Die juristische Presseschau vom 29. April 2022: EuGH zu DSGVO-Ver­bands­klage / BVerwG zu Rund­funk­bei­trag in bar / OLG Ham­burg zu Sam­p­ling

29.04.2022

Verbraucherschutzverbände dürfen gegen Datenschutzverstöße von Facebook klagen. Rundfunkbeitrag darf nur von Menschen ohne Kontozugang bar gezahlt werden. Erneut wurde Revision im Streit um das "Metall auf Metall"-Sample zugelassen.

Thema des Tages

EuGH zu Verbandsklage und Datenschutz: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Verbraucherschutzverbände im Rahmen einer Verbandsklage gegen Facebook wegen Datenschutzverstößen klagen dürfen, auch wenn sie keinen Auftrag von individuell Betroffenen erhalten haben. Der Europäische Gerichtshof entschied auf ein Vorabentscheidungsgesuch des Bundesgerichtshofs, der es für möglich hielt, dass die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ein solches Verbandsklagerecht ausschließe und nur Aufsichtsbehörden die allgemeine Durchsetzung des Datenschutzes obliege. Konkret ging es um eine Unterlassungsklage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) gegen Meta Irland. Der vzbv monierte, dass das das Angebot von kostenlosen Spielen Dritter in einem App-Zentrum von Facebook gegen Datenschutzvorschriften verstoße. Umstritten war zuletzt nur noch die Zulässigkeit der Klage. Es berichten FAZ (Katja Gelinsky), netzpolitik.org (Alexander Fanta) und LTO.

Ukraine-Krieg und Recht

OVG S-A zur Billigung des russischen Angriffskriegs: Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt hat laut LTO entschieden, dass auf einer für den gestrigen Donnerstag angemeldeten Demonstration, die sich angeblich gegen die "Diskriminierung von Zitronenlimonade" richtete, keine T-Shirts mit übergroßen "Z"-Symbolen getragen werden dürfen. Nach Auffassung des Gerichts erfülle die Verwendung des T-Shirts als Kundgebungsmittel den objektiven Straftatbestand der Billigung eines Angriffskriegs.

Rechtspolitik

Virtuelle Hauptversammlungen: Das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf beschlossen, der die aufgrund der Corona-Pandemie geschaffene Möglichkeit verlängert, Hauptversammlungen von Unternehmen digital abzuhalten. Laut Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) schaffe das eine "dauerhafte Lösung, die sowohl die Aktionärsrechte wahrt, als auch praktikabel für die Unternehmen bleibt". LTO berichtet.

Justiz

BVerwG zu Barzahlung des Rundfunkbeitrags: Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass der Rundfunkbeitrag nur dann in bar gezahlt werden darf, wenn jemand keinen Zugang zu einem Girokonto hat, wie FAZ (Katja Gelinsky) und LTO schreiben. In die Beitragssatzungen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten müssen nun entsprechende Härtefall-Regelungen aufgenommen werden. Zuvor hatte der Europäischen Gerichtshof aufgrund einer Vorlage des BVerwG festgestellt, dass Barzahlungen an öffentliche Stellen grundsätzlich möglich sein müssen, diese aber aufgrund der Wahrung öffentlicher Interessen auch ausgeschlossen werden können. Geklagt hatte der Journalist Norbert Häring, der gegen die Zurückdrängung des Bargelds kämpft.

OLG Hamburg zu "Metall auf Metall": Das Oberlandesgericht Hamburg hat im seit 20 Jahren laufenden Rechtsstreit um ein zwei Sekunden langes Sample aus dem Kraftwerk-Stück "Metall auf Metall" entschieden, dass auch nach dem Stichtag des 22. Dezember 2002 eine Wiederholungsgefahr der Samplenutzung durch den Hiphop-Produzenten Moses Pelham vorlag, sodass Kraftwerk für diesen Zeitraum einen Unterlassungs- oder Schadensersatzanspruch hatte. In seiner nunmehr dritten Entscheidung in dieser Sache hat das OLG aber erneut Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen, weil es seit 2021 eine neue Rechtslage gebe, wie LTO (Pauline Dietrich) schreibt. Inzwischen wurde in § 51a Urheberrechtsgesetz eine Schranke für sogenannte "Pastiches" eingeführt.

EuGH zu Abmahnkosten bei Filesharing: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Streitwertdeckelung auf 1.000 Euro, die das deutsche Urheberrechtsgesetz für Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen vorsieht, unionsrechtskonform ist. Das Landgericht Saarbrücken hatte dem Europäischen Gerichtshof einen Fall vorgelegt, bei dem ein Nutzer ein Computerspiel illegal zum Download angeboten hatte und dafür im Auftrag des Unternehmens, das das Spiel vertreibt, von einer Anwaltskanzlei abgemahnt worden war. LTO berichtet.

EuGH – Aufsichtsratswahl nach Rechtsformwechsel/SAP: In seinen Schlussanträgen hat der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs gefordert, dass durch die Umwandlung einer deutschen Aktiengesellschaft (AG) in eine Europäische Gesellschaft (SE) der besondere Wahlgang für die Wahl der Gewerkschaftsvertreter:innen im Aufsichtsrat nicht beeinträchtigt werden dürfe. Das Bundesarbeitsgericht hatte ein Vorabentscheidungsersuchen gestellt. Deutsche Gewerkschaften hatten gegen das Unternehmen SAP geklagt, nachdem dieses nach einer Umwandlung seiner Rechtsform von einer AG zur SE seinen Aufsichtsrat von 18 auf zwölf Mitglieder verkleinern wollte, wobei für Arbeitnehmer:innen ungünstige Wahlregeln angewandt worden wären. Rechtsanwalt Bernd Pirpamer äußerte gegenüber LTO, dass er nun die Stellung der Gewerkschaften gestärkt sehe.

BVerfG zu BayVSG: Im Leitartikel beschäftigt sich die FAZ (Helene Bubrowski) mit dem Anfang der Woche ergangenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das weite Teile des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes für verfassungswidrig erklärt hatte. Die Autorin betont den verfassungsrechtlichen Konflikt von Freiheit und Sicherheit, den das Gericht versucht habe, zum Ausgleich zu bringen. Der Erste Senat verstehe sich nicht als verlängerter Arm der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die Klagen koordiniert hatte. Er habe gezeigt, was nicht gehe, aber auch, was dem Gesetzgeber im Hinblick auf den Verfassungsschutz möglich sei.

BVerfG – Strafgefangenen-Entlohnung: Das Bundesverfassungsgericht hat auch am gestrigen Donnerstag über die Höhe der Entlohnung von Strafgefangenen verhandelt. Das in einigen Monaten erwartete Urteil werde wohl einen Reformanstoß geben. So könne Arbeit hinter Gittern etwa nicht nur mit Geld, sondern auch mit großzügiger Haftverkürzung oder einem Erlass von Gerichtskosten vergütet werden. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch) und FAZ (Marlene Grunert).

OLG Karlsruhe zu Befreiung von Maskenpflicht: Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat entschieden, dass ein Attest mit der Feststellung, dass jemand "aus medizinischen Gründen bis auf weiteres keine Gesichtsmaske tragen kann" genüge, um von der Maskenpflicht befreit zu sein. Das Attest müsse dabei nicht die konkreten Krankheiten nennen, warum die Maske nicht getragen werden kann. Damit gab das Gericht einer Frau Recht, die wegen des Verstoßes gegen die Corona-Verordnung von Baden-Württemberg zu einem Bußgeld verurteilt worden war, obwohl sie ein ärztliches Attest vorweisen konnte. Es berichtet LTO.

LSG Hessen zu Cannabis bei Alkoholsucht: Das hessische Landessozialgericht hat entschieden, dass alkoholkranke Menschen gegenüber der Krankenkasse keine Versorgung mit Cannabis beanspruchen können, wie LTO schreibt. Zur Behandlung einer Alkoholerkrankung stünden andere Rehabilitationsmaßnahmen zur Verfügung.

LG Frankfurt/M. – NSU 2.0-Drohschreiben: Ein interner Ermittlungsbericht des hessischen Landeskriminalamtes deutet darauf hin, dass nicht der Angeklagte Alexander M. die NSU-2.0-Drohschreiben-Serie ausgelöst hat, sondern der Frankfurter Polizist Johannes S., wie die SZ (Annette Ramelsberger) berichtet. Der Polizist sei seit seiner Jugend als rechtsradikal bekannt. Am heutigen Freitag müssen erstmals alle bei der Datenabfrage der Daten der Nebenklägerin Basay-Yildiz anwesenden Polizist:innen im Prozess aussagen. Es scheine wahrscheinlich, dass die Datenabfrage nicht von außerhalb der Polizei kam.

VG Berlin – Sonnen oben ohne: Eine Frau hat vor dem Verwaltungsgericht Berlin Klage gegen das Land Berlin erhoben, da sie mit ihrem Sohn einen Wasserspielplatz verlassen musste, weil sie sich ohne Oberteil sonnte. Es ist der erste Fall, der unter Anwendung des seit 2020 in Berlin geltenden Landes-Antidiskriminierungsgesetzes vor Gericht kommt. Es berichtet die SZ (Verena Mayer).

VG Hannover zu Polizist mit "Reichsbürger"-Nähe: Das Verwaltungsgericht Hannover hat einen Kriminalhauptkommissar wegen seiner Nähe zur "Reichsbürger"-Bewegung, seinen Auftritten bei "Querdenker"-Demonstrationen und der Verbreitung von Verschwörungstheorien aus seinem Beamtenverhältnis entfernt, wie LTO berichtet. Der Vorsitzende Richter betonte, dass ein Polizeibeamter die Pflicht habe, sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen.

Sonstiges

Stammheimer RAF-Prozess: Am gestrigen Donnerstag vor 45 Jahren endete der Prozess gegen Mitglieder der Rote Armee Fraktion in Stammheim mit der Urteilsverkündung. Im Zuge des Prozesses sei es zu einer erheblichen Beschädigung des Rechtsstaats gekommen, woran auch die Anwälte großen Anteil hatten, wie der Politologe Wolfgang Kraushaar in einem Gastbeitrag auf spiegel.de eingehend darlegt.

Erfurter Mafioso mit Richterfreund: Die FAZ (David Klaubert) berichtet über einen Untersuchungsausschuss, den der Thüringer Landtag im vergangenen Jahr zum Fall eines mittlerweile bereits verstorbenen mutmaßlichen Mafioso in Erfurt einberufen hat. Dieser soll 2001 Hilfe eines Erfurter Richters bei einem Strafverfahren erhalten haben. Dabei gehe es auch um ein weiteres Verfahren gegen den mutmaßlichen Mafioso, das unter dem Decknamen "Fido" geführt wurde und als großer Schlag gegen die organisierte Kriminalität geplant war. Aus ungeklärten Gründen wurden die Ermittlungen jedoch frühzeitig bereits 2002 abgebrochen.

Legal Tech und Anwaltschaft: In einem Gastbeitrag erläutert der Rechtsreferendar Paul Hartwig auf FAZ-Einspruch die Herausforderungen und Chancen, die Legal Tech für Anwält:innen in Deutschland bietet. Die technischen Helfer könnten in Zukunft viel Potenzial bereithalten. Benannt werden aber auch die noch bestehenden Grenzen von standardisierten Abläufen.

Zero-Rating Mobilfunk-Tarife: Laut Bundesnetzagentur verstoßen Vodafone und die Deutsche Telekom mit sogenannten Zero-Rating-Tarifen bzw. Nulltarif-Optionen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz im Datenverkehr, wie LTO berichtet. Die BNetzA hat deshalb die Vermarktung von Tarifen untersagt, bei denen Video- oder Musikstreaming nicht auf das monatliche Datenvolumen angerechnet wird. Die Agentur setzt damit ein EuGH-Urteil von September 2021 um. 

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/ls

(Hinweis für Journalist:innen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 29. April 2022: . In: Legal Tribune Online, 29.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48290 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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