Die juristische Presseschau vom 10. Mai 2022: War Fynn Klie­manns Mas­ken­t­äu­schung strafbar? / Reform der EU-Ver­träge? / OLG Zwei­brü­cken zu Bau­ver­trägen

10.05.2022

Die Täuschung über die Herkunft der von Fynn Kliemann verkauften Masken war wohl kein Betrug. Emmanuel Macron will Reform der EU-Verträge anschieben. OLG Zweibrücken sieht weiten Anwendungsbereich des Verbraucherbauvertrages.

Thema des Tages

Fynn Kliemanns Masken: Der Unternehmer und Instagram-Star Fynn Kliemann hat sich wohl nicht wegen Betrugs strafbar gemacht, als er über die Herkunft angeblich fair in Portugal produzierter Masken getäuscht hat. Zu diesem Schluss kommt Felix W. Zimmermann (LTO)Selbst wenn man die Herkunftsangabe für kaufentscheidend ansieht, könne man zwar eine Vermögensverfügung bejahen, nicht hingegen einen objektiven Vermögensschaden auf Käuferseite. Dass die Masken aus Asien einen objektiv geringeren Wert haben oder gar nicht bzw. weniger brauchbar sind, sei derzeit nicht ersichtlich. Auch die wertungsmäßige Korrektur nach der sogenannten Zweckverfehlung könne hier nicht angenommen werden. Beim Kauf der Masken sei die Möglichkeit zur Teilnahme im öffentlichen Leben wichtiger empfunden worden als eine Sicherung von Arbeitsplätzen in Europa. Allerdings sei das Verhalten Kliemanns wettbewerbswidrig gewesen, sodass Mitbewerber:innen Unterlassungsansprüche gegen Kliemann hätten durchsetzen können.

Ukraine-Krieg und Recht

Sanktionen gegen Russland/RT und Sputnik: Nach dem von der EU Anfang März im Rahmen von Sanktionsmaßnahmen beschlossenen Austrahlungsverbot für die russischen Staatssender RT bzw. Sputnik bemängelt Rechtsprofessor Christoph Möllers in der FAZ das Fehlen einer definierten und transparenten Prozedur, in der Tatsachen und Bewertungen nachvollziehbar getroffen werden. Selbst die Ablehnung einer Baugenehmigung müsse – jedenfalls nach deutschem Recht – besser begründet werden, als es beim Sendeverbot für RT und Sputnik geschehen sei. In einem Rechtsstaat sei "der Schluss vom richtigen Zweck auf die Mittel verboten", zitiert Möllers den Soziologen Niklas Luhmann.

VG Berlin zu Ukraine-Flaggen: Auf kleinen Versammlungen in Berlin dürfen trotz behördlichen Verbots Fahnen und Flaggen mit ukrainischem Bezug gezeigt und ukrainische Marsch- bzw. Militärlieder gespielt werden. Das entschied am Abend das Berliner Verwaltungsgericht in einem Eilbeschluss. Die Allgemeinverfügung vom 4. Mai sei insoweit ohne rechtliche Grundlage ergangen, da von kleinen Versammlungen keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe. Die in der Allgemeinverfügung angeführten Erkenntnisse stammten von pro-russischen Versammlungen. LTO berichtet.

Rechtspolitik

Europäische Verträge: Der französische Präsident Emmanuel Macron unterstützt die Reformpläne der europäischen "Zukunftskonferenz". Im Kern forderte er die Abkehr von der Pflicht zur Einstimmigkeit in der Außen-, Steuer- und Haushaltspolitik sowie eine Stärkung des Europäischen Parlaments durch die Möglichkeit, selbst Gesetzesinitiativen einzubringen. Überraschend schlug Macron auch eine neue "europäische politische Gemeinschaft" vor, in der Staaten wie die Ukraine, Georgien oder Moldawien während ihres langen EU-Aufnahmeprozesses Mitglied sein könnten. Das Europäische Parlament plant, noch im Juni einen Konvent einzuberufen, der Vertragsänderungen einleiten soll. Kritik kommt von Schweden, das sich mit elf anderen Staaten gegen jegliche "rechtlichen Verpflichtungen" aussprach. Es berichten FAZ (Thomas Gutschker), SZ (Daniel Brössler/Josef Kelnberger) und Welt (Martina Meister).

Triage: Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) lehnt die Möglichkeit eines Abbruchs bereits eingeleiteter Behandlungen zugunsten von Patient:innen mit höheren Lebenschancen im Falle mangelnder Intensivkapazitäten ab. Eine solche ex-post-Triage sei "ethisch nicht vertretbar und weder Ärzten, Patienten noch Angehörigen zuzumuten", wird Lauterbach von FAZ (Christian Geinitz) und taz (David Muschenich) zitiert. Der Vorschlag gehe auf das FDP-geführte Bundesjustizministerium zurück, schreibt die Welt (Frederik Schindler). Aus der Rechtswissenschaft kommen sowohl Stimmen, die eine entsprechende Regelung für verfassungsgemäß erachten, als auch solche, die darin den Tatbestand des Totschlags als erfüllt ansehen.

Vorkaufsrecht/Milieuschutz: Die Gesetzesinitiative zur Anpassung der baurechtlichen Normen zum gemeindlichen Vorkaufsrecht und zum Milieuschutz war Thema einer Anhörung des Bauausschusses im Bundestag, über die die FAZ (Corinna Budras/Julia Löhr) berichtet. Unterstützung für das Vorhaben kam u.a. vom Mieterverbund sowie dem Hamburger Senat, während sich der Verwaltungsrechtler Matthias Hellriegel wegen befürchteter "Fehlallokationen" genauso wie die Immobilienwirtschaft gegen das Projekt aussprach.

Justiz

OLG Zweibrücken zu Verbraucherbauvertrag: Als erstes Obergericht hat das Oberlandesgericht Zweibrücken entschieden, dass ein Verbraucherbauvertrag nach § 650i Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auch dann vorliegt, wenn beim Neubau eines Wohnhauses die Leistungen an einzelne Handwerksunternehmen und nicht zentral an ein Bauunternehmen vergeben werden. Im konkreten Fall führte das dazu, dass ein von einem Handwerker verklagtes Ehepaar als Verbraucher:innen nicht zum Abschluss einer sogenannten Bauhandwerkerversicherung verpflichtet war. Wie LTO (Antonetta Stephany) berichtet, hat das OLG die Revision zugelassen, die auch schon eingelegt worden ist.

BGH zu c/o-Anschrift in Klage: Der ZPO-Blog (Benedikt Windau) erläutert eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Zulässigkeit einer Klage mit c/o-Anschrift des Klägers. Der BGH stellte fest, dass ein damit verbundenes Geheimhaltungsinteresse der Partei dann anzuerkennen ist, wenn die genannte Adresse eine ordnungsgemäße Zustellung und insbesondere die gerichtliche Anordnung des persönlichen Erscheinens ermögliche. Im konkreten Fall sei dies deshalb gewährleistet, weil der Vorstandsvorsitzende der klagenden Stiftung in der Rechtsanwaltskanzlei tätig war, deren Anschrift in der Klageschrift angegeben war.

BFH zu heimischem Arbeitszimmer: Auch wenn der Anteil des Arbeitens im häuslichen Arbeitszimmer im Verhältnis zur Gesamtarbeitszeit gering ist, können die Aufwendungen dafür im Rahmen der Einkommensteuer in Abzug gebracht werden, wenn kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Das entschied der Bundesfinanzhof in Abweichung von der Vorinstanz. Eine Flugbegleiterin hatte in ihrer Einkommensteuererklärung die gesetzlich genannten Aufwendungen in Höhe von 1250 Euro für ein häusliches Arbeitszimmer geltend gemacht. Den Abzug hatten Finanzamt und Finanzgericht zunächst abgelehnt, berichtet das Hbl.

LAG Hamm zu Grundschullehrerin mit Swingerclub: Im Expertenforum Arbeitsrecht bespricht Rechtsprofessor Arnd Diringer eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm, das der Kündigungsschutzklage einer fast 50-jährigen Grundschullehrerin zum Erfolg verhalf. Ihr war vom Land Nordrhein-Westfalen gekündigt worden, weil sie neben ihrer Lehrtätigkeit einen Swingerclub betrieben habe. Das LAG stellte nun jedoch fest, dass sie in Wirklichkeit neben ihrem Mann nur Mitbetreiberin gewesen sei und weder diese Tatsache noch das außerdienstliche Ausleben sexueller Neigungen eine Kündigung rechtfertigen könnten – insbesondere, wenn keinerlei Bezug zu den Lehrinhalten festgestellt werden könne.

VG Koblenz zu Beamten-Überstunden und Corona: Wenn Beamt:innen wegen eines Corona-Ausbruchs in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) dienstfrei bekommen, können die freien Stunden mit vorhandenen Überstunden verrechnet werden. Das hat das Verwaltungsgericht Koblenz laut LTO entschieden. Die Klage einer Justizbeamtin wurde mit dem Hinweis auf das behördliche Interesse an einem effizienten Personaleinsatz sowie dem Weisungsrecht zurückgewiesen.

LG Detmold zu Raser und Polizeiflucht: Von der Jugendkammer des Landgericht Detmold ist ein heute 21-Jähriger u.a. wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Weil er keinen Führerschein besitzt und in einem nicht versicherten und mit falschen Kennzeichen versehenen Fahrzeug nicht von der Polizei kontrolliert werden wollte, kam es zu einer Verfolgungsjagd. Einen versuchten Mord an Passant:innen erkannte das Gericht entgegen der ursprünglichen Anklage in den während der Flucht begangenen Verkehrsverstößen jedoch nicht. spiegel.de berichtet.

LG Hamburg – Gruppenvergewaltigung: Ab dem heutigen Dienstag verhandelt das Hamburger Landgericht die Anklage gegen elf Männer zwischen 18 und 22 Jahren, die im Herbst 2020 ein damals 15-jähriges Mädchen im Hamburger Stadtpark vergewaltigt haben sollen. Mit Rücksicht auf das minderjährige Opfer werde die Vorsitzende der Jugendkammer höchstwahrscheinlich den Ausschluss der Öffentlichkeit verkünden, schreibt spiegel.de (Julia Jüttner). Verteidiger der Angeklagten kritisierten eine rassistische Vorverurteilung durch Teile der Öffentlichkeit.

LG Bremen – Volksverhetzung durch Pastor: Im Fall des wegen Volksverhetzung gegen Homosexuelle verurteilten Pastors Olaf Latzel hat der Berufungsprozess vor dem Landgericht Bremen begonnen. Sein Verteidiger plädierte auf Freispruch, versuchte aber auch, eine Einstellung gegen eine Geldauflage zu erreichen. Dem stimmte die Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf das öffentliche Interesse nicht zu. SZ und spiegel.de (Julia Jüttner) berichten.

Recht in der Welt

Frankreich – François Fillon: Der frühere französische Premierminister François Fillon ist vom Pariser Berufungsgericht zu einer (abgemilderten) Haftstrafe von vier Jahren, davon ein Jahr ohne Bewährung, verurteilt worden. Bestraft wurde die jahrelange "fiktive Beschäftigung" seiner Ehefrau als parlamentarische Mitarbeiterin. Seine Ehefrau Penelope wurde zu einer Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Es berichten FAZ (Michaela Wiegel) und taz (Rudolf Balmer).

Juristische Ausbildung

IT-Kenntnisse: Im FAZ-Einspruch fordert der Rechtsreferendar Clemens Hufeld die Vermittlung grundlegender Kenntnisse praktischen Programmierens im Jurastudium. Damit solle nicht bezweckt werden, dass Jurist:innen Legal-Tech-Software entwickeln können, Ziel sei vielmehr der Abbau von Berührungsängsten und Kommunikationshürden zwischen Jurist:innen und Informatiker:innen im späteren Berufsumfeld.

Sonstiges

LNG-Terminal Wilhelmshaven: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat gegen den vorzeitigen Baubeginn des Terminals zum Import von verflüssigtem Erdgas (LNG) in Wilhelmshaven Widerspruch eingelegt, um Einsicht in die Unterlagen zu erhalten. Gleichzeitig forderte sie einen sofortigen Baustopp. Der Bau des schwimmenden Terminals bedrohe deutsche Klimaziele, ein geschütztes Unterwasserbiotop und den gefährdeten Schweinswal. LTO (Hasso Suliak) berichtet.

Apple Pay: Die EU-Kommission hat vorige Woche ein Beschwerdeschreiben an Apple verschickt. Das Unternehmen missbrauche seine Marktstellung, um den eigenen digitalen Bezahldienst Apple Pay zu bevorzugen. Dass weder die Apps von Banken noch Entwickler:innen konkurrierender digitaler Geldbörsen Zugriff auf die NFC-Schnittstelle von iPhones erhalten, behindere den Wettbewerb zum Nachteil der Verbraucher:innen. Nach erfolgter Anhörung von Apple droht Verhängung einer Geldbuße, deren maximale Höhe 10 Prozent des Vorjahresumsatzes von Apple beträgt. Die taz (Christian Rath) berichtet.

Polizeigewalt: Auf dem Verfassungsblog besprechen Rechtsanwalt Benjamin Derin und Rechtsprofessor Tobias Singelnstein die Befunde des bis März dieses Jahres amtierenden UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, zur Aufarbeitung rechtswidriger Polizeigewalt in Deutschland. Als größtes Defizit benennen sie das Fehlen unabhängiger Beschwerdestellen sowie die fehlende Kennzeichnungspflicht. Selbst diesen "Minimalforderungen" werde jedoch nach wie vor mit dem Vorwurf eines Generalverdachts gegen die Polizei begegnet.

Notariat: Für LTO gibt der Präsident der Bundesnotarkammer Jens Bormann einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen des Notariats. Er weist dabei insbesondere auf die Digitalisierung der Branche hin: Ab August soll es möglich sein, GmbHs auch online zu gründen und es gibt erste Experimente mit der Blockchain-Technologie.

Das Letzte zum Schluss

Der richtige Riecher: Normalerweise rät die Polizei davon ab, Ermittlungen in die eigene Hand zu nehmen. In dem Fall einer 27-Jährigen aus Hannover, deren Jack-Russel-Terrier vergangene Woche vor einem Supermarkt gestohlen worden war, kam es anders: Am Freitagabend entdeckte sie einen älteren Mann, der dabei war, eine von der Frau aufgehängten Suchanzeige zu entfernen und auf den die Täterbeschreibung passte. Angesprochen, gab er die Tat sofort zu und führte das Frauchen zu ihrem geliebten "Lucki." Die Ermittlungen wegen Diebstahls gegen den 89-Jährigen dauern laut spiegel.de noch an.

 

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LTO/jpw

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 10. Mai 2022: . In: Legal Tribune Online, 10.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48386 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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