Die juristische Presseschau vom 14. Juni 2022: Droht "Kar­tell­rechts­po­pu­lismus"? / BGH zu Inkas­so­di­enst­leister im Diesel-Skandal / Pastiche-Urteil des LG Berlin

14.06.2022

Wettbewerbsrechtler kommentieren die vorgeschlagene Kartellrechts-Reform. Myright kann Ansprüche geschädigter Schweizer Autofahrer einklagen. Künstler dürfen fremde Werke abkupfern, wenn eine eigene Auseinandersetzung erkennbar ist.

Thema des Tages

Kartellrecht und Energiepreise: Nachdem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vorgeschlagen hat, im Kartellrecht Gewinnabschöpfung und Entflechtung von Unternehmen auch ohne Nachweis von rechtswidrigem Verhalten zuzulassen, stellt LTO (Hasso Suliak) Kritik und Zweifel verschiedener Wettbewerbsrechtler dar. So bezeichnet Rechtsanwalt Florian C. Haus die geplante Vorteilsabschöpfung als "Kartellrechtspopulismus". Wenn die Unzufriedenheit mit den Ergebnissen des politisch motivierten Tankrabatts zu einer Änderungen des Kartellrechts führe, spreche dies nicht für eine "gute" Gesetzgebung. Auch Rechtsprofessor Torsten Körber warnt, das Kartellrecht sei kein "Allheilmittel", um Fehler anderer Gesetze zu kompensieren. Es sei als "Grundgesetz der sozialen Marktwirtschaft" zu wichtig, um es zu instrumentalisieren. Wohlwollender reagierte Rechtsprofessor Rupprecht Podszun. Kartellrechtler sollten akzeptieren, dass die Vorschläge eine Reaktion darauf seien, dass das Kartellrecht unter dem Einfluss der Chicago School und des "more economic approach" an Kraft verloren habe. In einem Interview mit der FAZ (Julia Löhr) begrüßt auch der Volkswirtschaftsprofessor Justus Haucap die Reform. Entflechtungen sollten im Extremfall möglich sein, das habe schon der damalige Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) 2010 vorgeschlagen, ohne aber ausreichend unterstützt zu werden.

Die SZ (Harald Freiberger/Wolfgang Janisch/Henrike Roßbach) gibt im Fragen-Antworten-Stil einen Überblick zur vorgeschlagenen Verschärfung.

Rechtspolitik

Dienstpflicht: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat erneut die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht angeregt. Vor allem in einer Zeit, in der das "Verständnis für andere Lebensentwürfe und Meinungen" abnehme, könne eine soziale Pflichtzeit "wertvoll" sein und man komme aus der "eigenen Blase" raus. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) kritisiert hingegen, junge Menschen gehörten nicht in eine "Beschäftigungstherapie", sondern in Ausbildung, Studium oder Beruf. Aufgrund von Art. 12a GG, wäre die Einführung einer Dienstpflicht nur mit einer Änderung des Grundgesetzes möglich. FAZ (Britta Berger/Dietrich Creutzberg), LTO und spiegel.de (Florian Gathmann u.a.) berichten.

Chatkontrolle: Die Missbrauchsbeauftrage Kerstin Claus begrüßt die von der EU-Kommission vorgeschlagene Chatkontrolle. Das Internet sei kein rechtsfreier Raum. Sie befürwortet Filter, die bemerken, wenn Kinder z.B. Telefonnummern und andere private Daten hochladen. Außerdem fordert sie laut spiegel.de von Betreibern für Kinder- und Jugendchats, dass das Alter überprüft wird, bevor gechattet werden kann.

Arbeitsschutz: Nach dem 2020 beschlossenen Arbeitsschutzkontrollgesetz sind die Bundesländer ab dem Jahr 2026 verpflichtet, jedes Jahr die Arbeitsschutzbedingungen von fünf Prozent aller Betriebe in Deutschland zu kontrollieren. Bislang lag die faktische Kontrollquote bei knapp über zwei Prozent. Einer Umsetzung könnte jedoch ein Mangel an Personal entgegenstehen, so die SZ (Daniel Drepper).

WTO-Streitschlichtung: Zu Beginn der WTO-Ministertagung fordert der EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis eine Reform des WTO-Streitschlichtungsmechanismus. US-Präsident Joe Biden blockiert wie schon sein Vorgänger Donald Trump das WTO-Berufungsgericht. Die FAZ (Johannes Ritter) berichtet.

Justiz

BGH zu Myright/Dieselskandal: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass sich der Inkassodienstleister Myright Schadensersatzforderungen von Schweizer Autofahrern gegen VW im Dieselskandal abtreten lassen und diese einklagen kann. Myright sei klagebefugt und brauche keine Erlaubnis nach § 10 I Nr. 3 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG), selbst wenn es für Schweizer Kunden tätig werde. Damit widersprach der BGH dem Oberlandesgericht Braunschweig. Dieses hatte zuvor eine Klagebefugnis mit der Begründung verneint, Myright habe nicht die besondere Sachkunde, die § 10 I Nr. 3 RDG für Rechtsdienstleistungen in einem ausländischen Recht voraussetze. Es berichten LTO und spiegel.de.

LG Berlin zu Kirschbaum-Pastiche: spiegel.de (Carola Padtberg) weist auf ein Urteil des Landgerichts Berlin hin, das vor einigen Wochen entschieden hat, dass der Künstler Martin Eder einen online gefundenen Kirschbaum werkgetreu kopieren durfte, obwohl ihn ein britischer Designer entworfen hatte. Dem Gericht zufolge baue jeder Künstler auf "schon Vorhandenem" auf und fange nicht bei "null" an. Urheber müssten hinnehmen, dass sich andere mit ihrem Werk "eigenmächtig" auseinandersetzen. Martin Eder ist ein Künstler, der bekannt dafür ist, "Trash" aus dem Internet auf die Leinwand zu bringen und in seinen Werken zu verarbeiten. Bei der Entscheidung des LG Berlin handele es sich um das erste große Pastiche-Urteil. "Pastiche" meint die erlaubte Übernahme eines fremden Stils, fremder Elemente oder ganzer Werke. Anders als eine Karikatur oder Parodie zollt das Pastiche dem Original Respekt und veräppelt es nicht. Es müsse jedoch eine Auseinandersetzung erkennbar sein.

OLG Celle zu Corona-Impfpassfälschung: Das Oberlandesgericht Celle hat entschieden, dass die Vorlage eines gefälschten Impfpasses in einer Apotheke schon nach alter Rechtslage eine Urkundenfälschung (§ 267 StGB) darstellt. Damit hob das Gericht die Entscheidung des Amtsgerichts Stade auf, das eine Strafbarkeit zuvor verneint hatte. Es berichtet LTO.

OLG München – Auftragsmord/Tschetschenien: Wie die FAZ (Marlene Grunert/Friedrich Schmidt) berichtet, beginnt am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht München der Prozess gegen Walid D. wegen Vorbereitens einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, wegen Bereiterklärens zur Begehung eines Mordes und wegen Verstößen gegen das Waffengesetz. Er habe sich im Jahr 2020 gegenüber einem Mitglied des Sicherheitsapparats des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow bereit erklärt, den Oppositionellen Mochmad Abdurachmanow in Deutschland zu töten.

LG Koblenz zu Tierhalterhaftung: Das Landgericht Koblenz hat entschieden, dass die Halterin eines Pferdes für Schäden haften muss, die das Tier bei einer Reiterin verursacht hat, der das Pferd während der Schwangerschaft der Halterin zum gelegentlichen Ausritt anvertraut war. Stürzt und verletzt sich diese Reiterin aufgrund eines Bucklers des Pferdes, so habe sich eine typische Tiergefahr im Sinne des § 833 BGB verwirklicht. Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung der Reiterin liege nicht vor, so das Gericht. Dies berichtet LTO.

Recht in der Welt

USA – Google-Diskriminierungsklage: Wie FAZ und LTO berichten, möchte sich Google in einem seit fünf Jahren laufenden Prozess, in dem es um mögliche Diskriminierungen von Mitarbeiterinnen bei Google geht, auf einen Vergleich einigen. Dieser würde eine Zahlung des Konzerns in Höhe von 118 Millionen Dollar beinhalten. Außerdem soll ein externer Experte Googles Beschäftigungspraktiken überprüfen. Google wurde vorgeworfen, dass dort angestellte Frauen weniger als Männer verdienten. Über 15.000 Frauen hatten sich der Sammelklage angeschlossen.

USA – Waffenrecht: Eine parteiübergreifende Gruppe von US-Senator:innen hat sich auf eine Verschärfung des Waffenrechts geeinigt. Waffenkäufer:innen unter 21 Jahren sollen demnach strenger überprüft werden. Außerdem sollen Bundesstaaten finanziell dabei unterstützt werden, wenn sie "Red-Flag-Gesetze" erlassen möchten. Mit diesen Gesetzen können Gerichte einzelnen Bürger:innen den Waffenbesitz untersagen, wenn sie als gefährlich eingestuft werden. Der Plan beinhaltet daneben mehr Geld für die Sicherheit in Schulen und für die psychologische Gesundheitsversorgung. Dies berichten taz (Eva Oer), faz.net (Sofia Dreisbach) und spiegel.de (Roland Nelles).

USA – NFT-Betrug: Auf LTO befasst sich Rechtsanwalt Moritz Stilz mit der Anklage des US-Justizministeriums vom 1. Juni 2022, in der einem ehemaligen Mitarbeiter der NFT-Handelsplattform Opensea ein Betrug unter Einsatz von Kommunikationsmitteln ("wire fraud") vorgeworfen wird. Er habe Geschäftsgeheimnisse für private Zwecke genutzt, indem er NFTs ("non-fungible tokens") kurz vor deren Veröffentlichung ankaufte, um sie danach für ein Vielfaches weiterzuverkaufen. Stilz betrachtet die Frage, ob NFTs strafrechtlich als Finanzinstrumente bzw. Securities im Sinne des Securities Exchange Act eingeordnet werden können. Dann wären die Regeln des regulierten Handels auf sie anzuwenden, sodass ein Insiderhandel strafrechtliche Konsequenzen haben könnte.

USA – Bayer: Der US Supreme Court hat noch nicht entschieden, ob er das Rechtsmittel des Pharmakonzerns Bayer gegen ein Urteil zugunsten des Klägers Edwin Hardeman annimmt. Dies könnte ggf. eine Signalwirkung für zahlreiche weitere Glyphosat-Verfahren gegen den Konzern haben. Es berichtet LTO.

Russland – Urteile des EGMR: Wie LTO berichtet, hat Präsident Wladimir Putin ein Gesetz unterzeichnet, nach dem Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die nach dem 15. März ergangen sind, nicht mehr umgesetzt werden. Russland ist auch nach seinem erklärten Austritt aus dem Europarat am 15. März an Urteile gebunden, die bis zum 26. September 2022 ergehen. 

Russland – Wikipedia: Wie spiegel.de (Torsten Kleinz) berichtet, hat die Wikimedia Foundation im Prozess gegen Russlands Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor Berufung eingelegt. Sie sieht sich durch eine Blockade von faktisch korrekten Informationen in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt. Zuvor war Wikimedia von einem russischen Gericht dazu verpflichtet worden, Informationen über den Krieg in der Ukraine zu zensieren.

Österreich – Rundfunk: Nach einem neuen Statut sollen im österreichischen Rundfunk Mitglieder der Redaktion neben dem Recht zur Beschwerde über Führungskräfte auch deren Ablöse initiieren können. Auf diese Weise soll die Unabhängigkeit der Redaktion vor politisch motivierten Eingriffen geschützt werden. Vor Inkrafttreten ist jedoch eine Zustimmung des Stiftungsrates und das Ergebnis einer Onlineabstimmung der Redaktion abzuwarten. Es berichtet die FAZ (Stephan Löwenstein).

Kuba – Massenproteste: Nach regierungskritischen Massenprotesten in Kuba im Juli 2021 wurden 381 Demonstranten zu Haftstrafen wegen Verbrechen wie Aufruhr, Sabotage, gewaltsamer Diebstahl, Körperverletzung, Missachtung der Autorität und öffentlicher Unruhe verurteilt. In 36 Fällen wurde eine Haftstrafe von bis zu 25 Jahren verhängt. Dies berichtet spiegel.de.

Das Letzte zum Schluss

Spritztour mit Komplikationen: Nachdem drei alkoholisierte Männer einen Aufsitzrasenmäher entwendeten, endete ihre kurze Spritztour an einem Poller. Ihr Stützrad war abgebrochen. Die Polizei verfolgte sie zu Fuß und nahm sie fest. Alle drei wurden wegen Diebstahls, Trunkenheit im Verkehr und unerlaubten Entfernens vom Unfallort angezeigt. Dies meldet die SZ.

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/ok

(Hinweis für Journalist:innen

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 14. Juni 2022: . In: Legal Tribune Online, 14.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48736 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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