Die juristische Presseschau vom 4. August 2022: Anklage wegen Brand­an­schlag von 1991 / Neues Kon­zept für Corona-Maß­nahmen / BVerfG zu Kin­der­geld-Aus­schluss

04.08.2022

Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen einen rechtsradikalen Brandstifter wegen Mordes im Jahr 1991. Ministerien stellen Vorschlag zu neuen IfSG-Regeln für Herbst und Winter vor. BVerfG beanstandet bereits geänderte Ungleichbehandlung beim Kindergeld.

Thema des Tages

OLG Koblenz – Anschlag auf Asylheim Saarlouis: Die Bundesanwaltschaft hat Ende Juli vor dem Staatschutzsenat des Oberlandesgerichts Koblenz Anklage gegen Peter S. erhoben. Der deutsche Staatsangehörige soll am Morgen des 19. September 1991 aus seiner rechtsextremistischen und rassistischen Gesinnung heraus in einem Wohnheim für Asylsuchende in Saarlouis einen Brand gelegt haben. Dabei kam ein 27-Jähriger Geflüchteter aus Ghana ums Leben und wurden zwei Bewohner schwer verletzt. Gegen Peter S. bestehe deshalb der hinreichende Tatverdacht des Mordes, des versuchten Mordes in 20 Fällen sowie der Brandstiftung mit Todesfolge. Die saarländische Landesjustiz hatte die gegen Unbekannt geführten Ermittlungen 1992 ergebnislos eingestellt, obwohl S. auch damals schon verdächtig war. Jahrzehnte später nahm sie die Ermittlungen nach neuen Erkenntnissen wieder auf. Im April 2020 übernahm die Bundesanwaltschaft das Verfahren. FAZ, SZ, taz (Christoph Schmidt-Lunau), LTO und spiegel.de berichten. 

Rechtspolitik

Corona – Schutzmaßnahmen Herbst/Winter: Das Gesundheitsministerium hat einen Vorschlag für eine Fortentwicklung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vorgestellt, den es mit Justizministerium und Bundeskanzleramt erarbeitet hatte. Neben einer Impfkampagne mit neuen Impfstoffen und Schutzkonzepten für Pflegeheime soll damit vor allem ein rechtssicherer Rahmen für Schutzmaßnahmen geschaffen werden. Deshalb sieht der Vorschlag ein mehrstufiges, lagebezogenes Schutzkonzept vor, das zum einen bundesweite, bereichsspezifische Maßnahmen wie die Maskenpflicht im Fernverkehr vorsieht. Zum anderen sollen die Länder – sofern dies für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems oder der sonstigen kritischen Infrastruktur erforderlich ist – bestimmte weitere Schutzmaßnahmen anordnen können. Es berichten SZ, FAZ (Christian Geinitz), taz (Linda Gerner), Hbl (Jürgen Klöckner) und LTO (Katharina Uharek/Markus Sehl).

Justiz

BVerfG zu Kindergeld-Ausschluss: Eine inzwischen geänderte Regelung aus dem Einkommensteuergesetz (EstG), die Drittstaatenangehörigen mit humanitären Aufenthaltstiteln nur einen Kindergeldanspruch gewährte, wenn diese einer Erwerbstätigkeit nachgehen, war verfassungswidrig. Das entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts auf Vorlage des Niedersächsischen Finanzgerichts von 2014. Dort hatten mehrere Eltern mit humanitären Aufenthaltstiteln geklagt, weil ihre Kindergeldanträge – anders als bei anderen Nicht-EU-Ausländer:innen – wegen ihrer fehlenden Integration in den Arbeitsmarkt abgelehnt worden waren. Diese Regelung von 2006 verstieß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG), so nun die Karlsruher Richter:innen. Die rot-schwarze Koalition hatte die Regelung 2020 bereits geändert. Nach einer ähnlichen Verfassungsgerichts-Entscheidung zum Eltern- und Erziehungsgeld von 2012 war zu erwarten, dass auch die Kindergeldregelung vom BVerfG beanstandet wird. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Katja Gelinsky), taz (Christian Rath) und LTO (Chiara Prestin).

OLG Hamm – Klimaschutz/peruanischer Bauer: Auf dem JuWiss-Blog erörtert die Doktorandin Anna Weininger die Erfolgschancen der Klage eines peruanischen Bauern gegen den Energiekonzern RWE auf Schadensersatz vor dem Oberlandesgericht Hamm. Sollte das Gericht zu Gunsten des Klägers entscheiden, dürfte dies richtungsweisend für zivilrechtliche Klimaklagen sein. Die deutsche Rechtsgemeinschaft müsste sich dann mit der Frage nach den Grenzen dieser Anspruchskonstellation beschäftigen, wobei es im Ergebnis weiter vor allem auf eine intensive Einzelfallbetrachtung ankommen werde.

So "bitter und bedrohlich" die Versäumnisse der Politik und Wirtschaft beim Klimaschutz seien, gebe es dagegen aber kein richterliches Notstandsrecht, meint Katja Gelinsky (FAZ). Sie ist der Ansicht, die Zivilgerichte sollten der "Versuchung widerstehen", dem derzeit von Klimakläger:innen eingeschlagenen "rechtlich abschüssigen" Weg zu folgen, Unternehmen für Klimaschäden haftbar zu machen.

LG München I zu Blood & Honour: Das Landgericht München I hat neun Männer wegen des Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot schuldig gesprochen und zu Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt. Die Angeklagten hatten die im September 2000 verbotene Neonazi-Organisation "Blood & Honour" fortgeführt und rechtsextremistisches Gedankengut verbreitet. Wie spiegel.de schreibt, kam das Urteil nicht überraschend, da das Gericht bereits zu Verhandlungsbeginn eine Verständigung anstrebte und dafür vergleichsweise milde Strafen im Gegenzug für Geständnisse in Aussicht stellte.

VG Hamburg zu Klimacamp: Das Verwaltungsgericht Hamburg hat im Eilverfahren die von der Versammlungsbehörde erteilten Auflagen für ein Klimacamp teilweise beanstandet, das in der kommenden Woche auf der Festwiese im Hamburger Stadtpark unter dem Titel "System Change Camp" stattfinden sollte. Unter anderem ist laut VG das von der Behörde erlassene Verbot für das Aufstellen von Übernachtungs- und Versorgungszelten nicht gerechtfertigt. Das Aufbauen von Zelten sei durch Artikel 8 des Grundgesetzes (GG) geschützt, sofern ein inhaltlicher Bezug zur Meinungskundgabe der Veranstaltung besteht. Die von der Behörde angeordnete Verlegung des Camps auf kleinere Flächen am Altonaer Volkspark sei aller Voraussicht nach aber nicht zu beanstanden. Es berichten die taz-Nord (Andre Zuschlag) und LTO.

AG Berlin-Tiergarten – rechtsextreme Anschläge Neukölln: Ende August beginnt vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten der Prozess um eine rechtsextreme Anschlagsserie im Berliner Stadtteil Neukölln. Einer der Vorwürfe gegen die fünf angeklagten Neonazis lautet auf Brandstiftung, unter anderem am Auto des Berliner Linken-Politikers Ferat Koçak. Dieser wurde nun aber nicht als Nebenkläger zugelassen, wie der Tsp (Alexander Fröhlich/Madlen Haarbach) berichtet. Gegen die Entscheidung hat Koçak bereits Beschwerde und eine Anhörungsrüge eingelegt. Im Interview mit der taz-Berlin (Plutonia Plarre) erörtert Koçaks Anwältin Franziska Nedelmann die Rechtslage. 

Gefangenenaustausch: Bei den Verhandlungen um die Freilassung zweier in Russland inhaftierter US-Bürger:innen versuchte Russland Anfang Juli, den 2021 in Berlin wegen Mordes an einem georgischen Staatsbürger im Tiergarten verurteilten Russen in einen möglichen Gefangenenaustausch miteinzubeziehen. Im Interview mit LTO (Markkus Sehl) erläutert Rechtsanwalt Nikolaos Gazeas unter welchen Voraussetzungen Deutschland einen solchen Austausch vornehmen und somit von der Vollstreckung der Strafe absehen kann und welche politischen Einrichtungen dabei eine zentrale Rolle spielen.

Recht in der Welt

USA – Abtreibungsrecht: Das im US-Bundesstaat Kansas bestehende Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch bleibt erhalten. Laut SZ (Andrea Bachstein), taz (Bernd Pickert) und FAZ (Sofia Dreisbach) votierten bei einem Referendum knapp 60 Prozent der Abstimmenden gegen eine Verfassungsänderung, die das Recht auf Abtreibung in der Landesverfassung abgeschafft hätte. Der US-Supreme Court hatte im Juni das Grundsatzurteil Roe v. Wade aufgehoben und das Abtreibungsrecht damit zur Sache der Bundesstaaten gemacht.

Das Ergebnisse des Referendums passe zum Befund vieler Meinungsforscher:innen, dass eine Mehrheit der Amerikaner:innen unabhängig von ihrer politischen Einstellung ein liberales Abtreibungsrecht unterstütze, meint Meredith Haaf (SZ). Die "Autorität, wichtige Fragen zu regeln, [ist] beim Volk nicht nur schlecht aufgehoben". Ähnlich sieht es Andreas Ross (FAZ) und findet, das Referendum zeige, dass populistische Wortführer:innen nicht für eine "schweigende Mehrheit" sprächen, sondern "das Lied einer lärmenden Minderheit" sängen.

EGMR/GB - Archie Battersbee: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat einen Eilantrag für eine weitere Beatmung eines als hirntot eingestuften zwölfjährigen Jungen in Großbritannien abgelehnt. Die Eltern des Jungen Archie Bettersbee hatten den Antrag gestellt. Die britische Justiz genehmigte, dass bei dem Jungen die Maßnahmen zur Erhaltung von Lebensfunktionen wie ein Beatmungsgerät und die Gabe von Medikamenten beendet werden. Die Eltern überlegen nun, das Land zu verlassen. spiegel.de berichtet.

Juristische Ausbildung

BGH - Tax Law Clinic: Die geplante Hannoveraner Tax Law Clinic hat gegen die verweigerte Eintragung als Verein jetzt Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt. Das Amtsgericht Hannover und das Oberlandesgericht Celle hatten die Eintragung verweigert, weil das Steuerberatungsgesetz vorschreibt, dass Hilfeleistung in Steuersachen geschäftsmäßig nur von Personen und Vereinigungen ausgeübt werden darf, die hierzu befugt sind. Eine unentgeltliche studentische Rechtsberatung zu Ausbildungszwecken sei in Steuersachen daher nicht möglich. Die Tax Law Clinic hält die Regelung für verfassungswidrig. LTO-Karriere berichtet.


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lto/ali

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 4. August 2022: . In: Legal Tribune Online, 04.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49229 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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