Die juristische Presseschau vom 13. Januar 2022: BGH zu Gewer­be­miete im Shut­down / Urteil im Syrien-Folter-Pro­zess erwartet / Innen­mi­nis­terin im Inter­view

13.01.2022

BGH sieht in behördlichen Schließungsanordnungen Grund für Anpassung der Gewerberaummiete. OLG Koblenz wird Urteil im Prozess um Folter in Syrien verkünden. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zu Impfpflicht, Telegram und Staatstrojanern.

Thema des Tages

BGH zu Gewerbemiete im Shutdown: Gewerbetreibende, die im Corona-Shutdown ihr Geschäft schließen mussten, haben grundsätzlich einen Anspruch auf Anpassung der Miethöhe im Zeitraum der Schließung. Hoheitliche Betriebsschließungsanordnungen begründen laut Bundesgerichtshof eine Störung der Geschäftsgrundlage und nicht etwa einen Mangel nach § 536 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Betroffen seien nicht etwa Lage oder Zustand der Mietsache, sondern als Teil der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB die Erwartungen der Vertragsparteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht ändern. Im konkreten Fall hatte das Oberlandesgericht Dresden entschieden, dass Vermieter und Mieter das Risiko zu gleichen Teilen tragen müssen. Der BGH erteilte dieser pauschalen 50:50-Lösung nun eine Absage und benennt Kriterien, die bei der Frage der Zumutbarkeit und Risikoverteilung zu beachten sind. So müsse z.B. Berücksichtigung finden, welche Maßnahmen der Mieter trifft, um drohende Verluste zu mindern. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Katja Gelinsky), Hbl (Florian Kolf/Kerstin Leitel), tagesschau.de (Kerstin Anabah) und LTO.

Michael Selk (beck-community) zeigt sich enttäuscht von dem Urteil. Bereits für die Zeit in der sog. zweiten Welle Ende 2020 könne die Argumentation des BGH nicht mehr anwendbar sein, da etwa die "Lage" als Teil von § 536 BGB wegen der nunmehr ortsgebundenen Schließungen wieder relevant geworden sei. Auch bedeute die Abkehr von der 50:50-Regelung in der Praxis einen erheblichen Arbeitsaufwand, ohne dass zwingend gerechtere Ergebnisse erzielt werden könnten. Katja Gelinsky (FAZ) begrüßt, dass auch die Interessen der Vermieter:innen Berücksichtigung fänden. Wolfgang Janisch (SZ) stellt demgegenüber positiv heraus, dass auch Eigentümer:innen von gewerblichen Immobilien einen Teil der pandemiebedingten Risiken zu tragen haben.

Rechtspolitik

Innenministerin Faeser im Interview: Im Gespräch mit der Zeit (Holger Stark/Heinrich Wefing) spricht sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) für eine Impfpflicht aus. Weiter zieht sie auch Gesetzesänderungen in Betracht, um Menschen aus dem Staatsdienst entfernen zu können, die zwar zurzeit ihr Amt ruhen lassen, sich aber extremistisch betätigten. Um Hass und Todesdrohungen im Netz und insbesondere auf Plattformen wie Telegram zu unterbinden, spricht sie sich vorrangig für eine Lösung auf europäischer Ebene aus. Den Einsatz von Trojanern bei schwerwiegenden Straftaten unterstützt sie, sieht ihn aber in den Händen des Verfassungsschutzes kritisch.

Corona – Impfpflicht: Bei seinem ersten Auftritt als Regierungschef in einer Fragestunde des Bundestages erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz laut SZ (Nico Fried), dass er eine Impfpflicht für alle ab 18 Jahren befürworte. Einen Gesetzentwurf der Regierung werde es hingegen nicht geben. spiegel.de (Jean-Pierre Zeigler/Dietmar Hipp) gibt einen Überblick über den Stand der Diskussion im Frage-und-Antwort-Format und rechnet z.B. vor, dass im Februar wegen Karneval nur eine Sitzungswoche des Bundestags geplant ist, eine Entscheidung über konkrete Vorschläge frühestens am 14. März fallen und der Bundesrat dann erst im April zustimmen könne.

Im Interview mit der Welt (Luisa Hofmeier) schlägt Rechtsprofessor Josef Lindner vor, ein "Impfpflichtvorratsgesetz" zu schaffen, das eine Impfpflicht dann auslöse, wenn über die zu erwartende Schwere einer neuen Herbstwelle ausreichend Klarheit bestehe.

Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz wiederum erinnert im Staat und Recht-Teil der FAZ daran, dass mögliche Schwierigkeiten in der flächendeckenden Umsetzung durchaus hinzunehmen seien. Schließlich reiche es für die "sozialkommunikative Wirksamkeit von Rechtszwang" meist, wenn Rechtsdurchsetzungswille durch "klug dosierten Ressourceneinsatz selektiv sichtbar werde". Auch zeige sich die Qualität von Verhältnismäßigkeitsprüfungen nicht in Kassationsquoten, sondern in der Maßsstabsbildung, die auch in der angemessenen und pragmatischen Verteilung der verfügbaren Erkenntnislast liege.

Corona – 2G+ im Bundestag: Dass im Bundestag der Zugang zum Plenarsaal auf geimpfte oder genesene und zusätzlich negativ getestete bzw. geboosterte Abgeordnete beschränkt sein wird, hält Rechtsprofessor Josef Lindner laut Welt (Frederik Schindler) angesichts der hohen Bedeutung des grundrechtsgleichen Rechts des freien Mandats in Art. 38 Grundgesetz verfassungsrechtlich für problematisch. Eine 3G+-Regel sei ausreichend, also Zugang mit einem negativen PCR-Test für ungeimpfte Abgeordnete. 

Homeoffice: Entgegen der Formulierung im Koalitionsvertrag will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) laut LTO nun doch einen "Rechtsanspruch auf Homeoffice schaffen". Wenn der Arbeitgeber keine betrieblichen Gründe entgegenhalten kann, sollen sie verpflichtet werden, ihren Beschäftigten das Arbeiten von zuhause aus zu ermöglichen. Im Koalitionsvertrag war von einem "Erörterungsanspruch" die Rede. Wie die FAZ meldet, lehnt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände diesen erneuten Vorstoß ab.

Digitale Dienste: Die Zeit (Götz Hamann) zeigt auf, welches Wagnis der geplante Artikel 31 des Digital Services Act der EU darstellt. Er könne einen Zugang zu den Daten der Tech-Konzerne gewähren und so für mehr Transparenz über die Wirkung von sozialen Netzwerken zur Folge haben. Wer diese Daten analysieren können soll, sei jedoch noch offen.

Nebenjobs in der Justiz: Im Interview mit der Zeit (Karsten Polke-Majewski/Fritz Zimmermann) fordert der NGO-Aktivist und Ex-Abgeordnete Gerhard Schick strengere Regeln für gut bezahlte Nebenjobs von Bundesrichter:innen sowie öffentliche Anhörungen im Wahlverfahren für Richter:innen an Bundes- sowie an Oberlandesgerichten.

Justiz

OLG Koblenz – Folter in Syrien: Am heutigen Donnerstag wird das Urteil im völkerstrafrechtlichen Verfahren gegen den ehemaligen Oberst des syrischen Geheimdienstes Anwar R. erwartet. Aus diesem Anlass beleuchtet LTO (Markus Sehl) die Entstehungsgeschichte des Verfahrens sowie die öffentliche Wahrnehmung des Prozesses, der häufig als Vorreiter dargestellt wird und von NGOs auch als eine umfassende Bestandsaufnahme eines brutalen Unrechtsregimes gesehen wird. Auf ihrer "Seite Drei" geht die SZ (Moritz Baumstieger/Lena Kampf) zudem auf die im Prozess ebenfalls geführten Nebenklagen ein. Auch taz.de (Sabine am Orde) gibt einen ausführlichen Überblick über den Prozess. 

BVerfG zu Gewinneinkünften: Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Privilegierung von Gewinneinkünften durch manche Regelungen im Steueränderungsgesetz 2007 und im Jahressteuergesetz 2007 mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar und damit verfassungswidrig ist. Der Gesetzgeber muss nun spätestens bis zum 31. Dezember 2022 rückwirkend für das Veranlagungsjahr 2007 eine Neuregelung schaffen. FAZ (Manfred Schäfers) und LTO berichten.

BVerfG zu Triage: Rechtsprofessor Reinhard Merkel erläutert im Staat und Recht-Teil der FAZ, warum er die Triage-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als tief enttäuschend empfindet. Der Senat habe zwar das Problem unbewusster Diskriminierungsentscheidungen sauber herausgearbeitet, lasse den Gesetzgeber nun aber mit dessen Lösung allein. Triage-Entscheidungen blieben unvollkommene Lösungen tragischer Konflikte, bei denen das Recht seine Zuständigkeit nicht überschätzen sollte.

LVerfG Brandenburg – AfD und Geheimdienst-Kontrolle: Die AfD-Fraktion im Brandenburger Landtag hat laut LTO Klage beim Verfassungsgericht des Landes Brandenburg eingereicht, um einen Sitz in der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) zu erstreiten. Seit seiner Konstituierung im Jahr 2019 hat der Landtag alle Vorschläge der AfD-Fraktion für einen Sitz in der PKK abgelehnt. Die PKK ist auch zuständig für die Kontrolle des Verfassungsschutzes, der wiederum die AfD als Verdachtsfall für Rechtsextremismus beobachtet.

OLG Frankfurt/M. zu Erbanteil von Adoptivkind: Wird ein Kind von Verwandten zweiten Grades adoptiert, kann es im Fall des Versterbens einer Tante zwei gesetzliche Erbteile erhalten. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main bestätigte die von weiteren Nichten und Neffen angegriffene Entscheidung des Nachlassgerichts. LTO schildert die Einzelheiten des Falls, in dem der Ehemann sowie die beiden Schwestern der kinderlosen Erblasserin bereits verstorben waren, eine der beiden Schwestern zu Lebzeiten jedoch den Sohn der zuerst verstorbenen Schwester adoptiert hatte. Das OLG kam zu dem Schluss, dass dieses Verwandtschaftsverhältnis nicht erloschen sei und der doppelte gesetzliche Erbteil geltend gemacht werden könne.

LG Bonn – Cum-Ex/Warburg-Bank: Im Cum-Ex-Prozess vor dem Landgericht Bonn hat der frühere Warburg-Manager M. die Tatvorwürfe der vorsätzlichen Steuerhinterziehung teilweise eingestanden. Er ist laut SZ (Jan Diesteldorf/Nils Wischmeyer) der erste Angeklagte aus den Reihen der Warburg-Bank, der ein eigenes rechtswidriges Verhalten eingestand.

ArbG Siegburg zu Gewaltandrohung: Das Arbeitsgericht Siegburg hielt eine fristlose Kündigung gegen einen städtischen Buchhalter für wirksam, der sich mit seinem Vorgesetzten so gestritten hatte, dass er seiner Kollegin davon erzählte und dabei damit drohte, seinen Chef aus dem Fenster zu werfen und kurz vor einem Amoklauf zu sein. Dies sei dem Arbeitgeber auch ohne vorherige Abmahnung nicht zumutbar. spiegel.de berichtet.

Corona und Versammlungsfreiheit vor Gericht: Auf dem Verfassungsblog beleuchtet Rechtsprofessor Clemens Arzt ausführlich die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte sowie des Bundesverfassungsgerichts zur Versammlungsfreiheit in Pandemiezeiten. Er kritisiert dabei im Ergebnis vor allem, dass viele Gerichte sich in Fragen etwa von Vorabverboten in Pandemiezeiten auf die beschränkte Prüfdichte in Eilverfahren beriefen. "Schwierige Rechtsfragen über zwei Jahre hinweg als schwierig zu bezeichnen und deshalb nicht zu klären", so Arzt, "ist im Rechtsstaat nicht akzeptabel".

Justizunrecht: beck-aktuell (Monika Spiekermann) hat mit Rechtsprofessor Carsten Momsen über das u.a. von ihm initiierte Studierendenprojekt zur Untersuchung von Justizunrecht im Strafprozess gesprochen. Mit der Unterstützung von studentischen Law Clinics sollen Fehlurteile ausgemacht und Wiederaufnahmeanträge formuliert werden, um Betroffenen zu helfen.

Recht in der Welt

Österreich – Corona-Impfpflicht: In Österreich wachsen die Zweifel an der allgemeinen Corona-Impfpflicht, die nach einem Gesetzentwurf der ÖVP-Grünen-Regierung ab Februar gelten soll, berichtet die FAZ (Stephan Löwenstein). Die liberalen Neos und Teile der SPÖ tragen des Projekt nicht mehr mit. Auch in ÖVP und bei den Grünen wachse die Kritik. Das für die Verwaltung des Impfregisters zuständige Unternehmen gab zu bedenken, dass es für die technische Umsetzung noch bis April brauche. Der Richterverband forderte zusätzliche Stellen für die zu erwartenden Gerichtsverfahren, sonst werde das Gesetz zahnlos bleiben.

USA – Facebook-Zerschlagung: Mit einer nachgebesserten Klageschrift hat die US-amerikanische Kartellbehörde Federal Trade Commission (FTC) nun die Zulassung der Klage bei einem Washingtoner Gericht erreicht. Die FTC wirft Facebook (mittlerweile "Meta") vor, eine Monopolstellung auszunutzen, um Wettbewerber auszuschalten. Das Unternehmen soll gezwungen werden, die digitalen Plattformen Whatsapp und Instagram abzuspalten und zu verkaufen. LTO und FAZ (Roland Lindner) berichten.

Polen – Justizreform: In der FAZ beschreibt Gertrude Lübbe-Wolff, ehemalige Verfassungsrichterin und Rechtsprofessorin, weshalb sie im Zusammenhang mit der Rechtstaatskrise in Polen von einem "Frankensteinproblem" spreche. Der polnische Rechtsstaat bediene sich zahlreicher Einzelelemente aus Rechts- und Verfassungsordnungen demokratischer Rechtsstaaten und stückele sich daraus ein monströses, nicht im Geringsten demokratisches oder rechtsstaatliches Gebilde zusammen. Dennoch zeigt sie sich optimistisch, dass die EU und insbesondere der Europäische Gerichtshof angemessen reagierten.

Sonstiges

Ersatzfreiheitsstrafen: Wie LTO schreibt, hält das Landesjustizministerium in Brandenburg die von der Linksfraktion im Landtag geforderte Aussetzung von Ersatzfreiheitsstrafen in der Corona-Pandemie derzeit nicht für erforderlich. Mit dem Antrag sollte aufgrund stark steigender Infektionszahlen u.a. die häufig bestehende erhöhte Gefahr schwerer Verläufe im Vollzug verhindert werden. Andere Bundesländer sind diesen Weg bereits gegangen.

Verbot der AfD: Der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Ostbeauftragte der Bundesregierung Marco Wanderwitz hat ein Verbot der AfD gefordert. Sie sei insbesondere in Sachsen derart radikalisiert, dass sie "eine sehr ernste Gefahr für die Demokratie und die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist". Wie LTO erläutert, können nur Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung einen solchen Antrag stellen. Entscheiden würde dann das Bundesverfassungsgericht.

Kartellrecht – Google: Der Onlinekonzern Google will mit Zugeständnissen Bedenken des Bundeskartellamts in dessen Prüfverfahren gegen sein Nachrichtenangebot Google News Showcase ausräumen. Das BKartA will nun prüfen, ob das Angebot der Verlagsbranche ausreicht. Teil des Prüfverfahrens ist nämlich die Frage, ob Verlage einen diskriminierungsfreien Zugang zu dem Google-Bereich bekommen. Es berichten LTO und FAZ.

Das Letzte zum Schluss

Komm und schnapp sie dir: Auch wenn das Motto bei der Jagd auf die Fantasie-Wesen Pokémon ähnlich klingen mag, hätten die beiden US-Polizisten doch lieber auf den Hilferuf aus einem Kaufhaus reagieren und die Räuber dort schnappen sollen. Dass die beiden nämlich stattdessen an einen anderen Ort fuhren, um dort in dem Spiel "Pokémon Go" u.a. ein sog. "Relaxo" dingfest zu machen, kam beim Abspielen des im Dienstwagen aufgezeichneten Gesprächs bei den Vorgesetzten nicht so gut an. Die beiden wurden laut Welt entlassen.

 

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lto/jpw

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 13. Januar 2022: . In: Legal Tribune Online, 13.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47191 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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