Die juristische Presseschau vom 11. Mai 2022: Mehr poli­ti­sche Straf­taten / Gas­tro­no­mie-Shut­down gerecht­fer­tigt / Straf­bare Löse­geld­zah­lungen?

11.05.2022

BKA veröffentlicht Statistik zu Straftaten mit politischem Hintergrund. BVerfG hält coronabedingte Gastronomieschließungen im Rahmen der Bundesnotbremse für gerechtfertigt. Überlegungen zu Straflosigkeit von Lösegeldzahlungen für Computer.

Thema des Tages

Politische Straftaten: Die Zahl politisch motivierter Straftaten hat 2021 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 23 Prozent zugenommen und damit einen neuen Höchststand erreicht. Das geht aus einer Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA) hervor. Danach ist vor allem die Zahl der Straftaten gestiegen, die von der Polizei keiner speziellen Ideologie zugeordnet werden konnte und zwar um mehr als 147 Prozent. Expert:innen bringen dies in Zusammenhang mit den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen. Weiter stark gestiegen ist auch die Anzahl antisemitischer Taten. Insgesamt wurden die meisten Straftaten mit politischem Hintergrund von rechts motivierten Täter:innen verübt, weshalb Innenministerin Nancy Faeser (SPD) betonte, die größte extremistische Bedrohung gehe weiterhin vom Rechtsextremismus aus. Es berichten die SZ (Markus Balser/Constanze von Bullion), FAZ (Helene Bubrowski), taz (Konrad Litschko) und LTO.

Die Zahlen zeigen, so Reinhard Müller (FAZ), dass unter den Gegner:innen der Corona-Maßnahmen "offenbar kaum Berührungsängste mit Extremisten bestehen". Gemeinsamer Nenner sei die Ablehnung des als autoritär, gar als Diktatur wahrgenommenen Staates. Ronen Steinke (SZ) kommentiert, dass steigende Zahlen in der Statistik auch ein Zeichen sein könnten, dass die Polizei das Vertrauen migrantischer und anderer Minderheiten-Gemeinschaften (zurück-)gewinne. Bisher wenden sich Menschen, die rassistisch, antisemitisch, homophob und ähnlich attackiert wurden, nur in rund 20 Prozent der Fälle an die Polizei und erstatten Anzeige, so der Autor.

Rechtspolitik

Triage: LTO (Maximilian Amos) schildert den Inhalt eines Referentenentwurfs für ein Triage-Gesetz, den das Bundesgesundheitsministerium inzwischen wieder zurückgezogen hat. Dieser sah als Novum die rechtliche Möglichkeit für eine Ex-Post-Triage vor, bei der eine bereits begonnene Behandlung bei knappen Kapazitäten während einer Pandemie zugunsten einer Patient:in mit einer höheren Überlebenschance hätte abgebrochen werden können. Rechtsprofessorin Scarlett Jansen und Anwalt Oliver Tolmein äußerten rechtliche und ethische Bedenken an der Ex-Post-Triage und anderen Teilen des Entwurfs. Die Liga Selbstvertretung forderte den Rücktritt von Justizminister Marco Buschmann (FDP), der für die Aufnahme der Ex-Post-Triage in den Entwurf gesorgt haben soll.

Ersatzfreiheitsstrafe/Schwarzfahren: Eine kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hat ergeben, dass jedes Jahr bundesweit 50.000 Menschen wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe ins Gefängnis müssen, wobei es in fast einem Viertel der Fälle um das "Erschleichen von Leistungen" geht, berichtet die SZ (Ronen Steinke). Zudem koste die Inhaftierung der zahlungsunfähigen Straftäter:innen bundesweit täglich 450.000 Euro. Dennoch will die Bundesregierung weiter am Prinzip der Ersatzfreiheitsstrafe festhalten, da dies ein wirksames Druckmittel zur Durchsetzung der Geldstrafe darstelle. Die Linksfraktion im Bundestag hat nun einen Gesetzentwurf zur ersatzlosen Abschaffung der Strafbarkeit des Fahrens ohne Fahrschein erarbeitet. Die bisherige Straftat solle auch nicht zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden. Es genüge das erhöhte Beförderungsentgelt.

Berlin autofrei: Das Volksbegehren für eine (fast) autofreie Stadt Berlin verstößt nach Einschätzung der Berliner Senatsverwaltung für Inneres gegen das Grundgesetz und ist daher unzulässig. Der mit dem Begehren vorgelegte Gesetzentwurf greife unverhältnismäßig in die allgemein Handlungsfreiheit ein. Nun wird die federführend zuständige Senatsverwaltung für Verkehr einen Beschlussvorschlag für den Gesamt-Senat erarbeiten. Sollte der Senat auch zu dem Schluss kommen, dass der Entwurf verfassungswidrig ist, muss automatisch der Landesverfassungsgerichtshof entscheiden. Es berichten die taz-Berlin (Claudius Prösser) und sz.de.

Justiz

BVerfG zu Bundesnotbremse/Gastronomie-Shutdown: Die im vorigen Frühjahr durch die sogenannte Bundesnotbremse ausgelöste weitreichende Schließung der Gastronomie war verfassungskonform. Das entschied das Bundesverfassungsgericht mit einer Kammerentscheidung und nahm eine entsprechende Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Es liege zwar ein "erheblicher" Eingriff in die Berufsfreiheit der klagenden Restaurantbetreiberin vor, der auch dadurch verstärkt sei, dass sie bereits seit November 2020 unter ähnlichen Bedingungen schließen musste. Der Eingriff sei aber gerechtfertigt. Die Richter:innen bezogen sich dabei auch auf ihre Entscheidung vom November 2021, in der bereits die Ausgangssperre der Bundesnotbremse als verfassungskonform eingestuft worden war. Es berichten die FAZ (Katja Gelinsky) und LTO.

BVerfG zu Windparks: In einem Beitrag auf dem Verfassungsblog befasst sich Antonia Boehl, Doktorandin, näher mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von vergangener Woche, wonach Betreiber:innen von Windparks in Mecklenburg-Vorpommern dazu verpflichtet werden dürfen, betroffene Anwohner:innen und Kommunen finanziell am Ertrag zu beteiligen. Der Beschluss und die Form seiner Veröffentlichung (mit deutscher und englischer Pressemitteilung) könnten, so die Autorin, auf die Figur des Verfassungswandels hindeuten. Denn in dem Beschluss ändere das BVerfG nicht die Auslegung von Artikel 20a Grundgesetz (GG), sondern die Auswirkungen des Begriffs der natürlichen Lebensgrundlagen in der Abwägung mit anderen Verfassungswerten. Damit habe Artikel 20a GG mittelbar einen anderen Sinn erhalten, wie es ein Verfassungswandel voraussetze. 

BGH zu beA und Umlauten: Erkennt der Justizcomputer die Umlaute in Dateinamen von Anhängen nicht, die über das elektronische Anwaltspostfach an das Gericht gesendet wurden, führt dies nicht zur Fristversäumnis. Mit dieser Entscheidung hob der Bundesgerichtshof einen Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg auf, wonach die Berufungsbegründung eines Anwalts als unzulässig abgewiesen wurde, da die von ihm per beA versandte Nachricht an das Gericht ohne Anlage angekommen war. Die Anlage trug den Dateinamen "Berufungsbegründung", dessen Umlaut "ü" vom Justizcomputer nicht erkannt und die Datei deshalb nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde. Auf solche Übermittlungsfehler haben interne IT-Experten der "Fachgruppe Justiz" bereits hingewiesen, erläutert LTO (Hasso Suliak). Zwar müsse ein eingereichtes elektronisches Dokument nach § 130a Abs. 2 Satz 1 ZPO für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein, daraus resultiere laut BGH aber kein Verbot von Umlauten. 

OVG Berlin-BB zu ukrainischen Flaggen: Auch kleine Versammlungen, wie die am Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst, durften am 9. Mai 2022 keine ukrainischen Flaggen zeigen und keine ukrainischen Marsch- und Militärlieder spielen. Damit änderte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eine anderslautende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin. Der OVG-Beschluss wurde zunächst nicht begründet. Die Sicherheitsbehörden wollten mit der umstrittenen Allgemeinverfügung verhindern, dass das Weltkriegsgedenken von möglichen Konflikten im Zusammenhang mit dem aktuellen Krieg in der Ukraine überschattet wird. LTO berichtet.

LG Kaiserslautern – Mord bei Kusel: Die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern hat gegen einen 38-Jährigen Anklage insbesondere wegen Mordes an zwei Polizist:innen erhoben. Der Angeschuldigte soll die Polizeibeamt:innen bei einer nächtlichen Fahrzeugkontrolle im rheinland-pfälzischen Kusel mit einer Schrotflinte erschossen haben, um seine strafbare Jagdwilderei zu verdecken. Es berichten die SZ, FAZ (Karin Truscheit), taz, spiegel.de und LTO.

LG Dresden – Grünes Gewölbe: Die Staatsanwaltschaft Dresden hat einen weiteren mutmaßlich Beteiligten des Einbruchs im Dresdener Grünen Gewölbe festgenommen. Jihad Remmo war am Landgericht Dresden bei dem Prozess um jenen Einbruch zunächst nur als Zuschauer anwesend und wurde zum Ende des Verhandlungstags dann festgenommen, so spiegel.de (Wiebke Ramm) und FAZ (Stefan Locke). Ihm wird vorgeworfen, die Tat der sechs Hauptangeklagten mit vorbereitet und geplant zu haben und sich deshalb der Beihilfe u.a. zum Einbruch schuldig gemacht zu haben.

LG Hamburg – Gruppenvergewaltigung: Vor dem Hamburger Landgericht begann der Prozess gegen elf junge Männer im Alter zwischen 18 und 22 Jahren. Ihnen wird vorgeworfen, im September 2020 ein stark alkoholisiertes 15-jähriges Mädchen in ein Gebüsch gezogen und unter Anwendung von Gewalt vergewaltigt und dabei gefilmt zu haben. Wie die FAZ (Matthias Wyssuwa) und zeit.de (Elke Spanner) schreiben, findet der Prozess zum Schutz der Intim- und Sexualsphäre der jugendlichen Nebenklägerin sowie der Angeklagten unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Seit der Tat wird gegen die vermeintlichen Täter im Internet zu Gewalt und Selbstjustiz aufgerufen.

Recht in der Welt

USA – Abtreibungen: Am heutigen Mittwoch steht im US-Senat ein von den Demokraten eingebrachter Entwurf für ein Bundesgesetz zum Recht auf Schwangerschaftsabbruch zur Abstimmung. Der Gesetzentwurf gilt laut taz (Eva Oer) und FAZ (Sofia Dreisbach) als chancenlos, da den Demokraten die nötige Mehrheit fehlt. Eine bundesweite Regelung zu Abtreibungen ist für die Demokraten aber das Wahlkampfthema für die anstehenden Midterm-Wahlen geworden, seitdem vergangene Woche ein Urteilsentwurf des US-Supreme Courts geleakt wurde, wonach die bisherige "Roe v. Wade"-Leitentscheidung zum Recht auf Schwangerschaftsabbruch vor dem Aus steht.

Sonstiges

Ransomware-Erpressung: Erpresste Unternehmen, die bei einem Ransomware-Angriff das von den Täter:innen geforderte Lösegeld zahlen, droht ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 Strafgesetzbuch. Sollten die Täter:innen auf EU-Sanktionslisten stehen, droht zusätzlich ein hohes Bußgeld. Dabei bedürfe es eher einer Kooperation zwischen betroffenen Unternehmen und den Strafverfolgungsbehörden, um gegen Kriminelle vorzugehen, meinen sowohl Oberstaatsanwalt Markus Hartmann als auch Rechtsanwalt David Schmidt gegenüber der FAZ (Katja Gelinsky). Lösungsansätze könnten ein "sicherer Hafen", also die Straffreiheit für Unternehmen sein, die im Falle einer solchen Schadsoftware-Attacke mit den Behörden kooperieren bzw. eine Pflicht für die Unternehmen, solche Angriffe zu melden.
 
Onlinehandel: In einem Beitrag in der FAZ erläutert die Rechtsanwältin Fee Mäder, was Onlinehändler:innen in Zeiten von Lieferengpässen in der Kommunikation mit Verbraucher:innen zu beachten haben, damit sie sich keinen zivilrechtlichen Ansprüchen wegen verspäteter Lieferungen oder Preiserhöhungen ausgesetzt sehen. Für die Onlineverkäufer:innen bestehe die Pflicht, leicht lesbar darauf hinzuweisen, dass die angebotene Ware nicht verfügbar ist oder bestimmten Lieferfristen unterliegt und die Angaben zu den Internetangeboten ständig zu aktualisieren. Es drohen zudem wettbewerbsrechtliche Probleme, sollten Produkte angeboten werden, die gar nicht verfügbar sind.

Das Letzte zum Schluss

Badischer Aktenknoten: Er lässt sich mal locker, mal fest an den Aktenstapel binden, ermöglicht ein leichtes Umschlagen der Seiten und schützt die Papiermengen davor, bei einem plötzlichen Windzug durcheinanderzugeraten. Der nun 200 Jahre bestehende Badische Aktenknoten wird in der Justiz in weiten Teilen Badens immer noch zur Aktenheftung genutzt. Durch die fortschreitende Einführung der elektronischen Akte wird er aber bald der Vergangenheit angehören, so LTO.

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/ali

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 11. Mai 2022: . In: Legal Tribune Online, 11.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48403 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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