Die juristische Presseschau vom 19. Juli 2022: Busch­mann zur Straf­zu­mes­sung / LSG BaWü zur Brus­t­ent­fer­nung / Olig­ar­chen klagen gegen EU

19.07.2022

Justizminister Buschmann (FDP) will frauenfeindliche Motive als strafschärfend in § 46 StGB verankern. Laut LSG BaWü sollen nicht-binäre Personen die Kosten für eine Brustentfernung selbst tragen. Vier russische Oligarchen wollen sich vor dem EuG gegen EU-Sanktionen wehren.

Thema des Tages

Strafzumessung: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat am Wochenende in einem Interview angekündigt, dass die Regeln der Strafzumessung in § 46 Strafgesetzbuch konkretisiert werden sollen. Künftig sollen in der Norm auch "geschlechtsspezifische" und "gegen die sexuelle Orientierung gerichtete" Beweggründe ausdrücklich als strafschärfend erwähnt werden. Bisher werden solche Motive von der Rechtsprechung als "menschenverachtende" Beweggründe behandelt, die bereits in § 46 StGB erwähnt sind. Buschmann versteht seinen Vorstoß als "Signal in die Gesellschaft": Wer aus männlichem Besitzdenken heraus Frauen angreife, "handelt unserer Werteordnung in besonders eklatanter Weise zuwider". Der Vorschlag ist in einem Referentenentwurf zum Sanktionenrecht (u.a. zur Ersatzfreiheitsstrafe) enthalten, der schon seit Wochen in den Medien kursiert und in dieser Woche vom Bundesjustizministerium offiziell veröffentlicht werden soll. Es berichten SZ (Nina von Hardenberg) und zeit.de.

Karoline Meta Beisel (SZ) kommentiert, dass sich an der Strafzumessung durch die explizite Erwähnung der frauenfeindlichen Beweggründe nichts ändern werde und auch kein "Signal in die Gesellschaft" ausgesendet werde. Denn Täter:innen würden vor ihrer Tat keinen Blick ins StGB werfen. Bessere Ansatzpunkte seien: "Prävention, entschlossenere Ermittlungsverfahren, Unterstützung für Opfer – und Widerspruch, wenn diese Taten verharmlost werden."

Rechtspolitik

Pakt für den Rechtsstaat: Die Justizminister:innen von Niedersachsen, Bayern und Hamburg haben sich in einem Brief an Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) beschwert, dass dieser im Koalitionsvertrag versprochene Gelder für den Pakt für den Rechtsstaat bzw. für die Digitalisierung der Justiz zurückhalte. Sie weisen verfassungsrechtliche Bedenken Buschmanns zurück, da diese bei der Verstetigung des Pakts genau so wenig greifen wie bei der ersten Auflage des Pakts. Bei der Digitalisierung solle der Bund nicht nur Einzelprojekte fördern, so die Landesminister:innen. spiegel.de (Sophie Garbe) berichtet.

Digitale Märkte: Wie netzpolitik.org (Alexander Fanta) berichtet, hat der EU-Ministerrat die Digitale-Märkte-Verordnung (DMA) nun endgültig beschlossen. Die DMA-Verordnung soll sogenannte Gatekeeper zum fairen Umgang mit schwächeren Marktteilnehmern zwingen.

Corona – Maßnahmen: Die Welt (Luisa Hofmeier/Kevin Culina) bringt einen Artikel über die aktuelle politische Diskussion zu etwaigen Corona-Maßnahmen für den Herbst und lässt dabei auch Rechtsprofessoren zu Wort kommen. Volker Boehme-Neßler äußert verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine generelle Maskenpflicht, weil sie bei harmloseren Erkrankungen nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig sei. Josef Franz Lindner kritisiert, manche Politiker:innen vergäßen, dass "allein der Herbst kein Argument für Corona-Maßnahmen ist." Er hält insbesondere die Maskenpflicht an Schulen für einen schweren Grundrechtseingriff.

Verfassungsschutz-Kontrolle: Auf dem Verfassungsblog begrüßt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Anna Michel die Reformpläne der Bundesregierung zur Verfassungsschutzkontrolle, die unter anderem vorsehen, den neuen Unabhängigen Kontrollrat mit der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Vorabkontrolle von Maßnahmen zu beauftragen. Allerdings fordert die Autorien, die Vorgaben des BVerfG auch auf die anderen Nachrichtendienste MAD und BND zu übertragen. Für die Verfassungsschutzämter der Länder bleibe es dagegen wohl bei der Zuständigkeit der jeweiligen G 10-Kommission, weil es in den Ländern keine Gremien gibt, die mit dem UKR auf Bundesebene vergleichbar sind. 

Cannabis: Auf beck-community begrüßt Jörn Patzak, Leiter der JVA Wittlich, eine Lockerung des Betäubungsmittelgesetzes zur Cannabis-Abgabe, er hat aber auch Kritik. So verstoße die kontrollierte Abgabe von Cannabis in lizensierten Geschäften gegen europa- und völkerrechtliche Vorgaben. Die Vorstellung, dass durch eine Legalisierung von Cannabis der Schwarzmarkt verdrängt und polizeiliche Ressourcen frei werden, sei zudem naiv, weil zum Beispiel immer noch die Abgabe an Jugendliche verboten wäre. Am Entwurf der Grünen für ein Cannabiskontrollgesetz kritisiert der Autor, dass Besitz oder Erwerb durch Jugendliche bis zu einer Menge von 30 g nicht mehr sanktioniert werden sollen. Dadurch könnten Gerichte aber den Jugendlichen, die mit Drogen erwischt werden, auch die bewährten Suchthilfemaßnahmen nicht mehr auferlegen.

Justiz

LSG BaWü zu Brustentfernung: Eine nicht-binäre Person (die sich weder als Frau noch als Mann sieht) hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Entfernung ihrer Brüste. Das entschied das Landessozialgericht Baden-Württemberg und argumentierte, dass sich die Person, anders als transsexuelle Personen, nicht einem bestimmten Geschlecht zuordne und es dementsprechend auch kein Erscheinungsbild gebe, dem sie sich anpassen könnte. Das SG hatte in erster Instanz noch die Rechtsprechung zu transgeschlechtlichen Personen angewandt und den Anspruch zugestanden. FAZ und LTO berichten.

LSG Nds-Bremen zu Beinverlängerung: Eine Frau mit einer Körpergröße von 1,49 Meter hat gegenüber ihrer Krankenkasse keinen Anspruch auf Kostenübernahme einer Beinverlängerung, urteilte das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen. Es liege zwar Kleinwüchsigkeit vor, allerdings sei diese keine Krankheit im Rechtssinne. Etwaige Schwierigkeiten im Alltag könnten durch Hilfsmittel bewältigt werden und psychische Beeinträchtigungen seien therapeutisch zu behandeln. LTO berichtet.

LAG SH zu Entgeltfortzahlung/Corona: Nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein kann auch dann ein Anspruch auf Lohnfortzahlung bestehen, wenn Arbeitnehmer:innen in einem Corona-Hochrisikogebiet Urlaub machen und danach an Corona erkranken. Voraussetzung ist, dass die Inzidenz am Wohn- und Arbeitsort im Urlaubszeitraum höher lag. LTO berichtet.

OLG Frankfurt/M. zur Pizzeria Falcone: Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. darf sich eine Frankfurter Pizzeria nicht nach dem ermordeten italienischen Ermittlungsrichter und Mafiajäger Giovanni Falcone nennen. Während das Landgericht die Klage von Falcones Schwester in erster Instanz noch zurückgewiesen hatte, nahm das OLG nun eine Verletzung des Namensrechts und des postmortalen Persönlichkeitsrechts an. Es berichten die Welt und LTO.

OLG Zweibrücken zu Geh- und Fahrtrechten: Nach einem Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts Zweibrücken besteht ein im Grundbuch eingetragenes Geh- und Fahrtrecht zu einem "Hinterliegergrundstück" nicht uneingeschränkt. Der klagende Grundstückseigentümer, der nach dem Hinweis seine Berufung zurückzog, konnte nur über das Grundstück seines Nachbarn zur nächsten Straße gelangen. Nachdem der Nachbar zwei Parkplätze baute, war zwar die Zufahrt zu den Garagen auf dem Hinterliegergrundstück etwas erschwert, aber weiter möglich; zur Einfahrt in die Garagen musste etwas manövriert werden. Ein Recht auf bequemes Einparken ergab sich laut OLG jedoch aus dem Grundbuch nicht. LTO berichtet.

AG München – Haus-Abriss: Die taz (Dominik Baur/Patrick Guyton) berichtet über das Strafverfahren am Amtsgericht München zum illegalen Abriss des denkmalgeschützten "Uhrmacherhäusls" in München-Giesing. Der Eigentümer soll die Mieter kalt entmietet haben, um das Gebäude anschließend abzureißen. Der Vorwurf gegen den Eigentümer lautet deshalb Nötigung in Tatmehrheit mit gemeinschädlicher Sachbeschädigung. Der Baggerfahrer, der den Abriss konkret durchführte, ist wegen Beihilfe hierzu angeklagt. Der Baggerfahrer behauptet, er habe die Baustellen verwechselt.

VG Trier zu Schülerbeförderung: Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Trier sind Landkreise und kreisfreie Städte nicht dazu verpflichtet, Kosten einer für den Schulweg genutzten Taxifahrt in voller Höhe zu erstatten. Soweit zumutbare öffentliche Verkehrsverbindungen nicht bestehen und auch keine Schulbusse eingesetzt werden (wie es bei der klagenden Schülerin der Fall war), müssten Kosten für andere Beförderungsmittel nur bis zu der Höhe übernommen werden, wie sie hypothetisch für öffentliche Verkehrsmittel entstünden. LTO berichtet.

VG Würzburg zu Partysong "Layla": Das Würzburger Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag eines "Künstlers" als unzulässig ab, der gegen das Verbot der veranstaltenden Stadt Würzburg vorgehen wollte,  den umstrittenen Partysong "Layla" auf dem Würzburger Stadtfest zu spielen. Der Kläger, der angab, er performe Partyhits, konnte nicht glaubhaft machen, für einen Auftritt auf dem Stadtfest gebucht und damit von dem Verbot betroffen gewesen zu sein. LTO berichtet.

Massentierhaltung und Justiz: Auf LTO berichtet die Doktorandin Johanna Hahn über eine noch unveröffentlichte Studie zur Sanktionierung von Quälereien an Schweinen, Rindern und Hühnern und konstatiert ein Versagen der Strafverfolgungsbehörden im Tierschutzrecht. Die Staatsanwaltschaft prüfe bei der zentralen Norm des § 17 Tierschutzgesetz selten alle Varianten und stelle ferner zu hohe Anforderungen an das Vorliegen von erheblichen Schmerzen oder eines Leidens. Das liege auch daran, dass die Tatbestandsmerkmale der Norm einen zu großen Auslegungsspielraum gewährten. Es sei eine grundlegende Reform erforderlich.

Recht in der Welt

EuG/Russland – Sanktionen gegen Oligarchen: Vier russische Oligarchen haben beim Gericht der Europäischen Union Klage gegen Sanktionen eingereicht, die von der EU gegen sie verhängt wurden. Roman Abramowitsch, Alisher Usmanow, Michail Fridman und Pjotr Awen bestreiten, die russische Regierung und den Ukraine-Krieg wirtschaftlich zu stützen und fordern, dass ihr festgesetztes Vermögen wieder freigegeben wird. focus.de berichtet.

Marokko – Verfahren gegen Flüchtlinge: In Marokko stehen 33 Flüchtlinge vor Gericht, die am 24. Juni mit hunderten anderen versucht hatten, den Grenzzaun zur spanischen Exklave Melilla zu überwinden. Ihnen wird vorgeworfen, "die klandestine Ein- und Ausreise von Ausländern nach und aus Marokko begünstigt und organisiert" zu haben. Zudem werden ihnen Gewalt und Beleidigungen gegen marokkanische Grenzschützer sowie ein "bewaffneter Menschenauflauf" vorgeworfen. Die taz (Reiner Wandler) berichtet.   

Tunesien – neue Verfassung: Die Politikwissenschafter Julius Dihstelhoff und Mounir Mrad berichten im FAZ-Einspruch über den von Staatspräsident Kais Saied eingebrachten Entwurf einer neuen Verfassung, über den das tunesische Volk am 25. Juli 2022 per Referendum abstimmen wird. Die Richter:innen des Verfassungsgerichts sollen dabei zum Beispiel durch den Präsidenten ernannt werden. Sollte die Verfassung angenommen werden, werde ein neues Politikmodell etabliert, welches den "Rahmen für die Rückkehr eines autoritären Präsidialsystems" setze.  

USA – Steve Bannon: Vor einem Gericht in Washington hat der Prozess gegen Steve Bannon begonnen, der sich wegen der Missachtung des Kongresses verantworten muss. Der ehemalige Chefstratege von Donald Trump hatte eine Vorladung des Untersuchungsausschusses ignoriert, der das Geschehen rund um den Sturm auf das US-Kapitol vom 6. Januar 2021 prüft. spiegel.de berichtet.

Zypern – Anklagen wegen "goldenen Pässen": Der zyprische Generalstaatsanwalt hat wegen der illegalen Vergabe von sogenannten "goldenen Pässen" an dubiose ausländische Investoren Anklage gegen vier Männer erhoben. Darunter ist der ehemalige Parlamentspräsident Dimitris Syllouris. Das Hbl (Gerd Höhler) berichtet.

Juristische Ausbildung

Selbstreflektion im Studium: Im Interview mit LTO-Karriere (Pauline Dietrich) stellt die Rechtsreferendarin Selma Lyn Kalkutschke ihr am 18. Juli erschienenes Journal "Insichgespräch" vor. Das Journal soll Jurastudierende auf ihrem Weg zum Examen unterstützen und mit Hilfe von Fragebögen, Tabellen und Listen zur Selbstreflexion anregen. Grundidee ist es, dass die Motivation für das Studium von innen heraus kommt und dass Jura auch ruhig an zweiter Stelle stehen darf.

Sonstiges

Frauen in juristischen Berufen: deutschlandfunkkultur.de (Annette Wilmes) skizziert die Entwicklung von Frauen in juristischen Berufen von 1922, als die ersten Frauen zugelassen wurden, bis heute. Die Geschichte sei noch nicht abgeschlossen, da Frauen auch heute noch weniger in höheren Positionen vertreten sind und weniger Geld verdienen.

Schuldrecht: Die SZ (Andreas Jalsovec) stellt die zehn häufigsten Rechtsirrtümer aus dem Schuldrecht vor. Hier erfährt man etwa, dass viele Verträge auch ohne Unterschrift gültig sind oder dass Verträge nicht immer erst mit dem Tod enden.


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LTO/tr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 19. Juli 2022: . In: Legal Tribune Online, 19.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49089 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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