Die juristische Presseschau vom 28. Juni 2022: VG rügt Pres­se­ar­beit des BVerfG / Lim­bach-Sohn wird NRW-Jus­tiz­mi­nister / Anwalts-Streik in Eng­land

28.06.2022

Das VG Karlsruhe hat das BVerfG wegen verweigerter Presseauskünfte zurechtgewiesen. Die NRW-Grünen haben Benjamin Limbach als NRW-Justizminister nominiert. Englische Barrister fordern höheren Reallohn und legen ihre Arbeit nieder.

Thema des Tages

VG Karlsruhe zu BVerfG-Pressearbeit: LTO (Felix W. Zimmermann) berichtet über einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 14. Juni, das dem Bundesverfassungsgericht ein Fehlverhalten in Sachen Presseauskunft attestierte. Die Bild-Journalistin Lydia Rosenfelder hatte zuvor dem BVerfG immer wieder Fragen zu einem gemeinsamen Abendessen des Gerichts mit der damaligen Bundesregierung im Sommer 2021 und zur Aktenführung des BVerfG hierzu gestellt. Die Pressestelle des BVerfG beantwortete die Fragen ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr inhaltlich, sondern mit der Floskel "Ich verweise auf die bisherige Korrespondenz", obwohl dies in der Regel keinen Sinn ergab. Die Journalistin erhob daher vor dem VG Karlsruhe eine auf Artikel 5 GG gestützte Auskunftsklage gegen das BVerfG. Erst dann beantwortete das BVerfG zahlreiche Fragen, z.B. dass sich ein Brief von Gerichtspräsident Stephan Harbarth an die damalige Kanzlerin Angela Merkel nicht in den Handakten befand, da er wegen eines Büroversehens falsch einsortiert worden sei. Beide Seiten erklärten den Rechtstreit daraufhin für erledigt. Das BVerfG beantragte jedoch, der Journalistin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Bei der summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten des ursprünglichen Antrags stellte das VG dann fest, dass das BVerfG dem Vorliegen eines Auskunftsanspruchs in materiell-rechtlicher Hinsicht in Bezug auf sechs Fragen "nicht substantiiert entgegengetreten" sei. Das BVerfG muss daher zwei Drittel der Verfahrenskosten zahlen. 

Rechtspolitik

Neuer NRW-Justizminister: Die FAZ (Reiner Burger) stellt den designierten nordrhein-westfälischen Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) vor. Er studierte und promovierte in den 1990er-Jahren in Bonn und war anschließend als Richter am Verwaltungsgericht Köln und als Referatsleiter im Justizministerium NRW tätig. Seit Mai 2020 war Limbach Präsident der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl. Er ist Sohn von Jutta Limbach, ehemaliger Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts.

Suizidhilfe: LTO (Thomas Reintke) stellt die Details der drei am Freitag im Bundestag debattierten Gesetzesentwürfe zur Regulierung der Suizidhilfe vor und zeigt die dafür vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Leitplanken auf. Im federführenden Rechtsausschuss werde man jetzt im Kern darüber diskutieren, ob ein neuer § 217 StGB die Möglichkeit zur assistierten Selbsttötung zu stark beschränkt bzw. ob die beiden liberaleren Entwürfe die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des Sterbewunsches hinreichend sicherstellen.

Justiz

BVerfG zu G7-Demo vor Schloss Elmau: Das Bundesverfassungsgericht hat einen Antrag von G7- Kritiker:innen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen und ihnen damit eine Kundgebung in nächster Nähe zum Schloss Elmau verwehrt. Die Versammlungsbehörde hatte zuvor als Auflage einen Abstand der Klein-Demo von 520 Metern zum Schloss verlangt. Die Organisator:innen wollten jedoch 200 Meter näher ans Schloss  und beantragten deshalb eine einstweilige Anordnung. Das BVerfG akzeptierte aber die Begründung der Versammlungsbehörde, es seien Störungen des G7-Gipfels insbesondere über den Luftraum wahrscheinlich. In solchen Fällen seien dann jedoch Demonstrierende, die nicht in die Evakuierungs- und Notfallplanung eingewiesen sind, in der "Sicherheitszone 1" um das Schloss eine Gefahr für die Teilnehmenden des G7-Gipfels, die Sicherheitskräfte sowie sich selbst. LTO berichtet.

OLG Hamm zu "POZILEI"- Jacke: Das Oberlandesgericht Hamm hat ein Urteil des Landgerichts Paderborn bestätigt, wonach ein 43-jähriger Mann sich durch das Tragen einer neongelben Jacke mit der Aufschrift "POZILEI" wegen des unbefugten Tragens einer Uniform strafbar gemacht hat. Es reiche aus, dass eine im Straßenverkehr getragene Uniform einer Polizeiuniform zum Verwechseln ähnlich sehe. Der Mann hatte an einer Kreuzung neben einem Auto gehalten, an die Fensterscheibe geklopft und die Fahrerin wegen ihrer Fahrweise gescholten. LTO berichtet.

LG Kaiserslautern – Polizistenmorde von Kusel: Im Mordprozess um die zwei erschossenen Polizisten nahe Kusel in Rheinland-Pfalz hat vor dem Landgericht Kaiserslautern die Beweisaufnahme begonnen, wofür 13 Zeugen geladen waren. Ein alsbald am Tatort eingetroffener Polizist schilderte die Situation. Auch wurde der letzte Funkspruch der Opfer eingespielt: "Die schießen, die schießen." Die Ehefrau des Täters, die ihm die Waffen zur Jagd gegeben haben soll, machte von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Es berichten FAZ (Julia Anton, mit erweiterter faz.net-Fassung) und spiegel.de.

VG Berlin zu geerbtem Urlaubsausgleich: Nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin haben die Erben einer verstorbenen Beamtin keinen unbegrenzten Anspruch auf eine finanzielle Abgeltung für den von der Verstorbenen nicht genommenen Urlaub. Zwar gehe der Anspruch grundsätzlich auf die Erben über, allerdings sei dieser bei einer fünftägigen Arbeitswoche auf das unionsrechtlich gewährleistete Minimum von 20 Urlaubstagen begrenzt. Daher werden hier nur 46 der 64 angesammelten Tage ausgeglichen. LTO berichtet.

Recht in der Welt

England/Wales — Anwaltsstreik: Englische und walisische Anwält:innen haben seit Montag in einem groß angelegten Streik ihre Arbeit niedergelegt. Der Streik soll an diesem Dienstag fortgesetzt werden und dann in jeder Woche einen Tag länger dauern. In dieser Zeit wollen die sog. Barrister keine neuen Fälle annehmen und auch keine Mandate von überlasteten Kolleg:innen übernehmen. Sie fordern eine Entlastung und eine Anpassung des Reallohns, der seit 2006 um 28 Prozent zurückgegangen sei. Es berichten die Welt (Claudia Wanner), FAZ (Philip Plickert), LTO und spiegel.de.

Großbritannien — Nordirland-Protokoll: Das umstrittene Gesetz zur Änderung des Brexit-Nordirland-Protokolls hat in einer ersten Abstimmung im britischen Unterhaus eine Mehrheit von 295 zu 221 Stimmen erhalten. Damit können die Beratungen über die Vorlage weiter vorangetrieben werden. Die EU-Kommission hatte nach der Ankündigung vor zwei Wochen bereits zwei neue Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien eingeleitet und ein altes Verfahren wieder aufgenommen. zeit.de berichtet.

USA - Ghislaine Maxwell: Für diesen Dienstag wird die Verkündung des Strafmaßes für Ghislaine Maxwell erwartet, die seit zwei Jahren im Gefängnis sitzt und vergangenen Dezember wegen Menschenhandels mit Minderjährigen zu Missbrauchszwecken schuldig gesprochen wurde. Die Staatsanwaltschaft forderte zuletzt eine Freiheitsstrafe von 30 Jahren. In den letzten Tagen wurde Maxwell unter besondere Beobachtung genommen, nachdem ihre Anwältin eine Suizidgefahr bekundete. Maxwell war eine enge Verbündete des verstorbenen Finanzinvestors Jeffrey Epstein und soll mit und für ihn Mädchen für den sexuellen Missbrauch rekrutiert haben. Die FAZ (Melanie Mühl) und spiegel.de berichten.

USA – Recht auf Abtreibung: Nachdem der US-Supreme Court am Freitag die Entscheidung "Roe v. Wade" aus dem Jahr 1973 verworfen und damit das Recht auf Abtreibung gekippt hat, berichtet die FAZ (Frauke Steffens) ausführlich über die Entwicklung von Rechtsprechung und Politik. Sie hebt hervor, dass Konservative nicht immer so geschlossen waren wie heute. Roe v. Wade sei etwa durch den konservativen Richter Harry Blackmun begründet worden.

Die SZ (Fabian Fellmann) beleuchtet die Rolle des konservativen und dienst-ältesten Richters Clarence Thomas, der über die letzten Jahrzehnte mit seinen Minderheitsmeinungen eine rechtliche Argumentation verfestigt habe, welche die neue Mehrheit nun umsetze.

Auf dem Verfassungsblog führt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Sarah Katharina Stein ausführlich die Inhalte der individuellen "Concurrences"  und "Dissents" der Richter:innen aus und warnt insbesondere vor der Ankündigung in Clarence Thomas' Concurrence, weitere Rechte wie das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehe, den Zugang zu Verhütungsmitteln oder die Straffreiheit der gleichgeschlechtlichen Sexualität überprüfen zu wollen.

Frankreich — Recht auf Abtreibung: Als Reaktion auf die Entscheidung des US-Supreme Courts will Frankreich das Recht auf Abtreibung in der Verfassung verankern. Dem von der neuen Vorsitzenden der Präsidentenfraktion in der Nationalversammlung, Aurore Bergé, angekündigte Gesetzesentwurf müssten beide Parlamentskammern mit einer Dreifünftel-Mehrheit zustimmen. Die FAZ (Michaela Wiegel) berichtet.

Schweiz — Credit Suisse: In einem Geldwäschefall wurden die Bank Credit Suisse und eine ehemalige Mitarbeiterin vom Schweizer Bundesstrafgericht in Bellinzona für schuldig befunden. Sie hätten nicht genug unternommen, um die Geldwäsche einer bulgarischen Kokainhändlerbande in den Jahren 2004 bis 2008 zu verhindern. Der Prozess, in dem auch Zeugenaussagen über Morde gemacht wurden, gilt als erster Schritt für ein härteres Vorgehen der Justiz gegen die Banken des Landes. Es berichten SZ und Hbl (Jakob Blume).

Simbabwe — Tsitsi Dangarembga: Im Prozess gegen die Autorin und Filmemacherin Tsitsi Dangarembga hat ein Gericht in Simbabwe Haftbefehl erlassen. Dangarembga werden nach einer Teilnahme an regierungskritischen Protesten öffentliche Aufrufe zu Gewalt, Friedensbruch und Bigotterie vorgeworfen. Sie hält sich zur Zeit in Deutschland auf und konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Prozess anreisen. Die Entscheidung über eine mögliche Einstellung des Prozesses wurde vertagt. Es berichten FAZ (Fridtjof Küchemann) und spiegel.de.

Sonstiges

Anwaltschaft: LTO (Pia Lorenz) berichtet über die Strukturen der deutschen Anwaltschaft: Insgesamt gebe es 167.000 Rechtsanwält:innen, wovon aber maximal 97.000 sog. Nur-Rechtsanwält:innen seien, die ihre volle Arbeitszeit wirklich für die anwaltliche Vertretung einsetzen. Seit dem Jahr 2002 sei das Durchschnittsalter von 43,9 auf heute 51,7 Jahre gestiegen. Beim Frauenanteil komme es auf den anwaltlichen Tätigkeitsbereich an. Während die Quote bei Syndikusanwäl:innen mittlerweile bei 58 Prozent liege, sei sie bei den niedergelassenen Anwält:innen in den vergangenen fünf Jahren um sechs Prozent auf 34 Prozent gesunken.

UVP: Die taz (Christian Rath) berichtet über die Ergebnisse des aktuellen Monitoring-Berichts zur Transparenz von Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) für das Jahr 2019. Obwohl seit 2017 eine Pflicht bestehe, die Öffentlichkeit auf zentralen Internetportalen des Bundes und der Länder über kommende UVPs zu informieren, wurden immer noch rund 80 Prozent der Verfahren dort nicht veröffentlicht. Immerhin habe sich die Zahl der dort veröffentlichten Verfahren von 2018 auf 2019 verdoppelt. Der Monitoringbericht wird vom Umweltinstitut UfU erstellt.

Das Letzte zum Schluss

Die berüchtigten Details: Das FBI hat eine komplette Ausstellung mit Werken des Künstlers Jean-Michel Basquiat in Orlando beschlagnahmt, die, sofern echt, mindestens 100 Millionen Dollar wert gewesen wären. Allerdings hatte ein Grafikdesigners von Fed-Ex ausgesagt, dass eines der angeblich im Jahr 1982 entstandenen Werke auf die Rückseite eines Fed-Ex-Kartons gemalt ist, der in einer Schriftart bedruckt ist, die der Versandkonzern erst 1994 eingeführt hat. Basquiats war aber schon sechs Jahre zuvor gestorben. Es berichten SZ (Jörg Häntzschel), FAZ (Ursula Scheer) und spiegel.de.


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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/tr

(Hinweis für Journalist:innen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 28. Juni 2022: . In: Legal Tribune Online, 28.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48865 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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