Die juristische Presseschau vom 7. Juli 2022: Mig­ra­ti­ons­paket besch­lossen / EuG zu Puig­de­mont-Klage / Feld­mann-Anklage zuge­lassen

07.07.2022

Das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf zur Migrationspolitik beschlossen. Ex-Katalanen-Präsident Puigdemont scheiterte vor dem EuG. In Frankfurt beginnt im Oktober das Strafverfahren gegen Oberbürgermeister Feldmann. 

Thema des Tages

Migration: Am gestrigen Mittwoch hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf beschlossen, der verschiedene Änderungen in der Migrationspolitik vorsieht (Migrationspaket I der Ampel-Koalition). Künftig soll es ein sog. Chancen-Aufenthaltsrecht geben, das langjährig Geduldeten durch ein einjähriges Aufenthaltsrecht die Möglichkeit verschafft, ihren Lebensunterhalt zu sichern und ihre Identität zu klären, um so in einem zweiten Schritt ein langfristiges Bleiberecht zu erlangen und eine Kettenduldung zu beenden. Gut integrierte junge Menschen bis 27 Jahre sollen bereits nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland die Möglichkeit für ein Bleiberecht bekommen, bisher waren es vier Jahre. Integrationskurse sollen künftig allen Asylbewerber:innen von Anfang an offenstehen. Zudem soll der Familiennachzug für Familienangehörige von Fachkräften erleichtert werden, indem bei den Nachziehenden auf einen Sprachnachweis verzichtet wird. Andererseits sollen Abschiebungen von Menschen ohne Aufenthaltsrecht konsequenter durchgesetzt werden. Abschiebungshaft soll für Straftäter:innen und Gefährder:innen leichter angeordnet werden können. Die Abschiebehaft soll für bestimmte Straftäter:innen von drei Monaten auf maximal sechs Monate verlängert werden, um die Abschiebung vorzubereiten. Über das Paket berichtet die SZ (Markus Balser/Constanze von Bullion), FAZ (Helene Bubrowski), taz (Dinah Riese) und LTO

Meredith Haaf (SZ) meint, es könne auf manche mutlos wirken, dass die Ampel gar nicht erst versuche, alles auf einen Streich zu erledigen. Das senke jedoch die Wahrscheinlichkeit für großes Gegengetöse und öffne zugleich eine Tür. Dies könne für Einzelne mehr bedeuten als jede Revolution. Dinah Riese (taz) zufolge ist das Paket kein echter Paradigmenwechsel. Zentral für das Ankommen sei es, nicht erst mit Arbeitsverboten behängt und zur Untätigkeit verdammt zu werden. Die für Ukrainer:innen geltenden Regeln sollten auf alle Geflüchteten übertragen werden. Es sei schade, dass die Ampel nicht vom Mantra lasse, dass Verbesserungen immer nur mit Verschärfungen einhergehen können. 

Rechtspolitik

Schöffen: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat laut LTO einen Antrag zur Reform des Schöffenamtes eingebracht. Ziel sei es, die annähernd 50 Jahre unverändert gebliebenen Vorschriften den heutigen Lebens- und Arbeitsbedingungen anzupassen. So soll die bisherige Altersgrenze von 70 Jahren gelockert werden. Auch sollen Schöffen sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen müssen. 

Pakt für den Rechtsstaat: Im Leitartikel schreibt Reinhard Müller (FAZ), ein echter Pakt für den Rechtsstaat, durch den die Justiz besser ausgestattet wird, müsse bei Normen und Personal ansetzen, um eine solide Basis für ein funktionierendes System zu schaffen. Indem sie immer mehr Recht schaffe, halte die Politik die Justiz beschäftigt. Zugleich bedeuteten mehr Stellen noch keine bessere Justiz. Es komme darauf an, wer eingestellt wird und was er daraus macht.  

Taxonomie und Atomkraft: Eine Mehrheit im EU-Parlament hat dafür gestimmt, Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich einstufen zu können. Statt der für die Ablehnung des Rechtsaktes erforderlichen 353 Abgeordneten votierten im Plenum lediglich 278 dagegen. Es berichten SZ (Björn Finke/Matthias Kolb) und LTO

Digitale Dienste/Digitale Märkte: Torsten Kleinz (spiegel.de) kritisiert die nun auch vom EU-Parlament beschlossenen Verordnungen für digitale Dienste (DSA) und digitale Märkte (DMA). Diese seien mitnichten eine "Verfassung für das Internet". Bei der digitalen Werbung gebe es allenfalls kosmetische Änderungen. Auch bei den irreführenden Designs gebe es nur zaghafte Entscheidungen. Schließlich sei noch völlig offen, wer die Gesetze in Zukunft durchsetze. 

Kartellrecht und Nachhaltigkeit: Einem Bericht der FAZ (Heike Göbel) zufolge kritisieren liberale Wissenschaftler:innen des Kronberger Kreises die Pläne der EU-Kommission, das Kartellverbot für Unternehmenskooperationen zu lockern, die der Nachhaltigkeit dienen. In einer Studie kommt der Kronberger Kreis zu dem Schluss, dass der Schaden für den Wettbewerb den möglichen Nutzen von Klima- und Nachhaltigkeitskartellen überwiegen werde. Allenfalls sollten befristete Pilotprojekte als Testfeld für neue Wege zur Nachhaltigkeit erlaubt werden. 

Justiz

EuG zu Carles Puigdemont: Das Gericht der Europäischen Union (EuG) hat eine Klage für unzulässig erklärt, in der die 2019 ins EU-Parlament gewählten katalanischen Exil-Politiker Carles Puigdemont (ehemaliger katalanischer Regionalpräsident) und Antoni Comín monierten, dass der damalige Präsident des EU-Parlaments Antonio Tajani ihnen nach der Wahl mitteilte, sie nicht als künftige Abgeordnete zu behandeln. Diese Mitteilung habe keinen Rechtscharakter gehabt und könne daher nicht Gegenstand einer Klage sein. Tajani habe nur die Folgen von Entscheidungen der spanischen Behörden mitgeteilt, die die katalanischen Politiker nicht als gewählte Abgeordnete gemeldet hatten, weil jene (um eine Verhaftung in Spanien zu vermeiden) keinen Eid vor der spanischen Wahlbehörde abgelegt hatten. Es berichtet spiegel.de. Die taz (Christian Rath) erläutert zudem, wie Puigdemont und Comin infolge eines EuGH-Urteils doch zu Europa-Abgeordneten wurden, dass allerdings das Europäische Parlament im März 2021 ihre Immunität aufgehoben hat und dass EuG und EuGH seitdem unterschiedliche Entscheidungen zur einstweiligen Gewährung von Immunität trafen. 

LG Frankfurt/M. – OB Peter Feldmann: Das Landgericht Frankfurt hat die Anklage gegen den Oberbürgermeister von Frankfurt/M., Peter Feldmann, wegen des Vorwurfs der Vorteilsannahme zur Hauptverhandlung zugelassen. Das Verfahren soll Mitte Oktober beginnen. Dies berichten FAZ (Mechthild Harting/Bernhard Biener) und zeit.de.

EGMR zu Tarifeinheitsgesetz: Nun schreibt auch LTO über die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Tarifeinheitsgesetz. Dieser hatte befunden, das Gesetz sei vereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention.

VerfGH Thüringen zur Finanzierung parlamentarischer Gruppen: Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass die FDP-Gruppe im Thüringer Landtag mit deutlich weniger staatlichen Fördermitteln auskommen muss als zu der Zeit, als sie noch den Fraktionsstatus hatte. Fraktionen seien bedeutender als parlamentarische Gruppen und hätten mehr Aufgaben in der parlamentarischen Arbeit. Es berichtet LTO

BGH – Alexander Falk: LTO (Tanja Podolski) berichtet über die Verhandlung des Bundesgerichtshofs über die vom Unternehmer Alexander Falk eingelegte Revision gegen seine Verurteilung wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung. Dabei ging es sowohl um die Frage, ob Falk letztlich wegen einer anderen als der angeklagten Tat verurteilt wurde, als auch darum, ob das Landgericht zwei von Falk angestiftete Brüder fehlerhaft nicht als Zeugen geladen hat. Falk selbst blieb dem Prozess fern. Das Urteil wird am 17. August verkündet. 

OLG München – Geplanter Mord an Tschetschenem: Vor dem Oberlandesgericht München läuft derzeit ein Verfahren gegen einen Russen, der im Auftrag eines Cousins des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, ein Attentat auf einen Regimekritiker vorbereitet haben soll. Er soll für Logistik und Organisation der Tat verantwortlich gewesen sein, wurde jedoch vor der Tat festgenommen. Am jüngsten Prozesstag schilderte das potenzielle Opfer, wie er von einem Unbekannten kontaktiert und über das geplante Attentat informiert wurde. Es berichtet die SZ

LG Düsseldorf – Curevac gegen Biontech: Nun berichten auch SZ (Werner Bartens/Christina Kunkel) und Welt (Anja Ettel/Andreas Macho) über die vom Biotechunternehmen Curevac gegen den Konkurrenten Biontech am Landgericht Düsseldorf eingereichte Klage. Curevac behauptet eine Patentrechtsverletzung im Zusammenhang mit der mRNA-Technologie. 

LG Bonn – Cum-Ex/Christian Olearius: Nun berichtet auch das Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) eingehend über die Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft Köln gegen den Bankier Christian Olearius wegen schwerer Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften. Laut FAZ (Hanno Mußler/Manfred Schäfers) hat der Miteigentümer der Warburg-Bank bislang jedoch noch keine Anklageschrift erhalten. 

Tierquälerei: Die Zeit (Anne Kunze/Stefan Willeke) bringt ein Gespräch mit der Rechtsprofessorin Elisa Hoven und der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Johanna Hahn. Sie berichten über eine Studie zu der Frage, wie oft Staatsanwaltschaften bei einem Verdacht auf Tierquälerei in der Landwirtschaft tätig werden. Bei den untersuchten 150 Fällen kam es nur zu elf Verurteilungen, davon zehn Geldstrafen. Verstöße wurden auf allen Ebenen beobachtet, also bei Haltung, Transport und Schlachtung. Gleichwohl blieben Strafverfolger regelmäßig untätig. Auch müsse das Strafrecht in dem Bereich grundlegend neu geregelt werden.

G20-Ausschreitungen in Hamburg: Noch immer sind in Hamburg zahlreiche Gerichtsverfahren zu den Ausschreitungen beim G20-Gipfel 2017 nicht abgeschlossen. Fast 500 Verfahren haben vor Amtsgerichten und dem Landgericht stattgefunden. An den Amtsgerichten sind immer noch fast 30 Verfahren offen, am Landgericht noch elf. Die meisten Gipfel-Gegner:innen, die vor Gericht standen, wurden wegen Flaschen- und Steinwürfen verurteilt und bekamen Bewährungsstrafen. Gegen Polizeibeamte wurde trotz 157 eingeleiteter Ermittlungsverfahren keine Anklage erhoben. Es berichtet zeit.de (Elke Spanner)

Recht in der Welt

EU/Ungarn – Rechtsstaatlichkeit und Finanzen: Einem Gutachten der Rechtsprofessor:innen Kim Lane Scheppele, Daniel Kelemen und John Morijn zufolge wäre es angemessen und verhältnismäßig, Ungarn im Rahmen des 2020 beschlossenen Konditionalitätsmechanismus von jeglichem Geldzufluss aus Brüssel abzuschneiden. Weil das Land derart "fundamental, regelmäßig und weitreichend" gegen demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien verstoße, sei die "Rechtmäßigkeit der Vergabe von EU-Mitteln" in Ungarn generell gefährdet. Das Gutachten wurde von den Grünen im Europaparlament in Auftrag gegeben. Es berichten SZ (Matthias Kolb) und spiegel.de (Michael Sauga)

Schweiz – Sepp Blatter/Michel Platini: Am morgigen Freitag wird das Schweizer Bundesstrafgericht das Urteil im Prozess gegen die früheren Fifa-Spitzenfunktionäre Sepp Blatter und Michel Platini verkünden. Eine im Jahr 2011 geleistete Zahlung der Fifa an Platini soll Betrug zu Lasten des Weltverbandes gewesen sein. Bei dem Urteil wird es auch darum gehen, wie sauber die Arbeit der Schweizer Bundesanwaltschaft war, deren Strafverfahren dafür sorgte, Platini aus dem Kandidatenrennen um die Fifa-Präsidentschaft zu kippen. Es berichtet ausführlich die SZ (Johannes Aumüller/Thomas Kistner)

USA – Supreme Court: Die Zeit (Heinrich Wefing) konstatiert ein Schwinden der Autorität des US-Supreme Court. Das Gericht sei im Innern tief gespalten und in der Öffentlichkeit umstritten wie nie. Nur noch ein Viertel der US-Amerikaner habe laut Meinungsumfragen "großes" oder "einiges Vertrauen" in den Supreme Court. Zugleich sei das Gericht das vielleicht wichtigste Instrument zur Durchsetzung eines Minderheitenprogramms, für das die amerikanischen Konservativen in der Bevölkerung keinen Rückhalt fänden. 

Malta – Mord an Daphne Caruana Galizia: Im Fall der ermordeten maltesischen Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia hat vor Prozessbeginn der des tödlichen Bombenattentats beschuldigte Kriminelle George Degiorgio die Tat in einem Interview eingeräumt. Hätte er vorher gewusst, wer das Opfer ist, hätte er mehr Geld verlangt, so Degiorgio weiter. Nun möchte er Strafmilderung erreichen im Tausch für Informationen über Hintermänner des Komplotts. Es berichten SZ (Andrea Bachstein) und FAZ (Matthias Rüb)

Brasilien – Klimaklage: Rechtsprofessor Ingo Wolfgang Sarlet und Rechtsanwalt Tiago Fensterseifer schreiben auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) über eine Entscheidung des brasilianischen Obersten Gerichtshofs. Danach ist das Pariser Weltklimaabkommen ein Menschenrechtsabkommen im Sinne der brasilianischen Verfassung und hat damit höheren Rang als normale Gesetze oder Staatsverträge. Zudem habe die Regierung Bolsonaro gegen die Verfassung verstoßen, indem sie öffentliche Klimaschutzmittel nicht ausgegeben hat. 

Sonstiges

Abtreibungsrecht: Rechtsprofessor Klaus Gärditz schreibt in einem Gastbeitrag für die FAZ, grundlegende Unterschiede in Rechtserzeugung und Methodik verböten direkte Transfers des Dobbs-Urteils des US-Supreme Court, mit dem dieser ein Recht auf Abtreibung gekippt hatte. Die kontinentaleuropäische Technik des Ausgleichs mithilfe der Verhältnismäßigkeitsprüfung habe im US-amerikanischen Grundrechtsmodell nie Fuß fassen können. Die dortigen "Tests", unter denen Grundrechte eingeschränkt werden können, beförderten eine politische Kultur der Kompromisslosigkeit. Das Bundesverfassungsgericht sei in seinen Abtreibungsentscheidungen zurecht differenzierter vorgegangen und habe auf Konfliktausgleich durch Abwägung gesetzt.  

Anwälte und Rentenversicherung: Laut LTO (Martin Huff) können infolge einer Änderung der Verwaltungspraxis Rechtsanwälte in Steuerberatungs- oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften künftig nur als Syndizi von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden. Bislang hatte es ausgereicht, eine anwaltliche Tätigkeit für den Arbeitgeber auszuüben. 

BKartA und Amazon: Das Bundeskartellamt hat den Konzern Amazon als Unternehmen mit "überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb" im Sinne von § 19a des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) eingestuft. Dadurch kann das Kartellamt in den nächsten fünf Jahren in einem zweistufigen Verfahren wettbewerbsgefährdende Praktiken untersagen. Es berichten netzpolitik.org (Tomas Rudl) und LTO

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums. 

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/jng

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 7. Juli 2022: . In: Legal Tribune Online, 07.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48960 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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