Die juristische Presseschau vom 9. Februar 2022: Bayern muss Bun­des­ge­setze umsetzen / BGH zu Kölner Archiv­ein­s­turz / Klage wegen Gemein­nüt­zig­keit

09.02.2022

Der Bund könnte die Umsetzung der Pflege-Impfpflicht auch in Bayern durchsetzen. Der BGH hob erneut ein Strafurteil zum Archiveinsturz in Köln auf. Sozio-Kulturelles Zentrum klagt wegen Entzug der Gemeinnützigkeit. 

Thema des Tages

Corona – Pflege-Impfpflicht/Bayern: Auch Bayern muss Bundesgesetze umsetzen. Die Ankündigung von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), den Vollzug der einrichtungsbezogenen Impfpflicht in Bayern de facto auszusetzen, hat zahlreiche staatsrechtliche Darstellungen ausgelöst, in denen die entgegenstehende Rechtslage aufgezeigt wird. Auch wenn die Umsetzung und Vollziehung der Pflege- und Gesundheits-Impfpflicht grundsätzlich den Ländern obliegt, bietet das Grundgesetz (GG) dem Bund dennoch mehrere Möglichkeiten, um diese Umsetzung durchzusetzen. Neben der Rechtsaufsicht gem. Art. 84 Abs. 3 S. 1 GG, die keine bindenden Anordnungen und Weisungen erlaubt, kann der Bund Bayern vor dem Bundesverfassungsgericht verklagen oder (mit Zustimmung des Bundesrates) auch mittels "Bundeszwang" gem. Art. 37 Abs. 1 GG zur Erfüllung seiner Pflichten bringen. Ein "Bundeskommissar" könnte dann die Exekutivgewalt übernehmen; in der Geschichte der Bundesrepublik hat es aber noch keinen Anwendungsfall des Bundeszwangs gegeben. Es analysieren FAZ (Marlene Grunert u.a.), Welt (Frederik Schindler), Rechtsanwalt Patrick Heinemann auf LTO und tagesschau.de (Claudia Kornmeier). Die BadZ (Christian Rath) weist zudem darauf hin, dass Söder auch "zu Tricks greifen" könne, zum Beispiel indem die bayerischen Gesundheitsämter den gemeldeten ungeimpften Mitarbeiter:innen monatelange Fristen zum Nachholen der Impfung bzw. zur anschließenden Abgabe einer Stellungnahme einräumen. Ende des Jahres laufe die Pflege-Impfpflicht laut Gesetz ohnehin aus.

Für Reinhard Müller (FAZ) ist das Verhalten Söders "entweder ein Eingeständnis massiven Organisationsversagens oder des eigenen Horrors vor Spaltung und Spaziergängerei oder beides zusammen". Das als vernünftig Erkannte und Beschlossene umzusetzen, entspreche hingegen auch dem Wunsch der Bürgerinnen und Bürger.

Im spiegel.de-Interview (Florian Gontek) mit Rechtsanwalt Jens Niehl sowie bei focus.de (Göran Schattauer) erfährt man, welche Mehrbelastung durch die Gesetzesänderung auf die Gesundheitsämter zukommt. Diese müssen ab dem 16. März einerseits gemeldete Ungeimpfte zu einer Impfung auffordern und ggf. Beschäftigungsverbote aussprechen sowie andererseits auch die Seriosität von ggf. vorgelegten Ausnahme-Attesten überprüfen.

Rechtspolitik

Corona – Impfpflicht/subjektivierte Grundrechte: Als Beitrag zur öffentlichen Diskussion der Rechtsprofesor:innen Ute Sacksofsky und Klaus Ferdinand Gärditz auf dem Verfassungsblog kommt der wissenschaftliche Mitarbeiter Robert Ziehm auf dem JuWissBlog zum Ergebnis, dass trotz des geringen bis minimalen Eingriffs in die körperliche Integrität eine Impfpflicht einen sehr empfindlichen Eingriff in die körperliche Selbstbestimmung darstelle. Das Grundrecht lasse nämlich dem Individuum Raum zur "medizinischen Häresie". Trotzdem könne der Eingriff gerechtfertigt werden und unter Umständen sogar die grundrechtsschonendste Handlungsalternative darstellen.

Rüstungsexporte: Auf LTO befasst sich Rechtsanwalt Viktor Winkler mit den Plänen der Bundesregierung, ein Rüstungsexportekontrollgesetz (REKG) für Deutschland zu schaffen. Darin wird möglicherweise anerkannten NGOs ein Verbandsklagerecht gegen erteilte Genehmigungen eingeräumt. Zudem soll die Genehmigungsentscheidung vom Wirtschafts- und Klimaschutzministerium auf das Auswärtige Amt übertragen und damit zu einer außenpolitischen Frage gemacht werden. Einen ersten Gesetzentwurf soll es in der zweiten Jahreshälfte geben.

Geschäftsverteilung an Gerichten: Auf LTO fordert Rechtsanwalt Niklas Barnsteiner die Normierung einer Begründungspflicht für gerichtliche Geschäftsverteilungspläne. Bereits eine knappe, aber nachvollziehbare Begründung könne ausreichen, um Misstrauen entgegenzuwirken. Am Oberverwaltungsgericht Lüneburg war vor kurzem die Zuständigkeit für das Gesundheitsrecht auf einen anderen Senat verlagert worden, kurz nachdem der zuvor zuständige Senat die 2G-Regel im Einzelhandel vorläufig außer Vollzug gesetzt hatte. In der Öffentlichkeit und in den sozialen Medien ist dies teilweise als "Gleichschaltung" der Judikative aufgefasst worden.

Digitale Hauptversammlung: Nun berichtet auch das Hbl (Heike Anger/Bert Fröndhoff) über einen Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums, der vorsieht, dass Aktiengesellschaften auch künftig ihre Hauptversammlungen virtuell abhalten dürfen. Die derzeit geltende Corona-Sonderregelung sei überwiegend positiv aufgenommen worden.

Lieferketten und Menschenrechte: Die taz (Hannes Koch) berichtet über die Forderung von mehr als 100 Unternehmen nach einem europäischen Lieferkettengesetz. Zu den Forderungen gehört u.a. eine zivilrechtliche Haftung der Firmen. Die EU-Kommission wird voraussichtlich am 23. Februar zunächst einen Vorschlag zur "nachhaltigen Unternehmensführung" veröffentlichen.

Justiz

BGH zum Einsturz des Kölner Stadtarchivs: Auch die Verurteilung eines ehemaligen Oberbauleiters wegen fahrlässiger Tötung im Zusammenhang mit dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009 wurde laut LTO vollumfänglich aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Köln zurückverwiesen. Der Mann war nur zwei Tage als Urlaubsvertretung zuständig gewesen, unterschrieb in dieser Zeit jedoch ein Bauprotokoll, das laut LG Köln Unstimmigkeiten aufgewiesen habe. Einerseits habe das Gericht dann zwar die Vernehmung eines sachverständigen Zeugen mit der Begründung abgelehnt, die zu beweisende Tatsache, dass das Protokoll "insgesamt plausibel" gewesen sei, sei bereits erwiesen. Andererseits hätte dem Angeklagten bei sorgfältiger Prüfung "eindeutige Warnsignale" auffallen müssen. Dies stellt für den BGH einen unauflösbaren Widerspruch dar, auf dem das gesamte Urteil beruhe. Im Oktober hatte der Bundesgerichtshof bereits die Freisprüche zweier Bauleiter aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des LG Köln zurückverwiesen.

FG Stuttgart – Gemeinnützigkeit/DemoZ: Weil das Finanzamt Stuttgart den Einspruch gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit im November 2019 noch nicht beschieden hat, wird das Demokratische Zentrum (DemoZ) Ludwigsburg am heutigen Mittwoch beim Finanzgericht Stuttgart eine Untätigkeitsklage einreichen. Das Finanzamt hatte den Entzug der Steuerbegünstigung in Anlehnung an das sog. "Attac-Urteil" des Bundesfinanzhofs damit begründet, der Verein erfülle seinen Gemeinnützigkeitszweck (die politische Bildung) nicht "in geistiger Offenheit". Der Verein hält dem entgegen, keine politischen Ziele zu verfolgen, sondern vielmehr "eine offene Diskussion politischer Fragen" zu fördern. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützt den Präzedenzfall. Die taz (Christian Rath) berichtet und beschreibt zudem die jüngst erfolgten Klarstellungen im Anwendungserlaß der Finanzministerien zum Gemeinnützigkeitsrecht.

BSG – Jahrespressegespräch: Im Rahmen des Jahrespressegesprächs des Bundessozialgerichts erklärte dessen Präsident Rainer Schlegel, dass während der Corona-Pandemie die Zahl der Verfahren an den Sozialgerichten nicht erkennbar angestiegen sei. Bei dem millionenfach gewährten Kurzarbeitergeld seien jedoch zahlreiche Klagen zu erwarten, sobald die Gewährung endgültig abgerechnet wurde. Es berichten FAZ (Marcus Jung), tagesschau.de (Klaus Hempel) und LTO.

StGH Nds zu Auskünften über Wolfsabschüsse: Der niedersächsische Staatsgerichtshof hat entschieden, dass die Landesregierung das Parlament umfassender über Abschussgenehmigungen für Wölfe informieren muss. Entsprechende Kleine Anfragen unbeantwortet zu lassen, verletze die landesverfassungsrechtliche Auskunftspflicht. Jedenfalls Informationen über die Zahl und das Datum erteilter Genehmigungen müssten gegeben werden, ohne dabei betroffene Jäger:innen und Weidetierhalter:innen identifizierbar zu machen. Es berichten taz-nord (Nadine Conti) und LTO.

OVG NRW zu 2G-Plus beim Sport: Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat die 2G-Plus-Regelung für die Sportausübung im Innenbereich vorläufig außer Vollzug gesetzt. Es gilt nun die 2G-Regel. Dass der Gesetzgeber die gemeinsame Sportausübung im Innenbereich anders definiere als im Freien, verstoße voraussichtlich gegen das Gebot der Klarheit und Widerspruchsfreiheit gesetzlicher Regeln, berichtet LTO.

VG Karlsruhe zu Stephan Harbarths Honorarprofessur: Die Universität Heidelberg muss einem Kölner Anwalt die Namen derjenigen Hochschullehrer:innen nennen, die vor der Ernennung des heutigen BVerfG-Präsidenten Stephan Harbarth zum Honorarprofessor Gutachten erstellten. Die Gutachten selbst müsse sie allerdings nicht herausgeben, berichtet spiegel.de.

LG Itzehoe – KZ-Sekretärin Stutthof: Während der Durchsuchung ihres Zimmers im Pflegeheim Quickborn-Heide sei die angeklagte ehemalige KZ-Schreibkraft Irmgard Furchner "geistig wach und rege" gewesen, berichtet der Staatsanwalt am Landgericht Itzehoe. Sie habe zudem eingeräumt, als Schreibkraft im KZ Stutthof tätig gewesen zu sein, allerdings sei sie zu dem Dienst gezwungen worden. Dies widerspricht laut spiegel.de (Julia Jüttner) jedoch den Angaben des historischen Sachverständigen Stefan Hördler, der sagt, dass es zu der fraglichen Zeit keine Zwangsversetzungen gegeben habe.

LG Berlin – Abou-Chaker/Bushido: Die FAZ (Sebastian Eder) hat mit Rechtsprofessor Martin Heger über den Prozess gegen Arafat Abou-Chaker gesprochen. Heger zeigt sich ratlos angesichts der Dauer des Verfahrens, das für ihn ein "stinknormaler Strafprozess" sei. Eine Wende im Prozess zugunsten des angeklagten Abou-Chaker könnte eine kürzlich bekannt gewordene, heimlich aufgenommene Tonaufnahme sein, deren Verwertbarkeit im Prozess aber noch fraglich ist.

LG Hamburg zu AdBlock Plus: Die FAZ (Katja Gelinsky) berichtet über den Rechtsstreit der Axel Springer Verlagsgruppe und dem Anbieter von "AdBlock Plus", Eyeo. Das Landgericht Hamburg entschied, dass Eyeo nicht – gemeinsam mit dem jeweiligen Nutzer des Adblockers – Mittäter einer Urheberrechtsverletzung sei, weil nicht in die Substanz der Verlags-Dateien, sondern lediglich in den Ablauf des Darstellungs-Programms eingegriffen werde. Im Falle der Durchführung der bereits angekündigten Berufung müsste das Oberlandesgericht Hamburg entscheiden, das bisher zur Rechtsauffassung Springers neigte.

LG Oldenburg – EWE-Spendenaffäre: Wegen Untreue in einem besonders schweren Fall muss sich der frühere Vorstandschef des Energieversorgers EWE, Matthias Brückmann, ab dem heutigen Mittwoch vor dem Landgericht Oldenburg verantworten. Vorgeworfen wird ihm u.a. die Überschreitung seiner Befugnisse durch eine Großspende von 253.000 Euro an eine Stiftung von Wladimir Klitschko. Wie LTO berichtet, will er sich beim Prozessauftakt zu den Vorwürfen äußern.

Recht in der Welt

Italien – Blutspende: Eltern können für ihr Kleinkind bei einer lebensnotwendigen Transfusion nicht verlangen, dass das behandelnde Krankenhaus ausschließlich das Blut von Spendenden verwendet, die bisher noch nicht gegen das Coronavirus geimpft sind. Das entschied laut LTO ein Gericht im italienischen Modena.  

Türkei – Deniz Yücel: Ein türkisches Gericht hat den Journalisten Deniz Yücel zu einer Geldstrafe von umgerechnet rund 455 Euro wegen Beamtenbeleidigung verurteilt. Hintergrund war ein Tweet Yücels aus dem Jahr 2019, in dem er schrieb, dass er der Bezeichnung des gegen ihn ermittelnden Staatsanwalts als "dümmsten Staatsanwalt" des Gerichts in Caglayan nicht widersprechen konnte. Der betroffene Staatsanwalt Hasan Yilmaz ist heute Vize-Justizminister der Türkei. Die Welt (Daniel-Dylan Böhmer) und zeit.de berichten.

Sonstiges

Filmen von Polizeieinsätzen: Der aktuelle SWR-RadioReportRecht (Claudia Kornmeier) befasst sich mit der Frage, ob das Filmen von Polizeieinsätzen erlaubt ist, wie Gerichte derartige Aufzeichnungen bewerten und wie weit Polizist:innen gehen dürfen, um solche Filmaufnahmen zu verhindern.

NFT: Die Blockchain-Technologie und insbesondere sogenannte "non-fungible tokens" (nicht austauschbare digitale Objekte), kurz NFT, lassen Fragen nach den möglichen Eigentumsverhältnissen aufkommen. Dafür brauche es aber einen "juristischen Anker in der analogen Welt" in Form eines regulierenden staatlichen Akteurs, befinden die Habilitant:innen Jannis Lennartz und Viktoria Kraetzig in der FAZ. Derzeit seien NFT ein rechtliches Nullum.

Direktionsrecht und Meinungsfreiheit beim WDR: Als Reaktion auf den bekannt gewordenen Entwurf einer Dienstanweisung an die Beschäftigten des WDR für die Nutzung sozialer Medien hat LTO (Tanja Podolski) Stimmen aus der Rechtswissenschaft eingeholt. Unterbunden werden könnten laut Rechtsprofessor Klaus F. Gärditz "nur solche Meinungsbeiträge, die bei objektivierender Betrachtung tatsächlich geeignet sind, die gesetzliche Aufgabenerfüllung des WDR zu beeinträchtigen."

Meinungsäußerung bei Olympia: Auf dem Verfassungsblog erläutert der britische Rechtsprofessor Mark James (in englischer Sprache), welche Formen des politischen Protestes und der Meinungsäußerung den Athletinnen und Athleten während der Olympiade erlaubt sind und welche Konsequenzen Verstöße gegen die sogenannte "Rule 50" der Olympischen Charta haben können.

Lufthansa-Zubringerflüge: Das Bundeskartellammt kommt nach vorläufiger Prüfung zu dem Ergebnis, dass Condor für ihr Langstreckenangebot ein kartellrechtlicher Anspruch gegen die Lufthansa auf Zugang zu Zubringerflügen zusteht. Zuvor hatte die Lufthansa das sogenannte Special Prorate Agreement (SPA) mit Condor zum 1. Juni 2021 gekündigt, worin das BKartA nun den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung sah. Es berichten SZ (Jens Flottau), Hbl (Jens Koenen) und LTO.

Das Letzte zum Schluss

Heino-Playback: Nachdem der Schlagersänger Heino auf dem Sommerfest eines Aachener Vereins auftrat, will dieser nun rechtlich gegen Heino vorgehen. Vereinbart sei ein Halbplaybackauftritt mit Livegesang gewesen, während der Schlagerstar tatsächlich einen Vollplaybackauftritt absolviert habe. Der sei zudem auch noch künstlerisch enttäuschend gewesen, berichtet spiegel.de.

 

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lto/jpw

(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 9. Februar 2022: . In: Legal Tribune Online, 09.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47471 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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