Die juristische Presseschau vom 18. März 2022: Kein Scha­dens­er­satz für Shut­down / Russ­land mis­sachtet IGH / Keine Annäher­ung bei der Impfpf­licht

18.03.2022

Der BGH weist die Klage eines Shutdown-betroffenen Hoteliers ab. Russland will die Gewaltstopp-Aufforderung des Internationalen Gerichtshofs nicht befolgen. Der Bundestag diskutierte erstmals über Gesetzentwürfe zur Impfpflicht.

Thema des Tages

BGH gegen Schadensersatz für Corona-Shutdown: Der Bundesgerichtshof hat im Fall eines Hotels aus Brandenburg geklärt, dass es nach geltendem Recht keinen Anspruch auf Schadensersatz für Umsatz- und Gewinn-Einbußen gibt, die aus einem Shutdown durch Corona-Verordnungen der Landesregierungen resultieren. Die §§ 56, 65 Infektionsschutzgesetz seien bei präventiven Betriebsschließungen ganzer Branchen nicht einschlägig. Die Normen seien auch nicht verfassungskonform auslegbar oder analog anwendbar. Die Einführung massenhafter und groß-volumiger Entschädigungsansprüche sei dem Gesetzgeber vorbehalten. Anspruch auf gesetzgeberisches Handeln ergebe sich nur aus dem Sozialstaatsprinzip, das aber dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum für Hilfen lasse. Es berichten FAZ (Katja Gelinsky), taz (Christian Rath) und LTO

Ukraine-Krieg und Recht

IGH/Russland: Russland missachtet die Anordnung des Internationalen Gerichtshofs zum Gewaltverzicht in der Ukraine. "Wir können keine Rücksicht auf diese Entscheidung nehmen", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow laut LTOtagesschau.de (Frank Bräutigam) fasst die IGH-Entscheidung zusammen und vergleicht den Internationalen Gerichtshof mit dem Internationalen Strafgerichtshof, beide in Den Haag. Die FAZ (Stephan Klenner) portraitiert Joan Kennedy, die amerikanische Präsidentin des IGH. 

Anwalt Christian Johann erläutert auf dem Verfassungsblog, es sei eine "kleine Sensation", dass sich der IGH in diesem von der Ukraine initiierten Verfahren für zuständig erklärt hat. Da sich Russland nicht der IGH-Rechtsprechung unterworfen hat, konnte der IGH nur über seine Zuständigkeit für die Auslegung der Völkermord-Konvention eingeschaltet werden. Die Ukraine hatte nun den IGH mit dem Argument angerufen, Russland behaupte zu Unrecht, die Ukraine begehe in den Volksrepubliken Donezk und Luhansk Völkermord. 

EGMR/Russland: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte setzt die Prüfung der gegen Russland erhobenen Beschwerden aus, berichtet LTO. Grund: Nur wer Mitglied im Europarat ist, fällt unter die Gerichtsbarkeit des EGMR, der die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) überprüft. Und der Europarat hatte Russland am Mittwoch wegen des Angriffs auf die Ukraine mit sofortiger Wirkung ausgeschlossen.

Im Interview mit FAZ-Einspruch (Stephan Klenner) resumiert Angelika Nussberger, die ehemalige EGMR-Vizepräsidentin, die Beziehung Russlands zum Europarat und zum EGMR. Nach dem Beitritt 1996 habe Russland durchaus Urteile akzeptiert und umgesetzt, etwa zu Haftbedingungen. Problematisch seien aber Urteile zu russischen Militärhandlungen im Ausland und zu LGBTQ-Rechten gewesen. Bei letzteren finde der EGMR in ganz Osteuropa keine Akzeptanz. Russland war nach der Krim-Annektion für fünf Jahre suspendiert, erhielt aber 2019 seine Mitgliedschaftsrechte zurück, obwohl sich auf der Krim nichts verbessert hatte.

Sanktionen gegen Russland: Im Interview mit beck-aktuell (Monika Spiekermann) erläutert Rechtsprofessor Christian Tiedje die Rechtsgrundlagen von EU-Sanktionen gegen Russland. Eine Überprüfung durch das Europäische Gericht sei möglich, aber auf Begründung und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme beschränkt.

Anwalt Martin Stopper erläutert auf LTO, wie sich Sanktionen internationaler Sportverbände gegen die nationalen russischen und belarussischen Sportverbände begründen lassen. Zwar haben die Sportverbände selbst keine Pflichten verletzt, sie repräsentierten jedoch ihr Land und müssten sich deshalb dessen Verhalten zurechnen lassen. 

LTO (Felix Zimmermann) sprach mit dem Militärökonom Matthias Keupp u.a. über die Wirkung der Sanktionen des Westens. Die russische Wirtschaft werde Jahrzehnte brauchen, um wieder den Stand von Januar 2022 zu erreichen. China werde Russland nicht retten, sondern die russsischen Unternehmen kurz vor der Pleite billig aufkaufen. 

GBA – Kriegsverbrechen: Die Bundesanwaltschaft hat das laufende Strukturermittlungsverfahren zu Kriegsverbrechen in der Ukraine von Amts wegen eingeleitet, nicht aufgrund der zahlreich eingegangenen Strafanzeigen, berichtet die Welt (Gregor Schwung), die einen Überblick über das Verfahren gibt. Russlands Präsident Wladimir Putin könnte in Deutschland aber erst vor Gericht gestellt werden, wenn er nicht mehr im Amt ist. Eine solche Immunität für Staatsoberhäupter gilt dagegen nicht vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.

Deutsche im Ukraine-Krieg: Justizminister Marco Buschmann (FDP) hat laut spiegel.de kriegswillige Deutsche gewarnt: "Wer auf eigene Faust in die Ukraine fährt und dort Kampfhandlungen vornimmt, verhält sich illegal." Wer sich hingegen in fremde Streitkräfte eingliedere und in eine Befehlskette eingebunden sei, habe "völkerrechtlich den Kombattantenstatus". Das sei in Bezug auf eine Kriegsteilnahme legal, sofern keine Kriegsverbrechen verübt werden, erläutert Buschmann.

Meinungsäußerungen im Betrieb: Im Interview mit dem HBl (Lazar Backovic) erläutert der Anwalt Christoph Seidler, dass Unternehmen sich mit der Ukraine solidarisieren dürfen, aber nicht von ihren Beschäftigten verlangen können, dies aktiv mitzutragen. Arbeitgeber sollten ihren Beschäftigten zwar nicht den Mund verbieten, aber einschreiten, wenn der Betriebsfrieden bedroht ist. Sollten russische Mitarbeiter gemobbt werden, könne dies Anlass für eine Ermahnung, Abmahnung oder Kündigung sein.

Höhere Gewalt: Die SZ (Katharina Kutsche) schildert unter Berufung auf den Anwalt Frank Bernardi, dass eine "Höhere Gewalt"-Klausel in einem Vertrag zwischen Unternehmen auch im Kriegsfall nicht automatisch die Kündigung des Vertrags erlaubt. So sei die Leistungspflicht nur dann ausgesetzt, wenn der Krieg dazu führt, dass die Leistung nicht erbracht werden kann. Meist sei geregelt, dass ein Vertrag erst nach sechs-monatiger Aussetzung der Leistungspflicht auch gekündigt werden kann.

Rechtspolitik

Corona - Impfpflicht: Der Bundestag hat erstmals über die vorliegenden fünf Gesetzentwürfe für und gegen eine allgemeine Impfpflicht debattiert. Am meisten Unterstützung haben der (überwiegend rot-grüne) Antrag auf eine Impfpflicht ab 18 Jahren und der Gesetzentwurf der CDU/CSU für die Vorbereitung einer Impfpflicht. Eine Annäherung zeichnete sich noch nicht ab. Die endgültige Abstimmung über die Gesetzentwürfe ist für April vorgesehen. Es berichten SZ (Angelika Slavik), FAZ (Eckart Lohse), LTO und spiegel.de (Milena Hassenkamp). 

Corona – Maßnahmen: Bei einem Bund-Länder-Treffen äußerten die Ministerpräsident:innen der Länder massive Kritik an der geplanten Änderung des Infektionsschutzgesetz. Die Maßnahmen, die den Ländern nach dem 20. April bzw. der Übergangsfrist bis zum 2. April noch zur Verfügung stehen, seien völlig unzureichend. Das Änderungsgesetz soll am Freitag vormittags im Bundestag und nachmittags im Bundesrat abgestimmt werden. Es wird damit gerechnet, dass die Länder trotz ihrer Kritik im Bundesrat zustimmen werden, weil sonst nicht einmal ein Basisschutz möglich wäre. Es berichten u.a. FAZ (Heike Schmoll) und spiegel.de

Vorkaufsrecht/Mileuschutz: Der Anwalt Uwe Bottermann warnt in der FAZ vor der diskutierten Korrektur des Bundesverwaltungsgerichts-Urteils vom November 2021. Das vom BVerwG beanstandete Prognose-Element, dass nach dem Verkauf eines Mehrfamilienhauses oft eine Verdrängung der Mieter drohe, solle nicht wieder eingeführt werden, da das Vorkaufsrecht "nur punktuell wirkt, oft mit erheblichen Kosten verbunden ist und keineswegs das einzige Instrument zum Milieu- und Mieterschutz ist".

Justiz

EuGH zu Leiharbeit: Der EuGH überlässt es den nationalen Gerichten, festzulegen, wann die Überlassung eines Arbeitnehmers nicht mehr "vorübergehend" ist. Er ließ offen, ob eine Überlassung von 55 Monaten, wie im deutschen Vorlagefall, noch vorübergehend ist. Jedenfalls dürften Zeiträume nicht per Gesetz als irrelevant eingestuft werden. In Deutschland gilt seit 2017 eine 18-monatige Grenze, alte Zeiträume gelten als irrelevant. Die Anwältin Johanna Keil stellt das Urteil auf LTO dar. 

EuGH – Urlaubsansprüche: Urlaub sollte auch bei längerer Krankheit nicht verfallen, es sei denn der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer auf entsprechende Fristen hingewiesen. So plädierte der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof Jean Richard de la Tour in zwei vom Bundesarbeitsgericht vorgelegten Verfahren. LTO berichtet. 

BVerfG zu CETA: Rechtsprofessor Markus Krajewski weist auf dem Verfassungsblog darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht den CETA-Vertrag noch nicht abschließend und vollumfänglich geprüft habe. In seinem aktuellen Beschluss habe es nur festgestellt, dass die Zustimmung zur vorläufigen Anwendung von Teilen des Abkommens nicht ultra vires erfolgte und die Beschlussfassung durch CETA-Ausschüsse nicht die Verfassungsidentität verletze. Der Autor rechnet mit neuen Verfassungsbeschwerden, falls der Bundestag ein CETA-Zustimmungsgesetz beschließt. Dass der EuGH 2019 keine unionsrechtlichen Bedenken gegen den bisher noch nicht angewandten Investorenschutz hatte, binde das BVerfG nicht. 

BGH gegen Staatshaftung im Dieselskandal: Ein vom Dieselskandal betroffener Audi-Fahrer kann von der Bundesrepublik keinen Schadensersatz verlangen, entschied nun der Bundesgerichtshof. Der Audi-Käufer hatte sich darauf berufen, dass Deutschland die EU-Richtlinie zur Schaffung eines Rahmens von Kraftfahrzeuggenehmigungen unzureichend umgesetzt und dabei kein Sanktionssystem geschaffen hat. Die Richtlinie habe aber nicht das Ziel gehabt, Verbraucher vom Abschluss unerwünschter Verträge abzuhalten. LTO berichtet. 

VG Köln zu Mitgliederzahl des AfD-"Flügels": Das Verwaltungsgericht Köln hat inzwischen die schriftliche Begründung zum ersten von vier AfD-Urteilen der letzten Woche vorgelegt. Danach muss das Bundesamt für Verfassungsschutz richtigstellen, dass seine frühere Aussage, der "Flügel" habe etwa 7000 Mitglieder, "rechtswidrig" war. Die Behörde habe dies nicht nur schätzen dürfen. Es berichtet die SZ (Ronen Steinke/Markus Balser)

In einem separaten Kommentar schreibt Ronen Steinke (SZ): "Das könnte AfD-Chef Tino Chrupalla ruhig mal beim nächsten Stammtisch europäischer Rechtspopulisten erzählen: Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Rechtsstaat, in dem selbst eine derart von Bundesrepublik-Verachtung geprägte Partei wie die AfD jederzeit zum örtlichen Verwaltungsgericht hingehen und sogar den mächtigen Inlandsgeheimdienst in die Schranken weisen lassen kann."

LG Nürnberg-Fürth – Drachenlord: Am 23. März wird das Landgericht Nürnberg-Fürth in zweiter Instanz über den Fall "Drachenlord" verhandeln. Der Youtuber "Drachenlord" war im Oktober 2021 vom Amtsgericht Neustadt an der Aisch zu zwei Jahren Haft verurteilt worden, weil er unter anderem in mehreren Fällen nach gegenseitigen Beschimpfungen gegen seine "Hater" handgreiflich geworden war. LTO

Rechtsextremer Richter Jens Maier: Die SPD-Fraktion im sächsischen Landtag hat ein Gutachten vorgelegt, wie die Rückkehr des aus dem Bundestag ausgeschiedenen AfD-Abgeordneten Jens Maier in die sächsische Justiz hätte verhindert werden können. Das Ministerium hätte Maier keinen Arbeitsplatz zuweisen sollen und dies mit der Treuwidrigkeit des Rückkehrantrags und mangelnder Eignung Maiers begründen sollen. Dagegen hätte Maier klagen müssen und wäre zunächst nicht Richter gewesen. Das Gutachten des ehemaligen Verwaltungsrichters Torsten von Roetteken habe nun aber nur noch historische Bedeutung, analysiert LTO (Markus Sehl/Annelie Kaufmann)

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 18. März 2022: . In: Legal Tribune Online, 18.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47876 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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