Leopold Hilsner und das hysterische Publikum Am 1. April 1899, dem Ostersamstag, wurde in einem Wald in der Nähe der böhmischen Ortschaft Polna, damals Teil des österreich-ungarischen Imperiums, die Leiche der 20-jährigen Schneiderin Anezka Hruzova gefunden. Der Leichnam wies Zeichen schwerer Misshandlungen auf, die Frau war mehrfach mit einem Stein geschlagen, dann erdrosselt worden. Der oder die Täterin hatte zudem die Kehle durchtrennt. Bedingt wohl durch die zeitliche Nähe zum jüdischen Pessachfest und dem christlichen Gottesopferfest, bestärkt durch die Vermutung, dass die durchgeschnittene Kehle der Frau als jüdische Form der Tierschlachtung durch Ausbluten zu interpretieren sei, wurde der Tatverdacht auf den wohnsitzlosen Leopold Hilsner, einen jüdischen Schuster, gerichtet. Das weitverbreitete Hirngespinst, Juden würden im Blut jungfräulicher Christenmädchen baden oder die Leichen von Christenkindern zu ungesäuertem Brot verarbeiten, ging in ein lokales Pogrom über. Das Landesgericht verurteilte Hilsner auf der Grundlage von Zeugenaussagen zum Tod. Ein direkter Beweis wurde nicht geführt, Tat- und Täteralternativen auch nicht andeutungsweise ermittelt. Alle Zeugen kamen aus eben jenem böhmischen Dorf, das sich soeben ein Pogrom geleistet hatte und keine Zweifel an der – von der regionalen und antisemitischen Presse hochgekochten – Ritualmordtheorie kannte, sicher auch nach einer Rechtfertigung für die Ausplünderung ihrer jüdischen Nachbarn suchte. Im Folgejahr kassierte die Folgeinstanz dieses Urteil, doch wurde Hilsner in einem undurchsichtigen Prozess der Mitwirkung an einem weiteren Mord bezichtigt und wiederum zum Tod verurteilt. Kaiser Franz Joseph II. begnadigte Hilsner zu schwerem Kerker, einer Strafform, die im k.u.k.-Imperium Züge von Folter (Hunger, Deprivation) trug. Nach rund 18 Jahren Haft wurde Hilsner amnestiert und starb 52-jährig in Wien. Leopold Hilsner; Quelle; Zuschnitt & Skalierung: LTO