Gesetzentwurf zu Legal Tech: Nur Mut!

Gastkommentar von Dr. Philipp Plog

01.05.2019

Die FDP will Legal-Tech-Anbieter aus der gesetzlichen Grauzone holen und dazu das Rechtsdienstleistungsrecht modernisieren. Ein überfälliger Schritt, der die Blockadehaltung einiger Marktakteure beenden könnte, kommentiert Philipp Plog.

Jetzt könnte es spannend werden. Die FDP-Bundestagsfraktion hat als erste deutsche Partei vorgeschlagen, "automatisierte" rechtliche Beratung – und damit Rechtsberatung durch Nicht-Anwälte – gesetzlich zu erlauben. Genau das hatte die Bundesregierung im vergangenen November in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage "Legal Tech – Rechtsgrundlagen" noch abgelehnt (Bundestagsdrucksache 19/5438).

Mit ihrem Gesetzentwurf versucht die FPD nun etwas völlig Neues: Sie will die Kluft zwischen Nichtanwälten und Anwälten überwinden. Die einen sollen mehr Rechtssicherheit und die anderen mehr berufsrechtlichen Spielraum bekommen. Das wäre ein Paradigmenwechsel. Denn im Moment ist die Diskussion blockiert im Ringen um ein überkommenes Regime. Unser Berufsrecht kennt im Kern nur rechtliche Beratung durch Anwälte, mit wenigen, sehr engen Ausnahmen.

Konkret schlägt die FDP eine abgestufte Regulierung am Modell des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) vor, um Legal-Tech-Unternehmen an das Haftungsmodell der Anwälte heranzuführen und der Justizaufsicht der Länder zu unterwerfen. Und sie will die Anwälte von den Verboten der Erfolgsvereinbarung mit Mandanten und der Provisionsvereinbarung mit Mandatsvermittlern befreien. Im Moment dürfen Anwälte weder mit ihren Mandanten ins Risiko gehen noch mit anderen ihren Honorar-Erfolg teilen.

Legal Techs machen Anwälten zunehmend Konkurrenz

Dabei sind die wirtschaftlichen Chancen gewaltig, gerade in einem so hochentwickelten Rechtssystem wie dem deutschen. Flightright konnte innerhalb weniger Jahre fünf Leiturteile des Bundesgerichtshofs und weitere fünf vor dem Europäischen Gerichtshof erkämpfen – allesamt zugunsten von Flugpassagieren, die Entschädigungen gegen Airlines wegen Verspätungen und Flugausfällen erhielten.

Im Mietrecht entfallen laut Stiftung Warentest zahlreiche Erfolgsfälle bei der Durchsetzung der Mietpreisbremse auf Wenigermiete.de. Und die Rechtsanwälte der Legal-Tech-Kanzlei Rightmart konnten außergerichtliche Anpassungen bei 45 Prozent der Hartz IV Bescheide durchsetzen. Wie die Welt berichtete, sind zudem knapp 40 Prozent aller "Hartz-4"-Klagen vor den Sozialgerichten erfolgreich.

Die Legal Techs, die Zahlungsansprüche von Verbrauchern gegen Provision durchsetzen, entwickeln teilweise enorme Verhandlungsmacht, weil sie Ansprüche wirtschaftlich bündeln. Zudem bauen sie über skalierte Fallzahlen juristische Expertise für die Auseinandersetzung mit großen Gegnern auf. Sie nehmen dem Verbraucher das Kostenrisiko ab und stellen ihm - gegen eine Erfolgsbeteiligung - einen Kämpfer an die Seite. Dabei können sie Finanzierung von Dritten annehmen. Beides dürfen Anwälte derzeit nicht.

Diese Unternehmen haben damit begonnen, Verbrauchern einen Zugang zum Recht zum schaffen, wo Anwälte nicht tätig werden mochten. Oft ging es zunächst um exotische Beratungsfelder, für die sich Anwälte wegen geringer Streitwerte nicht so sehr interessiert haben – etwa Hartz-IV-Widersprüche oder Geschwindigkeitsüberschreitungen. Jetzt aber arbeiten sich die Anbieter allmählich zu anwaltlichen Kernfeldern vor, die sich ebenfalls für eine massenhafte Bearbeitung anbieten: Mietrecht, Kündigungsschutz und Schadensersatz im Diesel-Skandal. Deshalb wird es nun hitziger.

Status quo hemmt die Weiterentwicklung

Das anwaltliche Quasi-Monopol in Deutschland ist auf den ersten Blick komfortabel. Es führt aber dazu, dass einzelne Rechtsanwaltskammern und der DAV sich im aktuellen Regime verbarrikadieren – und das, obwohl die neuen Akteure auch jede Menge Mandate für Anwälte generieren, denn vor Gericht dürfen sie nicht auftreten. Eine tragische Blockade, während in Großbritannien und den USA flexible Regelungssysteme die wirtschaftliche Entwicklung von Legal Tech in und außerhalb von Anwaltskanzleien befeuern.

Der Online-Überblick "CodeX LegalTech" der Stanford Universität weist die USA als klaren Weltmarktführer und Großbritannien als europäische Nummer 1 aus. Im Vereinigten Königreich wurde der Rechtsrahmen für Anwälte und alternative Anbieter in den vergangenen Jahren liberalisiert - unter anderem wurden Erfolgshonorare und Fremdkapital für Anwaltskanzleien ermöglicht.

Anders in Deutschland: Der Deutsche Anwaltsverein (DAV) hat zunächst lange geschwiegen – und vor einigen Tagen erklärt, er werde "allen Bestrebungen zu einer Zulassung von Nichtanwälten zu allgemeiner Rechtsberatung (…) energisch entgegentreten". Und einige Anwaltskammern, insbesondere die Berliner Anwaltskammer, führen wettbewerbsrechtliche Verfahren gegen die neuen Akteure.

Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hat noch keine Position formuliert. Frank Remmertz, der Vorsitzende des Ausschusses "Rechtsdienstleistungsgesetz", kämpft allerdings in einem vertraulichen Papier darum, dass sich der Lobbying-Tanker der Anwaltschaft einen Gestaltungsanspruch erhält. Bald könnte es dafür aber zu spät sein, wenn der Bundesgerichtshof (BGH) in der Auseinandersetzung um Wenigermiete.de zur Reichweite der Inkassolizenz und um Myright zum Vorwurf eines Interessenkonfliktes bei Inkassodienstleistern der Politik die Initiative abnimmt.

Die Inkassoregistrierung ist eine rechtliche Krücke

Um ihr Produkt an den Markt zu bringen, operieren viele Legal-Tech-Anbieter mit einer Inkassoregistrierung nach dem RDG. Sie erlaubt juristische Beratung im Zusammenhang mit der Durchsetzung von Forderungen – und ist doch nur eine rechtliche Krücke.

Vieles ist noch ungeklärt: Ob der Status als Inkassodienstleister nur aktuelle Forderungen umfasst oder auch künftige, die sich beispielsweise mit Blick auf die Mietpreisbremse oder die Rückabwicklung von Lebensversicherungen ergeben können. Ob Inkassotätigkeit und Prozessfinanzierung verknüpft werden dürfen. Und ob Verstöße gegen das RDG auch zivilrechtlich und prozessual auf die Mandantenbeziehungen durchschlagen können – was etwa zur Folge hätte, dass Mandantenforderungen verjähren. Diese Fragen sind nicht neu, sie liegen inzwischen allesamt beim BGH.

Dass die Bundesregierung diese Fragen den Gerichten überlässt, ist ein merkwürdiger Verzicht auf Gestaltung in einem extrem dynamischen Wirtschaftsfeld. Es liegt auf der Hand, dass der aktuelle Rechtsrahmen nicht zukunftsfähig ist. Und es wirft verfassungsrechtliche Fragen auf, denn es bedarf einer fundierten Begründung, um rechtsberatende Tätigkeiten einer bestimmten Berufsgruppe vorzubehalten. Mit diesem Argument hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt Anfang der 2000er Jahre den Bereich erlaubter Inkassodienstleistungen erweitert (Beschl. v. 20.02.2002, Az. 1 BvR 423/99  und Beschl. v. 14.08.2004, Az. 1 BvR 725/03).

Provisionsmodell kontra Verbraucherschutz

Hinter der politischen Lähmung steht in Wahrheit ein Unbehagen an den Provisionsmodellen, wie sie die Legal-Tech-Anbieter praktizieren. Die Koalition setzt bislang allein auf klassischen Verbraucherschutz. Institutionen wie die Verbraucherzentrale sind staatlich finanziert und "schonen" damit den Geldbeutel der Verbraucher. Anders als Legal Techs bauen sie allerdings keine Expertise in bestimmten Gebieten auf und haben bei der Durchsetzung gegen starke Gegner auch nicht denselben Hebel über skalierte Fallzahlen.

Letztlich bleibt die individuelle Durchsetzung von Forderungen und das Kostenrisiko beim Verbraucher. Das ist auch eine der zentralen Schwierigkeiten bei der Musterfeststellungsklage, denn bei deren Erfolg kommt der Verbraucher nur über eine weitere Zahlungsklage zu seinem Recht.

Der FDP-Vorschlag ist hoffentlich der Anfang einer spannenden Debatte. Die Idee, nichtanwaltliche Rechtsberatung einem klassischen verwaltungsrechtlichen Aufsichtsregime wie dem RDG zu unterwerfen, ist sinnvoll. Sie findet sich auch in den Vorschlägen des Bundesverbands Deutscher Startups und von BRAK-Mann Frank Remmertz.

Geht es um Automatisierung oder um Qualität der Beratung?

Allerdings unterscheiden sich die Vorschläge bei der Frage, was eigentlich Anlass des Erlaubnistatbestands sein soll. Ist es wirklich die "Automatisierung" oder "Teilautomatisierung" der Beratungsleistungen? Sie führt noch nicht dazu, dass die Qualität von Beratungsleistungen abgesichert wird. Im Kern geht es nicht darum, "Rechtsmaschinen" zu privilegieren. Sondern darum, den Zugang zum Recht dort zu verbessern, wo es mit strukturierter Bearbeitung von zahlreichen ähnlich gelagerten Ansprüchen sinnvoll ist.

Im Fokus sollten deshalb nicht der Automatisierungsgrad stehen, sondern die Qualität und laufende Prüfung der Anbieter und die Ausgestaltung eines Haftungs- und Haftpflichtversicherungsrahmens. Dieser Gedanke ist im FDP-Entwurf immerhin angelegt: "Qualifizierte Personen" müssen an der Erstellung und Überwachung "der Prozesse zur Erbringung der automatisierten Rechtsdienstleistung mitwirken".

Bekommt man den prozeduralen Rahmen in den Griff, spricht viel dafür, die gesamte außergerichtliche Beratung in Deutschland für nicht-anwaltliche Rechtsdienstleister freizugeben – wie es etwa in der Schweiz und Skandinavien schon der Fall ist. Mehr Mut, Deutschland! 

Dr. Philipp Plog ist Partner von Fieldfisher. Er vertritt einige Legal Techs in Deutschland, darunter auch in diesem Artikel erwähnte. Zudem hat er am Positionspapier des BVDS zur Regulierung mitgewirkt und agiert als Vertrauensanwalt der Legal Tech Plattform.

Zitiervorschlag

Gesetzentwurf zu Legal Tech: . In: Legal Tribune Online, 01.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35137 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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