Die juristische Presseschau vom 3. Juni 2022: Jumiko ärgert sich über Busch­mann / BVerfG zu Hartz IV-Schon­ver­mögen / Anklage gegen Wei­marer Fami­li­en­richter

03.06.2022

Justizminister:innen der Länder forderten konkrete Zusagen des Bundes beim Pakt für den Rechtsstaat. BVerfG sieht keine Benachteiligung von Eltern mit ausgezogenen Kindern. Rechtsbeugungs-Anklage nach Urteil gegen Maskenpflicht an Schulen.

Thema des Tages

Jumiko - Pakt für den Rechtsstaat: Die Finanzierung der Länderjustiz war das zentrale Thema der diesjährigen Frühjahrskonferenz der Justizminister:innen, wie FAZ (Helene Bubrowski) und LTO (Markus Sehl/Alexander Cremer) berichten. Die Länder zeigten sich verärgert über fehlende konkrete Zusagen des Bundes für die Verstetigung des "Pakts für den Rechtsstaat", der 2019 beschlossen worden war und Ende 2021 auslief. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) war wegen der Haushaltsdebatte im Bundestag nur kurz digital zur Jumiko zugeschaltet, vermied jedoch konkrete Zusagen.

Jumiko - Hasskriminalität im Netz: spiegel.de berichtet über die Beratungen der Justizministerkonferenz zur Einrichtung eines Online-Meldeportals für Hasskriminalität im Internet. Der Bayerische Justizminister Georg Eisenreich (CSU) will eine Meldestelle mit der Möglichkeit der Beratung von Betroffenen verbinden. Ein Bericht des TV-Satirikers Jan Böhmermann, wonach Polizisten oft unprofessional mit derartigen Anzeigen umgehen, hatte die Relevanz des Themas unterstrichen. Böhmermann und sein Team hatten verschiedene offensichtlich strafrechtlich relevante Hasskommentare in allen 16 Bundesländern angezeigt und dann die zumeist sehr schleppend verlaufenden Ermittlungsverfahren dokumentiert.

Ukraine-Krieg und Recht

Russische Menschenrechts-NGO: Die taz (Pascale Müller/Daria Sukharchuck) porträtiert die russische Menschenrechtlerin Varvara Mikhailova, die für die russische NGO "Apologia protesta" arbeitet, die in Fällen von Menschenrechtsverletzungen kostenlose Rechtshilfe leistet, insbesondere nach staatlichen Repressionen bei Protesten. Mikhailova floh kurz nach Beginn des Kriegs gegen die Ukraine von St. Petersburg nach Georgien und befindet sich mittlerweile in Israel, von wo aus sie weiter die Hotline der NGO betreut.

Rechtspolitik

Neuer Verfassungsrichter: Der Bundestag hat den Rechtsprofessor Heinrich Amadeus Wolff zum Richter am Bundesverfassungsgericht gewählt. Damit übernimmt Wolff die Nachfolge von Richter Andreas Paulus im Ersten Senat. Wolff war von der FDP vorgeschlagen worden. Er hat sich bisher vor allem einen Namen im Sicherheitsrecht gemacht. Es berichtet LTO.

Sondervermögen Bundeswehr: Die FAZ (Reinhard Müller) widmet sich der Verankerung des Sondervermögens zur Ausrüstung der Bundeswehr im Grundgesetz. Die neu einzuführende Verfassungsnorm trage ihre Einmaligkeit schon im Wortlaut. Es sei jedoch fraglich, ob solche Ausnahmeregelungen tatsächlich ins Grundgesetz gehörten. Wegen der Offenheit der Formulierung sei darüber hinaus ein Streit über die Norm vor dem Bundesverfassungsgericht absehbar.

Justiz

BVerfG zu Hartz IV/Wohnungsgröße: Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Regelung des Schonvermögens für Hartz-IV-Empfänger:innen, deren Kinder ausgezogen sind, mit dem grundgesetzlichen Gleichheitssatz vereinbar sind. Der Beschluss beruht auf dem Fall eines Ehepaars, das ein ca. 140 Quadratmeter großes eigenes Haus bewohnt. Als die Frau ALG 2 beantragte, wurde dies abgelehnt, weil sie nicht bedürftig sei; für ein Ehepaar genüge eine Wohnfläche von 90 Quadratmeter, das Haus könne deshalb verkauft werden. Die Frau machte geltend, dass das Haus angemessen sei, weil sie dort 1997 mit ihren sechs Kindern eingezogen waren. Dass diese inzwischen alle ausgezogen waren, könne kein Grund sein, nun den bisherigen Lebensmittelpunkt aufgeben zu müssen. Das Sozialgericht Aurich teilte die Ansicht der Familie und sah in § 12 Sozialgesetzbuch II, der die familiäre Vorgeschichte ausblende, eine Diskriminierung von Eltern gegenüber Kinderlosen. Der Erste Senat des BVerfG lehnte nun aber die Richtervorlage des SG Aurich ab. Der Gesetzgeber habe bei Sozialleistungen einen weiten Gestaltungsspielraum und könne auf den aktuellen Flächenbedarf abstelllen. Es berichten FAZ (Katja Gelinsky), taz (Christian Rath), tagesschau.de (Klaus Hempel) und LTO.

LG Erfurt – Rechtsbeugung wegen Maskenurteil: Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat laut LTO vor dem Landgericht Erfurt Anklage wegen Rechtsbeugung gegen einen Weimarer Amtsrichter erhoben, da dieser im vergangenen Jahr eine Entscheidung gegen die Corona-Maskenpflicht an zwei Schulen gefällt hatte. Der Familienrichter hatte im April 2021 im Wege einer kinderschutz-rechtlich begründeten einstweiligen Anordnung verfügt, dass Schüler:innen an zwei Weimarer Schulen entgegen dem geltenden Hygienekonzept des Bildungsministeriums keine Corona-Masken im Unterricht tragen müssen. Dabei soll er seine Kompetenzen überschritten und seine Entscheidung auf Betroffene ausgedehnt haben, für die er laut Geschäftsverteilungsplan nicht der gesetzliche Richter war. Die in Frage stehende Entscheidung wurde später vom Oberlandesgericht Jena gekippt.

EuGH – Dieselskandal: Nach Ansicht des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs sind Autohersteller gegenüber den Käufer:innen von Dieselautos mit illegaler Abschalteinrichtung zu Schadensersatz verpflichtet, wie die FAZ berichtet. Das EU-Recht, das solche Abschalteinrichtungen verbiete, diene auch dem Schutz individueller Autokäufer. Die Ausgestaltung des Schadensersatzes obliege aber den EU-Mitgliedsstaaten. Das Landgericht Ravensburg hatte den Fall eines Mercedes-Käufers dem EuGH vorgelegt.

BGH zu Youtube-Haftung: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Internetplattformen wie Youtube unter bestimmten Umständen wegen Urheberrechtsverletzungen auf der Plattform als Täter auf Schadensersatz verklagt werden können. Damit änderte der Bundesgerichtshof seine bisherige Rechtsprechung, wonach die Plattformen nicht als Täter, sondern alllenfalls als Störer haften, wenn Nutzende mit hochgeladenen Inhalten gegen Urheberrecht verstoßen. Der BGH setzte damit im Fall "Sarah Brightman" eine EuGH-Entscheidung von letztem Jahr um. Die neue Rechtsprechung entspricht auch der inzwischen novellierten EU-Urheberrechts-Richtlinie, die ebenfalls eine Haftung der Plattformen eingeführt hat. Es berichten FAZ (Katja Gelinsky), tagesschau.de (Jan Henrich), netzpolitik.org (Tomas Rudl) und LTO.

BVerwG zu Online-Dating/Bundeswehr: Auf dem Verfassungsblog kritisiert die wissenschaftliche Mitarbeiterin Ronja Heß das letzte Woche verkündete Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu außerdienstlichen Verhaltenspflichten einer Bundeswehr-Kommandeurin auf Tinder. Es sei "heteronormativen" Vorstellungen verhaftet, wenn der "Eindruck eines wahllosen Sexuallebens" auch daran festgemacht werde, dass die Kommandeurin keine Vorauswahl ihrer Sexualpartner nach dem Geschlecht treffe. Die Disziplinarmaßnahme und auch das Urteil könnten eine Diskriminierung der sexuellen Orientierung darstellen. 

VGH Bayern zu Kreuz-Erlass: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat mehrere Klagen gegen den sogenannten "Kreuz-Erlass" von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) abgewiesen. Laut dem Erlass soll im Eingangsbereich eines jeden bayerischen Dienstgebäudes gut sichtbar ein Kreuz hängen. Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor. Hinsichtlich einer Klage ließ der VGH die Revision beim Bundesverwaltungsgericht zu. Es berichtet LTO.

OLG Hamburg zu IS-Rückkehrerin: Eine 38 Jahre alte IS-Rückkehrerin ist vom Hanseatischen Oberlandesgericht unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu drei Jahren Haft verurteilt worden, wie spiegel.de schreibt. Die Frau hatte zwischen 2014 und 2017 mit ihrem Ehemann und ihren zwei Kindern in einem vom IS kontrollierten Gebiet gelebt.

OLG Köln – Kohl-Zitate: Im Rechtsstreit der Witwe von Altkanzler Helmut Kohl, Maike Kohl-Richter, mit dessen Biograph Heribert Schwan um die Veröffentlichung und Verbreitung von Zitaten Kohls, die er bei der Vorbereitung von Schwans Büchern gemacht hatte, hat das Oberlandesgericht Köln eine neue Beweisaufnahme angeordnet, wie spiegel.de berichtet. Um zu klären, ob zwischen Schwan und Kohl eine Verschwiegenheitserklärung vorlag, soll die Beweisaufnahme aus der ersten Instanz teilweise neu vorgenommen werden.

LG Wiesbaden – Cum-Ex/Hanno Berger: Vor dem Landgericht Wiesbaden begann ein zweiter Strafprozess gegen den Anwalt Hanno Berger wegen Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit dem milliardenschweren Steuerskandal um Cum-Ex-Aktiengeschäfte. Berger steht seit April auch in Bonn vor Gericht, die Verfahren laufen aber getrennt, da die Staatsanwaltschaften sich nicht auf ein Gesamtverfahren verständigen konnten. Es berichten Hbl (Volker Votsmeier) und LTO. Der frühere Finanzbeamte Berger gilt als Architekt hinter den Cum-Ex-Geschäften. 

LG  Frankfurt/M. – bestechlicher Staatsanwalt: Die Staatsanwaltschaft Frankfurt/M. hat laut spiegel.de einen Oberstaatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt wegen Bestechlichkeit in 101 Fällen, schwerer Untreue in 55 Fällen sowie Steuerhinterziehung in neun Fällen angeklagt. Er soll zwischen August 2015 und Juli 2020 unter anderem Gutachten für die Justiz vergeben und dabei einen Teil der Honorare des von ihm beauftragten Unternehmens erhalten haben. 

StA Stuttgart – deutscher Ku-Klux-Klan: Nach gut drei Jahren Ermittlung hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart die Verfahren gegen 57 Verdächtige wegen der Bildung eines deutschen Ablegers des rassistischen Ku-Klux-Klans eingestellt, da nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden könne, dass der Zweck der Gruppierung auf die Begehung von Straftaten gerichtet gewesen sei. Es berichtet spiegel.de.

Recht in der Welt

EU/Polen – Justizreform: Dass die EU-Kommission nun grundsätzlich bereit ist, die bisher zurückgehaltenen Gelder des Corona-Aufbaufonds an Polen auszuzahlen, stößt insbesondere im Europaparlament auf Kritik. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verweist jedoch auf zahlreiche Bedingungen, die Polen vor der Auszahlung noch erfüllen müsse. So befassten sich n den Bedingungen für den polnischen Wiederaufbauplan immerhin acht Seiten mit "Meilensteinen" für die polnische Justiz. Es wird aber befürchtet, dass die Kommission Polen dabei weiter entgegenkommt, vor allem wegen der zentralen Rolle des Landes bei der Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine. Es berichten SZ (Viktoria Großmann/Josef Kelnberger), FAZ (Thomas Gutschker/Reinhard Veser), taz (Eric Bonse/Gabriere Lesser) und spiegel.de (Jan Puhl/Markus Becker).

Viktoria Großmann (SZ) wertet das Entgegenkommen der Kommissionspräsidentin von der Leyen als einen Sieg der PiS-Partei, den diese für sich ausnutzen werde. Damit verhalte sich die Kommissionspräsidenten illoyal gegenüber allen Streitenden und Kämpfenden für Rechtsstaat und Demokratie in Polen. Barbara Oertel (taz) hält das Vorgehen von der Leyens für eine vorauseilende Belohnung Polens, die nichts Gutes für die Werte der EU bedeute.

Tunesien – Richter:innen: Laut spiegel.de hat Tunesiens zunehmend autoritär regierender Präsident Kaïs Saïed per Dekret 57 Richter:innen in seinem Land entlassen. Die Entlassenen müssen mit Strafverfahren rechnen. 

USA – Recht auf Abtreibung: In diesem Monat könnte der US-Supreme Court seine bisher liberale Rechtsprechung zum Abtreibungsrecht korrigieren. Dadurch könnten viele US-Bundesstaaten Schwangerschaftsabbrüche nahezu unmöglich machen. Staaten mit liberaleren Regelungen erwarten deshalb einen Zustrom von Frauen aus anderen Staaten. Dies nimmt die taz (Eva Oer) zum Anlass, die voraussichtliche Rechtslage in verschiedenen Staaten zu erläutern. So wolle etwa New York ein sicherer Hafen für Frauen sein, die eine Schwangerschaft abbrechen wollten.

USA - Johnny Depp und Amber Heard: Nach dem Urteil im Zivilprozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard, wonach Depp 10 Millionen und Heart zwei Millionen Dollar Schadensersatz zugesprochen wurden, stellen SZ (Jürgen Schmieder), FAZ (Christiane Heil) und spielgel.de (Marc Pitzke) die Entstehungsgeschichte der Auseinandersetzung des prominenten Paares dar und ordnen das Urteil vor dem Hintergrund der #MeToo-Bewegung und auch der Karrieren der beiden Beteiligten ein.

Felix W. Zimmermann (LTO) hält die Schlussfolgerung der Jury für nicht haltbar, dass die Äußerungen von Heard bezüglich eines Missbrauchs von Depp falsch seien. Er beschäftigt sich mit der Definition des Begriffs der häuslichen Gewalt und kommt zu dem Schluss, dass auch die Angst vor Misshandlung bereits einen Missbrauch darstellen kann. Dies habe die Jury verkannt. Richtig wäre es gewesen, "beide Parteien ohne Geldansprüche nach Hause zu schicken". Aus Sicht von Jürgen Schmieder (SZ) sei das Urteil weder ein Rückschlag für die Me-Too-Bewegung noch eine, wie Heard sagte, "enttäuschende Botschaft an andere Frauen". In dem Urteil sei es lediglich darum gegangen, dass ein vermeintliches Opfer einen vermeintlichen Täter nicht öffentlich und ohne Verurteilung durch ein Gericht diffamieren dürfe. Alfons Kaiser (FAZ) hingegen ist der Meinung, Heard habe der Me-Too-Bewegung keinen Dienst erwiesen. Der Prozess sollte aber Anlass bieten, Probleme wie falsche Vorwürfe und eine sensationsgeile Öffentlichkeit in den Blick zu nehmen. Elena Witzeck (FAZ) stellt fest, dass auch im Jahr 2022 noch keine würdevolle Art gefunden wurde, über einen solchen Fall zu berichten.

Sonstiges

Extremismus in Sicherheitsbehörden: Aus anlass des Mitte Mai veröffentlichten Lageberichts "Rechtsextremisten, Reichsbürger und Selbstverwalter in Sicherheitsbehörden“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz befasst sich Rechtsprofessor Andreas Nitschke auf dem Verfassungsblog mit dem Thema "Denunziation"Nach Ansicht des Autors haben Beamt:innen eine eine Pflicht, extremistische Kolleg:innen zu melden.

 

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Am Dienstag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/ls

(Hinweis für Journalist:innen) 

Was bisher geschah: zu den Presseschausen der Vortage.

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 3. Juni 2022: . In: Legal Tribune Online, 03.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48647 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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