Die juristische Presseschau vom 28. April 2022: Aung San Suu Kyi erneut ver­ur­teilt / BVerfG ver­han­delt Gefan­genen-Löhne / EU-Kom­mis­sion gegen Ungarn

28.04.2022

In Myanmar ist Aung San Suu Kyi zu weiteren fünf Jahren Haft verurteilt worden. Am Bundesverfassungsgericht hat die Verhandlung zur Strafgefangenen-Entlohnung begonnen. Die EU-Kommission leitete den Rechtsstaatsmechanismus gegen Ungarn ein.

Thema des Tages

Myanmar – Aung San Suu Kyi: Ein Gericht in Myanmar hat die 76 Jahre alte Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi in einem Korruptionsprozess zu fünf Jahren Haft verurteilt. Suu Kyi wurde beschuldigt, 11,4 Kilogramm Goldbarren und 600.000 US-Dollar vom Regierungschef der Region Yangon angenommen zu haben. Die Haftstrafe erfolgt zusätzlich zu den Verurteilungen wegen Aufwiegelung, Verstößen gegen Corona-Auflagen und des Besitzes illegaler Handfunkgeräte. Insgesamt drohen ihr aus 18 Verfahren mehr als hundert Jahre Gefängnis. Möglicherweise wird sie nie wieder in Freiheit gelangen. Es berichten SZ (David Pfeifer), FAZ (Till Fähnders) und taz (Sven Hansen)

In einem gesonderten Kommentar schreibt David Pfeifer (SZ), hier werde ein Kirmesprozess durchgezogen, dessen Anklagen in sich schon bizarr seien. Den Generälen sei es nie um das Land, sondern immer um den Eigenerhalt gegangen. 

Singapur – Todesstrafe für geistig Behinderten: Nach der Hinrichtung eines geistig behinderten Drogenschmugglers in Singapur kritisiert Sven Hansen (taz), in Bezug auf Myanmar und Singapur werde mit zweierlei Maß gemessen. Auch in Singapur regiere brutale Menschenverachtung; im Unterschied zu Myanmar protestierten westliche Regierungen aber kaum. Stattdessen erfreue sich die Handelsmetropole Singapur in Wirtschafts- und Diplomatenkreisen großer Beliebtheit. 

Ukraine-Krieg und Recht

Billigung des russischen Angriffskriegs: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Paula Fischer schildert auf dem Verfassungsblog, welche Schritte Behörden in Bezug auf prorussische Versammlungen ergreifen können. Danach können Versammlungen verboten werden, deren Motto offen für eine Unterstützung des russischen Angriffskrieges oder anderer begangener Völkerrechtsverbrechen eintritt. Auch sei das Z-Symbol zum Zeichen der Unterstützung der russischen Ukraine-Invasion geworden, so dass sein Tragen während einer Versammlung untersagt werden könne. Selbiges gelte für andere Äußerungen, die eindeutig die russische Aggression billigten und nicht mehr von der Meinungsfreiheit geschützt seien. 

Rechtspolitik

Zuwanderung: Die EU-Kommission hat Vorschläge dafür vorgelegt, wie die Anträge für Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung kombiniert und so beschleunigt werden können. Migrant:innen sollen zudem leichter ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erlangen können. Sie sollen nicht mehr gezwungen sein, fünf Jahre in einem EU-Land zu leben und auch den Arbeitsplatz leichter wechseln können. Außerdem soll das Recht auf Familienzusammenführung gestärkt werden. Ziel ist es, mehr Arbeitsmigrant:innen in die EU zu locken, weil viele Unternehmen nicht mehr genügen Personal finden. Es berichten SZ (Josef Kelnberger), FAZ (Hendrik Kafsack) und LTO

Einschüchterungsklagen: Die EU-Kommission hat den Entwurf einer Richtlinie vorgestellt, die Personen, die sich im öffentlichen Interesse engagieren, vor Einschüchterungsklagen (SLAPS) schützen soll. In Fällen mit grenzüberschreitendem Bezug sollen solche Klagen erschwert werden. So sollen Gerichte offenkundig unbegründete Gerichtsverfahren frühzeitig abweisen können. Die Beweislast soll insoweit beim Kläger liegen. Bei einer Abweisung soll der Kläger alle Kosten tragen, einschließlich der Anwaltskosten des Beklagten. Zudem sollen Kläger sanktioniert werden können, die regelmäßig solche Fälle vor Gericht bringen. Es berichten die FAZ (Thomas Gutschker) und netzpolitik.org (Alexander Fanta).  

Kryptowährungen: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Jannis Lennartz betrachtet auf dem Verfassungsblog den grundrechtlichen Rahmen zweier von der Europäischen Union geplanten Verordnungen zur Regulierung von Kryptowährungen. So unterfielen Kryptowährungen und der Umgang mit ihnen dem Schutz der EU-Grundrechtecharta. Dies werde von den Regulatoren bislang verkannt. Vielmehr spiegele sich in ihrem Ansatz die Überzeugung, dass Kryptowährungen letztlich wertlos seien. 

Justiz

BVerfG – Strafgefangenen-Entlohnung: Vor dem Bundesverfassungsgericht hat am gestrigen Mittwoch der erste von zwei Verhandlungstagen zur Höhe der Entlohnung von Strafgefangenen stattgefunden. Es werden mehr als ein Dutzend Sachverständige angehört. Die Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen verteidigten die niedrigen Löhne, die nur neun Prozent des Durchschnittslohns der Rentenversicherten betragen. So sei die Produktivität von Strafgefangenen erheblich geringer als diejenige normaler Beschäftigter. Auch seien die Kosten des Strafvollzugs sehr viel höher als die Einnahmen aus der Arbeit der Strafgefangenen. Am ersten Tag war noch keine klare Tendenz der Richter:innen erkennbar. Denkbar ist, dass die Gefangenen künftig mehr Geld verdienen, aber auch mehr Geld abgeben müssen - für Haftkosten, Schulden, Opferentschädigung, Unterhalt. Es berichten FAZ (Marlene Grunert) und taz (Christian Rath)

EuGH zu Airbnb: Einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zufolge dürfen Unternehmen wie Airbnb verpflichtet werden, der Steuerverwaltung bestimmte Angaben über Geschäfte mit der Beherbergung von Touristen zu übermitteln. Ein solches Verlangen sei mit dem freien Dienstleistungsverkehr in der EU vereinbar. Es berichtet LTO

BVerfG zu BayVSG: Nun schreibt auch der wissenschaftliche Mitarbeiter Christian Benz auf Juwiss eingehend über das am Dienstag ergangene Urteil, mit dem das Bundesverfassungsgericht weite Teile des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes für verfassungswidrig erklärt hatte. 

BSG zu Kosten für Behandlung durch falschen Arzt: Einer Entscheidung des Bundessozialgerichts zufolge hat ein Krankenhausträger keinen Anspruch auf Vergütung für Behandlungen in seinem Krankenhaus, an denen ein Nichtarzt als vermeintlicher Arzt mitgewirkt hat. Dies gilt auch dann, wenn dem Nichtarzt zuvor eine echte Approbationsurkunde ausgestellt worden ist. In dem Fall hatte ein Mann seine ärztliche Approbation durch Vorlage gefälschter Zeugnissee erlangt. Über die Entscheidung schreibt LTO

OVG Hamburg zu Corona-Hotspot: Das Oberverwaltungsgericht Hamburg hat laut LTO die dortige Corona-Hotspot-Regel mit erweiterten Maskenpflichten und Zugangsbeschränkungen zu Clubs und Diskotheken bestätigt. Das Gericht hat eine Beschwerde gegen eine entsprechende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hamburg zurückgewiesen. Demnach habe Hamburg auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes erweiterte Schutzmaßnahmen treffen dürfen. Es habe die konkrete Gefahr einer sich dynamisch ausbreitenden Infektionslage bestanden. 

LAG Berlin-BB zu Corona-Prämie: Eine Corona-Prämie ist auszuzahlen, wenn eine Pflegekraft insgesamt 90 Tage über das Jahr gearbeitet hat. Längere Krankheitszeiten lassen den Anspruch auf die Prämie nicht entfallen, weil nach § 150a Sozialgesetzbuch XI der Tätigkeitszeitraum nicht zusammenhängend geleistet werden muss. Dies hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entschieden, wie LTO berichtet. 

LG Stuttgart – Missbrauch durch Sporttrainer: Ein 53-jähriger ehemaliger Jugendtrainer hat am ersten Verhandlungstag vor dem Landgericht Stuttgart den vielfachen sexuellen Missbrauch von männlichen Kindern und Jugendlichen umfassend gestanden. Vorgeworfen wird ihm, im Zeitraum von 15 Jahren 567 Einzeltaten begangen zu haben, darunter schwerer sexueller Missbrauch und Missbrauch Schutzbefohlener. Es berichten FAZ (Rüdiger Soldt) und spiegel.de

AG Kiel zu Fahnenmast-Unglück: Das Amtsgericht Kiel hat einen Lkw-Fahrer, der mit seinem Fahrzeug einen Fahnenmasten zum Umstürzen gebracht und damit den Tod einer von dem Mast getroffenen Frau verursacht hatte, wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Mann hatte einen Anhänger ankoppeln wollen, dabei das letzte Stück ohne Einweisung des Beifahrers zurückgesetzt und so den Mast angefahren. Es berichtet spiegel.de

StA Frankfurt/M. – Dieselskandal/Suzuki: In mehreren europäischen Ländern, u.a. in Deutschland, ließen Staatsanwälte Geschäftsräume von Automobilherstellern und -zulieferern durchsuchen. Dabei geht es um den Verdacht des Einsatzes unzulässiger Abgasreinigungs-Abschalteinrichtungen in Dieselfahrzeugen von Suzuki. Es berichtet die FAZ (Marcus Jung/Niklas Záboji).


Recht in der Welt

Ungarn – EU-Rechtsstaatsmechanismus: Wegen möglicher Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien hat die EU-Kommission mit einem Schreiben an Ungarn erstmals ein Verfahren zur Kürzung von EU-Mitteln eingeleitet. Die Bedenken beziehen sich auf das öffentliche Beschaffungswesen in Ungarn, die nationale Kontrolle von Zahlungen aus dem EU-Haushalt, auf Transparenz sowie die Vermeidung von Betrug und Korruption. Es berichten FAZ (Thomas Gutschker) und LTO

Reinhard Veser (FAZ) meint, die EU-Kommission habe das neue Instrument zum Schutz des EU-Haushalts gegen Ungarn anwenden müssen. Ansonsten hätte sie in Auseinandersetzungen über Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit jede Glaubwürdigkeit verloren. Schließlich seien in Bezug auf Ungarn die Indizien für einen Missbrauch von Geld aus dem Gemeinschaftsbudget doch sehr stark. 

Italien – Namensrecht: Nach einer Entscheidung des italienischen Verfassungsgerichts verstößt die Praxis, Kindern automatisch den Nachnamen des Vaters zu geben, gegen die Verfassung. Die entsprechenden Normen seien "diskriminierend und schädlich für die Identität des Kindes", so das Gericht laut spiegel.de. Beide Elternteile müssten an der Wahl des Nachnamens des Kindes beteiligt sein. 

USA - Börsenaufsicht vs. Elon Musk: Tesla-Chef Elon Musk muss weiterhin alle Tweets zum Thema Tesla vor der Veröffentlichung juristisch prüfen lassen. Dies entschied laut spiegel.de ein US-Bundesgericht in New York. Ein von der US-Börsenaufsicht SEC mit Musk 2018 geschlossener Vergleich ist weiterhin gültig. Damals hatte Musk mit irreführenden Tweets den Kurs der Tesla-Aktie nach oben getrieben. Im aktuellen Verfahren wollte Musk sich aus dem Vergleich lösen, weil seine Meinungsfreiheit verletzt sei.

USA – Party wider Willen: Nachdem sein Arbeitgeber gegen seinen Willen eine Geburtstagsfeier organisiert hat, ist einem Mann von einem Gericht in Kentucky Schadensersatz in Höhe von 450 000 Dollar zugesprochen worden. Der Mann hatte im Laufe der Party eine Panikattacke erlitten und war daraufhin von seinen Vorgesetzten unter Druck gesetzt worden. Schließlich hatte ihn sein Arbeitgeber entlassen, wie die SZ (Valentin Dornis) schreibt. 

Sonstiges

Rechtsanwältin Chebout/Elternschaft: Die Zeit (Johanna Schoener) porträtiert die Arbeit der Anwältin Lucy Chebout, die sich für die Rechte queerer Eltern einsetzt. Ihrer Auffassung nach verstößt das geltende Abstammungsrecht des § 1592 Bürgerliches Gesetzbuch gegen das Grundgesetz. Die Norm zwingt Ehepartnerinnen in gleichgeschlechtlichen Ehen bislang, in der Ehe geborene Kinder zu adoptieren, um im rechtlichen Sinne als Mütter zu gelten. Nach verschiedenen Vorlagebeschlüssen ist nun das Bundesverfassungsgericht mit dem Thema befasst. 

Corona - Maßnahmen: Rechtsprofessor Ferdinand Wollenschläger erläutert bei FAZ-Einspruch eingehend die neue Rechtslage in Bezug auf die Corona-Bekämpfung. Der Katalog zulässiger Schutzmaßnahmen sei im Infektionsschutzgesetz weiter reduziert worden. Unterschieden werde zwischen Basismaßnahmen und darüber hinausgehenden Maßnahmen in Gebieten, für die das jeweilige Landesparlament eine qualifizierte Gefahrenlage (Hotspot) festgestellt hat. Das mit den neuen Regeln einhergehende Zurückfahren staatlicher Schutzmaßnahmen bedeute eine Deregulierung und Privatisierung des Infektionsschutzes. 

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/jng

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 28. April 2022: . In: Legal Tribune Online, 28.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48274 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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