Historische Strafurteile des BGH: Ein Rund­um­schlag für alle Ver­fas­sungs­feinde

von Martin Rath

24.04.2016

2/2: Controlling-Besuch der Stasi bei West-Mitarbeitern

Das Landgericht Frankfurt am Main hatte im Verfahren um den in Frankfurt ansässigen GALF-Verlag einen Angeklagten wegen Beleidigung der Bundesregierung nach § 185 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt, die übrigen Angeklagten in den hart zu sanktionierenden Tatbeständen des politischen Strafrechts - Verstöße gegen das KPD-Verbot konnten mit Mindestfreiheitsstrafen von drei oder sechs Monaten zu bestrafen sein - aber freigesprochen.

Der 3. Strafsenat des BGH kam darum zürnend über die Frankfurter Richter wie der Herrgott vom Berge Sinai über sein Volk: Jene Indizien, "die für das Wesen des GALF und des Verlags für Land- und Forstwirtschaft als einer Ersatzorganisation der KPD" sprächen, hätten die Strafkammer offenbar nicht recht interessiert. Dazu zählte etwa, dass ein Kassenprüfer aus Ost-Berlin die Bücher der westlichen GALF-Genossen darauf geprüft habe, ob die Wühlarbeitssubventionen aus der SBZ auch gut verwendet würden. GALF- und SED-Leute stimmten in ihren Forderungen "nach Inhalt, Sprachgebrauch und der Verwendung von Schlagworten" überein.

In der Bewertung des Vorsatzes warf der BGH dem Landgericht nachgerade unziemliche Milde vor. Der Korrespondent der Zeit machte für die lang andauernden Konflikte zwischen Frankfurt und Karlsruhe in Sachen Kommunisten-Verfolgung unter anderem die unterschiedliche Empfänglichkeit beider Gerichte und ihrer Staatsanwaltschaften für die "Erkenntnisse" des V-Manns Dicklhuber verantwortlich.

Anderer Fall, gleicher Tag: ein rechtsextremer Lehrer

Rüffel dieser Schärfe sind selten, vielleicht kam daher dem 3. Strafsenat jener Fall zupass, in dem er ebenfalls am 25. April 1966 zu seinem Urteil kam. Für Feststellungen zur Delinquenz dieses anderen politikkriminellen Subjekts benötigten die Richter des 3. Strafsenats auch keine trüben Quellen vom Format eines V-Manns.

Der Angeklagte, ein Lehrer aus Baden-Württemberg namens Dietrich Schuler (1927-2011), lieferte das Material zu seiner Verurteilung selbst, wenngleich unter größerer Vorsicht als es unter seinen online-affinen Gesinnungsgenossen heute üblich ist.

Unter dem Titel "Ketzeraphorismen" hatte Schuler ein maschinenschriftliches Papier zusammengetippt, in dem er seine Vorstellungen von "Revolution", "Bewegung der Massen" und vom "Angriff" auf die Ordnung der Bundesrepublik Deutschland entwickelte – in seinem Fall nicht in der links-, sondern in der rechtsextremistischen Variante historizistischer Verschwörungstheorien. In Schulers Werk sind brave Germanen von geschichtsmächtigen Ausrottungsfantasien jüdischer und christlicher Seite ausgeliefert. Neben antisemitischen finden sich auch Rassentheorien von vergleichbar übler Sorte.

Hartes Medienstrafrecht von 1966

Bereits durch das Zusammenschreiben seiner handschriftlichen Notizen zum maschinenschriftlichen Typoskript war auf der Schreibmaschine des Herrn Schuler nach Auffassung des Landgerichts, bestätigt durch den 3. Strafsenat, eine verfassungsfeindliche Schrift nach § 93 StGB entstanden.
In eine nennenswerte Öffentlichkeit war das Dokument nicht gelangt, seine Herstellung allein war aber bereits mit Gefängnisstrafe zu ahnden. Dass die Schrift der Staatsanwaltschaft und dem Gericht überhaupt zur Kenntnis gelangte, dürfte auf den Versuch Schulers zurückzuführen sein, einen Verlag zu finden.

Beim Unternehmen des völkischen Verlegers Herbert Grabert versuchte er sein Jungautorenglück, einige Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass es hier staatliche Aufmerksamkeit erregte – noch vor Drucklegung oder Verbreitung der verfassungsfeindlichen Schrift.

In der Frage, wie die Nichtverbreitung im Strafmaß einzupreisen sei, liegt eine Kritik des BGH: Dass die Schrift noch nicht an eine breite Öffentlichkeit gelangt sei, habe das Landgericht nicht richtig bewertet, auch in der Bewertung einer möglichen Geisteskrankheit des rechtsextremen Nachwuchsautors sei das Stuttgarter Urteil unklar geblieben.

Geisteskrankheit damals und heute

Diese Unklarheit monierte der BGH 1966 anhand folgender Aussage, die das Landgericht über den Publizisten getroffen hatte: "Auf der anderen Seite war ihm durchaus zuzurechnen, daß er sich nie um Selbstkritik und abwägendes Denken auch nur bemüht, sich ohne Widerstand immer mehr seinen radikalen, oft brutalen und bösartigen Ideen hingegeben und ohne Not und äußeren Anlaß, bewußt und eher voll Stolz zu einem fanatischen und – gerade wegen des stark zurücktretenden Hemmungsvermögens – gefährlichen Mann entwickelt hat."

Ob die Beschreibung dieser konkreten Person eine Strafverschärfung oder eine Milderung wegen Geisteskrankheit nach § 51 Abs. 2 StGB zu leisten hatte, ist aus dem BGH-Urteil vom 25. April 1966 nicht zu erkennen.

Aktuell erscheint die Persönlichkeitsbeschreibung heute, jenseits des diskutierten Falls, aber mehr denn je.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Historische Strafurteile des BGH: . In: Legal Tribune Online, 24.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19176 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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