Verwaltungsstation im Knast
Die ersten beiden Besuche in der Justizvollzugsanstalt Tegel, die für drei Monate mein neuer Arbeitsplatz sein sollte, waren schon merkwürdig und respekteinflößend. Der Weg hinein in die Anstalt führt durch Schleusen, Kontrollen und vor allem jede Menge Türen, Tore und Pforten. Das macht die Fortbewegung mühsam, denn jede von ihnen muss erst auf-, und anschließend wieder abgeschlossen werden, wenn man sie passieren will, und auch im Inneren der JVA kann man kaum mehr als sechs Schritte tun, ohne erneut den Schlüsselbund zücken zu müssen – vorausgesetzt, man hat einen. Die einzigen Ausnahme hierzu bilden der Innenhof, der Weg zur Kirche und von dort weiter zu den Teilanstalten. Daran, dass man sich in einem Gefängnis befindet, wird man hier jedoch auf andere Weise erinnert: Teilweise lehnen Inhaftierte mit geöffnetem Fenster gegen ihre Gitter und rufen einem allerlei "Nettigkeiten" hinterher – mehr als einmal wurde etwa meine Gestalt oder Kleidung in einer Weise kommentiert, die kaum als Kompliment gemeint gewesen sein kann. Dabei geht es nicht um die Beleidigung an sich, sondern um das mulmige Gefühl, das sie einem bereitet. Davon erhielt ich gleich am ersten Tag eine weitere Kostprobe: Mein Feierabend fiel mit der Freizeit der Insassen zusammen – jener Zeit also, in der sie sich außerhalb ihrer Zellen aufhalten und zum Beispiel auf dem Außenplatz spazieren gehen oder Basketball spielen können. Dort begegnete ich ihnen zum ersten Mal ohne ein Gitter zwischen uns. Zwei besonders muskulöse und finster dreinschauende Gestalten hatten sich direkt vor dem Tor positioniert, durch das ich selbst die Anstalt verlassen wollte. Gedanklich spielte ich schon einmal sämtliche Horrorszenarien durch, die nun folgen könnten. Der Schlüsselbund, bestehend aus drei riesigen, eisernen Schlüsseln an einem Metallring, den man über die Fingerknöchel streifen und im Notfall als Schlagring verwenden kann, würde mir gegen diese beiden Herren wohl kaum etwas nützen. Zum Glück wurde er in dieser Funktion ohnehin nicht benötigt, im Gegenteil: Die beiden Hünen traten bei Seite, grüßten freundlich, und wünschten mir einen schönen Feierabend.
Freundlichkeit und Respekt gegen bedrückende Atmosphäre
Dieses krasse Auseinanderfallen zwischen Befürchtung und Realität vermittelte mir gleich am ersten Tag eine wichtige Lektion, die auch mein Ausbilder stets betonte: Trotz der latent angespannten Situation und der oftmals bedrückenden Atmosphäre nicht immer vom Schlechtesten auszugehen, und die Inhaftierten – die sich zum Großteil freundlich und zuvorkommend verhalten – mit Respekt zu behandeln. Das gebietet nicht nur die Menschenwürde, sondern es macht die Zeit und die Zusammenarbeit für alle sehr viel erträglicher. Dazu trugen übrigens auch die Mitarbeiter der Anstalt (Verwaltungsbeamte, Psychologen, Mitarbeiter des Vollzugsdienstes) enorm bei. Sie alle waren ausgesprochen freundlich und hilfsbereit und haben mir so von Anfang an geholfen, mich willkommen und wohl zu fühlen. In der Teilanstalt, in der ich meine Verwaltungsstation verbrachte, waren die sogenannten Langstrafer untergebracht, das heißt Inhaftierte mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder knapp darunter. Neben ihnen befanden sich dort allerdings auch die Sicherungsverwahrten, für deren Unterbringung das Bundesverfassungsgericht eigene Vorgaben gemacht hat, und die zum Sommer 2014 in ein neu errichtetes Gebäude übersiedeln sollen. Eine meiner Hauptaufgaben bestand deshalb darin, eine neue Hausordnung zu verfassen, die den Vorgaben des Gerichts hinsichtlich des Haftraums, der Freizeit, der Besuchszeiten und weiteren Punkten für Sicherungsverwahrte gerecht wurde.Tiffany-Werke und chemische Kastrationen
Darüber hinaus hatte ich die Beanstandungen und Beschwerden der Inhaftierten und Sicherungsverwahrten nach dem Strafvollzugsgesetz zu bearbeiten. Manche davon waren durchaus kurios – so zum Beispiel der Antrag eines Sicherungsverwahrten, eine Tiffany Werkstatt zu eröffnen und seine Waren inner- und außerhalb der Anstalt verkaufen zu dürfen. Der Großteil besteht allerdings aus Alltagsbeschwerden, etwa von Drogendealern, die sich über den Aufenthalt in der Abschirmstation beklagen. Ein weiterer Teil entfällt auf wirklich ernste Themen, die einen schlucken lassen, so zum Beispiel das Schreiben eines Sexualstraftäters, der sich für eine chemische Kastration entschieden hatte und von der Anstalt verlangte, ihm dies zu ermöglichen. Eine dritte Aufgabe bestand darin, Gutachten über Rechtsfragen anzufertigen, die aktuell relevant wurden. So entstand etwa der Eindruck, dass ein bestimmter Insasse die Beschwerden für sämtliche Mitgefangenen verfasste: Sie alle trugen die gleiche Handschrift und hatten den gleichen, teils rechtlich fundierten, aber stets mit Frechheiten bis hin zu Beschimpfungen geschmückten Ton – nur die Unterschrift variierte. Mir fiel es zu, die Rechtmäßigkeit einer solchen, anstaltsinternen "Rechtsberatung" zu beurteilen. Die Zeit in der JVA war also allemal abwechslungs- und lehrreich. Wem es nur um die Stimmung und die Atmosphäre geht, der kann sicherlich angenehmere Stationen finden. Aber auch und gerade die unangenehmen Seiten einer Haftanstalt kennenzulernen, halte ich für wichtig – jedenfalls für alle, die später einmal als Richter oder Staatsanwalt selbst Angeklagte dort hinschicken wollen. Auf die andere Seite der Gitter, und meist für sehr viel mehr als drei Monate. Der Autor Simon Winter war Rechtsreferendar in Brandenburg. Er hat seine Verwaltungsstation in den Monaten Februar bis April 2013 in der Justizvollzugsanstalt Tegel verbracht.Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2014 M07 23
Referendariat
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