Skandal um die Neue Heimat durch einen Bericht im Magazin "Der Spiegel" vom 8. Februar 1982 ("Gut getarnt im Dickicht der Firmen").
Die Unternehmensgeschichte der Neuen Heimat war bereits vor ihrem Niedergang eine der spannendsten der deutschen Wirtschaft gewesen: Mit Anfängen im Kaiserreich unternahm es die Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik, die Versorgung ihrer Leute mit Wohnungen und im Lebensmitteleinzelhandel genossenschaftlich zu betreiben.
Einen Eindruck von der sozialen Potenz dieser Wirtschaftsweise geben heute, wenn auch mit Abstrichen, vielleicht noch das Wiener Wohnungswesen oder der Schweizer Lebensmittelhandel.
Nach 1933 wurden diese Vermögensbestände in das Eigentum der nationalsozialistischen Deutschen Arbeitsfront (DAF) überführt und in "Neue Heimat" umfirmiert. Die alliierten Besatzungsmächte gaben dieses Eigentum nach dem Krieg guten Teils in die Hände des Deutschen Gewerkschaftsbunds. In dieser von Kriegszerstörungen und dem Zuzug von Millionen Flüchtlingen geprägten Zeit der Wohnungsnot kam die Neue Heimat schon Ende der 1950er Jahre auf einen Bestand von mehr als 100.000 Wohnungen.
Ärger bahnt sich an
Den Skandal um diese lösten schließlich ein Mangel an kaufmännischer Klugheit und an genossenschaftlichem Ehrgefühl aus.
Wirtschaftlich nahm der gewerkschaftliche Immobilienkonzern Schaden unter anderem dadurch, dass er in der Erwartung künftiger Bauvorhaben umfangreich Bauerwartungsland erworben hatte. Als um 1970 die Wohnungsnachfrage abflachte, waren die Gemeinden oftmals nicht mehr interessiert, entsprechend wertsteigernde Bebauungspläne aufzustellen.
Zur Überschuldung des Unternehmens hinzu kam die Frage nach der persönlichen Integrität des in die Gewerkschafts-Hierarchie eingebundenen Neue-Heimat-Managements: Mal fanden sich nun Wohnungsbestände, die unter Wert an die gewerkschaftsnahen Funktionäre verkauft worden waren, mal hatten sie sich als Zwischenhändler an der Baulandbeschaffung bereichert.
Weniger gut aufgeklärt scheint, wer in den Genuss der geschätzt rund 5.000 unter Marktwert von Unternehmen der Neuen Heimat errichteten oder renovierten Immobilien kam, die dem Konzern dazu dienten, das parteipolitische Umfeld bei Laune zu halten.
Martin Rath, Wohnungsgesellschaft vor dem BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 01.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24789 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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