Die juristische Presseschau vom 4. Juni 2024: Abschie­bung nach Afg­ha­nistan? / Busch­mann gegen Pflicht­ver­si­che­rung / Weniger Refe­rendar:innen in NRW

04.06.2024

Nach der Messerattacke von Mannheim fordern Innenminister:innen Abschiebungen nach Afghanistan. Justizminister Buschmann lehnt eine Pflichtversicherung gegen Hochwasser ab. Das Land NRW baut seine Ausbildungskapazität um 20 Prozent ab.

Thema des Tages

GBA – Messerattacke in Mannheim: Der Generalbundesanwalt hat wegen der besonderen Bedeutung des Falles die Ermittlungen gegen den 25-jährigen Afghanen Suleiman A. übernommen, meldet spiegel.de. Die Tat gefährde die Innere Sicherheit in Deutschland. A. hatte am Freitag in Mannheim den Islamkritiker Jürgen Stürzenberger mit einem Messer angegriffen und den eingreifenden Polizisten Rouven L. tödlich verletzt. 

IMK – Abschiebung nach Afghanistan: Nach der Messerattacke forderte Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD), die Abschiebung von "schwer kriminellen" Straftätern nach Afghanistan und Syrien zuzulassen. Das Bundesinnenministerium soll die dortige Sicherheitslage neu bewerten. Hamburg will einen entsprechenden Antrag bei der Innenministerkonferenz am 19. - 21. Juni einbringen. Die Innenminister:innen der unionsregierten Bundesländer unterstützen den Vorschlag. RND berichtet. LTO (Tanja Podolski) und bild.de (Nadja Aswad/Luisa Volkhausen) schildern zudem die rechtlichen und praktischen Hürden solcher Abschiebungen.

Reinhard Müller (FAZ) kommentiert, "Straftäter auch nach Afghanistan abzuschieben, ersetzt keine wirksame Kontrolle des eigenen Hoheitsgebiets". Der Autor kritisiert: "Alle aufzunehmen und dann auch noch großzügig und unter Beibehaltung der alten Staatsangehörigkeit einzubürgern ist eher ein Zeichen einer staatlichen Selbstaufgabe als das der gern geforderten Selbstbehauptung."

Rechtspolitik

Hochwasser/Versicherung: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) lehnt auch nach dem aktuellen Hochwasser in Süddeutschland eine Versicherungspflicht für Elementarschäden ab. Die Pflicht sei für Hauseigentümer:innen teuer und die Einhaltung müsse zudem aufwendig kontrolliert werden. Der Bundesrat hatte im März 2023 den Bund aufgefordert, eine Versicherungspflicht einzuführen. Am 20. Juni soll die Versicherungspflicht Thema auf dem Bund-Länder-Gipfel sein. LTO (Hasso Suliak) berichtet. 

Europäische Union: Im Interview mit beck-aktuell (Denise Dahmen) verteidigt Rechtsprofessor Armin von Bogdandy die EU gegen Kritiker:innen. Dass die EU heute als Demokratie gesehen wird und nicht nur als Verwaltungsbehörde, sei ein Erfolg. Der ungleiche Stimmwert bei der Europawahl sei durch den Minderheitenschutz und die allseitige Zustimmung zum Wahlverfahren gerechtfertigt.  Das Europaparlament könne sich auch ohne gesetzgeberisches Initiativrecht stark einbringen. Der Trilog sei hierfür ein effektives Instrument.

Scheinvaterschaft: Rechtsprofessorin Carina Druschke stellt auf beck-aktuell den Referentenentwurf des Justizministeriums zur Verhinderung missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen vor. Der Vorschlag sei "durchaus gelungen", weil er Erfahrungen aus der Praxis aufgreife und einen vertretbaren Ausgleich zwischen den Interessen aller Beteiligten suche.

Digitale Dienste: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Tahireh Panahi und die Doktorandin Andressa de Bittencourt Siqueira stellen auf dem Verfassungsblog den Digital Services Act (DSA) der EU als innovative Verbindung von Hard Law und Soft Law vor. Einerseits sei der DSA eine verbindliche EU-Verordnung, andererseits binde er Soft Law wie den Desinformations-Kodex ein, der von Social-Media-Unternehmen und Fact-Checking-Organisationen freiwillig unterzeichnet wurde. 

Justiz

VerfGH RhPf - Demonstrationsaufruf gegen Rechts: Der Bundesverband der AfD und der AfD-Landesverband in Rheinland-Pfalz haben Organklage beim Verfassungsgerichtshof des Landes in Koblenz eingereicht. Sie kritisieren, dass Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) im Januar gegen das Neutralitätsgebot verstoßen habe, als sie auf der Webseite der Landesregierung zu einer Demonstration "Zeichen gegen Rechts - Kein Platz für Nazis" aufgerufen habe. LTO berichtet. 

BGH zu Ausreisegewahrsam: Der Bundesgerichtshof hat den viertägigen Ausreisegewahrsam gegen einen abgelehnten pakistanischen Asylbewerber für rechtswidrig erklärt, weil das Beschleunigungsgebot verletzt wurde. Eine Email des Bundesinnenministeriums, in der darüber informiert wurde, dass Pakistan vor einer Rücknahme seiner Staatsbürger:innen mit diesen ein Gespräch in der Botschaft führen will, sei erst nach zwei Wochen in der Ausländerbehörde Trier angekommen. Bei zügiger Weiterleitung hätte im konkreten Fall der Ausreisegewahrsam gar nicht beantragt und genehmigt werden können, weil die Abschiebung offensichtlich noch nicht möglich war. LTO (Tanja Podolski) berichtet. 

LSG Nds-Bremen zu Unfall auf dem Arbeitsweg: Wer sich auf dem Nachhauseweg von der Arbeit verfährt und dann einen Verkehrsunfall erleidet, steht nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn die Desorientierung auf einer Diabetes-Unterzuckerung beruhte. Ein Sich-Verfahren auf dem Arbeitsweg sei nur unschädlich, wenn es aufgrund äußerer Umstände wie Dunkelheit oder Nebel erfolgte. Revision zum Bundessozialgericht ist zugelassen. beck-aktuell berichtet. 

OLG Nürnberg zu Vorkasse im Onlineshop: Nun berichtet auch LTO über die Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg, wonach die bisherige Vorkasse-Regelung im Onlineshop des Discounters Netto unwirksam ist, weil ein Vertragsschluss erst bei Lieferung der bestellten Ware angenommen wird.

OLG Hamm zu Internet im Maßregelvollzug: Richter Lorenz Bode kritisiert im JuWissBlog eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm aus dem November 2023, wonach trotz einer Neuregelung im NRW-Landesrecht der Zugang zum Internet im Maßregelvollzug weiterhin als abstrakte Gefahr eingestuft wird. Der Autor hält dies angesichts der Bedeutung des Internets für zu restriktiv. So könne der Maßregelvollzug nicht seiner Aufgabe nachkommen, auch Medienkompetenz zu vermitteln. 

VG Berlin - Waffenexporte nach Israel: Anwalt Patrick Heinemann erklärt auf LTO, dass er den Antrag von Gaza-Bewohner:innen auf einstweiligen Rechtsschutz gegen deutsche Waffenexporte nach Israel schon für unzulässig hält, weil die Antragsteller:innen sich nicht zuerst an die Bundesregierung wandten. Außerdem zeige das Verfahren, dass die BVerfG-Rechtsprechung, wonach deutsche Grundrechte gegen Akte deutscher Hoheitsgewalt auch im Ausland schützen, nicht zu Ende gedacht sei.

AG Berlin-Tiergarten – Alexander Zverev: Nun berichtet auch die FAZ (Kim Maurus) über den Prozessbeginn gegen Tennisprofi Alexander Zverev, dem vorgeworfen wird, 2020 seine Ex-Partnerin Brenda Patea gewürgt zu haben. Bei der Aussage von Patea wurde zum Schutz von Zverevs Persönlichkeitsrechten die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Rechtsanwalt Christian Schertz, der Zverev als Medienanwalt vertritt, durfte im Saal bleiben. 

AG Gelnhausen zu Videoüberwachung: Die Installation einer privaten Überwachungskamera, die mit einer elektronischen Schwenkfunktion möglicherweise auch das Nachbargrundstück erfasst, verletzt das Persönlichkeitsrecht der Nachbar:innen. Ob von der Schwenkfunktion tatsächlich Gebrauch gemacht wird, ist nicht relevant, bereits die Installation einer Kamera mit dieser Funktion erzeuge unzulässigen Überwachungsdruck. Dies entschied das Amtsgericht Gelnhausen Anfang März. LTO berichtet. 

BAG: Zum 70. Jahrestag der Gründung des Bundesarbeitsgerichts kritisiert Katja Gelinsky (FAZ) im Wirtschafts-Leitartikel das ausgreifende Richterrecht des BAG. Während das BAG im Arbeitskampfrecht von der untätigen Politik in die Rolle des Ersatzgesetzgebers gedrängt wurde, sei die Überraschungs-Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung 2022 zu Recht als übergriffig kritisiert worden. 

Recht in der Welt

Krieg in Gaza: Melanie Amann (spiegel.de) würdigt die Rolle der internationalen Justiz im Gaza-Konflikt, auch wenn ihre Vorgaben zunächst missachtet werden. Die unabhängige Prüfung von Vorwürfen sei dennoch wirkmächtig, weil zumindest politische Partner Israels nun mehr mäßigenden Druck ausüben.

Österreich – Brigitte Bierlein: Die langjährige österreichische Verfassungsrichterin Brigitte Bierlein ist im Alter von 74 Jahren gestorben. Sie wurde 2018 Präsidentin des österreichischen Verfassungsgerichts und 2019 als Folge der Ibiza-Krise sogar für einige Monate österreichische Bundeskanzlerin. zdf.de berichtet. 

Dänemark – Organisierte Kriminalität: In Dänemark sorgt die sechsteilige Doku-Serie "der schwarze Schwan" für Aufsehen. Gedreht wurde mit versteckter Kamera in einer renommierten Anwaltskanzlei, nachdem die Anwältin Amira Smajic angab, sie wolle aus der immer engerne Zusammenarbeit mit der Organisierten Kriminalität aussteigen. Der Film zeige, "wie eng und intensiv die kriminelle Unterwelt und die dänische Oberschicht verbandelt sind", schreibt die SZ (Alex Rühle)

Juristische Ausbildung

Referendarsausbildung NRW: In Nordrhein-Westfalen wird die Zahl der Referendarsplätze um rund 750, d.h. um rund 20 Prozent, reduziert. Begründet wird dies mit Sparzwängen und dass NRW bisher über den eigenen Bedarf hinaus ausbilde. Die Opposition aus FDP und SPD verweist dagegen auf unbesetzte Stellen in der Staatsanwaltschaft. Betroffene kritisieren, dass nur auf Nachfrage über verlängerte Wartezeiten informiert werde. LTO-Karriere (Maryam Kamil Abdulsalam) und wdr.de (Phillip Raillon) berichten.

Sonstiges

Verwaltung: Eine Studie der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften kritisiert, dass der Juristenanteil unter den Führungskräften der öffentlichen Verwaltung mit 45 Prozent zu hoch sei. Jurist:innen seien eher auf Fehlervermeidung als auf innovative Lösungen ausgerichtet und daher mitverantwortlich dafür, dass nur ein Viertel der Bürger:innen die Verwaltung als leistungsfähig einstuft. beck-aktuell (Maximilian Amos) berichtet. 

Juristische KI-Tools: Eine Studie der Stanford University warnt vor übertriebenen Erwartungen in juristische KI-Werkzeuge. 17 bis 34 Prozent der Antworten seien fehlerhaft. Entweder die Rechtslage werde falsch dargestellt oder die Darstellung der korrekten Rechtslage werde auf erfundene Entscheidungen gestützt. beck-aktuell (Britta Weichlein) berichtet. 

RA Robert Unger: Nun berichtet auch die FAZ (Marlene Grunert), dass der Strafverteidiger Robert Unger wohl vom russischen Staat für die Verteidigung des Tiergarten-Mörders sehr gut honoriert wurde und dass Unger auch Berichte mit sensiblen Informationen an den russischen Staat geliefert habe.


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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 4. Juni 2024: . In: Legal Tribune Online, 04.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54690 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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