Aller Anfang ist schwer, besonders bei Twitter. Wer dennoch einsteigen und lieber Rechtliches als die Tiraden des US-Präsidenten lesen möchte, findet hier zehn Accounts für den gut informierten Anfang.
Über zehn Jahre ist Twitter inzwischen alt, und dennoch haben viele Menschen bis heute ein eigentümliches Verhältnis zu dem Kurznachrichtendienst. Sie lesen und hören zwar regelmäßig (und seit der Präsidentschaft Donald Trumps: ständig) in Zeitung, TV und Radio, wer wann was auf Twitter gesagt hat, haben selbst aber noch nie einen Blick in das "neue" Medium riskiert.
Damit verpassen sie etwas. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase bildet Twitter die potentiell vielseitigste und definitiv schnellste Plattform für Nachrichtenkonsum und Meinungsaustausch zu praktisch jedem Thema, auch zu Justiz und Recht.
Vorausgesetzt natürlich, man folgt den richtigen Leuten. Wer die sind, ist zwar Geschmackssache, aber mit ein paar Accounts kann man ganz gewiss nichts falsch machen. In diesem Sinn ist auch unsere Aufstellung gemeint: Nicht als "Top 10" oder "Best Of", und schon gar nicht als vollständig oder abschließend – aber als guter Ausgangspunkt für jeden Juristen, der den Einstieg bei Twitter wagen oder ein paar neue Stimmen in seine Timeline aufnehmen will.
In diesem Sinne: Hier sind unsere 10 Follow-Empfehlungen.
2/11: Urgestein mit Grimme Online Award: @udovetter
Wozu will die Bahn Gesichter im Bahnhof erkennen? Verwechselt sich da jemand mit der Polizei? t.co/vpl3GwlZSH
— Udo Vetter (@udovetter) 20. Februar 2017
Udo Vetter ist ein echter Early Adopter. Twitter beigetreten im August 2008, kann der Macher des Law Blog Anfang 2017 auf fast 47.000 Follower verweisen. Im professionell aufgezogenen Law Blog, der schon seit Jahren mit der ARAG Versicherung kooperiert und am Partnerprogramm von Amazon EU teilnimmt, schreiben der Düsseldorfer Strafverteidiger und sein Social-Media-Team meist, aber nicht nur über Kurioses aus dem Strafrecht. Auch zivilrechtliche Themen mit Verbraucherbezug finden ihren Weg in das erfolgreiche Blog, das im Jahr 2011 mit dem Grimme Online Award in der Kategorie "Information" ausgezeichnet wurde. Bei Twitter zwitschert Vetter in bester Verteidigermanier, stets auf der Seite des Angeklagten / Volkes, außerdem über Politik, Gesellschaft und Zeitgeschehen.
3/11: Was reimt sich auf Bahn: @JoachimJahn
Wieder Änderungen am #TMG geplant! https://t.co/Uy7Jt5FUFz
— Joachim Jahn (@JoachimJahn) 21. Februar 2017
… ist im richtigen Leben Prof. Dr. Joachim Jahn, lange Jahre verantwortlicher Redakteur für die Seite "Recht & Steuern" der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Im Mai 2016 wechselte der Honorarprofessor der Universität Mannheim in die Schriftleitung der Neuen Juristischen Wochenschrift und damit auch von Berlin nach Frankfurt.
Seitdem liefert er fast im Wochentakt Exklusiv-Meldungen für die Fachzeitschrift, die sich von ihm mehr journalistische Ansprache und Aktualität erhofft. Jahn ist, wo das Rechtsherz der Republik schlägt. Und er seine Follower bei Twitter gern teilhaben an dem, was er tut. Das gilt nicht nur für eines seiner Lieblingsthemen, nämlich seine Reisen mit der Deutschen Bahn, zu der Jahn eine undefinierbare Hassliebe pflegt. Mit klar konservativem Profil, aber ausgeprägter Bereitschaft zum Diskurs twittert der Jurist aus Überzeugung mitnichten nur die hard facts: Sein Repertoire reicht von (Rechts-) Politik bis zu Kanzlei-Neuigkeiten. Auch Live-Garstigkeiten von der Richterbank und Juristensprech, den die Welt nicht braucht, gibt es zu lesen.
4/11: Weniger ist mehr: @Chr_Rath
Handy-Prüfung von Flüchtlingen: BMI: "nur im Einzelfall", BMI-Gesetzentwurf: 2400 mal pro Tag. https://t.co/lAypqJY42H
— Christian Rath (@Chr_Rath) 20. Februar 2017
Eher am anderen Ende des politischen Spektrums findet sich Dr. Christian Rath. Der selbständige Journalist schreibt zwar auch für viele andere (Online-)Zeitungen und verantwortet u.a. die Presseschau der LTO. In der Hauptsache und aus tiefstem Herzen ist er aber für die taz tätig. Den Workaholic, der immer auf dem Laufenden ist und keiner Diskussion aus dem Weg geht, sieht man fast nie ohne Laptop.
Bei Twitter macht der Vollblut-Journalist quantitativ weniger als so mancher Kollege mit Anwaltszulassung, bei denen man sich häufiger fragt, ob sie auch arbeiten oder vielleicht fürs Twittern bezahlt werden. Damit korrespondiert eine erfrischend sachliche Beschränkung aufs Wesentliche: Das Vorstandsmitglied der Justizpressekonferenz konzentriert sich bei Twitter auf (rechts-)politische Themen mit Fokus auf das Verfassungsrecht sowie die Entscheidungen der Bundes- und Europa-Gerichte. Auch seine politisch eher linke Positionierung kommt beim Kurznachrichtendienst weniger zum Tragen. Dieses Prinzip 'Weniger ist mehr' schätzen immer mehr Follower – nicht schlecht, dafür dass Rath erst seit August 2015 zwitschert.
5/11: Eher kein Fan der Digitalcharta: @hwieduwilt
Hat mal kürzlich jemand wissen wollen, ob Journalisten aktiv ihre Filterblase durchbrechen. Ja, aber es ist anstrengend. https://t.co/YFAly4G6AX
— Hendrik Wieduwilt (@hwieduwilt) 20. Februar 2017
Dr. Hendrik Wieduwilt hat im März 2016 bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Nachfolge von Joachim Jahn angetreten, nachdem jener zur Neuen Juristischen Wochenschrift gewechselt ist. Zuvor hatte Wieduwilt u.a. als Anwalt sowie zwei Jahre lang als Pressesprecher im Ministerium der früheren Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gearbeitet. Die Erfahrungen jener Tage haben ihm offenbar genützt, denn seit seinem Start bei der FAZ ist Wieduwilt in wenigen Monaten zu einem der produktivsten Rechtsjournalisten des Landes und zum Stammgast in der LTO-Presseschau avanciert.
Eines seiner Paradethemen auf Twitter war im vergangenen Jahr die als Blaupause einer europäischen Internetverfassung prominent lancierte Digitalcharta. Wieduwilt zählte unter deren zahlreichen juristischen Kritikern zu den lautstärksten. Auch darüber hinaus befasst er sich schwerpunktmäßig mit Fragestellungen aus dem Bereich des Medien-, Datenschutz- und Internetrechts, zu denen er dezidiert freiheitliche Positionen vertritt.
6/11: In der Ruhe liegt die Kraft: @W_Janisch
Die Schulbehörde hatte der Lehrerin als Alternative zum Kopftuch eine Perücke vorgeschlagen ... https://t.co/WInw0mpmEc via @SZ
— Wolfgang Janisch (@W_Janisch) 9. Februar 2017
Wolfgang Janisch bewältigt gemeinsam mit Heribert Prantl den Großteil der rechtspolitischen Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung – anders als jener verfügt er außerdem über einen Twitter-Account. Dort zeichnet Janisch aus, was man auch aus dem Blatt von ihm gewohnt ist: Eine kultivierte Unaufgeregtheit, die auf jahrzehntelanger Sachkenntnis und Erfahrung beruht. Sein Stil ist eher augenzwinkernd als aufbrausend; bei den hitzigen Debatten, die den Nachrichtendienst bisweilen beherrschen, glänzt Janisch durch Zurückhaltung. Die vergleichsweise wenigen Tweets, die er absetzt, machen aus der liberalen Weltsicht ihres Verfassers zwar keinen Hehl, drängen sie dem Leser aber auch nicht auf.
7/11: Tausendsassa: @vieuxrenard
Zum Gruseln: Welche Blüten die Paranoia beim bayerischen “Verfassungsschutz” so treibt https://t.co/QlDHAf2a6B
— Ulf Buermeyer (@vieuxrenard) 19. Februar 2017
Nennen Sie einen deutschen Strafrichter, der wissenschaftliche Fachliteratur herausgibt, sich Woche für Woche zu politischen Themen öffentlich äußert, augenscheinlich 25 Arbeitsstunden in einem Tag unterbringen kann, und nicht Thomas Fischer heißt. Wenn Sie bei dieser Beschreibung nicht an Dr. Ulf Buermeyer gedacht haben, wird es Zeit, das zu ändern.
Buermeyer – bester unter 550 Examenskandidaten seines Durchgangs, Dr. mit Summa cum laude, LL.M. mit Auszeichnung, ehemaliger Wiss. Mit. am BVerfG, Hobby-Programmierer und allgemein Wunderkind – ist eigentlich Richter am am Berliner Landgericht. Zusammen mit dem Journalisten Philipp Banse produziert er zudem den im Wochentakt erscheinenden Podcast "Lage der Nation", der aktuelle politische Entwicklungen darstellt, einordnet und kommentiert. Dort steuert Buermeyer oft meinungsstark und stets sachkundig die rechtliche Expertise bei. Das umschreibt auch sein Wirken auf Twitter.
Zu den weiteren Projekten des ambitionierten Richters zählt die Gesellschaft für Freiheitsrechte – eine 2016 von ihm ins Leben gerufene NGO zur Unterstützung von Verfassungsklagen gegen grundrechtlich fragwürdige Gesetze.
8/11: Der Herr des Verfahrens: @zpoblog / @benedikt_windau
Noch einmal für die Arbeitsleser:
Wie hoch darf/sollte ein Ordnungsgeld sein und wie berechnet man das? https://t.co/wFFeacTEMQ— zpoblog (@zpoblog) 20. Februar 2017
Bei der Geburt getrennt: Dave Grohl und Justin Trudeau. https://t.co/m56PREsvY7
— Benedikt Windau (@benedikt_windau) 20. Februar 2017
Und gleich noch ein Richter, diesmal aus dem Zivilrecht: Benedikt Windau arbeitet am Amtsgericht Cloppenburg und betreibt nebenher den 2014 ins Leben gerufenen ZPO Blog. Die Idee zu dessen Gründung fasst er selbst wie folgt zusammen: "Im Studium spielt die ZPO kaum eine Rolle, im Referendariat wird sie dann schon weitgehend als bekannt vorausgesetzt, im Berufsleben sowieso. Auch nach dem Ende der Ausbildung dürfte daher nicht nur bei mir eine gewisse Unsicherheit in diesem Bereich verblieben sein. Und es gibt – soweit ich erkennen kann – außerhalb 'klassischer' Fachzeitschriften keine Möglichkeit, sich (kostenlos und ohne größere Mühe) über Entwicklungen im Zivilprozessrecht auf dem Laufenden zu halten."
Wer das tun will, der kann dem Account @zpoblog folgen, der regelmäßig Neuigkeiten aus der Welt des (nicht nur Zivilprozess-)Rechts verbreitet. Auf seinem zweiten Account, @benedikt_windau, äußert sich der 1983 geborene Richter zu vermischten und politischen Themen – auch dies oft mit juristischem Zungenschlag.
9/11: Ein Prof auf Twitter: @HenningEMueller
#VW #Abgasskandal Bayerischer Innenminister #Herrmann sagt wie es ist:https://t.co/XKmv1sMGiU
— Henning Ernst Müller (@HenningEMueller) 21. Februar 2017
Von wegen, Wissenschaftler könnten sich nicht kurz fassen: Henning Ernst Müller beweist auf Twitter beinahe täglich das Gegenteil. Dort bringt der Professor für Strafrecht, Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzugsrecht an der Universität Regensburg, sich vorwiegend zu aktuellen Fragestellungen aus seinem Fachbereich ein, zuletzt etwa zur elektronischen Fußfessel und der Reform des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Bei seinem Appell für Empirie und Sachlichkeit ist Müller, der auch als Experte in der beck-community schreibt, um klare Worte nie verlegen, ohne dabei selbst ins Unsachliche abzugleiten.
10/11: Die Tweet-Maschine: @RAStadler
Neu bei internet-law: Wann haben Blogs Informationsrechte gegenüber Behörden? https://t.co/PEhNeuL3uW
— Thomas Stadler (@RAStadler) 21. Februar 2017
Thomas Stadler ist für das IT-Recht, was Udo Vetter für das Strafrecht ist: Blogger und Twitterer der ersten Stunde. Stadler schreibt in seinem bekannten Blog Internet-Law vorwiegend zu Themen aus dem Nexus von IT-, Datenschutz-, und Medienrecht, bezieht auf Twitter aber auch zu allgemeinpolitischen Fragen recht unmissverständlich Stellung.
Mit sage und schreibe 44.000 Tweets hat er den mit Abstand größten Output unter allen hier Genannten, und ist auf der Nachrichtenplattform weit über die Grenzen der juristischen Leserschaft hinaus bekannt. Seine durchweg liberalen bis linken Positionen vertritt Stadler mit großer Verve, und auch vor Diskussionen der etwas härteren Gangart schreckt der konflikterprobte Anwalt nicht zurück – zuletzt etwa mit dem SPIEGEL-Redakteur Nils Minkmar, der Anstoß daran genommen hatte, dass Stadler den neuen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier als "Polit-Apparatschik" bezeichnet hatte.
11/11: Moment, das ist doch…: @ARD_Recht
BGH-Urteil zu Bausparverträgen voraussichtlich gegen 15 Uhr. Tendenz d. Gerichts in der Verhandlung nicht klar erkennbar.
— Frank Bräutigam (@ARD_Recht) 21. Februar 2017
Ihn kennen viele vielleicht eher aus dem Fernsehen als von Twitter: Dr. Frank Bräutigam arbeitet seit 2006 in der Rechtsredaktion der ARD, seit 2009 hat er ihre Leitung inne. Wenn Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht verhandeln, berichtet er live vor Ort – und teilt seine Eindrücke auch auf Twitter mit.
Bräutigam schreibt hauptsächlich zu Justizthemen von großem öffentlichem Interesse und bleibt auf Twitter streng nachrichtlich – in Diskussionen oder Schlammschlachten lässt er sich nie verwickeln. Seine eher wenig interaktive Form der Nutzung schöpft die Möglichkeiten des Mediums zwar nicht aus, bildet aber einen angenehmen Kontrast zu den sonst bisweilen anzutreffenden Sticheleien und Rechthabereien.
Constantin Baron van Lijnden und Pia Lorenz, Recht & Justiz auf Twitter: 10 Juristen, denen man folgen sollte . In: Legal Tribune Online, 21.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22163/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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