Die juristische Presseschau vom 3. November 2022: Höhere Strafen für Kli­maak­ti­visten? / Anklage gegen Po­li­zei­in­spek­teur / Jura-Bachelor in Nie­der­sa­chsen?

03.11.2022

Bundesjustizminister fordert höhere Strafen für Klimaaktivisten. Baden-Württembergs Landespolizeiinspekteur ist wegen sexueller Nötigung angeklagt. Niedersächsischer Koalitionsvertrag sieht integrierten Jura-Bachelor vor.

Thema des Tages

Klimaktivisten vor Gericht: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) beklagt einen zu milden Umgang mit radikalen Klimaaktivist:innen und betont, dass diesen auch Haftstrafen drohen könnten. Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sieht das ähnlich. Explizit rief sie Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dazu auf, radikale Klima-Protestgruppen stärker zu beobachten. Dies sei "Teil der Aufgabenbeschreibung einer Bundesinnenministerin". Anlass dieser Aussagen war ein Unfall am vergangenen Montag in Berlin, bei dem es wegen einer Blockadeaktion der "Letzten Generation" zu Verzögerungen bei der Rettung einer lebensgefährlich verletzten Radfahrerin gekommen war. Die Polizei ermittelt deshalb gegen zwei Aktivisten. SZ (Constanze von Bullion), zeit.de und spiegel.de (Severin Weiland) berichten.

In der Zeit kritisiert Bernd Ulrich, dass der autoritäre Legalismus mit seiner "Recht-ist-Recht-Mehrheit-ist-Mehrheit-Rhetorik" die Bedeutung und Dringlichkeit der Klimakrise leugne. Er mahnt an, im Umgang mit Klimaaktivist:innen nicht mehr von kriminellem Verhalten zu sprechen, sondern einen freundlicheren und toleranteren Umgang zu etablieren; dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Regierung klimapolitisch die Verfassung beuge, indem sie sich nicht an die Klimaschutz-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2021 halte. Reinhard Müller (FAZ) ist dagegen der Ansicht, dass das Verständnis mit den rechtswidrigen Protesten einer Absage an den demokratischen Rechtsstaat gleich komme. Wolfgang Janisch (SZ) kritisiert die fehlende Plausibilität der Protestaktionen. So führen nicht nur SUVs durch die Straße, sondern beispielsweise auch Rettungs- und Pflegekräfte. Als "vollends diffus" bezeichnet er die Botschaft der Bilderstürmer. Das Einzige, was die Aktivisten mit ihren Aktionen erreichten, sei die Herstellung einer größtmöglichen Aufmerksamkeit. 

Rechtspolitik

Volksverhetzung: Die taz (Christian Rath) beschreibt die Kritik an der Ausweitung des Straftatbestandes der Volksverhetzung und betont, dass eine Änderung durch den Gesetzgeber durchaus noch möglich sei. Der Bundesrat werde sich nämlich erst am 25. November mit der Sache befassen. Sofern der Bundesrat Korrekturbedarf sehe, könne er den Vermittlungsausschuss anrufen und beispielsweise die Einschränkung auf international festgestellte Völkermorde und Kriegsverbrechen fordern, um die Verschärfung des Meinungsstrafrechts noch zu begrenzen. Wie die Stimmung auf Länderseite sei, werde sich bereits am 9. November zeigen, wenn der Rechtsausschuss des Bundesrats über die Reform berät. 

VStGB: beck-aktuell (Joachim Jahn) berichtet über eine Veranstaltung des Bundesjustizministeriums zum 20. Geburtstag des deutschen Völkerstrafgesetzbuches (VStGB). Diskutiert wurde die Einführung einer Nebenklage und die Abschaffung des Weisungsrechts des Justizministeriums gegenüber dem Generalbundesanwalt. Mit Blick auf den russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wurde bei der Veranstaltung auch über die Errichtung eines internationalne Sondertribunals gesprochen, das im Gegensatz zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag auch über das Verbrechen der Aggression urteilen könnte. 

Corona – Pflegeimpfpflicht: tagesschau.de (Claudia Kornmeier) zieht eine Bilanz der seit Mitte März geltenden Impfpflicht für das Pflege- und Gesundheitspersonal und konstatiert insbesondere regionale Unterschiede in der Umsetzung. Die gesetzliche Grundlage für die Impfpflicht laufe zum Jahresende aus. Ob eine Verlängerung geplant sei, habe Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zuletzt offengelassen. Vergangene Woche hatten die Gesundheitsminister von Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen und Thüringen ein Ende der einrichtungsbezogenen Impfpflicht gefordert.

Justiz

LG Stuttgart – Polizeiinspekteur Renner: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat Anklage gegen den baden-württembergischen Landespolizeiinspekteur Andreas Renner wegen des Verdachts der sexuellen Nötigung erhoben. Ihm wird vorgeworfen, im vergangenen Jahr eine im Auswahlverfahren für den höheren Polizeivollzugsdienst befindliche Polizeibeamtin zur Duldung und Vornahme sexueller Handlungen veranlasst zu haben. Renner bestreitet die Vorwürfe. Das Landgericht Stuttgart hat nun zu entscheiden, ob und gegebenenfalls wann es eine Hauptverhandlung ansetzt. SZ, taz (Benno Stieber) und spiegel.de (Julia Jüttner/Christine Keck) berichten.

BVerwG zur isolierten Anfechtung von Nebenbestimmungen: Nun schreibt auch LTO (Paula Binder) über die Entscheidung des 4. Senats des Bundesverwaltungsgerichts zur isolierten Anfechtung von Nebenbestimmungen eines Verwaltungsakts und die Divergenz zur Rechtsprechung des 8. Senats. 

KG Berlin - Entführung von Trinh Xuan Thanh: Wie die taz (Marina Mai) berichtet, hat vor dem Kammergericht Berlin der Prozess gegen Anh Tu L. begonnen. Ihm wird von der Bundesanwaltschaft vorgeworfen, 2017 an der Entführung des vietnamesischen Ex-Politikers Trinh Xuan Thanh von Berlin nach Hanoi beteiligt gewesen zu sein. Die Beweislage gegen den 32-jährigen Vietnamesen sei so erdrückend, dass das Gericht eine Verständigung empfohlen habe. Sofern es dazu kommen sollte, würde die Strafe zwischen 4 Jahren und sechs Monaten und fünf Jahren liegen.

OVG NRW zu Schweinehaltung in Wohngebieten: Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat entschieden, dass die Haltung von Hängebauchschweinen im Garten eines Wohngebiets unzulässig ist. Damit bestätigte das Gericht in zweiter Instanz eine Verfügung der Stadt Recklinghausen. Die Halterin der Schweine sei nicht im Besitz einer Baugenehmigung für Tierhaltungs-Anlagen. Hobbymäßig gehaltene Hängebauchschweine seien keine Kleintiere, weshalb ihre Haltung in Wohngebieten nicht erlaubt sei. Ihre Haltung führe typischerweise zu Geräuschs- und Geruchsbelästigungen. Ob die Haltung der Schweine die Nachbarn tatsächlich durch Gerüche belästige, sei letztlich unerheblich, zumindest habe sich die Einwohnerin nicht ernsthaft um eine anderweitige Unterbringung der Tiere bemüht. LTO berichtet.

VG Frankfurt/M. – Studienplätze Medizin: Beim Verwaltungsgericht Frankfurt/M. sind derzeit rund 50 Eilverfahren von Studieninteressent:innen anhängig, die von der Frankfurter Universität Ende August versehentlich Zusagen für nicht vorhandene Medizinstudienplätze erhalten hatten, so spiegel.de (Armin Himmelrath). Die Universität hatte die Zusagen anschließend zurückgezogen. Zwar wurden Ersatzstudienplätze organisiert, diese allerdings nicht im Fach Medizin, sondern in Ersatzstudienfächern. Wie viele der Eilverfahren nach Zuteilung eines Ersatzstudienplatzes noch weitergeführt werden, ist unklar. Entscheidungen in Einzelfällen sind bislang noch nicht ergangen.

ArbG Berlin - Kündigung von Hertha-Torwart: Vor dem Arbeitsgericht Berlin konnte keine Einigung zwischen dem ehemaligen Profifußball-Torwart Rune Jarstein und dem Berliner Fußballclub Hertha BSC erzielt werden. Das Verfahren soll nun in einem Kammertermin am 2. März fortgeführt werden. Dann soll erneut über die Wirksamkeit der Kündigung verhandelt werden, die lediglich mit einer "nicht angemessenen Wortwahl im Rahmen eines internen Gesprächs" begründet worden war. LTO berichtet.

LG München I zu Jérôme Boateng: Das Landgericht München I hat den Fußballprofi Jérôme Boateng in seinem Berufungsprozess wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 1,2 Millionen Euro verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von anderthalb Jahren und eine Geldauflage von 1,5 Millionen Euro gefordert, die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Der 34 Jahre alte Fußballspieler soll 2018 seine damalige Partnerin in einem Karibikurlaub beleidigt, geschlagen und verletzt haben. Erstinstanzlich war Boateng zu einer Geldstrafe von 1,8 Millionen Euro verurteilt worden. SZ und spiegel.de (Julia Jüttner) berichten.

LG München I zu Alfons Schuhbeck: Die Zeit (Arno Makowsky) blickt noch einmal auf das Steuerstrafverfahren gegen den Koch Alfons Schuhbeck zurück, das vergangene Woche mit einer Verurteilung zu einer mehr als dreijährigen Haftstrafe endete. Der Text beleuchtet auch, wie der prominente Koch von Kolleg:innen und Bekannten wahrgenommen wurde. 

Recht in der Welt

USA – IS-Bataillonsführerin: Eine 42-jährige US-Amerikanerin wurde wegen Unterstützung der Terrororganisation IS zu einer Haftstrafe von 20 Jahren verurteilt. Allison F. soll über einen Zeitraum von mehr als acht Jahren im Auftrag von drei ausländischen Terrororganisationen terroristische Taten in Libyen, im Irak und in Syrien begangen haben. Zudem soll sie Anschläge in den USA geplant und eine Gruppe von mehr als hundert IS-Kämpferinnen angeführt und ausgebildet haben. spiegel.de berichtet.

USA – Donald Trump: spiegel.de (Marc Pitzke) gibt einen Überblick über die wichtigsten der gegen den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump laufenden Ermittlungsverfahren. So wird beispielsweise wegen Trumps Rolle beim Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021, wegen Entwendung geheimer Staatsdokumente und wegen Wahlbetrugs im US-Bundesstaat Georgia ermittelt. Weitere Verfahren richten sich gegen die "Trump Organization". Die Kolumnistin E. Jean Carroll beschuldigt Trump zudem, sie Mitte der Neunzigerjahre sexuell genötigt zu haben. Der Prozess soll im Januar kommenden Jahres beginnen. 

Italien – Cosa Nostra: Die FAZ (Matthias Rüb) berichtet ausführlich über Ausgang, Ablauf und Hintergründe des Prozesses gegen die sizilianische Cosa Nostra in Messina und damit über einen der größten Mafiaprozesse seit Jahrzehnten. Von den 101 Angeklagten wurden 91 Personen wegen Delikten wie Betrug, Erpressung, Urkundenfälschung, Gründung fiktiver Firmen und Veruntreuung von EU-Geldern sowie Rauschgifthandel zu insgesamt mehr als 660 Jahren Gefängnis verurteilt. Barmittel und Liegenschaften im Wert von mehr als vier Millionen Euro wurden beschlagnahmt. 

Großbritannien – Sexualisierte Gewalt bei der Polizei: Die FAZ (Jochen Buchsteiner) berichtet über einen britischen Untersuchungsbericht, der im Hinblick auf sexualisierte Gewalt bei der Polizei mangelhafte Sicherheitsüberprüfungen und Führungsversagen auf allen Ebenen konstatiert. Der Bericht wurde in Auftrag gegeben, nachdem der Polizist Wayne Couzens überführt worden war, im März 2021 die Londonerin Sarah Everard unter einem Vorwand festgenommen und sie schließlich vergewaltigt und ermordet zu haben. Der Bericht hebt hervor, dass auch höherrangige Polizeibeamte Frauen zum Sex gedrängt, in der Dienstzeit Pornographie konsumiert oder sich sexistisch über Gewaltopfer geäußert hätten. Darüber informierte Vorgesetzte seien nicht eingeschritten. 

Niederlande – Klimaaktivisten: Laut spiegel.de sind drei Klimaaktivisten, die sich in den Niederlanden an die Schutzscheibe des weltberühmten Vermeer-Gemäldes "Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge" geklebt und dieses anschließend mit Tomatensoße beworfen hatten, zu jeweils zwei Monaten Haft verurteilt worden. 

Niederlande – chinesische Polizeistationen: Wie die taz (Sven Hansen) berichtet, hat die niederländische Regierung von Chinas Botschaft verlangt, chinesische Polizeibüros in Amsterdam und Rotterdam zu schließen. Diese hätten zu keinem Zeitpunkt die Zustimmung der niederländischen Behörden gehabt. Vergangene Woche waren Berichte über solche illegalen chinesischen Polizeistellen in mehreren nicht-chinesischen Städten überwiegend in Europa aufgetaucht. Diese würden von Chinas Behörden genutzt, um unter dem Deckmantel von Dienstleistungen wie der Ausstellung von Heiratspapieren oder der Verlängerung von Führerscheinen Druck auf geflüchtete Dissidenten auszuüben. 

Mit der Thematik befasst sich auch der Doktorand Raphael Oidtmann auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache).

Juristische Ausbildung

Integrierter Jura-Bachelor: Wie LTO-Karriere schreibt, plant die niedersächsische Regierung eine Reform der juristischen Ausbildung. So ist ein integrierter Bachelor vorgesehen, der verhindern soll, dass Studierende bei endgültigem Nichtbestehen der ersten juristischen Staatsprüfung ohne Abschluss dastehen. Ähnliche Aussagen finden sich in den Koalitionsverträgen Nordrhein-Westfalens und Schleswig-Holsteins. Der teilweise kritisierte Jura-Bachelor wird auch Thema auf der anstehenden Justizministerkonferenz sein. In Niedersachsen ist außerdem die paritätische Besetzung der mündlichen Prüfungskommissionen geplant sowie die Möglichkeit, das Referendariat in Teilzeit zu absolvieren. 

VG Chemnitz zu rechtsextremem Referendarsausbilder: Das Verwaltungsgericht Chemnitz hat entschieden, dass ein Rechtsreferendar, der Mitglied in der rechtsextremen Partei "Der III. Weg" und zudem Ex-NPD-Funktionär ist, seine Anwaltsstation nicht bei einem als "Akteur der rechtsextremen Szene" bekannten Rechtsanwalt absolvieren darf. Das Gericht gab damit dem für die Referendarausbildung zuständigen Oberlandesgericht Dresden Recht und begründete seine Entscheidung mit der Sorge um die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege. Der Rechtsreferendar hat gegen die Entscheidung des Gerichts Beschwerde zum Sächsischen Oberverwaltungsgericht eingelegt. LTO (Markus Sehl) berichtet.

Sonstiges

Verbandsstrafen in der Formel 1: Die Rechtsreferendare Dominic Reitner und Jassem Imsameh befassen sich auf LTO mit der Frage, auf welcher Grundlage der Motorsportverband Fédération Internationale de l‘Automobile (FIA) Verbandsstrafen für Formel 1-Rennställe verhängen darf und wie diese gerichtlich überprüft werden können. 

Bürgerentscheid in Frankfurt: LTO schreibt über den am kommenden Sonntag stattfindenden Bürgerentscheid zur Abwahl von Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD).  Die Stadtverordnetenversammlung hatte beschlossen, dass ein Bürgerentscheid erforderlich sei, weil Feldmann kein Vertrauen mehr genieße. Hintergrund ist unter anderen ein gegen ihn laufendes Verfahren wegen Verdachts der Vorteilsnahme. Sofern am kommenden Sonntag 30 Prozent aller Stimmberechtigten für eine Abwahl Feldmann stimmen sollten, wäre dieser abgewählt.

Religionsverfassungsrecht: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Isabelle Ley befasst sich in der FAZ ausführlich mit dem Kooperationsverhältnis zwischen staatlichen Behörden und Religionsgemeinschaften, insbesondere mit der Frage, wie angesichts der steigenden Zahl von Konfessionslosen der öffentlich-rechtliche Körperschaftsstatus von Religionsgemeinschaften gerechtfertigt werden kann. 

 

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LTO/bo

(Hinweis für Journalist:innen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 3. November 2022: . In: Legal Tribune Online, 03.11.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50056 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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