Frühes Aus fürs Court-TV?: Dip­lo­matenint­rigen vor Gericht

von Martin Rath

13.04.2020

Ein deutscher Spitzendiplomat gibt den Verdacht weiter, ein Kollege sei korrupt. Heute vor 60 Jahren sprach der BGH den Adenauer-Intimus Herbert Blankenhorn mit einem recht ausführlichen Urteil vom Vorwurf der falschen Verdächtigung frei.

Vertreter der politischen Macht kommen mitunter in den Genuss detaillierter höchstrichterlicher Begründungen, selbst wenn das geistig-moralische Niveau ihrer Ränkespiele mehr nach provinziellem Schmierentheater als nach urbanem Shakespeare-Drama ausschaut. Dank einer lebendigen parlamentarischen Opposition galt das Prinzip dieser richterlichen Mühewaltung einst sogar im Fall des Freispruchs.

Geschädigter war in dieser Affäre der promovierte Wirtschaftswissenschaftler Hans Strack (1899–1987), der bereits zwischen 1929 und 1945 als Berufsdiplomat gearbeitet hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er 1949 zunächst im Bundesministerium für Wirtschaft untergekommen, wo er für die Handelsbeziehungen mit der Türkei zuständig war. Erst 1951 hatte die Bundesrepublik die Befugnis erhalten, wieder in den diplomatischen Verkehr einzutreten. Zum ersten Bundesminister des Äußeren machte sich Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876–1967) im zarten Alter von 75 Jahren höchstselbst.

Für die strafrechtlich zu würdigende Intrige zeichnet dies insoweit den Hintergrund, als der erst noch zu konsolidierende Personalbestand des Auswärtigen Amts ohnehin reichen Anlass zu Kontroversen gab – vom Ausschluss allzu belasteter Ex-NSDAP-Angehöriger bis zur Abgrenzung von den Dienststellen, die zwischen 1945 und 1951 die Kontakte zum Ausland gepflegt hatten.
Zudem bot das schon bei Dienstbeginn fortgeschrittene Alter Adenauers, kombiniert mit der Aufgabenfülle seiner Ämter, einigen vergleichsweise jungen Männern – Gruppenbilder mit Dame waren noch die Regel – gute Aussichten, entscheidenden Einfluss zu gewinnen, solange sie sich mit "dem Alten" verstanden.

Vorwurf der Bestechlichkeit macht seine Runde

Was war der Fall? – Am Rande eines Gesprächs zur Frage, wie die Feinde des Staates Israel auf das sogenannte Wiedergutmachungsabkommen mit der Bundesrepublik vom 10. September 1952 reagieren würden, hatte Kamal En-Din Galal – seines Zeichens Presseattaché des ägyptischen Generalkonsulats in Frankfurt am Main – seinen deutschen Kollegen gegenüber erklärt, dass Strack von ägyptischen Unternehmen Bestechungsgelder angenommen habe.

Einen Monat nach diesem Gespräch empfing Herbert Blankenhorn (1904–1991), Leiter der politischen Abteilung des Auswärtigen Amts (AA), den ägyptischen Attaché und fertigte zu dem Vorwurf einen Aktenvermerk an. Am 30. Oktober 1952 äußerte sich Galal zudem, wie erbeten, auch noch schriftlich und ausführlich zum Bestechungsvorwurf gegen Strack.

Dieses Schreiben gab Blankenhorn – sich selbst als dessen Adressat unkenntlich machend – auf Absprache mit Walter Hallstein (1901–1982), dem Staatssekretär des AA, an Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard (1897–1977) weiter, der daraufhin ein Disziplinarverfahren gegen Strack einleitete. Es erbrachte jedoch keinen Beweis für die Bestechlichkeit seines Mitarbeiters Strack.

Ein langwieriges Strafverfahren mit prominenten Angeklagten

Die strafrechtliche Bewertung des Vorgangs sollte acht Jahre in Anspruch nehmen und auf vergleichsweise starkes öffentliches Interesse treffen.

Denn wegen vorsätzlicher falscher Anschuldigung in Tateinheit mit übler Nachrede §§ 164 Abs. 1 und 5, 186 Strafgesetzbuch (StGB) angeklagt wurde neben Blankenhorn – der seit 1948 zunächst als CDU-Sekretär im britischen Zonenbeirat, dann in Schlüsselfunktionen des Außenamtes als treuer Adenauer-Günstling galt – auch Staatssekretär Hallstein, der 1958 – also in den konfliktreichen Anfangsjahren der europäischen Einigung – zum ersten Kommissionspräsidenten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft berufen wurde.

Während das Landgericht (LG) Bonn Hallstein 1959 mangels Beweises freisprach, hatte sich Blankenhorn vor dem BGH gegen eine zur Bewährung ausgesetzte Gefängnisstrafe von vier Monaten zu wehren.

Im Urteil vom 13. April 1960 (Az. 2 StR 593/59) setzte sich nun der BGH so gründlich mit den Voraussetzungen des § 164 StGB a.F. auseinander, dass es schwer fällt, die Nähe der Angeklagten zur Macht nicht als Motiv für besonderen Richterfleiß zu erwägen.

Um es hier aber kurz zu halten: Hatte das Landgericht seine Entscheidung auf eine jedenfalls moralische Pflicht Blankenhorns gestützt, die Denunziation gegen Strack durch den ägyptischen Attaché zumindest grob zu prüfen, betonte der BGH, dass die – seit der StGB-Novelle von 1933 erweiterte – Strafbarkeit der falschen Verdächtigung die Obliegenheiten des weiterleitenden Beamten nicht habe erhöhen sollen: "Es wäre nicht erträglich, ihn für die Weiterleitung auf dem Dienstwege mit dem Risiko einer strafbaren Handlung zu belasten."

Im Gegenteil, eigene Prüfungen in der Sache vorzunehmen, wäre für den die Denunziation entgegen nehmenden, nicht zur Ermittlung berufenen Beamten regelrecht pflichtwidrig.

Auch in der Scharade Blankenhorns, das Schriftstück des Ägypters an den für Strack disziplinarisch zuständigen Bundeswirtschaftsminister um die eigene Adressatenangabe gekürzt weiterzureichen, wollte der BGH – anders als das Bonner Landgericht – keinen eigenen Beitrag Blankenhorns erkennen, Strack in ein zusätzlich schlechtes Licht zu rücken bzw. sich die Bestechungsvorwürfe "zu eigen" zu machen. Mitunter deutet sich im BGH-Urteil offenes Unverständnis über die Arbeit der Bonner Richterkollegen an.

Am Ende stand für Blankenhorn der Freispruch durch den BGH.

Überschießende Bedeutung der diplomatischen Kabale?

In der 2010 vorgelegten Studie "Das Amt und die Vergangenheit: Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik", die zu einem breit und oft (z.B. in der "Wikipedia" völlig) unkritisch rezipierten Bestseller geriet, wird die Strafsache Blankenhorn/Hallstein in den Kontext der deutsch-israelischen bzw. deutsch-arabischen Konflikte um das sogenannte Wiedergutmachungsabkommen von 1952 gestellt. Den beiden Adenauer-Vertrauten Hallstein und Blankenhorn war am Erfolg des Abkommens gelegen, Strack galt hingegen – wie nicht unbedeutende Teile der deutschen Öffentlichkeit und des aus der NS-Zeit überkommenen diplomatischen Apparats – als Gegner des zumindest wirtschaftlichen Ausgleichs mit dem jüdischen Staat und der Jewish Claims Conference.

Welches Interesse freilich ein Diplomat Ägyptens – das seinerzeit Experten des NS-Staats für den Genozid an Juden als attraktive Gastarbeiter aufnahm – dann daran gehabt haben soll, seinem mutmaßlich gegen Israel antichambrierenden Bekannten Strack mit Korruptionsvorwürfen unmöglich zu machen, erschließt sich nicht. Womöglich ein Beleg dafür, dass die neueren Studien zur NS-Geschichte von Behörden und Gerichten weniger durch ihre Qualität der historischen Wissenschaft dienen, als – wider öffentliches Bekunden der jeweiligen Auftraggeber – einen Schlussstrich ziehen sollen.

Womöglich machte der Gerichtssprengel Bonn Court-TV unmöglich

Der langwierige Prozess um die Strafbarkeit der Herren Hallstein und Blankenhorn zog womöglich auch die bis in die Gegenwart nachwirkende Abneigung der Legislative gegen Audio- bzw. audiovisuelle Gerichtsberichterstattung nach sich.

Der wiederholt in Strafsachen gegen bekannte Gesichter der Bonner Republik zuständigen ersten Strafkammer des Landgerichts Bonn saß mit Helmut Quirini ein selbstbewusster Richter vor – dessen "Entmachtung" mittels Geschäftsverteilungsplan später zu einer prächtigen nordrhein-westfälischen Justizaffäre geriet.

Quirini hatte auch Filmkameras zugelassen, als es in der strafrechtlichen Nachbereitung des Ränkespiels um Hans Strack zum Spruch kam. Seine als "Büttenrede" angegriffene Verhandlungspraxis in der Herzkammer der Macht, also Bonn, soll zum 1965 geregelten Ausschluss von Filmaufnahmen durch § 169 S. 2 a.F. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) beigetragen haben – der "Spiegel" zieh den Richter gar eines "Tünnes und Schäl"-Dialekts und ließ auch sonst nichts aus, ihn als rheinländisches Kuriosum mit eigenartigen Manieren zu zeichnen.

Leider sind Prozesse wie in der Strafsache Hallstein/Blankenhorn heute bestenfalls Zeithistorikern geläufig. Zur Bestimmung einer politischen Identität der Bundesrepublik oder auch nur zu gelungenen Fernsehfilmen tragen sie nicht bei – obwohl allein Richter Quirini den Stoff zu einer wunderbaren TV-Groteske zwischen NS-Sondergericht und rheinischer Frohnatur böte, von den Ränkespielen der höheren Ränge der jungen Bundesrepublik ganz zu schweigen. Wer sich einmal angeschaut hat, was der grandiose David Simon (1960–) selbst aus kleinen kommunalpolitischen Geschichten der USA macht, muss sich regelrecht davon gequält fühlen, welcher Stoff hierzulande unbearbeitet bleibt.

Unabhängig davon also, welchen Beitrag die Strafsache Hallstein/Blankenhorn zum vorläufigen Ende des Gerichtsfernsehens in Deutschland leistete – dass von ihr und ihrer Epoche nicht wenigstens unterhaltsam und lehrreich in Kino, Fernsehen und Streamingdienst erzählt wird, belegt ein Defizit im Interesse an dieser Republik.

Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohlings.

Zitiervorschlag

Frühes Aus fürs Court-TV?: . In: Legal Tribune Online, 13.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41276 (abgerufen am: 25.11.2024 )

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