Die juristische Presseschau vom 13. Juni 2024: BGH rügt "Fit­ness"-Tarif / BVerfG zu Park­ver­stößen / Neues AfD-Gut­achten geplant

13.06.2024

Der BGH monierte die Intransparenz der AGB eines Versicherungs-Fitness-Tarifs. Das BVerfG hob ein Parkverstoß-Urteil mangels Beweises der Fahrereigenschaft auf. Der Verfassungsschutz arbeitet an einem neuen Gutachten zur Einstufung der AfD.

Thema des Tages

BGH zur Fitness-Klausel einer Versicherung: Der Bundesgerichtshof beanstandete auf Klage des Bunds der Versicherten zwei Klauseln einer Berufsunfähigkeitsversicherung mit Fitness-Komponente der Dialog-Versicherung, die zum Generali-Konzern gehört. Bei der Versicherung sollten die Kund:innen günstigere Prämien durch eine bessere Überschussbeteiligung erhalten, wenn sie sich an dem Fitness-Programm Vitality beteiligen und dort ihr sportliches Verhalten durch eine App überwachen lassen. Der BGH musste nicht über die grundsätzliche Zulässigkeit solcher Fitness- und Telematik-Klauseln entscheiden. Der BdV hatte nur technische Fragen der Allgemeinen Versicherungsbedingungen gerügt und bekam nun Recht. Der Versicherungsvertrag sei intransparent, weil sich aus ihm nicht konkret ergebe, wie sich gesundheitsbewusstes Verhalten konkret auf die Prämienhöhe niederschlägt. Eine zweite Klausel benachteilige die Kund:innen unzulässig, weil die Versicherung das Risiko korrekter Übertragung der Daten allein den Kund:innen aufbürdet. SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Marcus Jung), Hbl (Markus Hinterberger/Susanne Schier), SchwZ (Christian Rath) und tagesschau.de (Alena Lagmöller) berichten.

Rechtspolitik

Asyl/subsidiärer Schutz: Laut taz (Frederik Eikmanns) stellt der FDP-Bundestagsfraktionschef Christian Dürr den Status des subsidiären Schutzes für Geflüchtete generell in Frage. Subsidiär schutzberechtigt sind Menschen, denen kein Asyl gewährt wird, weil sie nicht persönlich verfolgt werden, denen in ihrem Heimatland aber Schaden droht, etwa aufgrund von Krieg oder Bürgerkrieg. Vorige Woche hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gefordert, den subsidiären Schutz zumindest für Menschen aus Syrien und Afghanistan abzuschaffen.

Asyl in Ruanda: Laut der FAZ (Thomas Gutschker) hat die EU-Kommission Vorschlägen, die sich am britischen Deal mit Ruanda orientieren, eine Absage erteilt. "Das ist eine Linie, von der ich nicht möchte, dass die EU sie überschreitet", sagte Margaritis Schinas, Vizepräsident der EU-Kommission. 

In einem Streitgespräch der Zeit (Simon Langemann/Mark Schieritz) diskutieren der Fluchtforscher Marcus Engler und der Migrationsexperte Gerald Knaus Vor- und Nachteile eines Flüchtlingsabkommen Deutschlands mit Ruanda, wie es die Bundesregierung derzeit prüft. 

Lieferketten und Menschenrechte: Am heutigen Donnerstag will die Union ein Gesetz in den Bundestag einbringen, mit dem das Lieferkettengesetz "aufgehoben" werden soll. Hintergrund des Entwurfs ist der Vorschlag von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), das seit 2023 bestehende Lieferkettengesetz pausieren zu lassen, bis die europäische Lieferkettenrichtlinie greife. Gegenwind zu den Vorschlägen kommt aus Habecks eigener Partei. Es berichtet die taz (Leila van Rinsum)

Leila van Rinsum (taz) kritisiert die Vorstöße Habecks und der Union als "kurzsichtig". Solche Forderungen läuteten keine inhaltliche Debatte ein, sondern böten lediglich eine Steilvorlage, "die Uhr zurückzudrehen" – auf Kosten der Menschenrechte. 

Staatliche Förderung und Verfassungstreue: Im Interview mit der SZ (Ronen Steinke) spricht sich die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) dafür aus, Kunstschaffende einem umfassenden Verfassungstreuecheck zu unterziehen, wenn sie Fördergelder vom Staat beantragen. Der Vorschlag – kein Steuergeld für Verfassungsfeinde – solle aber auch für andere Bereiche gelten, etwa die Jugend- und Sozialarbeit. 

Völkerstrafrecht: Die Rechtsberaterin Isabelle Hassfurther analysiert auf dem Verfassungsblog das Gesetz zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts, das der Bundestag vorige Woche beschlossen hat. In vielen Bereichen stelle die Neuregelung eine "wichtige und gelungene Reform des Rechtsrahmens für die Ahndung von Völkerstraftaten in Deutschland dar", so die Autorin. Inwiefern deutsche Völkerstrafverfahren allerdings für die Überlebenden selbst und für die Zivilgesellschaften der Tatortstaaten langfristig zugänglicher werden, bleibe abzuwarten.

Gewalt gegen Politiker:innen: Im Interview mit beck-aktuell (Monika Spiekermann) plädiert der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) für die Aufnahme des strafschärfenden Strafzumessungskriteriums "demokratiefeindliche Gesinnung" in § 46 Abs. 2 StGB, um effektiver gegen Angriffe auf politisch Aktive vorzugehen. 

Justiz

BVerfG zu Parkverstößen: Das Bundesverfassungsgericht gab einem Pkw-Halter Recht, der sich gegen einen Bußgeldbescheid wegen Überschreitens der zulässigen Parkdauer gewehrt hatte. Aus der Eigenschaft des Mannes als Halter habe nicht automatisch auf ihn als Fahrer geschlossen werden dürfen. Das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts Siegburg enthalte keinerlei Ansätze über die sachgerechte Feststellung und Erwägung zur Täterschaft des Beschwerdeführers. Darin sei auch nicht bloß ein formeller Fehler in der Beweisführung zu sehen, vielmehr verstoße die Entscheidung des Amtsgerichts gegen das Willkürverbot aus Art. 3 I GG. LTO und beck-aktuell berichten. 

OLG Dresden – Böhmermann vs. Imker: LTO (Max Kolter) berichtet vertieft über die Berufungsverhandlung im Streit um die Zulässigkeit zweier Werbeaktionen des Imkers Rico Heinzig. Es zeichne sich ab, dass das OLG den Eil-Antrag des Satirikers Jan Böhmermann – wie zuvor bereits das Landgericht Dresden – mit der Begründung ablehnen wird, dass der satirische Charakter der Werbeaktion erkennbar sei. Das Gericht sei für die Argumente der Klägerseite nicht offen gewesen. Am 18. Juli will das OLG seine Entscheidung verkünden. 

VG Gelsenkirchen – AfD/Stadthalle: Nachdem die AfD bereits vor dem Landgericht Essen einstweiligen Rechtsschutz beantragt hat, beantragt sie nun auch vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Stadt Essen. Diese müsse als Mehrheitsgesellschafterin auf die Messe Essen GmbH einwirken, damit diese der AfD den Zugang zur Grugahalle verschaffe. Die AfD hatte die Halle gemietet, um sie für ihren Bundesparteitag Ende Juni zu nutzen. Da sie jedoch die von der Messe Essen GmbH angeforderte Selbstverpflichtung, dass auf dem Parteitag keine SA-Parolen geäußert werden, nicht abgab, kündigte die Messe den Mietvertrag. Es berichtet LTO (Tanja Podolski)

LG München I zu unverpixeltem Sylt-Video: Wie LTO (Felix W. Zimmermann) schreibt, hat das Landgericht München I einer jungen Frau Recht gegeben, die gegen die Veröffentlichung des unverpixelten Sylt-Videos – sowie entsprechender Screenshots – durch die Bild-Zeitung vorgegangen war. Auf dem Video singt die Frau die Worte "Ausländer raus". In der Antragsschrift verweist die Anwältin der Frau insbesondere auf die mit der Veröffentlichung des Videos verbundene Prangerwirkung.

LG Karlsruhe zu Radio Dreyeckland: Ausführlich analysiert und bewertet Minh Schredle (Kontext) die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe, mit der der Journalist Fabian Kienert vom Vorwurf der Unterstützung einer verbotenen Vereinigung freigesprochen wurde. Der Autor ist der Auffassung, das Urteil sei nur eingeschränkt als Sieg für die Pressefreiheit zu werten, vielmehr sei es ein "Skandal", "dass der Staatsanwalt agieren konnte, wie er es getan hat". Inzwischen stehe zudem fest, dass der Fall noch nicht endgültig abgeschlossen ist. Denn nur einen Tag nach dem Freispruch habe die Staatsanwaltschaft Karlsruhe Revision gegen das Urteil eingelegt.

LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Die SZ (Stephan Radomsky) zieht nach anderthalb Jahren ein Resümee aus dem bisherigen Verlauf des Prozesses gegen Ex-Wirecard-Chef Markus Braun vor dem Landgericht München I und prognostiziert, dass den Angeklagten eine Haftstrafe im zweistelligen Bereich erwarten könnte. Bis heute halte er an der Erzählung fest, mit der er als Wirecard-Chef lange Erfolg gehabt hatte: "Böse, das sind die anderen". 

LG Hamburg – Geiselnahme am Flughafen: spiegel.de (Julia Jüttner) berichtet über den Fortgang des Verfahrens gegen Salman E. vor dem Landgericht Hamburg. Angeklagt ist er u.a. wegen Geiselnahme und Entziehung Minderjähriger, nachdem er vor etwa einem halben Jahr seine Tochter entführt, mit Bomben gedroht und so den Hamburger Flughafen für mehr als 20 Stunden lahmgelegt hatte. Die psychiatrische Sachverständige Christine Heisterkamp hält Salman E. für "hochgradig narzisstisch, egozentrisch, respektlos und überheblich". Er sei nicht psychisch krank, besitze aber eine "auffällige Persönlichkeitsstruktur". Zweifel an seiner vollen Schuldfähigkeit bestünden nicht. Das Urteil wird für den 25. Juni erwartet.

LG Köln – Entführung einer Psychotherapeutin: Vor dem Landgericht Köln begann der Prozess gegen zwei Männer, denen vorgeworfen wird, eine Psychotherapeutin in ihrer Praxis überwältigt, betäubt und entführt zu haben. Ziel war, eine Millionensumme von ihr zu erpressen. Einer der beiden Angeklagten war Patient der Therapeutin. Die FAZ (Reiner Burger) berichtet.

SG Berlin zu DAV-Vizepräsidentin: Die ehemalige DAV-Vizepräsidentin und Schatzmeisterin Pia Eckertz-Tybussek scheiterte vor dem Sozialgericht Berlin mit einer Klage gegen die Feststellung, dass sie für den DAV sozialversicherungspflichtig beschäftigt war. Für das SG war die hohe Aufwandsentschädigung von bis zu 4.000 Euro monatlich und die Weisungsgebundenheit ausschlaggebend. beck-aktuell (Denise Dahmen) berichtet. 

GenStA München – Petr Bystron: Laut spiegel.de (Markus Becker u.a.) muss das Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft München gegen den AfD-Bundestagsabgeordneten Petr Bystron wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und der Geldwäsche demnächst unterbrochen werden. Denn mit Antritt seines Mandats im Europäischen Parlament genießt Bystron wieder Immunität. Das Verfahren gegen ihn kann erst fortgesetzt werden, wenn auch diese Immunität aufgehoben wird. Bystron soll im Zusammenhang mit seinen mehrfachen Auftritten im Kreml-freundlichen Medium "Voice of Europe" finanzielle Zuwendungen von Russland erhalten haben. 

Recht in der Welt

IStGH – Krieg in Gaza: Die Rechtsprofessor:innen Kai Ambos, Stefanie Bock, Julia Geneuss, Florian Jeßberger, Claus Kreß, Stefan Oeter, Andreas Paulus, Stefan Talmon und Andreas Zimmermann widersprechen in der FAZ der Behauptung, es gebe keine völkerrechtliche Verpflichtung Deutschlands, einem etwaigen Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshof gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu Folge zu leisten. Die in Art. 27 des IStGH-Statuts ausdrücklich festgeschriebene Nichtanerkennung von persönlicher Immunität sei mittlerweile sogar zu Völkergewohnheitsrecht erstarkt.

Niederlande – Mord an Peter de Vries: Wie spiegel.de schreibt, verurteilte das Amsterdamer Strafgericht drei Männer wegen Mordes an dem niederländischen Kriminalreporter Peter de Vries zu Haftstrafen von bis zu 28 Jahren. Vier weitere Männer wurden wegen Beihilfe zu bis zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt, zwei Angeklagte freigesprochen. Nach Ansicht der Anklage gab es in dem Mordfall einen Zusammenhang zur Drogenbande von Ridouan Taghi. Beweise hierfür gab es allerdings nicht. 

USA – Hunter Biden: Über die Verurteilung von Hunter Biden, Sohn des US-Präsidenten, wegen Verstößen gegen waffenrechtliche Bestimmungen, berichten nun auch SZ (Peter Burghardt) und spiegel.de (Roland Nelles). Das Strafmaß werde zu einem späteren Zeitpunkt verkündet. Laut der FAZ (Sofia Dreisbach) erwägt Hunter Biden, gegen das Urteil Berufung einzulegen. 

Großbritannien – Fällung des "Robin-Hood-Baums": Weil sie im September vergangenen Jahres einen etwa 200 bis 300 Jahre alten Bergahorn gefällt hatten, der durch seine Präsenz im Film "Robin Hood: Prince of Thieves" Berühmtheit erlangte, stehen in Großbritannien nun zwei Männer vor Gericht. Der Schaden soll sich umgerechnet auf knapp 750.000 Euro belaufen. Es berichtet die SZ (Alexander Menden)

Georgien – "ausländische Agenten"-Gesetz: Die FAZ (Reinhard Veser) berichtet über die Ausbildung georgischer Jurist:innen in Deutschland, insbesondere in den 1990er-Jahren, und legt dar, dass viele der im Westen geprägten Rechtswissenschaftler:innen nun entscheidend daran mitwirken, die Demokratie in Georgien, zu deren Errichtung die einstige Förderung ursprünglich beigetragen hatte  – mittels des "ausländische Agenten"-Gesetzes – wieder abzuschaffen. Deutsche Professor:innen dieser georgischen Politiker ließen die Entwicklung in Georgien bislang unwidersprochen. 

Sonstiges

Einstufung der AfD: Das Bundesamt für Verfassungsschutz arbeitet an einem neuen Gutachten zur Einstufung der AfD, die im März 2021 als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wurde. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sagte hierzu, ein Verdachtsfall müsse in regelmäßigen Abständen erneut ergebnisoffen geprüft werden. Zuletzt habe man "eine Stärkung der rechtsextremistischen Strömungen innerhalb der Partei festgestellt". Kommende Woche wird der Verfassungsschutzbericht für 2023 vorgestellt. Es berichtet LTO

KI/Datenschutz: Der Konzern Meta möchte seine künstliche Intelligenz künftig mit den Beiträgen seiner Nutzer:innen anlernen. Die Zeit (Johanna Jürgens) geht der Frage nach, ob die entsprechenden Datenschutzbestimmungen des Konzerns überhaupt legal sind und wie sich Nutzer:innen gegen die Verwendung ihrer Daten wehren können. 

Juristinnen mit Migrationsgeschichte: Im Interview mit LTO (Maryam Kamil Abdulsalam) stellt Farnaz Nasiriamini, Lehrbeauftragte und Mitglied des Bundesvorstandes des Deutschen Juristinnenbunds (djb), das neu gegründete Netzwerk "Juristinnen mit Migrationsgeschichte" – eine eigene Unterorganisation des djb – vor. Dieses hat zum Ziel, auf die Ungleichbehandlung von Frauen, insbesondere solche mit Migrationsgeschichte, aufmerksam zu machen, inklusivere Strategien im Kampf gegen Diskriminierung zu entwickeln und Juristinnen, die von Sexismus und Rassismus betroffen sind, miteinander zu vernetzen.  

Juristische Erstakademiker:innen: Die EBS-Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden hat gemeinsam mit drei Wirtschaftskanzleien die In­itia­ti­ve "recht viel­fäl­tig" zur Un­ter­stüt­zung von Er­st­aka­de­mi­ke­r:in­nen im Ju­ra­stu­di­um gegründet. Für Studierende aus Nicht-Akademiker-Familien soll es Mentoring-Programme, Praktika und Erfahrungsaustausch geben. beck-aktuell (Jannina Schäffer) stellt die Initiative vor.

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/bo/chr

(Hinweis für Journalist:innen)   

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 13. Juni 2024: BGH rügt "Fitness"-Tarif / BVerfG zu Parkverstößen / Neues AfD-Gutachten geplant . In: Legal Tribune Online, 13.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54759/ (abgerufen am: 17.07.2024 )

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