Von der Todes- zu anrechenbarer Zuchthausstrafe In der jüngeren Vergangenheit wird die bayerische Justiz vom Bundesgerichtshof mit deutlich freundlicheren Augen gesehen, als es die Strafgerichtsbarkeit in anderen Teilen Deutschlands erlebt. Zum allerdings historisch schlechten Ruf der Justiz in Bayern trugen zu Zeiten der Weimarer Republik die sogenannten Volksgerichte bei, die 1919 als Ergänzung zur ordentlichen Gerichtsbarkeit etabliert worden waren. Fehlurteile leisteten sie sich nicht nur in Hochverratssachen gegen zugereiste Österreicher. Beispielsweise verurteilte das Volksgericht Augsburg am 5. Dezember 1919 einen 21-jährigen Arbeiter namens Otto Götz wegen Mordes an seiner Verlobten zum Tod. Er habe sie mit Zyankali, das er ihr mit einem Kaffee-Limonaden-Gemisch verabreicht habe, ermordet. Im April 1920 wurde Götz zu lebenslangem Zuchthaus begnadigt – damals galten die Verhältnisse in Zuchthäusern allerdings durchaus als Argument für die Gnade der Todesstrafe. Im Februar 1926 erreichte der Münchener Strafverteidiger Max Hirschberg die Wiederaufnahme. Im Verfahren von 1919 hatte ein bereits betagter Apotheker bezeugt, nie davon gehört zu haben, dass die von Götz verwendete Mixtur als Mittel zum Schwangerschaftsabbruch tauge. 1926 bezeugten etwas modernere Sachverständige, darunter der recht merkwürdige Kriminologe Hans von Hentig, das Gegenteil. Jetzt fand Götz’ Behauptung Gehör, seine Verlobte habe ihn zur Beschaffung des Abtreibungsgiftes gedrängt. Das nun verkündete Urteil: drei Jahre Zuchthaus wegen versuchter Abtreibung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung, verbüßt durch die sechs Jahre im Zuchthaus. Für die darüber hinaus verbüßten Zuchthausjahre wurde Götz materiell entschädigt. Altes Justizgebäude Augsburg; Alois Wüst; CC BY-SA 3.0; Quelle; Zuschnitt & Skalierung: LTO