Fjodor Dostojewski – Schuld und Sühne
Darf man eine zutiefst gehässige, menschenfeindliche und gerade deshalb reich gewordene Wucherin in ihrem Lebensabend töten, um Gutes mit ihrem Geld zu tun? Kann man es? Erträgt man es? Keine leichten Fragen, auf die Fjodor Dostojewskis "Schuld und Sühne" auf 752 Seiten keine leichten Antworten liefert. Überhaupt ist nichts leicht an dem Buch: nicht das Ringen des Hauptprotagonisten Rodion Raskolnikow mit sich selbst, der zerrissen ist zwischen napoleonischem Größenwahn und tiefem Mitgefühl, nicht das Schicksal seiner Schwester, die umworben wird von einem Gutsbesitzer, hinter dessen Wohltaten Selbsthass und Sadismus lauern, ganz gewiss auch nicht das Leid der jungen Sonja, die ihren zerbrechlichen Körper verkauft, um ihre schwindsüchtige Mutter und ihre kleine Schwester zu ernähren.
Dostojewski schildert das alles mit einer erbarmungslosen Präzision und Detailtiefe, die "Schuld und Sühne" in seinen dunkelsten Passagen die emotionale Gewalt einer Scherbenbahn verleihen, über die der Leser mit seiner Seele kriechen muss. Dass man trotzdem weiterliest, sagt alles über die Spannung, die die Handlung aufbaut, und mit der man das Ende erwartet, in dem philosophischer Anspruch und menschliche Machbarkeit, Leid und Trost, Schuld und Sühne mit einander versöhnt werden.
Bild: dtv