Die juristische Presseschau vom 9. August 2022: Hanno Berger zu Cum-Ex / BGH zu Schwei­ge­recht / SPD-Schieds­kom­mis­sion zu Ger­hard Schröder

09.08.2022

Hanno Berger hat vor dem Landgericht Bonn ein Teilgeständnis abgelegt. Laut BGH dürfen aus dem Aussagezeitpunkt nach vorherigem Schweigen keine nachteiligen Schlüsse gezogen werden. Gerhard Schröder kann in der SPD bleiben.

Thema des Tages

LG Bonn – Cum-Ex/Hanno Berger: Im Verfahren gegen den Steueranwalt Hanno Berger vor dem Landgericht Bonn hat dieser ein Teilgeständnis abgelegt. Er räumte ein, ab 2009 mit bedingtem Vorsatz gehandelt zu haben. Im Jahr 2009 hatte das Bundesfinanzministerium in einem Berger bekannten Schreiben erhebliche Bedenken gegen die von dem Anwalt propagierte Methode der Steuergestaltung deutlich gemacht. Berger äußerte, er habe es ab diesem Zeitpunkt "besser wissen müssen". Stattdessen hätten er und seine Mitarbeiter sich auf die Formalien und die verbliebenen Lücken konzentriert. Als Anwalt habe er seine Mandanten auf Lücken im Steuerrecht aufmerksam gemacht. Ob der Mandant diese nutze, sei dann dessen Entscheidung. Der Vorsitzende Richter Roland Zickler erklärte, es sei wichtig für den Fort- und Ausgang des Verfahrens, dass der eingetretene Schaden für den Steuerzahler geheilt werde. Berger soll mit den in Bonn angeklagten Taten 13,6 Millionen Euro verdient haben. Ab dem heutigen Dienstag wird er sich Rückfragen der Strafkammer zu seiner Einlassung stellen. Es berichten FAZ (Marcus Jung), SZ (Jan Diesteldorf), Hbl (René Bender u.a.) und LTO

In einem gesonderten Kommentar schreibt Marcus Jung (FAZ), Berger habe in seiner Einlassung zunächst seinen juristischen Feldzug gegen die Meinungen anderer fortgeführt. Umso größer sei daher sein daraufhin erfolgtes Teilgeständnis zu werten. 

Rechtspolitik

Abgeordnetenbestechung: Henning Ernst Müller (beck-community) erwägt wie § 108e Strafgesetzbuch (StGB) formuliert werden könnte, damit er auch Verhalten wie das der CSU-Abgeordneten Georg Nüsslein und Alfred Sauter erfasst. Diese hatten mit Provisionen für behördliche Maskeneinkäufe hohe Summen verdient. Bislang erfasst § 108e StGB nur ein Tätigwerden eines Mandatsträgers "bei der Wahrnehmung seines Mandates". Ziel müsse es nun sein, den Tatbestand um Verhaltensweisen außerhalb der Mandatswahrnehmung zu ergänzen. Dabei müsse aber ein Mandatsbezug des inkriminierten Verhaltens bestehen bleiben, rein private Geschäftsbeziehungen sollten im Allgemeinen weiterhin straffrei bleiben. 

Whistleblowing: Die Rechtswissenschaftler Robert Brockhaus, Simon Gerdemann und Christian Thönnes beschäftigen sich auf dem Verfassungsblog mit dem Regierungsentwurf für ein Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG). Dieser sei unzureichend, denn er weise durch einige Bereichsausnahmen gerade in besonders Whistleblowing-relevanten Bereichen erhebliche Lücken auf. So dürften Rechtsverstöße, die den Bereich der nationalen Sicherheit betreffen, überhaupt nicht aufgedeckt werden. Zudem sei die externe Meldung und Offenlegung von Verschlusssachen gesperrt. 

Rechtsdienstleistung: Einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zufolge soll die Registrierung und Aufsicht der nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) registrierten Personen sowie die geldwäscherechtliche Aufsicht künftig auf das Bundesamt für Justiz übertragen werden. Bislang haben die Landesjustizverwaltungen die Aufsicht. Zudem sollen die Bußgeldtatbestände, die derzeit in unterschiedlichen Gesetzen wie dem RDG und dem Steuerberatungsgesetz verstreut sind, durch eine einheitliche Sanktionsreglung ersetzt werden. Es berichtet das Hbl (Michael Stahlschmidt).

Justiz

BGH zu Schweigerecht: Der Bundesgerichtshofs hat Anfang Juni entschieden, dass ein Gericht weder aus einer durchgehenden noch aus einer anfänglichen Aussageverweigerung – und damit auch nicht aus dem Zeitpunkt, zu dem sich ein Angeklagter erstmals einlässt – nachteilige Schlüsse ziehen darf. Der unbefangene Gebrauch des Schweigerechts sei nicht gewährleistet, wenn der Angeklagte die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Aussageverhalten befürchten müsse. Das Landgericht hatte den "Einlassungszeitpunkt" des Angeklagten für "auffällig" gehalten und seine Angaben für "eindeutig taktisch motiviert". Es berichtet beck-aktuell (Joachim Jahn).

SPD-Schiedskommission – Gerhard Schröder: Die SPD-Schiedskommission des Unterbezirks Region Hannover hat die Anträge auf Ausschluss von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder abgelehnt. Dieser habe nicht gegen Grundsätze und Ordnung der SPD verstoßen. Schröder habe den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht gerechtfertigt, sondern als Fehler bezeichnet. Schröders Freundschaft mit Russlands Präsident sei Privatsache. Schröder habe auch keine Pflicht, sich von russischen Staatsunternehmen zu distanzieren. Gegen die Entscheidung kann binnen zwei Wochen Berufung zur Bezirksschiedskommission des SPD-Bezirks Hannover eingelegt werden. Es berichten SZ (Kassian Stroh), FAZ (Eckart Lohse)LTO (Christian Rath) und spiegel.de (Kevin Hagen)

Reinhard Müller (FAZ) zeigt sich "etwas überrascht“ von der Entscheidung, schließlich bestehe eine tiefe Verbindung Schröders zu einem Gewaltherrscher und eine Verflechtung mit seinem Imperium. Stefan Reinecke (taz) meint, das Verfahren sei erschreckend mutlos geführt worden. Die Kommission habe nicht versucht, die Instrumente, die sie in der Hand hat, zu nutzen. So habe sie eine "ehrlose Handlung" Schröders heranziehen können, um eine Rüge oder einen zeitlich begrenzten Entzug der Mitgliedschaft zu verhängen.

BGH zu Wuppertaler Doppelmord: Der Bundesgerichtshof hat laut LTO die Revision der Staatsanwaltschaft gegen ein Urteil des Landgerichts Düsseldorf verworfen, mit dem ein Mann unter anderem vom Vorwurf des zweifachen Mordes an einem Unternehmer-Ehepaar freigesprochen wurde. Der Mann war ein Geschäftspartner des wegen der Tötung bereits rechtskräftig verurteilten Enkels des Ehepaars. 

BAG – Arbeitszeiterfassung: Das Hbl (Heike Anger) schreibt über ein für September zu erwartendes Urteil des Bundesarbeitsgerichts zu der Frage, ob der Betriebsrat die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung gegen den Willen des Arbeitgebers erzwingen können soll. Im Jahr 1989 hatte das BAG ein Initiativrecht des Betriebsrats noch verneint, nun entschieden jedoch einige Landesarbeitsgerichte anders. Für viele Betriebe mit Betriebsrat könnte dies das Ende der Vertrauensarbeitszeit bedeuten. 

LSG BaWü zu Soldatenversorgung: Wer in der Türkei Militärdienst geleistet hat, hat keine Ansprüche nach dem deutschen Soldatenversorgungsgesetz. Das entschied das Landessozialgerichts Baden-Württemberg. Diese Versorgungansprüche seien auf Soldat:innen der Bundeswehr und deren Hinterbliebene beschränkt. Es berichtet LTO.

LG Frankfurt/O. zu Kfz-Kennzeichenerfassung: Einem Beschluss des Landgerichts Frankfurt/O. zufolge war die bis 2021 anlasslos praktizierte automatische Kennzeichenerfassung auf Autobahnen in Brandenburg rechtswidrig. Insoweit habe es an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für den Grundrechtseingriff gefehlt. Laut LTO will Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) jedoch die automatisierte Kennzeichenerfassung zur Gefahrenabwehr bei schweren und schwersten Straftaten noch in diesem Jahr ermöglichen.

LG Hamburg zu "Pimmelgate": Nun berichtet auch LTO über die Entscheidung des Landgerichts Hamburg, wonach eine Wohnungsdurchsuchung im Zuge der sogenannten Pimmelgate-Affäre in Hamburg rechtswidrig war.

LG Wuppertal – Säureangriff auf Manager: Im Prozess um einen Säureangriff auf einen Manager hat dieser als Zeuge ausgesagt. Dabei wiederholte er seine Vermutung, dass der Angeklagte nur ein Handlanger gewesen sei. Der Auftraggeber des Anschlags komme aus seinem beruflichen Umfeld. 2012 habe es bereits einen Angriff auf ihn gegeben. Es gebe eine Person in der Führungsetage von RWE, die von beiden Überfällen und seinem beruflichen Ausfall hätte profitieren können. Diese Person blieb indes unbenannt. Es berichten FAZ (Reiner Burger)SZ (Sabine Maguire) und spiegel.de

LG Berlin – Abou-Chaker/Bushido: Im Verfahren gegen Arafat Abou-Chaker und drei seiner Brüder vor dem Landgericht Berlin sollte am gestrigen Montag der Rapper Shindy aussagen. Er berief sich jedoch auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Strafprozessordnung. Er sei Beschuldigter in einem Steuerrechtsverfahren. Auskünfte über seine Zeit mit Bushido und Abou-Chaker ermöglichten Rückschlüsse zu geschäftlichen und damit möglicherweise verfahrensrelevanten Beziehungen. Die Kammer verhängte wegen unberechtigter Auskunftsverweigerung 1000 Euro Ordnungsgeld oder acht Tage Ordnungshaft. Es berichten spiegel.de (Wiebke Ramm) und Welt (Frederik Schindler).

StA Berlin – Patricia Schlesinger: In der Affäre um die zurückgetretene RBB-Intendantin Patricia Schlesinger führt die Berliner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Schlesinger, ihren Ehemann Gerhard Spörl und den bisherigen Verwaltungsratschef Wolf Dieter Wolf. Es bestehe der Anfangsverdacht der Untreue und der Vorteilsannahme. Es berichten SZ (Aurelie von Blazekovic/Claudia Tieschky) und LTO

Recht in der Welt

Taiwan/China: Auf FAZ-Einspruch erläutert der ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiter Matthias Hartwig, dass aus völkerrechtlicher Sicht China und Taiwan nicht zwei unabhängige Staaten sind. Taiwan sei kein eigenständiger Staat neben der Volksrepublik China. Alle Versuche, Taiwan bei einer Loslösung von China zu unterstützen, seien eine völkerrechtswidrige Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas. Eine Gewaltanwendung seitens Chinas sei hingegen völkerrechtlich ausgeschlossen, solange Taiwan nicht seine Unabhängigkeit erkläre. 

USA – Verschwörungstheoretiker Alex Jones: Nun berichtet auch die FAZ (Nina Rehfeld) über die Verurteilung des amerikanischen Verschwörungstheoretikers Alex Jones durch ein texanisches Gericht zur Zahlung von fast 50 Millionen Dollar. Er hatte nach einem Amoklauf in einer Schule in seiner Radioshow mehrfach behauptet, die Tat sei nur inszeniert gewesen.

Sonstiges

AKW-Laufzeiten: Auf LTO legen die Rechtsprofessorin Daniela Winkler und der wissenschaftliche Mitarbeiter Roman Pfleiderer eingehend die sich im Zusammenhang mit einer etwaigen Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke stellenden rechtlichen Fragen dar. Neben der Verlängerung der Betriebsgenehmigungen wäre gegebenenfalls auch eine Sicherheitsüberprüfung erforderlich. Auch könnte über eine Abänderung eines öffentlich-rechtlichen Vertrages mit den Kraftwerksbetreibern ein Teil der ursprünglich vereinbarten Ausgleichszahlungen zurückgefordert werden.

Die FAZ (Timo Frasch) erläutert den Konflikt zwischen der Bundesregierung und Bayern um die periodischen Sicherheitsüberprüfungen für AKW und eine Stellungnahme des TÜV Süd. Letztlich gehe es trotz aller Regulierung meist um den politischen Willen und die Übernahme der Kosten.

Rechte der Natur: Die FAZ (Katja Gelinsky) schreibt eingehend zur Debatte über die Etablierung von Eigenrechten der Natur. Länder wie Ecuador und Kolumbien seien insoweit voran gegangen. Auch der Rechtsprofessor Jens Kersten plädiere für Rechte der Natur als "Dämme gegen die Selbstzerstörung", um zu einer Waffengleichheit der Belange der Natur und denen von Menschen zu gelangen. Rechtsprofessorin Charlotte Kreuter-Kirchhof fordere hingegen durch den Gesetzgeber definierte Schutzräume, in denen die Natur grundsätzlich Vorrang hat. Die Rechtsprofessorin Sabine Schlacke schließlich möchte ein Menschenrecht auf gesunde Umwelt im Grundgesetz verankern. 

TKÜ: Laut der Statistik des Bundesamtes für Justiz sind im Zuge strafrechtlicher Ermittlungen im Jahr 2020 17.731 Telefon- und Internetanschlüsse überwacht worden. In 5222 Verfahren ordneten Gerichte eine solche Telekommunikations-Überwachung an. In den weitaus meisten Fällen ging es um Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz. Die sogenannte Quellen-TKÜ wurde 98 Mal angeordnet, aber nur 15 Mal tatsächlich durchgeführt. Es berichten netzpolitik.org (Andre Meister) und spiegel.de.

Testamentsvollstrecker: In einem Beitrag für die FAZ erläutert Rechtsanwalt Dietrich Ostertun Chancen und Risiken bei der Einsetzung eines Testamentsvollstreckers. Ohne Testamentsvollstrecker könnte ein einziger Erbe die gesamte Nachlassverteilung blockieren und die Erbengemeinschaft jahrelang handlungsunfähig machen. Für eine friedliche und reibungslose Abwicklung sollte eine neutrale Person für die Aufgabe gewählt werden. Die Aufgaben und auch die Vergütung des Testamentsvollstreckers sollten präzise festgelegt werden.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums. 

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/jng

(Hinweis für Journalist:innen)  

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.  

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 9. August 2022: . In: Legal Tribune Online, 09.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49267 (abgerufen am: 24.11.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen