Heute wird der Bundestag die Novelle des Infektionsschutzgesetzes beschließen. Sophie Schönberger kritisiert Mitgliederentscheide über Parteivorsitz. Lieferdienst "Gorillas" unterliegt gegen Mitarbeiter:innen vor dem ArbG Berlin.
Thema des Tages
Corona – Infektionsschutzgesetz: Am heutigen Donnerstagmorgen beschließt aller Voraussicht nach der Bundestag den Gesetzentwurf der Ampel-Fraktionen SPD, Grüne und FDP zur Reform des Infektionsschutzgesetzes. Die SZ (Contanze von Bullion u.a.), die taz (Christian Rath), die FAZ (Helene Bubrowski) und das Hbl (Jürgen Klöckner) stellen den Inhalt des Entwurfs vor, der insbesondere vier bundesweite Maßnahmen vorsieht. Danach sollen die Homeofficepflicht, die 3G-Regelung am Arbeitsplatz und im öffentlichen Verkehr sowie verschärfte Testpflichten in Gemeinschaftseinrichtungen direkt im Infektionsschutzgesetz angeordnet werden. Eine Impfpflicht sieht der Gesetzentwurf nicht vor. Da die Novellierung jedoch die Befugnisse der Länder (insbesondere in Bezug auf Shutdown-Maßnahmen) stark beschneiden würde, drohten die unionsregierten Länder, das Änderungsgesetz am kommenden Freitag im Bundesrat zu blockieren. Um das zu verhindern, wird bis zuletzt verhandelt. Nach der Beschlussfassung im Bundestag wird um 13 Uhr ein Online-Bund-Länder-Treffen zur Corona-Politik stattfinden.
Corona – Ausgangssperre/2G: Der Kölner Stadt-Anzeiger (Christian Rath) vergleicht Ausgangssperren für Ungeimpfte, wie sie Österreich eingeführt hat, mit 2G-Regelungen in Deutschland, z.B. in Baden-Württemberg. Die Stoßrichtung sei ähnlich, es gebe aber auch Unterschiede, so könnten Ungeimpfte in Österreich keine touristischen Ausflüge mehr machen. Derzeit könnten Ausgangssperren nach österreichischem Vorbild in Deutschland noch eingeführt werden, diese Möglichkeit werde aber mit der anstehenden Novellierung des IfSG und der Aufhebung der "epidemischen Lage nationaler Tragweite" abgeschafft.
Corona – Impfpass-Fälschung: Es sei zu begrüßen, dass sich die Ampel-Parteien auf die Einführung der Strafbarkeit von Impfpass-Fälschung verständigt haben und der Bundestag am heutigen Donnerstag über einen entsprechenden Gesetzesvorschlag abstimmt, meint Karoline Meta Beisel (SZ). Denn während einige Jurist:innen die Ansicht vertreten, das Vorzeigen eines gefälschten Impfnachweises in einer Apotheke zur Erlangung eines digitalen Impfnachweises sei eine bereits strafbare Urkundenfälschung, sprach das Landgericht Osnabrück sich in einem solchen Fall gegen eine Strafbarkeit aus. Es sei deshalb gut, dass der Bundestag nun Rechtsklarheit schaffe.
Rechtspolitik
Parteitage: Im Feuilleton der FAZ thematisiert Rechtsprofessorin Sophie Schönberger die Tendenz, über Parteivorsitzende in Mitgliederentscheiden abzustimmen, obwohl dies laut Parteigesetz eine Aufgabe von Parteitagen ist. Formaljuristisch werde bei der Mitgliederbefragung nur über einen Vorschlag für den Parteitag abgestimmt, aber den Delegierten bleibe politisch nichts anderes übrig, als dem Ergebnis des Mitgliederentscheids zuzustimmen. Parteitage würden so zum "Fake", zu "Potemkinschen politischen" Dörfern. Die Autorin plädiert dafür, passende Verfahren nach ausführlicher Diskussion im Parteiengesetz zu verankern.
Planungsbeschleunigung: Rechtsanwalt und Staatsminister a.D. Dieter Posch (FDP) fordert in der FAZ eine gesetzliche Regelung zur Beschleunigung baurechtlicher Planungsverfahren. Die Beschleunigungsversuche der letzten Jahrzehnte seien "alle nicht ausreichend" und "nicht geeignet, Probleme zu lösen". Gerade auch im Hinblick auf den Klimaschutz bedarf es einer grundlegenden Überprüfung des geltenden Planverfahrens.
Justiz
ArbG Berlin zu Betriebsratswahlen bei "Gorillas": Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Lieferdienstes "Gorillas" dürfen kommende Woche wie geplant ihren Betriebsrat wählen. Das entschied das Arbeitsgericht Berlin und wies damit die Klage des Unternehmens zurück, das im Eilverfahren formelle Fehler bei der bereits stattgefundenen Wahl des Wahlvorstands geltend gemacht hatte. Diese Fehler reichen laut Gericht für eine Wahlunterbrechung nicht aus. Sollte es stichhaltige Gründe geben, könne das Unternehmen die Betriebswahl aber später noch anfechten. Wie SZ, taz.berlin (Erik Peter) und LTO ferner berichten, sind vor dem ArbG Berlin bereits Dutzende arbeitsrechtlicher Verfahren gegen das Unternehmen – unter anderem wegen verspäteter Lohnzahlung – anhängig.
OLG Celle zu Bausparvertragsentgelt: Bausparkassen dürfen auch während der Ansparphase kein Kontoführungsentgelt verlangen. Das entschied das Oberlandesgericht Celle, ließ aber die Revision zum Bundesgerichtshof zu, so LTO. 2016 entschied der BGH bereits, dass in der Darlehensphase eines Bausparvertrags kein Entgelt verlangt werden darf, während es für die Ansparphase bislang an einer höchstrichterlichen Entscheidung fehlte.
OVG BB zu AfD/Berliner Verfassungsschutzbericht: Der AfD-Landesverband blieb im Streit um die Vorstellung des Berliner Verfassungsschutzberichts 2020 weitgehend erfolglos. Die Unterlassungsklage der Partei wies nun auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit der Begründung ab, der Landesverband habe weder ausreichend darlegen können, dass er als Verdachtsfall eingeordnet werde noch dass einzelne Mitglieder nachrichtendienstlich beobachtet werden. Wie LTO berichtet, gestand das OVG der AfD lediglich einen Punkt zu. Demnach muss der Berliner Innensenator eine Pressemitteilung veröffentlichen, um publik zu machen, dass im Verfassungsschutzbericht Angaben zum formal aufgelösten "Flügel"-Netzwerk gestrichen wurden. Letzteres hatte die AfD vor dem Verwaltungsgericht Berlin durchgesetzt.
LG Heidelberg – Briefbomben-Erpressung: In dem Prozess gegen den mutmaßlichen Versender von vier Paketbomben an Nahrungsmittelhersteller in Deutschland wurden beim vorletzten Verhandlungstag die Plädoyers gehalten. spiegel.de (Julia Jüttner) schildert, wie dabei das Verteidgerduo des angeklagten 66-Jährigen die gesamten Ermittlungen in Frage stellte – mit durchaus beachtlichen Gründen. Bisher basiere die Anklage des Rentners tatsächlich nur auf Indizien; kein Fingerabdruck, kein Haar, keine DNA-Spur passten zum Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft beruft sich auf das Überwachungsvideo einer Postfiliale in Ulm, das den Täter dabei zeige, wie er drei Päckchen aufgebe. Eine "Super-Recogniserin" habe den Rentner identifiziert.
LG Düsseldorf zu Bübchen vs. Nivea: Zwischen den Babypflegeartikeln der Marke Bübchen und vergleichbaren Produkten von Nivea besteht keine Verwechslungsgefahr. Das entschied das Landgericht Düsseldorf und wies die Klage vom Pflegeproduktehersteller Bübchen zurück. Sowohl die blaue Farbe als auch das blaue Logo und das kindgerechte Musterdesign sind laut dem LG weit verbreitet und stellen damit keine schutzwürdige Eigenart der Marke dar. Es berichtet LTO.
LG Düsseldorf zu Tod nach Po-Vergrößerung: Ein Operateur ist nach zwei tödlichen Gesäßvergrößerungs-OPs wegen Körperverletzung mit Todesfolge sowie Titelmissbrauchs zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt worden. Das Landgericht Düsseldorf sah es als erwiesen an, dass der OP-Arzt die Patientinnen nicht ausreichend über das Risiko aufgeklärt hatte, wonach die Operation beider Gesäßteile in zwei Sitzungen weitaus schonender gewesen wäre, als – wie geschehen – in nur einer Sitzung. Zudem habe er den Frauen mehr als die normale Menge Flüssigkeit und Körperfett entnommen und das Fett wieder eingespritzt, berichten die SZ und spiegel.de.
AG Pasewalk zu Amthors Geschwindkeitsübertretung: Das Amtsgericht Pasewalk hat den CDU-Abgeordneten Philipp Amthor wegen zu schnellen Fahrens zu einer Geldbuße von 450 Euro und der Abgabe seines Führerscheins für einen Monat verurteilt, das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Amthor hatte das ihm zuvor von der Behörde auferlegte Bußgeld nicht akzeptiert, weshalb es zur Gerichtsverhandlung kam. Amthor soll 2020 50 km/h zu schnell durch eine Tempo-70-Zone gefahren sein. FAZ, SZ und taz (Marilena Piesker) berichten.
Der Bundestagsabgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern habe Glück, dass er noch nach dem alten Bußgeldkatalog belangt wurde, der bis zum 8. November galt, erläutert die SZ (Ronen Steinke). Zudem wird der Unterschied zwischen einer Geldbuße und einer Geldstrafe erklärt. Letztere gehe laut Bundesverfassungsgericht mit einer "Tadelsfunktion" einher und könne nur vom Strafgericht verhängt werden.
Überlastung der Justiz: Wie die FAZ (Marcus Jung) berichtet, schrieben neun Vorsitzende Richterinnen und Richter des Landgerichts Augsburg Ende Oktober einen Brandbrief an Thomas Eckert, Richter am Oberlandesgericht (OLG) München und Vorsitzender des Bezirksrichter:innenrats. Darin schildern sie, wie die "Klageindustrie" mit ihren vielen Massenverfahren zum Diesel-Skandal, zu Widerrufen von Bankdarlehen und zu Klagen gegen Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung mittlerweile einen Großteil der Arbeit der Zivilkammern verursachen. Damit werde das Berufsbild der Richter:innen grundlegend verändert und das Landgericht mutiere zum "Durchlauferhitzer". Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) hatte in diesem Zusammenhang auf der Justizministerkonferenz vergangene Woche einen Reformvorschlag für Massenverfahren präsentiert.
Bundesanwaltschaft: Am heutigen Donnerstag stellt Generalbundesanwalt Peter Frank gemeinsam mit der geschäftsführenden Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) den Abschlussbericht einer wissenschaftlichen Studie vor, die die NS-Belastung der Behörde in den Jahren 1950 bis 1974 untersucht. Wie LTO aus dem bereits am gestrigen Mittwoch erschienenen Sachbuch zitiert, kommen die Autoren zu dem Schluss: "Einen Bruch […] mit der NS-Vergangenheit, hat es auch im Fall der Bundesanwaltschaft nicht gegeben."
Recht in der Welt
Griechenland – Prozess gegen Flüchtlingshelfer:innen: Ab dem heutigen Donnerstag beginnt in Mytilini auf der griechischen Insel Lesbos der Prozess gegen 24 Personen, darunter auch die ehemalige syrische Leistungsschwimmerin Sarah Mardini. Ihnen werden Fälschung und Spionage, Menschenhandel, Geldwäsche und Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen, wofür bis zu 20 Jahre Haft drohen, so die taz (Christian Jakob). Die SZ (Verena Mayer) berichtet zudem, wie die junge Aktivistin Mardini 2017 Menschen vor dem Ertrinken rettete, die wie sie selbst bei der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland in Seenot geraten waren.
USA – Massenpanik bei Festival: Bei einer Massenpanik während des Astroworld-Musikfestivals waren vergangene Woche zehn Menschen tödlich verletzt und mehrere Hundert Menschen verletzt worden. Wie die FAZ berichtet, reichte nun der Anwalt Tony Buzbee im Namen der Angehörigen eines Verstorbenen und circa 125 Verletzter Klage gegen die auftretenden Rapper Travis Scott und Drake, sowie den Veranstalter Live Nation und weitere Beteiligte ein. Der Jurist verlangt 750 Millionen Dollar Schmerzensgeld wegen grober Fahrlässigkeit.
Frankreich – Fremdenhass: Seit dem gestrigen Mittwoch steht nach einem Bericht der FAZ (Michaela Wiegel) in Paris der Rechtspopulist Eric Zemmour vor Gericht. Der 63-jährige Publizist und potenzielle Präsidentschaftskandidat muss sich wegen Aufruf zum Rassenhass und rassistischer Beleidigung verantworten, da er vergangenes Jahr in einer Fernsehsendung minderjährige Geflüchtete als Diebe und Mörder bezeichnete. Der Fernsehsender des Milliardärs Vincent Bolloré, C'News, der Zemmours wiederholte "Aufrufe zu Hass und Gewalt" auch in der Vergangenheit schon ausstrahlte, musste in diesem Fall bereits eine Geldbuße von 200.000 Euro zahlen.
USA – Pulp Fiction/Verkauf von NFTs: Regisseur Quentin Tarantino wird von seinem alten Filmstudio Miramax wegen Urheberrechtsverletzungen verklagt. Dabei geht es um den Verkauf von nicht austauschbaren Tokens, sogenannter "Non-Fungible Tokens" (NFTs), die in diesem Fall auf dem handgeschriebenen Originaldrehbuch zum Film "Pulp Fiction" beruhen und die Tarantino verkaufen will. Zwar liegen die Rechte an "Pulp Fiction" bei Miramax, Tarantino hat aber das Recht, sein Skript zu veröffentlichen. Nun wird das Gericht zu klären haben, ob auf einem Drehbuch basierende NFTs als Publikation des Drehbuchs gelten oder aber wegen ihrer Einzigartigkeit nur einmal verkäuflich und damit nicht unbedingt eine Publikation darstellen. Wie die SZ (David Steinitz) schreibt, könnte der Streit zu "einem wegweisenden Urteil im Urheberrecht" führen.
Sonstiges
beA: In Anbetracht der am 1.1.2022 in Kraft tretenden beA-Nutzungspflicht, erläutert in einem Gastbeitrag auf LTO Alexander Siegmund, Mitglied im beA-Anwenderbeirat der BRAK, die wichtigsten Regeln und Ausnahmen bei der Nutzung. Außerdem erklärt er, wie sich Kanzleien auf die Nutzung vorbereiten können und sollten.
Patentrecht: Im deutschen Patentrecht besteht eine Lücke zwischen Verfahren, die sich um Patentverletzungen kümmern, und Verfahren, in denen geprüft wird, ob Patente überhaupt rechtens sind. Diese Lücke kann dazu führen, dass ein Landgericht bereits über einen Unterlassungs- oder Schadensersatzanspruch entscheidet, während das Bundespatentgericht erst noch beurteilen muss, ob überhaupt ein Schutzrecht besteht. Die FAZ (Bernd Freytag/Corinna Budras) macht dies an einem jahrelangen Rechtsstreit zwischen einer deutschen Zigarettenpapierproduzentin und einem US-Konzern deutlich. Ausländische Unternehmen nutzen diese Lücke gezielt aus, um deutsche Unternehmen lahm zu legen und aus dem Markt zu drängen.
Europäische Solidarität: Im Staat und Recht-Teil der FAZ befasst sich der Politikprofessor Ludger Kühnhardt mit der Bedeutung und Interpretation des Begriffs der "europäischen Solidarität", wie ihn der französische Präsident Emanuel Macron in seiner Rede an der Pariser Universität Sorbonne im September 2017 "als Referenzpunkt der künftigen Beurteilung der EU" in die Diskussion um die Europäische Union eingebracht hat.
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lto/ali
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Die juristische Presseschau vom 18. November 2022: . In: Legal Tribune Online, 18.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46680 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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