Bürgerwehren: "Bewaff­nete Haufen" gegen die "Furcht vor der Straße"

von Martin Rath

10.12.2017

2/2: Legitime Furcht vor "der Straße"

In seiner "Maunz-Dürig"-Kommentierung zu Artikel 8 Grundgesetz (GG) erklärt der Kölner Staatsrechtslehrer Otto Depenheuer (1953–), dass "die Furcht vor 'der Straße', vor dem Terror einer entfesselten Masse und das Bestreben gegen diese Gefahren weiträumig Vorkehrungen zu treffen, ein zu elementares Bedürfnis und zu evidentes Ordnungsproblem" sei, "als dass es sich nur als lächerliche Spießbürgerei abtun ließe".

Linksextreme "Putzgruppen", die den "Häuserkampf" trainieren, rechtsextreme "Nervendruck"-Seminare im NPD-Umfeld und noch dazu ein Münchener Arbeitsrechtsprofessor, der die Zombie-Apokalypse einer "politisch gewollten" Toleranz gegenüber Gewalt sowie die "Bandenherrschaft über innenstädtische Räume" beschwört - über all dem ist es bedauerlich, dass der § 127 StGB kaum dazu beiträgt, "die Furcht vor 'der Straße'" einzuhegen, aber auch kein Beinbruch.

Denn ausgerechnet "bewaffnete Haufen" beziehungsweise "Mannschaften", die aus Opportunitätsgründen nie als solche vor Gericht kamen, bieten ein Beispiel für die Disziplinierung gesellschaftlicher Gewalterwartungen.

Vorbild: Zähmung der Werkspolizei

Während heute – zwar unter Maßgabe einer selbst gestrickten polizeilichen Generalklausel – die "Security" auf durchaus zivile Art zuständig ist, in Betrieben für "Ordnung und Sicherheit" zu sorgen und "Gefahren und Schäden" abzuwenden, bewegte sich der "Werkschutz" in den 1950er bis 1970er Jahren jedenfalls konzeptionell nah an der Vorstellung einer paramilitärisch organisierten "Mannschaft".

1970 kam es beispielsweise bei der Felten & Guilleaume Carlswerk AG in Köln-Mülheim zu einem wilden Streik, als dem Betriebsratsvorsitzenden Benno Feckler zugetragen wurde, dass der Chef des Werksschutzes, ein ehemaliger Beamter der Politischen Polizei, eine Kartei über unerwünschtes Verhalten der Arbeiter führte und bei seinen Ermittlungen neben den Diensten mindestens eines Spitzels auch auf die Hilfe seiner ehemaligen Polizei-Kollegen zurückgriff, die im Gegenzug an der Firmentankstelle kostenlos tanken durften.

Das "Betriebsleiterhandbuch" von Ulrich Wiese empfahl 1963 dem deutschen Manager, den Werkschutz mit Waffen auszustatten, und erörterte die Vorteile von Revolvern gegenüber automatischen Waffen. Über Dienstanweisungen wurde einer selbstbewussten Wahrnehmung der Jedermanns-Rechte dahingehend Vorschub geleistet, dass dem betrieblichen "Kontrolldienst" ein Repertoire an Befugnissen zur Leibesvisitation, Festnahme und zum Waffengebrauch zustehe.

Natürlich wünscht sich auch heute kein Arbeitnehmer einen Kollegen, der abends eine Portion Plutonium für den heimischen Bastelkeller mitnimmt, doch adressiert war derlei damals nicht an Leiter besonders gefährdeter Betriebe, sondern an das gesamte deutsche Management.

Der im Idealfall bewaffnete Werkschutz sollte damit anschlussfähig sein an den allgemeinen Zivil- und Verfassungsschutz, dem nicht nur im Verteidigungsfall der Einsatz gegen kommunistische Wühlarbeit oblag  (Betriebsrat Feckler entzog sich solcher Verdächtigungen übrigens später, indem er – in für Köln typischer Weise – als SPD-Ratsherr in den Verdacht windiger Immobiliengeschäfte geriet).

Auch die Vorstellung, bei Streiks bewaffnet sein zu müssen, lag vielen Werkschutz-Mitarbeitern als ehemaligen Polizisten und Soldaten gleichsam im Blut. Vor allem in der Frontstadt Berlin (West), wo man die offen paramilitärischen Kräfte der DDR-"Betriebskampfzellen" vor Augen hatte, waren Bedrohungsgefühle auch keineswegs gegenstandsfrei.

Bermudadreieck aus Angst, Jedermanns-Recht und Gruppenverbot

Aus der Grauzone zwischen aktiv geübten Jedermanns-Rechten und dem Verbot, eine paramilitärisch organisierte Mannschaft (§ 127 StGB) zu bilden, befreiten die westdeutschen Gewerkschaften die zu 80 Prozent bei ihnen organisierten Genossen aus dem Werkschutz.

Gemeinsam mit den Arbeitgeberverbänden wurde seit 1975 ihre IHK-zertifizierte Ausbildung organisiert. Inhalt wurden u.a. Grundkenntnisse zu Betriebsgefahren, Gift und Feuer, Grundlagen der Kriminalistik und des Rechts, der Umgang mit Grenzsituationen – etwa die Unterscheidung zwischen Notstandsarbeiten und Streikbrecherei.

Wem wirklich schon vor dem inneren Auge deutsche Arbeitsrechtsprofessoren aufscheinen, die sich vor der Zombie-Apokalypse – sei es in Gestalt polizeifreier Zonen oder in Gestalt haberfeldtreibender Bürgerwehren – in ihren Reihenhäusern verstecken und das Parkett zum Heizen und Grillen verfeuern müssen, wird also Trost zuteil.  Ob nun aus Kommunisten- oder Kriminalitätsfurcht zu den Waffen gegriffen wurde: Die deutsche Gesellschaft ist sie doch erfreulich zivil stets auch wieder losgeworden.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Bürgerwehren: . In: Legal Tribune Online, 10.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25923 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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