Die juristische Presseschau vom 12. Juli 2022: VG Arns­berg zu Kopf­tuch­verbot für Refe­ran­da­rinnen / Ver­schär­fung des Waf­fen­rechts? / Kun­den­rechte an Flug­häfen

12.07.2022

Auch in NRW dürfen Rechtsreferendarinnen bestimmte Tätigkeiten nicht mit Kopftuch ausüben. Die FDP ist skeptisch gegenüber einer Verschärfung des Waffenrechts. Was tun bei Chaos am Flughafen?

Thema des Tages

VG Arnsberg zu Kopftuch im Referendariat: Eine Rechtsreferendarin hat in Nordrhein-Westfalen keinen Anspruch darauf, im Rahmen ihrer Ausbildung bestimmte Tätigkeiten auszuüben, wenn sie dabei ein religiöses Kopftuch trägt. Dies hat das Verwaltungsgericht Arnsberg im einstweiligen Rechtsschutz entschieden. Während der Station beim Zivilgericht sowie bei der Staatsanwaltschaft wurde ihr unter Verweis auf § 2 Abs. 1 Justizneutralitätsgesetz NRW (JNeutG) untersagt, auf der Richterbank zu sitzen, Sitzungsleitungen zu übernehmen, Beweisaufnahmen durchzuführen bzw. bei der Staatsanwaltschaft eine Sitzungsvertretung zu übernehmen. Das JNeutG sei auch verfassungskonform, weil das Bundesverfassungsgerichts eine ähnliche Regelung zum Kopftuchverbot für hessische Rechtsreferendarinnen nicht beanstandet hatte. Da die vom Ausschluss betroffenen Aspekte des Referendariats nicht verpflichtend und ohne Einfluss auf die Notengebung seien, so das Gericht, sei auch der Eingriff in Religions- und Berufsfreiheit sowie den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz von geringer Intensität und insgesamt verhältnismäßig. Sowohl die Antragstellerin als auch ihre Anwältin zeigten sich enttäuscht. LTO-Karriere (Antonetta Stephany) berichtet. 

Rechtspolitik

Waffen: FDP-Innenexperte Konstantin Kuhle erklärte gegenüber der taz (Konrad Litschko), warum die FDP gegenüber Plänen von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) skeptisch ist, den Kreis der Behörden zu erweitern, an die Waffenbehörden Anfragen richten können, um extremistische oder psychische Auffälligkeiten von Waffenbesitzenden oder Antragstellenden zu erfragen. Das Waffenrecht sei bereits sehr streng und detailliert. Auch seien deutsche Jäger:innen und Sportschützen "überaus rechtstreu" und dürften "nicht unter Generalverdacht gestellt" werden. Vor einer Novellierung, inbesondere was den Zugriff auf sensible Gesundheitsdaten betreffe, müsse eine Evaluierung der letzten Verschärfung aus 2020 erfolgen.

Corona-Maßnahmen: Im FAZ-Einspruch nehmen die Rechtsprofessor:innen Steffen Augsberg und Frauke Rostalski eine rechtliche Bewertung der Erkenntnisse aus dem Gutachten des Sachverständigenausschusses zur Evaluation der Pandemiepolitik vor. Auch die an vielen Stellen bestehenden Ungewissheiten über die Wirksamkeit einzelner Maßnahmen müssten zwingend normativ bewertet werden. Für künftige Maßnahmen müsse fortan zudem berücksichtigt werden, welche Freiheitsbeschränkungen in den vergangenen Monaten bereits vorgenommen wurden. Dies habe zur Folge, dass der Schutz des Gesundheitssystems nicht länger "jedweder konkurrierende[r] Freiheitssphäre ohne Weiteres vorzuziehen" sei.

Elternschaft: In einem Gastkommentar für die Welt bemängeln die Abgeordneten Ulle Schauws und Helge Limburg (beide Grüne), dass § 1592 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) bislang nur dem Mann durch eine Ehe mit der leiblichen Mutter oder eine Vaterschaftsanerkennung den Weg zur zweiten gesetzlichen Elternposition eröffne. Der Paragraf müsse nun in einem ersten Schritt so angepasst werden, dass diese beiden Optionen alle vom deutschen Recht anerkannten Geschlechter nutzen können. "Um die ganze Vielfalt der Familien rechtlich abzubilden, gehören Mehrelternschaft-Konstellationen und Verantwortungsgemeinschaften sowie eine diskriminierungsfreie Regelung für transgeschlechtliche Eltern zum nächsten Schritt auf der Agenda der Koalition", schreiben die beiden.

Justiz

EGMR zu Tarifeinheitsgesetz: Nun schreibt auch die Rechtsprofessorin Eva Kocher auf dem Verfassungsblog in einer ausführlichen Analyse über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum deutschen Tarifeinheitsgesetz. Sie kritisiert die vom EGMR angenommene geringe Eingriffs-Intensität als "Verharmlosung" der Rechte von Minderheitsgewerkschaften und verweist auf die ebenfalls kritischen Sondervoten. In der Praxis habe das Tarifeinheitsgesetz hingegen ohnehin kaum Relevanz.

EuGH – Super League: An diesem Montag und Dienstag verhandelt der Europäische Gerichtshof über die Zulässigkeit der Gründung einer europäischen Super League im Fußball jenseits der UEFA-Wettbewerbe. Hierzu brachte nun auch LTO einen Vorbericht.

VG Hamburg zu Polizeieinsatz bei G20-Gipfel: In zwei Urteilen stellte das Verwaltungsgericht Hamburg die Rechtswidrigkeit der Gewaltanwendung gegen zwei Radfahrer:innen während des G20-Gipfels 2017 fest. Bei dem Versuch der beiden, eine nicht geschlossene Polizeiabsperrung zu passieren, hätten sich die Beamten den Radfahrer:innen in den Weg gestellt und die Frau so vom Rad gerissen, dass sie sich einen Arm gebrochen habe. Der um Hilfe rufende 32-jährige Begleiter sei abgedrängt und mehrfach geschlagen worden. Um eine Beweisaufnahme zu vermeiden, habe die Polizei jetzt die Rechtswidrigkeit dieses Polizeieinsatzes anerkannt. taz-nord berichtet. 

LG Bad Kreuznach – Tötung wegen Maskenpflicht: Im Prozess gegen Mario N., der im Streit um die Maskenpflicht den Kassierer einer Tankstelle in Idar-Oberstein erschossen hat, hat das Gericht auf Antrag von N.s Verteidiger den Gefängnispsychologen als Zeugen vernommen. Der Mann, dem sich N. in 60 Gesprächen geöffnet hat, wurde von N. von der Schweigepflicht entpflichtet. In den Gesprächen hätten die Last und die Schwere der Schuld dominiert, sagte der Psychologe. Etwas getan zu haben, was er "nicht mehr gutmachen" könne, belaste n. derart, dass er mit einem weiteren Sinn des Lebens hadere. Warum er an jenem 18. September so gehandelt habe, wisse N. noch immer nicht, sagte der Psychologe. spiegel.de (Julia Jüttner) berichtet. 

LG Wuppertal – Säureangriff auf Manager: Im Prozess wegen des Säureanschlags auf den damaligen Innogy-Manager Bernhard Günther in Haan bei Düsseldorf hat der Angeklagte bestritten, für die Tat verantwortlich zu sein. Seine am Tatort gefundene DNA sei missbraucht worden, sagte der 42-jährige Nuri T. im Wuppertaler Landgericht. Vor dem Bordell, in dem er immer mal wieder ausgeholfen habe, sei in sein Auto eingebrochen worden. Womöglich hätten die Diebe dabei auch Handschuhe mitgenommen. Es berichten FAZ (Reiner Burger) und spiegel.de.

BVerfG-Abendessen: Der Verfassungsblog (Jannika Jahn) nimmt einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe zur Auskunftspraxis des Bundesverfassungsgerichts gegenüber einer Bild-Journalistin zum Anlass, die Praxis der informellen Abendessen von Verfassungsrichter:innen und Mitgliedern der Bundesregierung zu hinterfragen. Der Dialog der Verfassungsorgane sei auch als Ausdruck eines Interorganrespekts wenig überzeugend. Dass dabei für alle sichtbar die Öffentlichkeit "ausgeladen" werde, sei für ein Verfassungsorgan, das sich durch seine Unabhängigkeit gegenüber den politischen Gewalten auszeichne und diese auch sichtbar manifestiere, so problematisch, dass von der Praxis Abstand genommen werden solle.

Recht in der Welt

USA – Twitter-Übernahme: Der US-amerikanische Multimilliardär Elon Musk hat angekündigt, das soziale Netzwerk Twitter nun doch nicht kaufen zu wollen. Wie schon in den vergangenen Wochen beruft sich Musk u.a. darauf, das Unternehmen habe ihm unzureichende Informationen zur Zahl der Fake-Accounts bei Twitter geliefert. Das Unternehmen versucht laut LTO (Stefan Schmidbauer) nun, den ausgehandelten Deal vor einem Gericht im US-Bundesstaat Delaware durchzusetzen.

Türkei – Osman Kavala: Obwohl bereits 2019 der EGMR urteilte, dass die Türkei den Kulturförderer Osman Kavala freizulassen habe, ist dies bislang nicht geschehen. Die Türkei ist deshalb nun zu einer Geldstrafe in Höhe von 7.500 Euro verurteilt worden. Es berichten tagesschau.de (Gigi Deppe) und LTO.

Sonstiges

Chaos an Flughäfen: Welche Rechte Reisende bei verspäteten oder nicht durchgeführten Flügen oder bei verschollenem Gepäck haben, erläutert Rechtsanwalt Sebastian Löw auf LTO. Wird ein Flug annuliert, ohne dass dies rechtzeitig mitgeteilt wird, stehen dem Reisenden grundsätzliche verschuldensunabhängige Ersatzansprüche gegen die Fluggesellschaft zu. Erscheint man zur empfohlenen Zeit, in der Regel ca. 2-3 Stunden vor Abflug, am Flughafen und verpasst den Flug dann wegen der langen Sicherheitskontrolle, kommt ein Aufopferungsanspruch gegen den Staat in Betracht. Dieser führt die Sicherheitskontrollen durch und trage etwa das Risiko corona-bedingter Personalengpässe.

Frauen in juristischen Berufen: Auf LTO beleuchtet die Diplomjuristin Melina Reyher die Entwicklung des Anteils von Frauen in der juristischen Ausbildung. Frauen war der Zugang zum Jurastudium erst am 11. Juli 1922 ermöglicht worden. Insbesondere den Jüdinnen unter ihnen wurde jedoch, beginnend mit dem Berufsbeamtengesetz vom 7. April 1933, der Zugang zu juristischen Berufen systematisch wieder entzogen. Betroffen von dem Berufsverbot war auch Erna Scheffler, die 1951 als erste Frau Richterin am Bundesverfassungsgericht wurde.

Straßenblockaden: Die Berliner Generalstaatsanwältin Margarete Koppers hat mit der taz-berlin (Plutonia Plarre) über die Ermittlungen im Zusammenhang mit den vermehrt auftretenden Straßenblockaden von Klimaaktivist:innen gesprochen. Sie wehrt sich darin ausdrücklich gegen die Forderung, etwa der Berliner Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), nach härteren Strafen. Sie kritisiert auch die Mitteilung der Gewerkschaft der Polizei, in der diese suggeriert hatte, die Stadt reagiere juristisch besonders lasch auf die Blockaden. Unter Verweis auf die differenzierende Rechtsprechung zu Sitzblockaden seien Nachermittlungen durch die Polizei vielfach ununmgänglich, um entscheiden zu können, ob Anklage erhoben wird.

Massentierhaltung: Die SZ (Nina Bovensiepen) berichtet über die der Zeitung zugespielten Videoaufnahmen aus einem Kaninchenstall aus Südwestdeutschland, in denen tierschutzwidrige Tötungen zu sehen sein. Obwohl der Tierschutz in Deutschland Verfassungsrang habe und das Tierschutzgesetz Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder Geldstrafen bei Tötungen eines Wirbeltieres ohne vernünftigen Grund vorsehe, werde der Tierschutz von Veterinärbehörden bzw. Staatsanwaltschaften stiefmütterlich behandelt. Als mögliche Gründe nennt sie schlichte Unkenntnis über die konkreten Zustände oder das verfügbare rechtliche Instrumentarium, aber auch ein gewisser Widerwille, das System der Massentierhaltung zu hinterfragen, könne dabei im Spiel sein. 

Das Letzte zum Schluss

Papagei als Wachmann: Am Wochenende gelang es einem Papagei im münsterländischen Werne offenbar, Einbrecher in die Flucht zu schlagen. Aus einer Mitteilung der Polizei Unna ergibt sich, dass die Verbrecher bereits die Türscheibe eines Einfamilienhauses eingeschlagen hatten, dann jedoch ohne Beute geflüchtet seien. Sie scheinen von einem Papagei gestört worden zu sein, der "Hallo" und "Na du" sagen kann. Die Polizei suche nun nach Zeug:innen, meldet spiegel.de. Ob der Papagei für eine Vernehmung in Betracht gezogen wird, ist aktuell nicht bekannt.


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LTO/jpw

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 12. Juli 2022: . In: Legal Tribune Online, 12.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49008 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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