Die juristische Presseschau vom 31. Dezember 2021: HU Berlin gegen Hoch­schul­ge­setz / VGH Bayern zu 2G / Chi­ne­si­scher KI-Staats­an­walt

31.12.2021

HU Berlin rügt fehlende Gesetzgebungskompetenz für Berliner Hochschulgesetz beim BVerfG. Der VGH Bayern rechnet Bekleidungsgeschäfte dem täglichen Bedarf zu. In China soll künstliche Intelligenz staatsanwaltschaftliche Aufgaben übernehmen.

Thema des Tages

BVerfG – Berliner Hochschulgesetz: Die Berliner Humboldt-Universität (HU) hat gegen eine Vorschrift des neuen Berliner Hochschulgesetzes (BerlHG) Verfassungsbeschwerde eingelegt. Der umstrittene § 110 sieht vor, dass mit promovierten Nachwuchswissenschaftler:innen eine Anschlusszusage für eine unbefristete Beschäftigung vereinbart werden muss. Die HU argumentiert nun, dass der Bund mit seinem Wissenschaftszeitvertragsgesetz bereits abschließend von seiner Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch gemacht und das Land Berlin deshalb seine Gesetzgebungskompetenz überschritten habe. Auch greife die Vorschrift unverhältnismäßig in die verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte der HU ein. Zur kontinuierlichen Nachwuchsförderung sei die Uni nur in der Lage, wenn Stellen nach einer gewissen Zeit wieder frei werden. LTO berichtet.

Rechtspolitik

Corona – Impfpflicht: Der politische Diskussionsprozess um eine allgemeine Impfpflicht soll Olaf Scholz zufolge idealerweise "Ende Februar, Anfang März" abgeschlossen sein. Die komplexen Anforderungen haben nun zu unterschiedlichen Vorschlägen geführt. Einen konkreten (ablehnenden) Entwurf hat bislang aber nur eine Gruppe um Wolfgang Kubicki (FDP) eingebracht. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) lässt derzeit die Schaffung eines nationalen Impfregisters prüfen. zeit.de (Michael Schlieben u.a.) berichtet über die Bedenken der Befürwortenden, aber auch über den vom CDU-Vorsitzenden Merz anvisierten "Stufenplan" zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. focus.de (Ulf Lüdeke) erinnert daran, dass eine Impfpflicht nicht mit einem Zwang zur Impfung verbunden ist. Bei einer Verweigerung der Impfung drohten dann jedoch Bußgelder, die sich an den Sanktionen bei Verstößen gegen die Masern-Impfpflicht (bis zu 2500 Euro) orientieren könnten. Auch die Teilnahme an bestimmten Veranstaltungen und Zutritt zu bestimmten Räumen könnte verweigert werden. Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall könnten bei Nicht-Geimpften wegfallen.

Gefälschte Impfpässe und Schweigepflicht: Auf LTO fordert der Rechtsprofessor Gunnar Duttge die Schaffung einer rechtssicheren Befugnisnorm für Apothekerinnen und Apotheker, die es ihnen erlaubt, die Vorlage von gefälschten Impfzertifikaten an die Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten. Die Empfehlungen der Landesapothekerkammern seien derzeit zu uneinheitlich. In der aktuellen Pandemielage ist für Duttge das Melden eines Fälschungs-Verdachts eine gem. § 34 Strafgesetzbuch (StGB) gerechtfertigte Missachtung der Schweigepflicht.

Familienrecht: In der SZ nimmt Heribert Prantl die familienrechtlichen Vorhaben der Ampelkoalition in den Blick. Insbesondere das geplante Institut einer "Verantwortungsgemeinschaft […] jenseits von Liebesbeziehungen und Ehe" biete zwar etwa für Alterskommunen oder füreinander sorgende Geschwister große Vorteile. Viele Fragen, etwa nach dem Schutz schwächerer Partnerinnen oder Partner bei einer Auflösung, blieben bislang jedoch unbeantwortet.

Schuldenbremse: Corona-Kredite etwa durch Nachtragshaushalte in Investitionen für Klimaschutz und Digitales zu schleusen, hält Rechtsprofessor Hanno Kube für juristisch "sehr, sehr schwierig" angesichts der Schuldenbremse im Grundgesetz. Auch in "außergewöhnlichen Notsituationen" müssten die Gelder zweckgebunden ausgebeben werden. Die SZ (Wolfgang Janisch) stellt deshalb einen Weg über die sogenannte "Konjunkturkomponente" vor, die es erlaube, aufgrund einer Prognose künftigen wirtschaftlichen Potentials höhere kurzfristige finanzielle Defizite in Kauf zu nehmen. Dieser Weg könnte Kube zufolge auch mit dem Grundgesetz im Einklang stehen.

E-Scooter: Der deutsche Städtetag fordert eine strengere Regulierung der E-Scooter-Nutzung in deutschen Städten. Dazu gehört etwa die Möglichkeit, Obergrenzen festlegen zu können sowie die Schaffung neuer Verkehrszeichen, die etwa das E-Scooter-Fahren verbieten, Radfahren aber weiterhin gestatten. Dazu müsse die Straßenverkehrsordnung geändert werden, schreibt spiegel.de. Wie bild.de berichtet, fordert die Deutsche Verkehrswacht zudem ein Alkoholverbot, eine Helmpflicht sowie einen Nachweis der Kenntnis über Verkehrsregeln.

Mindestlohn: Deutschlands Arbeitgeber wollen sich gegen die im Koalitionsvertrag angekündigte Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro notfalls juristisch wehren. Sie sprechen von einer groben Verletzung der verfassungsrechtlichen Tarifautonomie und einer Umgehung der Mindestlohnkommission als "Wächter des Mindestlohns". faz.net und taz.de (Barbara Dribbusch) berichten.

Justiz

VGH Bayern zu 2G: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat entschieden, dass Bekleidungsgeschäfte zu den Geschäften des täglichen Bedarfs gehören und somit in Bayern nicht der 2G-Regel unterfallen. Der Eilantrag eines Bekleidungsunternehmens gegen die 2G-Regel wurde deshalb bereits als unzulässig abgelehnt, schreibt LTO. Auch ohne ausdrückliche Nennung in der Corona-Verordnung unterfielen Bekleidungsgeschäfte schon nicht der Beschränkung.

BVerfG zu Triage: Der Verfassungsblog (Matthias Hong) veröffentlicht eine systematische Analyse des am Dienstag veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu pandemiebedingten Triage-Entscheidungen. Privatdozent Roman Lehner kommt auf dem Verfassungsblog zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung zum Schutze Behinderter in Triage-Zeiten nur wenig beitrage. Grunderkrankungen, die eine niedrige allgemeine Lebenserwartung zur Folge hätten, reduzierten oft auch die COVID-Überlebenschance. Die behinderungsspezifische Schutzbedürftigkeit könne sich dann in einer auf die aktuelle Krankheit bezogenen, negativen klinischen Prognose auflösen, was verdeckte Diskriminierungen zur Folge haben könnte.

Im Interview mit spiegel.de (Valerie Höhne) plädiert die Ärztin und Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta (Grüne) dafür, insbesondere die Behandelnden aus Pflege und Medizin stark einzubeziehen in die Frage, wie das Urteil des BVerfG umzusetzen sein wird. Auch gibt sie zu bedenken, dass ein Gesetz den sehr komplexen Entscheidungen in einer Triage-Situation nicht umfassend gerecht werden und allenfalls einen Rahmen bieten kann.

BVerwG in 2021: LTO (Hasso Suliak) stellt wichtige Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2021 vor. Unter den acht ausgewählten Urteilen finden sich u.a. Entscheidungen zum Berliner Milieuschutz-Vorkaufsrecht sowie zum Auskunftsanspruch auf Twitter-Nachrichten des BMI.

OLG Koblenz – Staatsfolter in Syrien: In der FAZ (Julian Staib) erscheint ein ausführlicher Bericht über den sogenannten Al-Khatib-Prozess wegen Staatsfolter in Syrien. Die Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen ein Mitglied des syrischen Regimes, Anwar R., beruht auf dem Weltrechtsprinzip. Dies ermöglicht eine Verfolgung bei schwersten Menschenrechtsverbrechen auch in Deutschland. Ein Urteil wird Mitte Januar erwartet. Kurz darauf soll dann auch in Frankfurt ein Prozess gegen den syrischen Arzt Alaa M. beginnen, der in Militärkrankenhäusern gefoltert und getötet haben soll.

LG Köln zu Uhrenkauf: Auch wenn die verkaufte Uhr nur noch teurer als geplant geliefert werden kann, ist die Verkäuferin an den Vertrag gebunden und kann nicht zurücktreten. Der Käufer hingegen muss seiner Schadensminderungspflicht nachkommen und nach günstigeren Angeboten Ausschau halten. Das entschied das Landgericht Köln und sprach dem klagenden Käufer nur den errechneten Mehrpreis für das günstigste Deckungsgeschäft zu. LTO berichtet.

Recht in der Welt

China – KI-Staatsanwaltschaft: In China ist ein "Staatsanwalt mit Künstlicher Intelligenz" entwickelt worden, dessen Software die acht gängigsten Straftaten erkenne und mit 97-prozentiger Zuverlässigkeit Anklage erheben könne. Erprobt wurde das System in Shanghai an mehr als 17.000 Fällen aus den Jahren 2015-2020. Anhand von 1000 "Eigenschaften" könne das System Verdächtige bewerten. Zu den gängigen Straftaten gehören Kreditkartenbetrug, Diebstahl, Widerstand gegen Staatsgewalt sowie Störung der öffentlichen Ordnung. netzpolitik.org (Tomas Rudl) berichtet.

USA – Ghislaine Maxwell: Über den Schuldspruch Ghislaine Maxwells schreibt nun auch die FAZ (Sofia Dreisbach) in einem Rückblick auf den Prozess. Der kürzlich 60 Jahre alt gewordenen Maxwell droht eine Freiheitsstrafe von bis zu 65 Jahren. Wann das Strafmaß bekannt gegeben werden wird, ist bislang nicht bekannt. Erfahrungsgemäß könne dies zwischen einigen Tagen und einigen Wochen dauern, so die SZ (Christian Zaschke).

Juristische Ausbildung

Schlüsselqualifikationen: LTO-Karriere (Sabine Olschner) stellt die sogenannten Schlüsselqualifikationen dar, die angehende Juristinnen und Juristen vor der 1. Juristischen Staatsprüfung erlangt haben müssen. Neben klassischen Feldern wie Vernehmungstechniken werden vielerorts mittlerweile auch Themen wie Legal Tech oder Gender angeboten.

Sonstiges

Facebook Oversight-Board und Hassrede: Der FAZ-Einspruch (Stephan Klenner) befasst sich mit der deutschen Rechtsprechung zum Oversight-Board von Facebook, das als höchste unternehmensinterne Instanz über Verletzungen der Verhaltensregeln entscheidet. In Deutschland habe der Bundesgerichtshof festgestellt, dass es sozialen Netzwerken offenstehe, über gesetzliche Vorgaben, etwa zur Reichweite der Meinungsfreiheit, hinauszugehen und damit auch solche Beiträge als Hassrede einzustufen und zu löschen, die staatlicherseits nicht strafbar sind.

Impfkonflikte zwischen Eltern: Wenn sich Vater und Mutter über die Impfung eines Kindes nicht einigen können, kann ein Elternteil das Familiengericht einschalten. Das Entscheidungsrecht über die Impfung wird dann grundsätzlich demjenigen Elternteil übertragen, der "die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission befürwortet". Die Stiko-Empfehlungen stellten den medizinischen Standard dar und dienten damit dem Kindeswohl. Es berichtet die BadZ (Christian Rath).

Das Letzte zum Schluss

Arbeitsverbot für Panzerknacker? Die taz erinnert daran, dass das erneute Verbot, an Sylvester zu knallen, auch all diejenigen betreffe, die an Sylvester bestimmten kriminellen Machenschaften nachgehen wollen. Ob sich "Panzerknacker" jedoch durch dieses Verbot davon abhalten werden, Geldautomaten in die Luft zu sprengen, bleibt abzuwarten.

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/jpw

(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 31. Dezember 2021: . In: Legal Tribune Online, 31.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47096 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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