Ob es um Umweltschutz, Frauen- oder Minderheitenrechte geht: In den Medien werden engagierte Menschen oft als "Aktivisten" bezeichnet. Wer Rechtsgeschichte kennt, fragt sich, ob man ihnen mit dieser Wortwahl einen Gefallen tut.
Einen Typus nobler Seelen, die erkannt hatten, dass "alle politischen Schlagwörter Klischees, alle Ideologien brüchig" sind, wollte der Lyriker und Essayist Hans Egon Holthusen (1913–1997) im Jahr 1949 entdeckt haben. Holthusen beschrieb sie als Menschen, die sich trotz ihrer grundsätzlich skeptischen Gesinnung als "Kämpfer für eine fremde Sache" verpflichteten, selbst dann, wenn "deren sittlicher und politischer Wert auf sich beruhen" mochte.
Als Beispiele nannte Holthusen neben dem amerikanischen Schriftsteller Ernest Hemingway (1899–1961), mit dem das deutsche Publikum damals nach dem Zweiten Weltkrieg noch ganz junge Bekanntschaft machte, den Dichter und Piloten Antoine de Saint-Exupéry (1900–1944), seinen französischen Landsmann André Malraux (1901–1976) oder auch ihren deutschen Altersgenossen Ernst Jünger (1895–1998) – allesamt Köpfe, die sich einreihten in eine internationale "Ritterschaft intellektueller Aktivisten und handelnder Skeptiker", die "als Flieger, Revolutionäre, militärische Führer und gleichzeitig als große Schriftsteller … im Experiment mit Waffen und Maschinen die geistige Situation der Zeit erkundet" hätten.
"Aktivisten" sind nicht unbedingt Sympathieträger
Ein Blick ins Gesetzblatt und in die Rechtsprechung jener Jahre verleiht diesem edlen Kitsch, mit dem Holthusen von einer "internationalen Ritterschaft intellektueller Aktivisten" sprach, indes eine gleich mehrfach pikante Note.
Erstmals erwähnt der Bundesgerichtshof (BGH) – bei allen Vorbehalten, die hier zur Priorität der Wortwahl zu machen sind – einen "Aktivisten" in seinem Urteil vom 15. Dezember 1951. In dem Rechtsstreit, in dem es am Ende im Wesentlichen nur noch um Fragen der Umstellung von Reichsmark (RM) auf Deutsche Mark (DM) ging, hatte ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit dem Kläger die Auszahlung einer Invaliditätsrente verweigert, weil er auf Weisung der britischen Militärregierung im März 1946 fristlos aus seinem Beschäftigungsverhältnis als kaufmännischer Angestellter entlassen worden war. Worauf es zwischendurch ankam: Die Kündigung erfolgte mit der Begründung, der Mann sei "nationalsozialistischer Aktivist" gewesen (BGH, Urt. v. 15.12.1951, Az. II ZR 158/51).
Ein Urteil des BGH vom 2. November 1953 (Az. III ZR 166/52) vermittelt den Einblick in ähnliche Umstände: Hier ging es um die Ansprüche einer Frau, die vom Wohnungsamt der Stadt Frankfurt am Main samt ihrem Schwager aus dessen Wohnung entfernt worden war – auf der Grundlage von "Anordnungen gegen Aktivisten der NSDAP" hatte das Amt im Jahr 1946 Wohnung und Möbel einem Mann aus dem "Kreis der politisch Verfolgten" überlassen.
In der Sache der erst nach 1945 angestrengten Strafverfolgung wegen schweren Landfriedensbruchs, § 125 Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB), begangen in den Jahren 1933 und 1935 zum Schaden der jüdischen Familien Adler und Grünstein und eines Dentisten namens Hupfeld, war der Rädelsführer nach Erkenntnis des Landgerichts Marburg an der Lahn als "bekannter Aktivist" des Nationalsozialismus tätig gewesen (BGH, Urt. v. 28.10.1954, Az. 3 StR 326/54).
"Aktivist" – ein Rechtsbegriff der alliierten Gesetzgeber
Dass deutsche Gerichte in den 1950er Jahren die Anhängerinnen und Anhänger des nationalsozialistischen Regimes sehr oft als "Aktivisten" bezeichneten, kam nicht von ungefähr.
Denn die alliierten Gesetzgeber hatten – wie die Beispiele aus der britischen und amerikanischen Besatzungszone zeigten – vielfach Maßregeln gegen Arbeitnehmer, Mieter oder Geschäftsleute mit dem Vorwurf verhängt, es handle sich bei ihnen um "nationalsozialistische Aktivisten".
Für ganz Deutschland benannte schließlich die Kontrollratsdirektive Nr. 38 vom 12. Oktober 1946 zur "Verhaftung und Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen und Internierung, Kontrolle und Überwachung von möglicherweise gefährlichen Deutschen" allgemein als zweite Gruppe der für den NS-Staat verantwortlichen Personen gleich nach den Haupttätern die "Belasteten" – mit einer ausführlichen Beschreibung des synonymen "Aktivisten". Art. 3 Abs. 1 der Kontrollratsdirektive definierte als "Aktivist":
"1. Wer durch seine Stellung oder Tätigkeit die nationalsozialistische Gewaltherrschaft wesentlich gefördert hat;
2. Wer seine Stellung, seinen Einfluß und seine Beziehungen zur Ausübung von Zwang, Drohung, Gewalttätigkeiten, Unterdrückung oder sonst ungerechten Maßnahmen ausgenutzt hat;
3. Wer sich als überzeugter Anhänger der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, insbesondere ihrer Rassenlehre, offen bekannt hat."
Konkreter wurde Art. 3 Abs. 2, der im Detail die Förderung der NS-Gewaltherrschaft durch Wort und Tat, "insbesondere öffentlich durch Reden und Schriften" nannte, unter anderem den Eingriff in die Rechtspflege, die Tätigkeit als Spitzel und Denunziant oder auch publizistische Akte der Verhöhnung sittlicher Grundsätze einer rechtsstaatlich organisierten Gesellschaft.
Dass nun der zwischen den 1950er und 1970er Jahren als Mitglied mehrerer Akademien einflussreiche Hans Egon Holthusen 1949 das Wort von einer "Ritterschaft intellektueller Aktivisten" verwendete, war zusätzlich pikant – denn vor 1945 hatte er sich als intellektuelle Feder der nationalsozialistischen Publizistik betätigt und war im Rang eines SS-Obersturmführers im Reichssicherheitshauptamt für den Kampf gegen weltanschauliche Feinde zuständig gewesen. Hier wollte sich womöglich jemand selbst adeln.
Trotzdem taugte Holthusens Beschreibung des "Aktivisten" durchaus etwas, sieht man vielleicht von der oft wohl bloß behaupteten Skepsis unter den Angehörigen dieses sozialen Typus ab.
"Aktivist" – sprachliche Schlamperei und soziologische Treffsicherheit
Von den historischen Untiefen des Begriffs "Aktivist" will der gegenwärtige Sprachgebrauch nichts mehr wissen. Wer über einen Twitter-Account, ein loses Mundwerk und die richtige Gesinnung verfügt, läuft Gefahr, in Nachrichten- oder biografischen Texten rasch zum "Aktivisten" veredelt zu werden.
Ähnlich wie im Fall der fortgesetzten redaktionellen Wurstigkeit, die bei der NS- und SED-Staatsvokabel "Kulturschaffende" zu beobachten ist, scheint hier die zum repräsentativen Beispiel taugliche, in den genannten Motiven allzu festgelegte Definition des in der Schweiz lehrenden Wirtschaftsinformatikers Oliver Bendel (1968–) auf etymologische Naivität zu bauen:
"Ein Aktivist oder eine Aktivistin (engl. 'activist') setzt sich für ein soziales, ökologisches oder politisches Ziel wie Beendigung von Kriegshandlungen, Eindämmung des Klimawandels und Abschaffung der Massentierhaltung oder der Überwachung ein, etwa mit Hilfe von Informationsbroschüren, Manifesten, Petitionen und Demonstrationen sowie des Engagements in den sozialen Medien."
Im Vergleich damit bediente sich die Rechtsprechung seit den 1950er Jahren – durchaus bis in die Gegenwart – in einer soziologisch aufgeklärteren Form des Begriffs "Aktivist", indem sie auf die Festlegung verzichtete, es nur mit Streiterinnen und Streitern für eine nach gegenwärtigen Vorstellungen vielleicht gesellschaftlich gute Sache zu tun zu haben.
Denn als "Aktivisten" bezeichneten die Gerichte, seit sie vom alliierten Gesetzgeber auf den Begriff gebracht worden waren, alle erdenklichen politischen Wirrköpfe und Überzeugungstäterinnen: vom sehr verspäteten Anhänger einer jugoslawischen Monarchie bis zu den Nürnberger Hausbesetzern der 1980er Jahre, von einer Mitläuferin des noch leibhaftigen SED-Regimes bis zu jenen des überwundenen NS-Staats.
Die Gemeinsamkeit aller "Aktivisten", soziologisch betrachtet: Es genügt das Bekenntnis zur jeweiligen Sache, verbunden mit mehr oder weniger ausgeprägter Bereitschaft zur öffentlichen Tat – ein Mitgliedsausweis oder die Wahl zum Vorstandssprecher im Verein zum Kampf für das Gute und gegen das Böse ist nicht erforderlich – ja, jeder Wunsch, sich formal allzu verantwortlich zu organisieren, widerspricht sogar regelrecht dem Status als "Aktivist".
Es ist daher gewiss nicht überzeitliche ideologische Nähe oder allein sprachhistorische Unbedarftheit, die beim heutigen Gerede von "Aktivistinnen und Aktivisten" beunruhigen müsste – es ist eher die relative Unverbindlichkeit und mangelnde Bereitschaft der damit Angesprochenen, sich wenigstens von Gesinnungsgenossen wählen, sich auf Dauer in die Pflicht nehmen zu lassen, die an diesem sozialen Typus unangenehm auffällt. Diese Unverbindlichkeit mag man dann sogar wieder Skepsis wider die eigenen Motive nennen, edel wäre sie kaum.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor in Ohligs.
Sprache und Rechtsgeschichte: . In: Legal Tribune Online, 11.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45436 (abgerufen am: 24.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag