Die juristische Presseschau vom 20. Juli 2022: BVerfG ent­scheidet nicht zu Equal Pay / BMJ-Ent­wurf zu Sank­ti­ons­recht / VZBV ver­klagt Tesla

20.07.2022

Das BVerfG verbindet die Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde zu Equal Pay mit Hinweisen zu Erfolgsaussichten beim ArbG. Das BMJ veröffentlicht Entwurf zu Sanktionsrecht. Verbraucherzentrale verklagt Tesla wegen Datenschutz-Problemen der "Wächter"-Funktion.

Thema des Tages

BVerfG zu Equal Pay: Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde der langjährigen ZDF-Reporterin Birte Meier gegen die Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht (BAG) nicht zur Entscheidung angenommen. Meier habe noch nicht alle fachgerichtlichen Möglichkeiten genutzt, um sich gegen die behauptete Diskriminierung zu wehren (Subsidiaritätsgrundsatz). Das BAG hatte im Sommer 2020 entschieden, dass Meier auch als "feste Freie" Anspruch nach dem Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) darauf hat, zu erfahren, was ihre männlichen Kollegen verdienten. Meier wollte vor dem BAG jedoch auch durchsetzen, dass sie gleich bezahlt wird und die Differenz zur Bezahlung der männlichen Kollegen nachträglich ausbezahlt bekommt. In diesem Punkt war die Revision nicht zugelassen worden, wogegen sie sich nun vor dem Verfassungsgericht wehren wollte. Das BVerfG erklärte in seinem Beschluss außerdem, dass das BAG klargestellt habe, dass ein Vergleichsentgelt, das die eigene Vergütung übersteigt, die Vermutung für eine Benachteiligung wegen des Geschlechts begründe. Die Folge sei eine Beweislastumkehr hin zum Auftragsgeber ZDF. Das Gericht stellt ausdrücklich klar, dass eine Zahlungsklage auf die Lohndifferenz daher Erfolg haben könne. Für Nora Markard, Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die Journalistin unterstützt, ist dies ein deutlicher Wink an die Arbeitsgerichte. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Katja Gelinsky), LTO und spiegel.de.

In ihrer Besprechung der Entscheidung auf LTO weisen Rechtsprofessor Gregor Thüsing und der wissenschaftliche Mitarbeiter Yannick Peister auf einen Entwurf der EU-Kommission zur Entgelttransparenz hin. Darin soll ein Auskunftsrecht aller Arbeitnehmer:innen über ihr individuelles Einkommen, aufgeschlüsselt u.a. nach dem Geschlecht, etabliert werden. Auch soll diese Regelung unabhängig von der Betriebsgröße gelten, mit der Folge, dass die Beschränkung des § 12 Abs. 1 EntgTranspG auf Betriebe mit mehr als 200 Beschäftigten hinfällig würde.

Rechtspolitik

Ersatzfreiheitsstrafe/Strafzumessung/Drogenentzug: Das von Marco Buschmann (FDP) geführte Bundesjustizministerium hat einen Referentenentwurf zum Sanktionsrecht veröffentlicht. Darin ist unter anderem vorgesehen, Ersatzfreiheitsstrafen zu halbieren, sodass fortan ein Tag ersatzweise verbüßte Freiheitsstrafe zwei Tagessätzen nicht bezahlter Geldstrafe entsprechen soll. Auch sollen die explizit genannten Gründe für eine Strafschärfung in § 46 Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB) um "geschlechtsspezifische" und "gegen die sexuelle Orientierung" gerichtete Motive ergänzt werden. Der Gesetzesentwurf wurde nun an die Länder und Verbände überwiesen, die bis zum 24. August 2022 Stellung nehmen können. Während Buschmann laut LTO den Entwurf als "Neustart in der Strafrechtspolitik" bezeichnet, hält Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges (CDU) die geplanten Änderungen bei der Strafzumessung für "reine Symbolpolitik, die keiner einzigen Frau das Leben retten wird".

Auch Carolina Schwarz (taz) bezeichnet die Ergänzung der ausdrücklich genannten Strafzumessungsgründe als falschen Ansatz im "Kampf gegen patriarchale Gewalt". Wer Gewalt gegen Frauen und Queers verhindern möchte, so Schwarz, müsse beim Vorher und nicht beim Nachher ansetzen.

Die taz (Christian Rath) konzentriert sich auf die Darstellung der ebenfalls von der Reform umfassten Pläne für eine Entlastung von Entzugsanstalten nach § 64 StGB. Engere Voraussetzungen sollen sicherstellen, dass Fehlanreize verhindert werden und nur Therapiebedürftige und Therapiewillige Zugang zum Drogenentzug bekommen. Buschmann greift hier Vorschläge einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf.

Arbeitsbedingungen: Für den FAZ-Einspruch gibt Rechtsanwalt Markus Diepold einen Überblick über die ab August geltenden, strengeren Anforderungen an Unternehmen für den Nachweis von Arbeitsverträgen. Dazu gehören detaillierte Angaben zu den Arbeitszeiten einschließlich Ruhepausen. Eine elektronische Bereitstellung sehe das Nachweisgesetz nicht vor. Unrichtige, unvollständige oder nicht rechtzeitige Angaben könnten fortan auch mit einer Geldbuße bis zu 2000 Euro je Fall geahndet werden.

Justiz

LG Berlin – Tesla-Wächtermodus: Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) wirft dem Autohersteller Tesla laut LTO u.a. mangelnde Aufklärung der Käufer:innen zum Datenschutz vor und hat den Konzern deshalb vor dem Landgericht Berlin verklagt. Der sogenannte Wächtermodus, der die Umgebung des Fahrzeugs im Parkzustand per Kamera überwacht, zeichnet permanent auch unbeteiligte Passant:innen auf. Von diesen eine Einwilligung für die Verarbeitung personenbezogener Daten zu erhalten, sei praktisch unmöglich und die Käufer:innen riskierten so ein Bußgeld wegen Datenschutzverstößen, moniert der VZBV. Wie netzpolitik.org (Franziska Rau) berichtet, sieht Tesla die Verantwortung bei seinen Kund:innen. Diese seien alleine für die Einhaltung aller vor Ort geltenden Vorschriften im Hinblick auf die Verwendung der Kameras verantwortlich.

OLG Frankfurt/M. zu Franco A.: Die Verteidigung des wegen Anschlagsplänen zu fünfeinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilten Bundeswehroffiziers Franco A. hat Revision gegen das Urteil eingelegt. Er bestritt die Vorwürfe bis zuletzt. LTO berichtet.

VG Arnsberg zu Kopftuch im Referendariat: Auf Libra kritisiert die Juristin Fatima Hussain das Kopftuch-Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg dafür, dass es eine Repräsentation bestimmter Frauen in der Justiz durch eine Reduktion auf ihr Äußeres unmöglich mache. Dieser gesellschaftliche Ausschluss müsse durchbrochen werden.

LG Duisburg – Hells Angels/Stückelmord: Am Landgericht Duisburg hat der Prozess um einen mutmaßlichen Mord sowie einen mutmaßlichen versuchten Mord im Umfeld der Hells Angels begonnen. Den Angeklagten wird u.a. vorgeworfen, ein ehemaliges Mitglied der Rockergruppe erschossen und anschließend zerstückelt zu haben. Die Körperteile wurden laut Anklage in Speisefässern verstaut, mit Beton übergossen und u.a. im Rhein versenkt. Wie SZ und spiegel.de berichten, werde nach dem mutmaßlichen Todesschützen noch gefahndet.

LG München I – Blood & Honour: Der Prozess gegen mutmaßliche Funktionäre und Mitglieder des verbotenen Neonazi-Netzwerks "Blood & Honour" endet für die zehn Angeklagten laut spiegel.de (Wiebke Ramm) voraussichtlich maximal mit Bewährungsstrafen oder Geldstrafen. Alle Beteiligten stimmten einem Verständigungsvorschlag des Gerichts zu. Im Gegenzug wurden mehrere Geständnisse verlesen, denen zufolge einige der Angeklagten CDs mit volksverhetzenden Liedern und illegale Nazi-Devotionalien verkauft haben.
 
AG Heidelberg zu Taubentötung: Weil er in der Heidelberger Innenstadt eine Taube mit Essensresten angelockt und ihr sodann den Kopf abgerissen haben soll, hat das Amtsgericht Heidelberg gegen einen damals 49-Jährigen wegen eines Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz einen Strafbefehl über 90 Tagessätze zu je 15 Euro erlassen, der nunmehr rechtskräftig ist. Die Tierrechtsorganisation Peta hatte Anzeige gegen den Mann erstattet, schreibt LTO.  

Recht in der Welt

USA – Steve Bannon: Die Verhandlung gegen Steve Bannon, den Chefideologen des früheren US-Präsidenten Donald Trump, wegen der Missachtung einer Vorladung zum Kapitol-Sturm-Untersuchungsausschuss hat begonnen. Wie die SZ (Fabian Fellmann) berichtet, sind im Vorfeld eine ganze Reihe möglicher Juror:innen ausgeschlossen worden, weil sie ihren eigenen Angaben zufolge längst ein Urteil über Bannons Rolle an jenem 6. Januar gebildet hätten und von dessen Schuld überzeugt seien.

Iran – Regisseur Jafar Panahi: Der iranische Regisseur Jafar Panahi ("Taxi Teheran") soll nun für sechs Jahre inhaftiert werden - wegen einer Verurteilung aus dem Jahr 2011. Er soll einst gegen die Regierung gerichtete Propaganda produziert haben. Es berichten taz und spiegel.de.

Juristische Ausbildung

Jura-Bachelor: Die studentische Hilfskraft Stella Vogl beteiligt sich auf Libra an der Debatte um die Reform der juristischen Ausbildung und die Einführung eines Jura-Bachelors. Ohne dass der eigentliche Abschluss, das juristische Staatsexamen, entwertet würde, böte der Bachelor eine Chance, sich schon frühzeitig fachlich umzuorientieren und z.B. im Ausland einen anschlussfähigen juristischen Abschluss zu erwerben.

Sonstiges

Otto Schily: Der Rechtsanwalt und Politiker (erst Grüne, dann SPD) Otto Schily wird an diesem Mittwoch 90 Jahre alt. Die SZ (Stefan Braun) würdigt den ehemaligen Innenminister als einen der "schillerndsten und unabhängigsten Politiker im Nachkriegsdeutschland". Bekannt wurde er als Anwalt von Rechtsanwalt Horst Mahler und später auch von RAF-Terroristin Gudrun Ensslin. Zunächst gründete er die Grünen mit, wechselte 1989 jedoch zur SPD. Auch die FAZ (Eckart Lohse) skizziert den Werdegang Schilys.

Documenta und Kunstfreiheit: Nach dem Rücktritt der Documenta-Geschäftsführerin beschäftigt sich Rechtsprofessor Lothar Zechlin auf dem Verfassungsblog mit der Frage, ob das als antisemitisch kritisierte Werk "People's Justice" des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi die Grenzen der Kunstfreiheit überschreitet. Anders als die Meinungsfreiheit findet die Kunstfreiheit ihre Grenzen nicht schon durch die allgemeinen Gesetze, sondern nur durch die Verfassung selbst, insbesondere konkurrierende Grundrechte Dritter. Entscheidend für die Beurteilung, ob die Grenzen der Kunstfreiheit überschritten werden, seien jedenfalls nicht die zweifellos antisemitischen Bildelemente mit ihren judenfeindlichen Stereotypen, sondern vielmehr die Frage, ob die Friedlichkeitsgrenze überschritten, also der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt ist. Dabei sei grundsätzlich eine kontextualisierte Betrachtung denkbar. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum "Anachronistischen Zug" müsse dann die kunstfreiheitsfreundliche Deutung zugrunde gelegt werden.

Materiale Gleichheit: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Navin Mienert nimmt auf dem JuWissBlog das Urteil des US-Supreme Courts zum Recht auf Abtreibung zum Anlass, den Begriff der materialen Gleichheit zu erläutern. Dieser Ansatz nehme das Gleichheitsgebot aus einer strukturellen Perspektive in den Blick und führe dazu, einzelne rechtliche Regelungen nicht lediglich als Eingriff in die Entscheidung für eine bestimmte private Lebensweise zu begreifen. Vielmehr sei zu fragen, ob sie gleichsam die Funktion hätten, etwa einen staatlich festgeschriebenen "Zwang zur Heterosexualität als Institution männlicher Dominanz im Geschlechtsverhältnis aufrechtzuerhalten."

Waldbrände und Reiserecht: Welche Rechte Pauschalurlauber und Individualistinnen haben, wenn ihr Ferienziel von Waldbränden bedroht ist, erläutert spiegel.de im Frage-und-Antwort-Format.

Hitze als Mietmangel: Aus aktuellem Anlass hat der Deutsche Mieterbund betont, dass Hitze selbst in einer Dachgeschosswohnung in der Regel keinen Mietmangel darstelle. Eine gesetzliche Regelung gebe es nicht, sodass es auf den Einzelfall bzw. ggf. getroffene vertragliche Vereinbarungen ankomme. spiegel.de berichtet.

In-Game-Käufe: Wenn Publisher Aktualisierungen ihrer Spiele auf den Markt bringen, die neben einer Optimierung des Spielerlebnises auch die Abwertung bislang getätigter Mikrotransaktionen (sog. In-Game-Käufe) zur Folge haben, indem sie die Auswirkungen auf den Spielfortschritt reduzieren, drohen Haftungsrisiken für die Publisher. Wie die Rechtsanwälte Malte Menken und Christian Sassenbach in einem Gastbeitrag für die FAZ schreiben, unterlägen die Leistungsbestimmungen einer AGB-Kontrolle und könnten nicht ständig einseitig vom Publisher zum Nachteil der Spieler:innen angepasst werden.

Straßenblockaden: In seiner LTO-Kolumne "Eine Frage an Thomas Fischer" gibt der ehemalige Bundesrichter einen Überblick über die Rechtsprechung zur Strafbarkeit von Straßenblockaden und wendet diese auf aktuelle Straßenblockaden von Klimaaktivist:innen an. Der Straftatbestand der Nötigung sei verwirklicht, wenn Verkehrsteilnehmer:innen durch physische Hindernisse (vor ihnen stehende Fahrzeuge) gegen ihren Willen an der Weiterfahrt gehindert werden und die Blockade über einen nur unwesentlichen Zeitraum hinaus andauert.

Morde von Hanau: Der SWR-Radio-Report-Recht (Gigi Deppe/Max Bauer) befasst sich mit den Ermittlungen des Recherche-Kollektivs "Forensic Architecture" und befasst sich mit der Frage, warum bestimmte Fehler der hessischen Polizei bisher nicht gerichtlich aufgearbeitet wurden.

Das Letzte zum Schluss

Kaulitz-Brüder hinter Gittern? Die beiden Musiker Bill und Tom Kaulitz ("Tokio Hotel") könnten schon bald in der JVA Salinenmoor in Celle unterkommen. Jedenfalls dann, wenn sie die 2014 geschlossene und zum Verkauf stehende JVA – wie in ihrem Podcast angekündigt – ersteigern. Wie taz-nord (Alexander Diehl) berichtet, dachten die beiden auch schon laut darüber nach, was sie mit dem Gebäudekomplex anstellen könnten: In Betracht komme, einen Nacht- oder gar einen Fetischclub aufzubauen.

 

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LTO/jpw

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 20. Juli 2022: . In: Legal Tribune Online, 20.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49098 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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