Der EuGH erlaubt sich ein versicherungsrechtliches Gedankenspiel zur Abwehr außerirdischer Invasoren. Die Bundesregierung zieht es vor, für den Fall der Fälle keinen Plan zu haben. Einige Fußnoten zur neueren Ufo-Konjunktur.
Konservativ und zugleich intellektuell offen zu sein, war für den Oberbürgermeister von Stuttgart im Jahr 1979 kein Widerspruch.
Im Rahmen einer Umfrage unter 150 bekannten Köpfen erklärte Manfred Rommel (1928–2013), er sei durch das "politische Geschäft" geistig derart beansprucht, dass er sich "beim besten Willen" nicht vorstellen könne, wie er sich "im Falle des Auftretens außerirdischer Wesen auf diesem Planeten verhalten würde". Ehrlich bekundete Rommel zudem: "Sehr wahrscheinlich wäre ich, wie alle anderen auch, recht verblüfft und würde hoffen, dass diese Wesen von einem friedlichen Geiste erfüllt sind."
In jüngerer Zeit genießt die Frage nach intelligentem Leben jenseits der Erde wieder eine gewisse Konjunktur. Nachdem im Jahr 2017 beispielsweise das interstellare Objekt 1I/'Oumuamua im Sonnensystem entdeckt worden war, regte der israelische Physiker Avi Loeb (1962–) an, einen künstlichen Ursprung zu erwägen – eine Idee, die zwar auf Ablehnung traf, aber nicht als vollständig absurd verworfen wurde.
USA: Ufo-Forschungsprogramm
Seitdem die US-Geheimdienste im Jahr 2020 Berichte zu unbekannten Himmelsobjekten freigaben, treibt sich insbesondere der US-Kongress mit der sicherheitspolitischen Einordnung um. Der frühere Präsident Barack H. Obama (1961–) macht derweil mit launigen Anmerkungen zum Ufo-Problem von sich reden.
Auch der seinerzeit politisch schwergewichtige US-Senator Harry Reid (1939–) wird ins Feld geführt – er hatte im Jahr 2007 mit dem auf fünf Jahre angelegten "Advanced Aerospace Threat Identification Program" ein Forschungsprogramm initiiert, das Sicherheit vermitteln sollte, welchen Ursprung die rätselhaften Phänomene haben.
Im Vergleich zur erkenntnistheoretischen Unbefangenheit, mit der der US-Kongress vorgeht – für das von Reid durchgesetzte Programm wurden beachtliche 22 Millionen Dollar Haushaltsmittel bereitgestellt – wirken die deutschen Staatsorgane müde und gelangweilt.
Deutschland: Geheimniskrämerei und abgestumpftes Interesse
Zur Freigabe eines Dossiers seines Wissenschaftlichen Dienstes zur Suche nach außerirdischen Lebensformen aus dem Jahr 2009 musste der Bundestag beispielsweise durch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juni 2015 (Az. 7 C 2.14) gezwungen werden, wobei die Drucksache unter dem etwas ungelenken Titel "Die Suche nach außerirdischem Leben und die Umsetzung der VN-Resolution A/33/426 zur Beobachtung unidentifizierter Flugobjekte und extraterrestrischen Lebensformen" nur in einem spektakulär war: Die Schwärzungen im veröffentlichten Dokument wirken reichlich albern.
Die Frage danach, wie es der deutsche Staat mit den Außerirdischen hält, mag auf den ersten Blick vielleicht abwegig erscheinen. Will man jedoch den Freiburger Soziologen Andreas Anton (1983–) und Michael Schetsche (1956–) folgen, die bereits die Suche nach außerirdischen Intelligenzen als kulturelle "High-risk-Forschung" betrachten, über "deren Nutzen und Risiken offen diskutiert werden" müsse – ähnlich wie über seltene Naturkatastrophen – verschiebt sich das Erkenntnisinteresse fort von der parawissenschaftlichen Spinnerei hin zu der Frage, wie es der deutsche Staat allgemein mit Risikobewertungen hält.
Auf schriftliche Anfrage erklärte die Bundesregierung im Jahr 2018 offen, dass sie für den Fall einer E.T.-Entdeckung über keinerlei Pläne oder Protokolle verfüge, weil sie "einen Erstkontakt auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland nach heutigem wissenschaftlichen Kenntnisstand für äußerst unwahrscheinlich hält".
Sollten sie es für wünschenswert halten, die Aufmerksamkeit der Bundesregierung zu genießen, ist Außerirdischen – nach Lichtjahren der Anreise – also zu empfehlen, auf dem Potsdamer Platz zu landen, weil anderenfalls die Nachricht vom Erstkontakt fernab des deutschen Staatsgebiets womöglich im gleichen Email-Postfach eingeht wie jene von neuartigen Viren irgendwo in Asien. Was immer man von irgendwelchen dahergeflogenen Außerirdischen halten mag: Als beachtliche Auskunft zum geografischen Tellerrand taugte die Stellungnahme der Bundesregierung alle Male.
Siriusfall: "Verrückte" als Anlass über Gewissheiten zu reden
Die Frage nach der Ausbildung von Möglichkeitssinn, skeptischem Rückgrat und der Bereitschaft, Perspektiven durchzuspielen, lässt sich auch zum Studium der Rechtswissenschaften stellen.
Kaum zu vermeiden ist hier bekanntlich die Auseinandersetzung mit dem "Sirius-Fall", über den der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 5. Juli 1983 (Az. 1 StR 168/83) befand. Ein Mann hatte eine junge Frau mit der Behauptung in seinen Bann geschlagen, er sei "ein Bewohner des Sterns Sirius" und könne dafür sorgen, dass ihre Seele in einen neuen Körper wandere.
Der Fall dient im Studium regelmäßig nur dazu, die Abgrenzung von strafbarer Tötung in mittelbarer Täterschaft und straffreier Suizidteilnahme zu erörtern. Für die psychologisch, soziologisch und erkenntnistheoretisch interessante Frage, woher die Richter seinerzeit die Gewissheit nahmen, dass kein leibhaftiger "Sirius-Bewohner" vor ihnen stand, finden Studenten der Rechtswissenschaft hingegen keine Zeit.
Bemerkenswert wäre diese Frage, wohlgemerkt, als Anlass, die Gründe für die je eigene Gewissheit über Tatsachen zu prüfen – also als Neugier darauf, an welchem Punkt vermeintlicher Absurdität der Behauptung eines Prozessbeteiligten die nähere Nachforschung geboten erscheint.
Wie eine solche Ausweitung des Möglichkeitssinns aussehen kann, lässt sich in der Dokumentation einer Tagung nachlesen, die der Physik-Nobelpreisträger David E. Pritchard (1941–) und der in Harvard lehrende Psychologe John E. Mack (1929–2004) im Jahr 1992 am Massachusetts Institute of Technology (MIT) zu dem in den USA recht virulenten Thema einer "Entführung durch Außerirdische" veranstalteten.
Das Spektrum der Teilnehmer reichte von Menschen, die sich selbst als Opfer einer Entführung durch Außerirdische sahen – erste Nachrichten zu Entführungen durch Ufos fanden sich in den USA bereits im Jahr 1896 – bis hin zu kulturwissenschaftlich gebildeten Skeptikern, die der Frage nachgingen, warum sich die Entführungsberichte derart stark ausgerechnet auf die USA konzentrierten.
Ein gemeinsames Anliegen von einschlägig interessierten Sozialwissenschaftlern und Psychiatern zwischen Betroffenen- und Skeptikerperspektive betraf die Frage, wie forschungsethisch mit den Menschen umzugehen sei, die glaubten, im Lauf ihres Lebens einem Wesen vom fremden Stern zum Opfer gefallen zu sein – in der Summe eine Zusammenkunft, die nüchterne und sachliche Einsichten bot.
"Überirdisches" vor deutschen Gerichten
Mit erklärten E.T.-Entführungsopfern haben Gerichte hierzulande glücklicherweise wohl selten zu tun. Ganz fremd ist die Behauptung, es hätten außerirdische Kräfte Einfluss auf einen rechtlich relevanten Sachverhalt genommen, der deutschen Justiz jedoch nicht: So entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Urteil vom 13. Mai 2014 (Az. 11 U 62/13) zu der Frage, wie urheberrechtlich mit einem Werk umzugehen sei, das die amerikanische Psychiaterin Helen Cohn Schucman (1909–1981) im Jahr 1965 mit der Behauptung publiziert hatte, es sei ihr in Wachträumen von einer außerirdischen Macht eingeflüstert worden.
Das Gericht befand, dass die von Schucman verbreitete Idee, das Werk – "A Course in Miracles" – verdanke sich ausschließlich "metaphysischen Einflüssen" der rechtlichen Zuordnung als menschliche Schöpfung nicht entgegenstehe.
Es muss sich über dem Frankfurter Gerichtsgebäude keine "Fliegende Untertasse" einfinden, deren kunstbeflissene Besatzung sich zu dieser Rechtsfrage einlässt – schon menschliche Künstler sind bekanntlich oft etwas schwierige Leute. Anlass zu einer Auseinandersetzung mit der Frage, welche nicht nur rechtlichen Konsequenzen es haben mag, wenn für ein Werk beansprucht wird, es habe keinen – individualisierbaren – menschlichen Schöpfer, könnte ein solcher Fall aber bieten.
Vom Hulk zum Tee beim Bielefelder Soziologen
Zur Illustration von Rechtsproblemen haben Außerirdische inzwischen immerhin Aufnahme in den Betrieb des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gefunden.
Auf der Suche nach einem Beispiel für die Nutzung eines Kraftfahrzeugs, die nicht mehr dem versicherungsrechtlichen Regelfall entspricht, führte Generalanwalt Michal Bobek (1977–) die Comic-Figur des "Hulk" an: Wenn der "Hulk ein auf einer (europäischen) Straße geparktes Auto ergreift, um eine Invasion von Außerirdischen abzuwehren, und dabei seinem Wesen entsprechend nicht nur den Außerirdischen Schaden zufügt, sondern auch an anderem Eigentum, das sich auf dieser Straße befindet, Schäden verursacht, indem er das Auto als Waffe benutzt, kann man davon ausgehen, dass für dieses Fahrzeug, das nur für ein paar Stunden von seinem Eigentümer dort abgestellt war, während er in dem nahegelegenen Gebäude arbeitete, eine (fortdauernde) Versicherungspflicht bestand" (EuGH, Gutachten v. 08.12.2020, Az. C-383/19).
Ein Bekenntnis dazu, sich wesentlich dezenter gegenüber Außerirdischen verhalten zu wollen als es beim EuGH vom grünen Monster "Hulk" erwartet wird, ist vom Soziologen und Juristen Niklas Luhmann (1927–1998) überliefert:
"Wenn mir ein außerirdisches Wesen begegnen würde, würde ich es wahrscheinlich erst einmal zum Tee einladen, um zu sehen, ob es sich vernünftig benehmen kann. Das Weitere hängt dann davon ab. Sonst kann ich kaum etwas zu Ihrem Thema sagen."
Literatur: "Die Außerirdischen sind da. Umfrage durch Matthes & Seitz anläßlich einer Landung aus dem All", München 1979. Andrea Pritchard et al. (Hg.): "Alien Discussions. Von Außerirdischen entführt. Forschungsberichte und Diskussionsbeitrage zur Konferenz am Massachusetts Institute of Technology (MIT) über das Abduktionsphänomen", Frankfurt am Main 1996.
Außerirdische in der Justiz: . In: Legal Tribune Online, 06.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45124 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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